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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 10

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

10.

Das Interdikt. Heinrichs Waffe dagegen in den Evangelien. Annes und Cranmers Vision.

Jane Seymour hatte der Prinzessin die volle Wahrheit mitgeteilt. Das Interdikt war über das Königspaar ausgesprochen worden.

Die Nachricht fand, wie wir bereits wissen, den König keineswegs unvorbereitet. Als ein weiser Feldherr hatte er schon lange an Cranmer und den Minister Cromwell seine Befehle für den Fall erteilt, dass der Papst seine Drohungen zur Ausführung bringen werde.

Kaum hatte daher das päpstliche Schiff bei Dover angelegt, als Heinrichs Spione dasselbe betraten und sich dem erstaunten Legaten vorstellten.

»Wir bitten Eure Eminenz um die Übergabe des päpstlichen Briefes, den Ihr dem König überbringt«, sagte Lord Ainsly mit einer höflichen Kniebeugung.

»Die Depesche, welche ich im Namen seiner Heiligkeit zu überbringen habe, lautet nicht privatim an Seine Majestät«, antwortete übermütig der päpstliche Bote, »sondern an das ganze englische Volk!«

»Umso mehr wünschen Seine Majestät, dass diese Briefe ihm zuerst übersandt werden«, war die Antwort in einem festen Ton. »Das Papier, dessen Inhalt uns bekannt ist, soll nicht auf englischen Boden gebracht werden.«

»Soll nicht! Ihr habt vergessen, Mylord, dass der König der Diener des Papstes ist, wenn auch der erste! Er ist dem Statthalter Christi untergeordnet! Entfernt Euch und lasst mich landen!«

»Ihr vergesst, dass Ihr Euch auf britischem Boden befindet!«, sagte Lord Ainsly lächelnd. »Hier regiert Seine Majestät König Heinrich der Achte, als Erster in seinem Reich. Aus Achtung vor dem Papst lässt er Euch die Wahl, freiwillig das Papier uns zu übergeben oder sofort zu jenem Gebäude …« Er wies zum Schloss. »… als Staatsgefangener abgeführt zu werden. Entschließt Euch rasch!«

»Und wenn ich seinen Willen tue?«, fragte der Legat, welchem keineswegs nach einer Gefangennahme gelüstete, so wenig wie seinem Gefolge.

»Dann können Ehrwürden sofort wieder in See stechen und nach Frankreich zurückkehren. Zu landen wird Euch die Erlaubnis verweigert. «

Der Legat blickte entsetzt und unentschlossen seinen Sekretär an.

Dieser aber sagte mit betrübter, unterwürfiger Miene zu seinem Oberen: »Wir müssen der rohen Gewalt weichen, Hochwürden. Die demütigen Diener der heiligen Kirche sind zu schwach, um gegen die Werkzeuge der satanischen Macht der Finsternis zu kämpfen.«

»Ihr habt recht, mein Vater«, antwortete der Legat. Dann, sich gegen Lord Ainsly und dessen Gefolge wendend, sagte er zornig: »Das Papier übergeben wir Euch hiermit, aber glaubet nicht, dass Ihr deswegen triumphieren dürfet, und dass die Stimme des Heiligen Vaters durch die Ketzereien erstickt werden kann. Schon wissen es andere treue Diener im Reich, dass König Heinrich samt seinen Dienern in den Bann getan und verflucht ist.«

Ein Ausruf jähen Schreckens entfuhr den französischen Matrosen bei diesen Worten. Sie hatten sich sofort bei der Ankunft der Engländer um den Legaten gereiht. Einige der Andächtigsten sanken sich bekreuzigend auf die Knie.

»Ja!«, rief der Legat, dies wahrnehmend, mit lauter Stimme aus, indem er seine rechte Hand gegen die Stadt streckte, »verflucht ist dieses schöne Reich um der Sünden seines Königswillen! Verflucht die Anstifterin alles Bösen, die ketzerische Buhlerin! Verflucht seien ihre jetzigen Kinder in alle Ewigkeit, so wie jedes, dass noch ferner aus dieser Verbindung entspringt! Verflucht sei die Luft, welche die Sünderin atmet, verflucht ihre Seele, wenn der Tod sie in ungeweihtes Grab gebettet! Verflucht …«

»Ehrwürden«, unterbrach Ainsly heftig den zornigen Mann, »gebt Euch keine Mühe weiter, strengt nicht umsonst Eure heiligen Lungen an. Ihr redet hier zu tauben Ohren und Seelen. Ich bin Protestant und alle meine Begleiter stehen dem König mit Leib und Seele bei. Nicht wahr, meine wackeren Freunde?«

Ein lauter, begeisterter Ruf »Vivat König Heinrich! Nieder mit dem Papsttum!« war die Antwort.

Der Legat ballte wütend seine Fäuste, trat dann zu seinem Sekretär, nahm diesem eine dicke Pergamentrolle ab und händigte sie Lord Ainsly ein.

»Ich übergebe, kraft meines heiligen Amtes, dem Gesandten des Königs meinen Brief«, sagte er zornig. »Möge der Himmel selbst diese Beleidigung des heiligen Statthalters Christi an den Frevlern rächen!«

Lord Ainsly empfing das kostbare Schreiben, erklärte dem Legaten, dass einige seines Gefolges im Schiff bleiben und ihn sicher nach Frankreich zurückbegleiten sollten, und verließ das Schiff. Am Ufer standen die schnellsten, edelsten Renner, auf denen die kühnen Abgesandten Heinrichs mit der Interdiktsbulle nach London jagten!

Die davoneilenden treuen Diener sahen nicht, wie unter dem Schutz der dichten Nacht ein einzelner tief vermummter Mann einen kleinen Fischernachen beim Schiff anlegte und Ersterer vom Kapitän selbst an Bord gebracht wurde.

»Ehrwürden befinden sich noch wach«, flüsterte der Kapitän und führte den heimlichen Gast zu seiner eigenen Kajüte.

Es war Gardiner, der Staatssekretär des Königs, welcher ohne Wissen seines Herrn den päpstlichen Boten aufsuchte.

»Ach, Gardiner, Ihr kommt zu spät«, rief ihm der Letztere entgegen, als er eintrat. »Wir mussten der Gewalt weichen, das Papier aushändigen und dürfen …«

»Nicht einmal landen«, ergänzte Gardiner, mühsam ein Lächeln verwindend. »Nun, nun, ich denke, die unfreiwillige Quarantäne bis morgen wird Euch nicht unerträglich fallen«, sagte er, munter auf die Weinflaschen blickend, die auf dem Tisch standen!

»Was sollen wir sonst machen«, entgegnete der Legat, »unser treuer rechtgläubiger Schiffsherr hält es für seine Pflicht, uns, den Dienern der Kirche, Ehre anzutun. Setzt Euch zu uns und lasst uns reden. Wie steht es an dem verfluchten Ketzerhofe, Gardiner?«

»Schlecht, Hochwürden«, lautete die verdrießliche Antwort. »Die Königin Katharina soll dem Tod nahe sein.«

»Nun, das wäre eine natürliche Lösung dieser unheilvollen Frage«, sagte der Legat kühl.

Gardiner zog zornig die Augenbrauen zusammen. »Ja, aber Mary weiß nichts davon, und man verweigert der sterbenden Mutter den letzten Trost, ihre Tochter zu sehen.«

»Seine Heiligkeit der Papst …«

»Dessen Wort gilt hier nichts mehr!«, sagte Gardiner mürrisch. »Habt Ihr doch gesehen, wie man mit dem Interdikt umgeht, mit einer Waffe, welche ehemals das kühnste Herz erstarren machte.«

»Es wird dennoch bekannt gemacht werden. Den Geistlichen ist befohlen worden, es öffentlich von den Kanzeln zu verkünden und heimlich Abschriften, die wir ihnen lieferten, anschlagen zu lassen.«

»Bah! Glaubt Ihr, dafür sei nicht auch gesorgt, Pater? Meint Ihr, die Herren Geistlichen hätten alle Lust, als Märtyrer auf Tyburn wie die Priore zu sterben?«

»Wie?«, rief der Legat entsetzt aus.

»Ja, dieses Schicksal stände ihnen bevor«, antwortete Gardiner, »wenn sie es wagten, Euren Befehlen zu gehorchen! Cranmer, dieser verfluchte böse Geist Englands, hat einen Hirtenbrief an sämtliche Geistliche erlassen und jedem gedroht, der die Sache erwähne!«

»Aber das Volk wird doch damit bekannt gemacht werden.«

»Ohne Zweifel! Dafür habe ich gesorgt. Verlasst Euch auf mich, Hochwürden. Ich schlafe nicht, sondern wache für das Heil unserer erhabenen Kirche. Langsam, aber sicher, wie der kleine blinde Maulwurf, werde ich das hohle Gebäude der Ketzerei untergraben! Dann bedarf es nur eines Stoßes meines kräftigen Ruders und es fällt zusammen!«

»Wie wird der König sich dem Papst gegenüber benehmen?«, fragte der Legat, weiter.

Gardiner zuckte die Achseln. »Anfangs vermutlich tüchtig stürmen und toben, wie immer, es sei denn, dass Anne ihn beschwichtige, was sie nun noch zu tun vermag.«

»Jetzt noch?«, fragte neugierig der Legat.

»Nun, wird sich zeigen, Hochwürden! Das ist mein Geheimnis! Nur so viel könnt Ihr dem Heiligen Vater melden, dass die Maschine gute Wirkung tue, welche wir an das Gebäude gerückt haben. Mit einem Worte: Der König hat Feuer gefangen! Ist verliebt! Und wir, versteht Ihr, fachen die Flamme an.«

»Ah! Anne wäre nicht mehr Ein und Alles bei dem Wüterich?«

»Jetzt noch, weil sie ihm Hoffnung zu einem Thronerben gibt! Aber dieser ist noch nicht vorhanden und soll es niemals sein! Das Kind dieses Weibes soll nie zwischen unsere Mary und den Thron treten.«

»Ihr habt Absolution für alles, wozu die Not Euch drängen möchte«, fiel der Legat mit schlauem Blick ein. »Ich bringe Euch von den berühmten Tropfen der Medicis mit – wisst Ihr davon aber sicheren Gebrauch zu machen?«

»Gebt, gebt, Hochwürden«, rief Gardiner hastig aus. »Wer weiß, wo sie uns zugutekommen werden. Also einer Schwangeren?«

Der Legat nickte mit dem Haupte. »Ja, ein, zwei Tropfen genügen, um eine Frühgeburt zu bewirken oder die Leibesfrucht samt der Mutter zu töten.« Er öffnete bei diesen Worten seinen Talar und löste eine dünne Kette von seinem Hals, an der ein kleines Fläschchen hing.

»Seid aber vorsichtig«, mahnte er, indem er dasselbe Gardiner überreichte, »wir in Rom dürfen nicht genannt werden.«

»Das versteht sich«, lautete sie Antwort. »Wenn aber jetzt der Ketzerin ein Unglück geschehe, dürften wir kecklich dasselbe für eine Wirkung des Interdikts ausgeben! Das Volk würde es auch glauben, so sehr Cranmer daran arbeitet, das Papsttum in dessen Augen zu verhöhnen.«

»Gibt es kein Mittel, auch ihm auf den Leib zu rücken?«

»Jetzt nicht, noch ist er uns zu stark«, sagte Gardiner. Aber Heinrich ist nicht unsterblich, und an dem Tag, wo Mary den Thron besteigt, wandert Cranmer in den Tower oder zum Schafott. Doch ich muss wieder fort, nach London zurück, Hochwürden. Der König wird morgen nach mir verlangen.«

Er schied und der Legat kehrte ebenfalls unterrichteter Sache nach Frankreich und Rom zurück.

Unter dem Volk verbreitete sich trotz Heinrichs und Cranmers Verboten die Nachricht vom Interdikt. Aber die protestantischen Anhänger hielten kräftige Reden an dasselbe und suchten ihm die letzte Spur von Schrecken vor diesem päpstlichen Geschoss zu benehmen.

In der Tat verhielt sich das Volk ganz ruhig, keine Demonstration wurde laut, als man zum allgemeinen Erstaunen bemerkte, wie alle Kirchen wie gewöhnlich offenblieben, die Priester schwiegen, der König mit dem Hof sich unterhielt und kein Zeichen eines himmlischen Zornes über das verfluchte Land hereinbrach!

Auch starb Anne nicht, noch wurde sie von ihrem Gemahl verstoßen. Im Gegenteil verkündigte der König eines Tages mit strahlender Miene, dass der Himmel sichtlich seinen Bund mit der Geliebten geweiht habe, indem diese zum zweiten Mal gesegneten Leibes sei.

Heinrich hatte in Basel die Evangelien und einen Teil der Heiligen Schrift in der englischen Sprache drucken lassen, welche Anne ihm in der Ursprache in die Hände gespielt und diese gemeinschaftlich mit Heinrich gelesen hatte.1

»Das Buch ist herrlich, die Geschichte des Herrn erhaben und ergreifend!«, hatte er ausgerufen. »Warum hat Rom es so lange der Welt verborgen und verboten?«

Anne lächelte schelmisch. »Eure Majestät, der Grund davon liegt nahe, weil darin nicht vom Papst geredet wird, vielmehr versichert unser Heiland, sein Reich sei nicht von dieser Welt; und dass seine Diener in der Demut bleiben sollen, der Obrigkeit untertan.«

Heinrich sprang bewegt auf. »Wahr, Liebchen! Vom Papst oder dem Stellvertreter Christi steht in der Bibel kein Wort!«

»Folglich ebenso wenig, dass die Kirche oder die Geistlichen über die weltliche Macht erhaben seien«, fügte Anne hinzu. »Diese Lehre entstand im Gehirn eines herrschsüchtigen Bischofs.«

»Nein, nein, kein Wort! Ach, wenn man diese Wahrheit nur dem unwissenden Volk beibringen könnte!«

»Das wäre leicht«, sagte Anne, »indem man das Buch übersetzte und es im Land vorlesen ließe!«

»Gottes Tod, mein Schätzchen, Du hast recht!«, hatte Heinrich ausgerufen. »Gedruckt soll es werden, und das Volk soll lesen und schreiben lernen. Das muss Cranmer einrichten, und wir wollen sehen, ob mein braves englisches Volk sich nicht mit Gewalt von den Priesterketten losreißt.«

»Wenn sein König ihm mit festem Beispiel vorangeht«, antwortete Anne.

Und er hat es getan. Heinrich war hart geblieben, und nun, zwei Tage nachdem von der Bulle des Interdikts in England verlautet war, rückte er mit der geistlichen Waffe dem Papsttum entgegen.

Das war seine einzige Waffe, aber eine unwiderstehliche. Einzelne Abdrucke wurden den Priestern übersandt und ihnen bei schwerer Strafe befohlen, dieselben am Sonntag in der Kirche vorzulesen. Mochten sich auch manche Pfarrer wehren, es half ihnen nichts. Jubelnd bemächtigten sich die eingewanderten Protestanten und die aufgeklärten Geistlichen, welche Cranmer anhingen, der Blätter. Das Volk horchte, anfangs mit bebendem, klopfendem Herzen, der verbotenen Lektüre; aber bald erheiterten sich die Mienen, ein helles Licht, von dem Stern der Wahrheit ausgehend, leuchtete durch die finstere Nacht. Mächtig schlugen die einfachen, aber rührenden Worte der Evangelisten an die Herzen, und mit der Liebe zum Herrn und der Bewunderung seines Wortes sank die abergläubische Verehrung des Papsttums, das in einem so grellen Kontrast zu demselben steht.

Später, als die ganze Bibel nach Annes Tod gedruckt worden, wurde die Lust und Liebe zu derselben so mächtig, dass man das Buch mit Macht vor dem Raub sichern musste.
Da die Anzahl der Exemplare eine beschränkte war, erhielten nur die Kathedralen eins. Dasselbe wurde mit einer dicken Kette an einer Säule in der Kirche befestigt, und so wurde sonntags daraus vorgelesen. Nach dem Gottesdienst wurde es dann in die Sakristei getragen und verschlossen. So groß übrigens die Gefahr sein mochte, welche dem heiligen Buch sowohl von Feinden als auch von Freunden drohte, es wäre nicht so leicht gewesen, dasselbe zu entwenden, denn es war in starkes Eisen gebunden und mit einem großen Hängeschloss verwahrt. Abgesehen davon, dass die kleinsten Buchstaben des alten Druckes so umfangreich waren, als nun unsere größeren, so winde der Inhalt eines jeden Kapitels durch Bilder sinnreich, aber oft sehr grotesk dargestellt. Durch diesen Umstand erlangte die Bibel eine Schwere, welche, um sie zu heben, die ganze Kraft eines starken Mannes erforderte.2
Anne erfuhr bald die unerwartet günstige Aufnahme ihrer Lieblingsschrift, denn obwohl sie sich aus Furcht vor dem Gemahl seinen Ansichten sichtbar fügte, war sie doch im Herzen echt protestantisch gesinnt. Mit einem wehmütigen Lächeln vernahm sie Cranmers Bericht hierüber sowie seine beredten Lobsprüche an dem großen Werk der Reformation.

»Es ist ein kleines Sandkorn Gutes«, sagte sie mit sanfter, demütiger Stimme. »Möge es manches andere vor Gott zudecken! Möge es Wolseys Fluch von mir ablenken, ehrwürdiger Vater!«

»Wie möget Ihr so düstere Worte reden, hohe Frau«, sagte Cranmer, »wie jetzt von Fluch sprechen, wenn der Himmel Euch segnet, Euch neue, frohe Hoffnung verliehen hat.«

»Ihr habt recht, Herr, ich sollte mich freuen, aber seht, es will mir da vom Herzen eine schwere Last nicht hinweg, ein Vorgefühl bitteren Wehs, das meiner wartet!«

»Das sind Träume, hohe Frau. Träume sind Schäume«, fiel Cranmer heiter ein. »Euer Gemahl betet Euch an. Der Himmel segnet den Bund in Euren Kindern, und Eure Feinde müssen sich vor Euch beugen.«

»Katharine lebt noch; so lange wird England mich nicht als rechtmäßige Fürstin anerkennen. Selbst die Thronfolge eines Sohnes von mir könnte einst bestritten werden.«

»Katharine wird auch nicht lange mehr im Wege sein«, sagte Cranmer ernst. »Aus sicherer Quelle weiß ich, dass ihre Lebenstage gezählt sind. Aber dem König müssen wir die Nachricht noch vorenthalten. Einstweilen, hohe Frau, betet inbrünstig zu Gott, dass er Euch beschützen möge und diesem Land einen Sohn verleihen wolle, der kräftiglich das angefangene Werk seines Vaters fortführe. Dann wird England groß werden, größer als alle Nationen auf Erden!«

»Wir wollen es hoffen«, sagte Anne schwermütig.

»Vielleicht erlebt Ihr es, Cranmer – ich nicht mehr. Ihr sagt, Träume seien Schäume, Hochwürden, aber können sie nicht manchmal von Gott kommen?«

Cranmer wurde ernst und nachdenklich. »Am Anfang, sagt uns die Schrift, verkehrte der Himmel mit den Menschen durch Träume oder Gesichte. Ob er es noch tut, wer will das beweisen?«

»Seht, ich bin abergläubisch«, sagte Anne, »ich hänge noch einem bangen Traum nach, den ich vor einigen Wochen hatte. Ich saß neben meinem Gemahl in einer Rosenlaube, sein Arm umschlang mich zärtlich, seine Lippen ruhten auf den meinen. Da empfand ich plötzlich einen feinen Stich mitten durchs Herz, ich schrie auf und blickte um mich. Zu meinen Füßen, zwischen uns, hatte sich eine bunte, schöne Schlange emporgeringelt, die mich giftig ansah und ihren Geifer auf mich spritzte. Ich schrie, man solle das Ungeheuer umbringen. Mein Gemahl aber legte die Arme um dasselbe und liebkoste es, wie er es vorhin mit mir getan hatte.«

»Täuschung!«, sagte Cranmer.

»Keine Täuschung«, sagte Anne düster. »Die Schlange verwandelte sich unter seinem Kuss. Ich sah einen schönen Weiberkopf auf dem bunten Leib entstehen, und dieser Kopf hatte lange blonde Haare. Ich wollte fliehen, aber meine Füße wurzelten fest am Boden. Da nahm der König die langen Haare der Schlange und warf sie mir wie einen Strick um den Hals, dass ich erwachte.«

»Das ist ein grauenhaftes Bild!«, sagte Cranmer, unwillkürlich schaudernd. »War der Schlangenkopf Euch bekannt?«

»Ja«, antwortete Anne, »ich glaube wenigstens … es war … Jane Seymour!«

»Meine teure Gebieterin«, sagte Cranmer entsetzt. »Um der Liebe Christi willen, verbannt diesen schrecklichen Argwohn!«

»Argwohn!«, wiederholte Anne bitterlich. »Ja, wenn es nur Argwohn wäre! Nein, es ist Ernst, Erzbischof. Jane Seymour hat mir die Liebe meines Gatten geraubt, und ihre feile Sippschaft, der niederträchtige Gardiner, feuert sie zu der Gefallsucht an. Ich sehe alles, ich bin nicht blind, obwohl ich aus Stolz mir das Ansehen gebe, nichts zu sehen.«

»Gesetzten Falls, es wäre so«, nahm Cranmer das Wort, »so müsst Ihr diese Laune, diese Schwäche Eures Gemahls in weiblicher Demut ertragen. Es wird vorübergehen, wenn Ihr Euch ihm in der gleichen Liebe wie bisher widmet. Nehmt ein Beispiel an Eurer hohen Vorgängerin. Sie hat noch mehr gelitten als Ihr.«

»Ich weiß es, ich weiß es. Die Arme! Fast könnte ich sie bedauern. Aber ich kann mich nicht zu ihrer Größe emporschwingen, Herr Erzbischof. Ich bin heftig, und es kränkt mich, dass ich diesen Lohn ernten soll für meine vieljährige Treue. Da gibt es denn oft im Geheimen böse Worte zwischen uns, und ich fühle es, wenn ich ihm keinen Sohn gebe, verliere ich seine Liebe ganz.«

»Da sei Gott für!« antwortete Cranmer. »Vielleicht kann man die Seymour entfernen, wenigstens bis nach der Geburt Eures Kindes.«

Aber Anne schüttelte das Haupt. »Er lässt sie nicht fort; ich muss sie um mich dulden! Doch wir wollen nicht mehr hierüber reden, Hochwürden«, fügte sie rasch hinzu, mühsam ein Lächeln erzwingend. »Sagt mir, welche Nachrichten Ihr von Helene habt.«

»Sie ist jetzt zu ihrem Vater gereist«, sagte Cranmer traurig. »Ihr wisst ja, dass sie in Antwerpen krank und von einem toten Kind entbunden wurde. Erst auf die dringenden Bitten ihres Vaters, und nachdem sie sah, dass sie vergeblich auf mich harrte, ist sie heimgekehrt.«

»Armes junges Weib!«, sagte Anne. »Doch du hast einen Trost vor mir voraus, wenn dein Herz bricht, so stirbt es nicht allein.«

»Nein«, sagte Cranmer mit dumpfer, matter Stimme, während sein Haupt auf die Brust sank. »Nein, Gott ist mein Zeuge, ich habe sie rein geliebt und ihr Bild durch das einer anderen nicht getrübt. Musste ich ihr auf Erden entsagen, so geschah es um Gottes Liebe, weil ich ihm mein Herz und meine Kräfte widmen zu müssen glaubte.«

»Ihr erntet einen schönen Lohn für Euer Opfer«, sagte Anne mit freudigem Blick. »Euch blüht das Paradies, wo auch sie Euch ewiglich vereint wird.«

»Ich bleibe auf dem Posten, den mir der Herr angewiesen hat«, antwortete Cranmer, »selbst wenn mein Weg auf dem Holzstoß endete.«

»Cranmer!«, rief Anne erschrocken aus. »Was redet Ihr?«

»Wie Ihr vorhin, edle Frau. Ich habe auch ein Gesicht gehabt, einen Traum. Da stand ich auf dem Holzstoß. Eine feine Frauengestalt im königlichen Staat neben Gardiner, der einen Kardinalsmantel trug, legte ein Stück Holz auf den Stoß und fachte die Flamme an.«

»Jesus Maria! Wie sah das Weib aus?«

»Klein und zierlich, bleich und leidend, wie sie jetzt ist, aber älter. Es war die Prinzessin Mary, Katharinas Kind!«

»Heiliger Gott!«, stöhnte Anne und barg das Gesicht in ihren beiden Händen.

»Ihr seht, edle Frau«, fuhr Cranmer fort, »ich kenne mein Schicksal, wenn Ihr dem Thron keinen Erben schenkt. Mary wird mir nie Eure Ehe verzeihen; und wollte sie es, meine und Eure Feinde ließen es nicht zu. Rom arbeitet an meinem Untergang, wie an dem Euren. Aber seid unverzagt; sie mögen uns beide in den Staub werfen, den durch uns ausgestreuten Samen des evangelischen Wortes werden sie nie ersticken können. Fürchten wir jene nicht, welche nur den Leib töten, aber unsere Seelen nicht beugen können!«

Anne richtete sich getröstet auf und reichte dem Erzbischof ihre Hand dar.

»Ich bin Eure Verbündete, Eure Freundin, hoher Herr, auch wenn wir einen Weg – zum Tod wandeln müssten.«

»Nein, Ihr müsst leben, leben auch für mich«, bat Cranmer. »Verbergt Euren gerechten Unwillen, wie schwer es Euch ankomme, meine edle Freundin, und vor allen Dingen seid vorsichtiger, als Ihr es bisher gewesen seid. Gebt dem Leumund keinen willkommenen Vorwand zur Anklage.«

»Wieso?«, fragte Anne erstaunt.

»Hütet Euch vor Lady Rochefort. Sie ist ein böses, giftiges Weib«, erwiderte Cranmer, »und die Verbündete Roms, Gardiners Kreatur.«

»Worin könnte sie mir schaden?«, fragte Anne arglos.

»Seht Ihr nicht, dass sie plötzlich die Freundin Jane Seymours geworden ist und dieser beständig folgt?«, sagte Cranmer. »Es ist eine bekannte Sache, dass sie den König für Jane zu gewinnen sucht.«

»Ah, das war es also!«, sagte Anne, wie aus einem Traum erwachend, »daher die Freundschaft! Habt Dank, mein Freund, für den gütigen Wink! Ihr sollt in Zukunft besser mit mir zufrieden sein.«

Cranmer küsste die Hand der geliebten Herrin und empfahl sich, nicht ohne eine geheime Besorgnis um ihr Schicksal in seiner Brust.

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  1. Faktisch
  2. In Stratford on Avon, dem Geburtsort Shakespeares, befindet sich noch in der Sakristei ein solches Exemplar aus jener Zeit, welches ich selbst 1859 sah. Die Verfasserin