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Der Detektiv – Die Dame im Lackhut – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Die Dame im Lackhut
4. Kapitel

Der zuständige Beamte in der Bauabteilung war ein älterer, sehr gesprächiger Herr. Harst führte sich mit der Bemerkung ein, er hätte zufällig gesehen, dass der Bau Wissmannstraße 8 unvollendet geblieben sei. Er möchte das Grundstück erwerben.

Da hatte der alte Herr, dessen weißer Schnurrbart unter der Nase den eifrigen Schnupfer verriet, sofort die Arme hochgereckt und gerufen: »Tun Sie es – tun sie es, damit wir endlich unsere Steuern erhalten! Der Eigentümer Blink sitzt im Irrenhaus, hat sein Vermögen verschwendet, wo, wie, weiß so recht keiner.«

Harst warf mir einen Blick zu. Das hieß: Abermals eine interessante Einzelheit!

Und der Weißbart fuhr fort: »Er hat daher auch einen Vormund, seinen Schwiegersohn, Regierungsrat Stachel. Der wohnt Charlottenburg, Kantstraße 52, unweit des Bahnhofs. An den wenden Sie sich bitte. Ein sehr liebenswürdiger Herr. Noch jung – hat schnell Karriere gemacht.«

Harst fragte, ob etwa schon vorher jemand auf Wohnungen in dem Neubau reflektiert hätte.

»Aber nein doch, nein. Das Haus sollte ja ein Sanatorium werden – mit größerem Park. Hinter dem Grundstück stehen ja ein paar Tannen. Für den Anfang genügt das. Ja – ein Sanatorium für Herrn Blinks anderen Schwiegersohn, den Doktor Görner, der jetzt in Werder ein kleines Sanatorium für Nervenkranke hat – in unserer Obststadt Werder. Dort befindet sich auch der arme Blink. Wenn ich vorhin Irrenanstalt sagte, so trifft das zu, denn das Sanatorium Havelruh in Werder ist wohl lediglich eine Privatirrenanstalt mit dem harmloseren Namen Sanatorium.«

Abermals ein Blick Harsts – ein aufleuchtender Blick! Ich verstand: Werder – Werder, – und das Stückchen Fahrkarte war ja nach Harsts Überzeugung eine solche Werder – Berlin!

Wir dankten dem freundlichen Herrn und gingen, fuhren heim, aßen zu Mittag, machten auf Harsts Wunsch Maske und besuchten gegen vier Uhr nachmittags den Regierungsrat.

Wir waren nun zwei biedere, solide Handwerksmeister und Brüder, die gern Hausbesitzer werden wollten.

Ein nettes Hausmädchen führte uns in das Arbeitszimmer Stachels. Dann erschien er selbst. Harst machte den Sprecher, berlinerte etwas, sagte, wir hätten von der Gemeinde Steglitz Bauterrain kaufen wollen, und so weiter.

Der Regierungsrat hatte ein angenehmes Gesicht, trug blonden Spitzbart, war aber zuerst sehr zugeknöpft. Erst als Harst ganz im Sinn seiner Rolle scherzend ein Päckchen Tausend-Mark-Scheine zeigte, mit der Hand drauf schlug und meinte, »Wir sind zahlungsfähig – bis zu 60.000 Märker in baribus«, da taute jener auf, blieb jedoch recht zerstreut.

Mir fiel auf, dass er sehr blass aussah, übernächtigt und matt. Nach einer halben Stunde waren wir dann übereingekommen, am nächsten Nachmittag fünf Uhr das Grundstück gemeinsam zu besichtigen. Wir verabschiedeten uns, und Stachel geleitete uns in den Flur. Dort hing neben unseren Hüten auch ein Zylinder.

Harst vergriff sich, nahm den Zylinder, lachte: »Beinah’ hätt’ ick Ihnen Ihre Angströhre entführt, Herr Regierungsrat.«

Da erst ging mir urplötzlich ein Licht auf. Harst hatte sich absichtlich vergriffen, hatte mich nur auf den Zylinder aufmerksam machen wollen!

Als wir unten auf der Kantstraße angelangt waren, sagte ich schnell: »Blonder Spitzbart, Zylinder: Stachel ist der Herr von der vergangenen Nacht!«

»Ja, einen Teil der an dem Neubau interessierten Personen haben wir gefunden, einen Teil der Leute, die sich durch die Anzeigen verständigen, lieber Schraut. Ich hätte ihn auch dann wiedererkannt, wenn ich sein Gesicht nicht im Keller gesehen hätte. Auf seinem Schreibtisch lagen zwei Schachteln Optimus Zigaretten á 8 Pfennig. Und die Mundstücke im Keller waren auch Optimus. Wir sind jetzt einen ganzen Meter vorwärtsgekommen. Jetzt zum Potsdamer Fernbahnhof, wo die Züge von Werder einlaufen.«

Harst hatte das Stückchen Fahrkarte 2ter mit, zeigte es an der Bahnsteigsperre einem Schaffner, reichte diesem gleichzeitig drei Zigarren mit Binden und bat um eine der bereits den Fahrgästen von Werder abgenommenen Karten zweiter Klasse – nur zu einem kurzen Vergleich. Es stimmte: Das grüne Pappstückchen war ein Teil einer Werder-Berlin-Fahrkarte.

Es war jetzt halb sechs. Harst stellte fest, dass um 6 Uhr 10 Minuten der nächste Zug in die Obststadt an der Havel abging.

Um 7 Uhr 15 Minuten standen wir vor dem Eingang von Havelruh. Ein Krankenwärter empfing uns. Harst erklärte, er wolle seine Schwester hier unterbringen, die gemütsleidend wäre. Sofort wurden wir in das Empfangszimmer geführt und gleich darauf trat auch Doktor Heinrich Görner ein – glattrasiert, sehr gemessen, sehr höflich und für einen Nervenarzt für meinen Geschmack mit zu unstetem Blick.

Harst spielte hier wieder den Zimmermeister Jakob aus der Müllerstraße Berlin N. Wir waren ja noch im Kostüm. Er zahlte dann gleich für seine Schwester, die er übermorgen bringen würde, 200 Mark an, was Doktor Görner noch liebenswürdiger machte.

»Übrigens war ich schon gestern hier in Werder, Herr Doktor«, meinte Harst nun. »Da wurde mir aber auf dem Bahnhof gesagt, Sie wären nach Berlin gefahren.«

»So?«

Ich merkte, Görner war etwas verlegen.

»Dann – dann haben Sie mich aber recht spät besuchen wollen«, fügte er unsicher hinzu.

»Unsereiner hat am Tag wenig Zeit, Herr Doktor, ’s war, denk’ ick, so jejen neune rum. Jenau weeß ick’s nich. Ick hab’ den Kopp jetze so voll. Ick will’n Neubau kaufen, sonn verkrachten Besitz von einem Herrn, der irgendwo in ’ne Anstalt is.«

Görner wurde aufmerksam.

»Neubau – hm. Das interessiert mich. Ich suche selbst ein billiges Grundstück näher bei Berlin. Dürfte ich fragen. Herr Jakob, wo …«

»Aber natierlich dürfen Se, Herr Doktor, zumal ick mir det Jeschäft doch noch sehr beschlafen werde. Also es ist ’ne Parzelle auf Steglitzer Terrain, Wissmannstraße 8.«

»Welch ein Zufall!«, rief Görner, aber es klang sehr gemacht, dieses Erstaunen. »Das Grundstück gehört ja meinem Schwiegervater …«

Nun erzählte Harst von unserem Besuch bei Stachel. Und wir schieden dann von Görner mit beinahe freundschaftlichem Händedruck.

Auf dem Bahnhof – bis dahin hatte Harst sich in Schweigen gehüllt – sagte er: »Schraut, der Regierungsrat war misstrauisch. Er hielt uns wohl zunächst für Spinner. Der Doktor ist gänzlich harmlos gewesen und geblieben – ich meine, was unsere Persönlichkeiten angeht. Im Übrigen halte ich aber gerade ihn für einen sehr gefährlichen Burschen. Diese Leute mit unsicherem Blick, öliger Liebenswürdigkeit und gekünstelter Gemessenheit, sind stets fragwürdige Naturen. Sie spielen immer eine gewisse Rolle, sind nie sie selbst, weil sonst aus allen Winkeln bei ihnen der Halunke hervorgrinsen würde. Und er war gestern in Berlin, ist spät abends hingefahren. Es schien ihm peinlich, dass angeblich ein Bahnbeamter seine Abfahrt bemerkt hatte. Das gibt zu denken …«

Wir betraten den Warteraum, bestellten etwas Warmes und eine Flasche Rotwein. Harst biederte sich mit dem Wirt an, erzählte bald von seiner unglücklichem gemütskranken Schwester, die er nun in Havelruh unterbringen würde.

Der Wirt musste mittrinken. Bei der dritten Flasche machte er so allerlei Andeutungen über Görner.

»Sie sollten Ihre Schwester besser woanders in Pflege geben, Herr Jakob. Ich will mir nicht die Zunge verbrennen. Aber im Vertrauen! In Havelruh gibt es für Patienten mehr Kaltwasserbäder als Essen. Ne, fragen Sie nicht, ich bin vorsichtig! Der Görner, mit dem muss man gut Freund sein, der spioniert alles aus, alles. Vorhin war wieder einer von seinen Machern hier und fuhr nach Berlin zurück. Weiß Gott, was er mit … Doch ne – nun Schluss! Prost, reden wir von was anderem.«

Das war jedoch einem Harst gegenüber nicht leicht. Er fing von Grundstückpreisen an und landete auf dem Umweg über den Neubau, den wir kaufen wollten, wieder bei Görner. Nun fielen vonseiten des Wirts doch abermals ein paar Bemerkungen. Der Doktor … total verschuldet … Lebemann … Rennwetten, Spieler, Schürzenjäger … die arme Frau!

Damit war es aber auch zu Ende.

Um halb zehn trafen wir wieder auf dem Potsdamer Bahnhof ein, nahmen ein Auto und waren kurz vor zehn in der Delbrückstraße der Villenkolonie Grunewald, gingen nun sehr langsam an dem Wirtschaftshof Barentraubs vorüber, sahen in dem Kutscherhäuschen Licht, kletterten dann sehr eilig über das hohe Eisengitter des Parks und schlichen auf die Villa zu, die so hinter Hecken und Bäumen versteckt liegt, dass man von der Straße nur das Dach mit den vielen Türmchen bemerkt.

Harst wollte feststellen, ob Barentraubs nicht doch daheim wären. »Man muss eben alles nachprüfen, Schraut«, hatte er zu mir gesagt. »Obwohl ich jetzt die beiden Zwillinge aus meinen Berechnungen schon so gut wie ausgeschaltet habe.«

Mir erschien dieses Eindringen in den fremden Park äußerst gewagt. Aber Harst beruhigte mich. »Wenn wir abgefasst werden, lassen wir uns ruhig verhaften, und in einer halben Stunde sind wir dann wieder frei. Ich habe ja meinen Ausweis mit Fotografie dabei, Polizeistempel darunter: Bitte darauf, dem Assessor a. D. Harst tunlichst Beistand zu leisten, da er – und so weiter.«

Wir bogen nun gerade aus einer schmalen Allee von Buchsbaum in einen breiteren Weg ein, als wir vor uns Stimmen hörten. Es war noch ziemlich hell, und wir drückten uns schleunigst dicht an die Hecke.

Die Stimmen kamen jedoch nicht näher. Wir krochen nun auf allen vieren weiter.

In einem Halbkreis von Krüppelbuchen lag eine Fontäne in Gestalt eines vier Strahlen ausspeienden Meeresungeheuers. Dahinter stand eine Marmorbank. Darauf saßen drei Personen, ein Mann und zwei Frauen.

Wir lagen lang am Boden an der Ostecke des Halbkreises, verstanden jedes Wort, konnten aber von den Personen nur dunkle Umrisse erkennen.

Eine tiefe Männerstimme sagte nun: »Lassen Sie mir doch das Verjniejen, liebe Frau Doktor. Das bisschen Strom tut dem Geheimrat wahrhaftig nischt. Sie werden Ihre Freude dran haben …«

Der Mann stand auf, machte sich tief gebückt am Rand der Fontäne etwas zu schaffen, und plötzlich flammten die vier Strahlen in farbigem Licht auf.

Es war eine Leuchtfontäne und der Mann hatte die Beleuchtung eingeschaltet.

»Wie schön!«, hörten wir eine helle Stimme. Und nun trat die Sprecherin näher an das Bassin heran, wurde von dem Lichtschein des glänzenden Sprühregens getroffen, und – da packte Harst meinen Arm, drückte ihn.

Die Frau dort drüben hatte – einen Lackhut auf. Darunter zogen sich zwei helle Streifen herab. Ein blonder, tief getragener Scheitel.

Von der Villa her plötzlich wütendes Bellen.

Der Mann pfiff laut. Harst zerrte mich hastig fort. Im Galopp jagten wir dem Gitter zu, kletterten hinüber.

Die Straße war ganz einsam. Harst blieb stehen, holte tief Atem.

»Wir haben Glück gehabt, Schraut. Es war das Bellen einer Dogge! Ich danke – wenn die uns zu fassen gekriegt hätte! Und wissen Sie, wer der Beleuchter war? Kein anderer als der, der dem Zahnarzt zum Verdienst verhelfen wollte. Es muss der Kutscher Barentraubs sein. Die im Lackhut nannte er Frau Doktor. Die Sache klärt sich – sehr sogar!«