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Jack Lloyd Folge 44

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Maria de la Vega

Am späten Nachmittag noch hatte Jack sich mit dem Comte getroffen und sich das Haus angesehen, welches dieser ihm zu vermitteln angeboten hatte. Und tatsächlich war der Kapitän sich sicher, dass das Anwesen, das komplett eingerichtet war und nur darauf wartete, bezogen zu werden, genau die richtige Zentrale für ihr weiteres Vorhaben war. Und so zogen Jack und Elena noch am selben Tag mit ihren Habseligkeiten vom Goldenen Schwan in ihr neues Zuhause. Am nächsten Tag sollten die Männer von außerhalb der Stadt folgen. Dann würden sie in der wenigen Zeit, die sie noch hatten, ihre Pläne vorantreiben, um schließlich auf Nimmerwiedersehen aus Caracas zu verschwinden.

Auch an diesem Abend wartete bereits eine Kutsche auf Elena und Jack, die sie zum Gouverneurspalast bringen sollte. Doch heute würde das Abendessen noch um einiges interessanter werden, als ihr letzter Besuch im Palast. Sie waren Gäste des Gouverneurs und Jack sollte als junger spanischer Adliger die Tochter des Stadtfürsten kennenlernen. Er war gespannt auf diese Frau. Vielleicht war sie wirklich der Schlüssel zum Erfolg ihrer Unternehmung. Elena hing derweil ganz anderen Gedanken nach. Sie kannte die Gouverneursfamilie von einigen Besuchen gemeinsam mit ihrem Vater hier in Caracas. Man konnte nicht sagen, dass sie mit der Tochter des mächtigsten Mannes der Stadt befreundet gewesen wäre. Die beiden waren zwar in etwa im selben Alter, sonst verband sie aber wenig miteinander. Während Elena immer schon das Meer und die Gesellschaft ihres Vaters und seiner Matrosen vorgezogen hatte, war die Comtessa Maria de la Vega, wie die Tochter des Gouverneurs mit vollem Namen hieß, eher eine junge Dame von Welt. Sie liebte die großen Empfänge, das Geschnatter der Damen und die aufmerksamen Blicke der jungen wohlhabenden Männer. Martinez de la Mendoza, wie Jack ihr heute vorgestellt werden würde, würde ihre Aufmerksamkeit erregen, soviel stand fest. Sie hatte schon den verschiedensten Heiratsanträgen in den letzten Jahren widerstanden. Weniger, weil sie auf die große Liebe wartete, sondern eher, wie man munkelte, weil sie unbedingt einen Mann finden wollte, der es ihr ermöglichen würde, der Karibik irgendwann zu entfliehen und ein Leben am Hofe in Spanien führen zu können. Und der Neffe eines angesehenen Beraters des Königs wäre da genau das Richtige. Und genau das war es, was Elena an diesem Plan so störte. Maria de la Vega war eine außergewöhnlich schöne junge Frau und ihr Talent, ihre Schönheit durch ihre Kleidung und ihre Schminke hervorzuheben, war Elena nur allzu bekannt. Sie wusste nicht so genau, warum ihr der Gedanke, dass Jack versuchen sollte, das Herz dieser jungen Frau zu gewinnen, so große Sorgen bereitete. Vielleicht, weil sie fürchtete, dass er sich wirklich in die Spanierin verlieben könnte? Vielleicht auch, weil sie ein wenig eifersüchtig auf Maria war? Doch diesen Gedanken schob sie vehement zur Seite. Warum sollte sie eifersüchtig sein? Jack war ihr Kapitän, nicht mehr und nicht weniger. Und das würde sich mit Sicherheit auch nicht ändern. Sie beschloss, den Abend einfach auf sich zukommen zu lassen.

Am Gouverneurspalast angekommen wurden die beiden von der Kutsche aus in den Palast hineingeleitet. Dort stand der Gouverneur zusammen mit seiner Frau und seiner Tochter und einem Mann in der Tracht eines Priesters, der die Gäste willkommen hieß. Der Abend versprach persönlicher zu werden, als das Fest, welches sie zuletzt besucht hatten. Genau das Richtige, um das Vertrauen des Gouverneurs und seiner Tochter zu gewinnen. Als Jack seinen alten Freund Joe in Priesterkleidung direkt neben dem Gouverneur stehen sah, in ein vertrauliches Gespräch mit dem mächtigen Beamten vertieft, musste er unweigerlich lächeln. Der alte Seebär machte sich offenbar in jeder Rolle gut. Sein Blick blieb auf Maria haften, die ihn ebenso offensichtlich wie interessiert betrachtete. Elena wurde fast schlecht bei dem Blick der jungen Frau. Sie hatte schon eine Menge erlebt, aber dass sich eine Dame wie Maria so offenkundig einem Mann anbot, hätte sie nicht gedacht. Jack, dem der Augenaufschlag der jungen Spanierin offenbar entgangen war, ging neben Elena direkt auf die Gastgeber zu. Im Hintergrund sah man noch einige Diener hin und her huschen, um die letzten Vorbereitungen für das Mahl zu treffen. Bei der Gruppe, die das Begrüßungskomitee bildete, angekommen, gesellte sich plötzlich, wie aus dem Nichts, auch der Comte persönlich hinzu. Er war es auch, der schließlich die Vorstellung übernahm.

»Mein lieber Gouverneur de la Vega. Darf ich euch noch einmal den jungen Martinez de la Mendoza vorstellen. Sein Onkel ist ein enger Freund, nicht nur von mir, sondern auch ein Vertrauter der Krone selbst.«

»Wir hatten ja bereits das Vergnügen, Señor«, erwiderte der Gouverneur galant lächelnd, während er seiner Gattin ein Zeichen gab, die auch schon ihre Tochter ein Stück weit vorschob, um die junge Frau so nah wie möglich an den begehrten Gast heranzubringen. Elena musste lächeln. Offenbar waren der Gouverneur und seine Familie für ihre Versuche, sich dem spanischen Hochadel anzubiedern, bekannt. Sonst hätte der Comte kaum vorhersehen können, dass Jack bei Maria Chancen haben würde. Und nur unter dieser Voraussetzung bestand überhaupt die Möglichkeit, Informationen aus ihr herauszubekommen.

Jack, der wieder das Gefühl hatte, von dem hier vorherrschenden Prunk erschlagen zu werden, hatte die ganze Fahrt über geschwiegen. Er hatte Elena zwar zwischenzeitig beobachtet, doch da sie offenbar ihren eigenen Gedanken nachhing, wollte er sie nicht stören. Ihm war nicht ganz klar, was dieser Abend bringen würde. Das größte Problem an dieser ganzen Veranstaltung war er selbst. Der junge Mann mochte durchaus attraktiv sein und auch sein Selbstvertrauen war nicht unbedingt das schlechteste. Aber er hatte es nicht so sehr mit der Konversation mit dem anderen Geschlecht. Schon mit Elena hatte er Probleme, sobald sich ein Thema ergab, bei dem nicht einfach nur die normale Kapitän-Stellvertreter-Beziehung herrschte. Er mochte die junge Frau. Aber irgendwie war da auch noch etwas mehr. In den letzten Tagen hatte er sich immer öfter gefragt, warum er diesem wahnsinnigen Plan überhaupt zugestimmt hatte. Die Schatzflotte anzugreifen, das Silberschiff zu kapern, all das waren Fantastereien, beinahe zu gewagt, als dass man auch nur an eine minimale Erfolgschance glauben konnte. Bisher hatte er den Umstand, dass er sich doch bereit erklärt hatte, dieses Wagnis auf sich zu nehmen, mit seinem Wagemut, seiner Tollkühnheit und seiner Abenteuerlust erklärt. Aber in den vergangenen Tagen war ihm aufgegangen, dass er all das hier nur aus einem Grund auf sich nahm; weil er wusste, dass es Elenas Wunsch war. Es war ihre Art, sich für den Tod ihres Vaters zu rächen, und Jack wollte ihr diese Rache ermöglichen, koste es, was es wolle. Er hatte sich schon ein paar Mal gefragt, was wohl gewesen wäre, wenn sie sich unter anderen Umständen begegnet wären. Wenn die Swallow nicht angegriffen worden wäre und er ein einfacher Steuermann auf einem Handelsschiff geblieben wäre. Hätten sie sich vielleicht irgendwann einmal in einer Taverne gesehen? Wäre sie ihm aufgefallen oder er ihr? Hätten sie miteinander gesprochen oder hätte schon allein ihre unterschiedliche Herkunft jeden Annäherungsversuch im Keim erstickt? Wie war es jetzt? Würde er es je wagen, ihr zu sagen, dass er manchmal des Nachts von ihr träumte? Wohl kaum.

Dann waren sie am Palast angekommen. Jack hatte alle Gedanken, alle Gefühle und Zweifel von sich geschoben und war mit Elena die Stufen zu dem pompösen Bau mit seiner extravaganten Einrichtung hinaufgestiegen. In der Halle hatte er schließlich Maria gesehen, die Maria, der er den Kopf verdrehen und von der er Informationen erhalten sollte, die für sie alle überlebenswichtig waren. Und mit einem Mal war er froh, dass Joe im Raum war. Er sah diese Frau, die an Schönheit sogar Elena noch übertraf, und ihm wurde klar, dass er nichts weiter war als ein ungehobelter Seemann, der sich in die Kleidung eines Edelmannes gestohlen hatte. Oder war da doch noch mehr? Konnte er dieses alte Ich, diese Person, die er schon so lange nicht mehr zu sein glaubte, wirklich wiederbeleben? Und was würde das für Folgen haben? Elena … sie sah ihn an und dann Maria. War ihr aufgefallen, dass die junge Spanierin ihn verwirrte? Wenn ja ließ sie es sich nicht anmerken. Er würde aufpassen müssen, dass er bei diesem Abenteuer nicht über Bord ging. Ein kurzer Seitenblick zu Joe, ein Moment des Austausches mit dem alten Freund und Jack hatte sich wieder unter Kontrolle. Er straffte sich und trat auf den Gouverneur zu, der ihm die Hand entgegenstreckte.

»Wir hatten ja bereits das Vergnügen«, flötete dieser gerade galant, während Maria, das Ziel all ihrer Anstrengungen, das gerade für ihn noch ein Stück weit interessanter geworden war, näher an ihn herangeschoben wurde. Als die junge Dame ihm ihre zarte Hand hinreichte und flüsterte: »Ihr seid also der junge Mann, von dem man dauernd hört, seit er unser schönes Städtchen betreten hat. Es ist mir eine Ehre, Euch kennenzulernen.« Ein Lächeln stahl sich in die Züge des jungen Kapitäns. Er hatte seine Rolle wiedergefunden.

»Die Ehre liegt bei mir, Señorita. Darf ich nach Eurem Namen fragen?« Nach diesen Worten hauchte er einen Kuss auf ihre Hand. Der Gouverneur und seine Frau warfen sich kurze verstohlene Blicke zu, die für jeden Anwesenden offensichtlich zu sehen waren, nur nicht für Jack und Maria, die mehr mit sich selbst beschäftigt waren.

»Maria de la Vega, Señor«, hauchte Maria, während sie einen Knicks andeutete. Ein Gong, der zum Essen rief, unterbrach den Moment und zwang Jack, Marias Hand wieder loszulassen. Freudig klatschte die Gattin des Gouverneurs, Señora Stella de la Vega, in die Hände. »Ihr kommt genau zur rechten Zeit, Senior Mendoza. Das Essen steht bereit und ich bin mir sicher, dass die meisten unserer Gäste darauf brennen Euch kennenzulernen. Wir haben nicht allzu oft Gäste vom Hof in Spanien.«

»Nun, ich weiß nicht, ob mein Freund hier, der Comte, es Euch nicht bereits gesagt hat, aber ich beabsichtige nicht, einfach nur ein Gast zu bleiben. Ich habe vor, hier eine Handelsniederlassung für meine Familie zu errichten. Das heißt, ich werde für eine Weile hier bleiben, ehe ich wieder zurück nach Spanien gehe.«

»Es ist uns eine Ehre, dass Ihr für dieses Vorhaben ausgerechnet Caracas ausgesucht habt, Señor«, erklärte der Gouverneur, während er mit den Händen signalisierte, dass die Gruppe ihm bitte folgen sollte. Gehorsam schlossen Jack, Elena, der Priester und der Comte sich ihrem Gastgeber und seiner kleinen Familie an. In einem Augenblick, da Jack direkt neben Elena lief, flüsterte die junge Frau leise: »Sei vorsichtig. Die schönsten Blumen haben die spitzesten Stachel.«

Noch ehe Jack sich über die eigenartig vertraute Anrede seiner Stellvertreterin wundern konnte, war der Moment verflogen und sie hatten den Festsaal erreicht. Der Abend konnte beginnen.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2012 by Johann Peters