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Aus dem Wigwam – Der Waldwolf und der Steppenwolf

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Der Waldwolf und der Steppenwolf

in großer Waldwolf und ein kleiner Steppenwolf durchstreiften einst das Land in allen Richtungen nach Nahrung. Als sie schon beinahe verhungert waren, kamen sie an einen Wigwam, aus welchem ihnen eine frisch gebratene Hirschkeule entgegenduftete. Dieser verlockende Geruch machte sie gleichgültig gegen alle Gefahren, und sie beschlossen, auf die Hütte loszugehen und um Nahrung zu fragen. Die Indianer fütterten und behandelten sie sehr freundlich. Die Wölfe aßen sich satt und ruhten sich auf den Fellen aus, die man für sie hingelegt hatte.

Als sie nun am Morgen wieder abreisen wollten, sagte der Steppenwolf: »Wir haben hier eine angenehme Heimat gefunden. Alles ist in Hülle und Fülle vorhanden. Warum sollen wir sie nun verlassen? Lass uns doch bei unseren lieben Freunden bleiben!«

»Einverstanden!«, sagte der Waldwolf.

Als die Indianer ihre Absicht hörten, machten sie sich gleich daran, ihnen eine geräumige Hütte zu bauen.

Während man mit dem Bauen dieser Hütte beschäftigt war, lief der Waldwolf im Lager umher, stahl alles Fleisch, das er nur finden konnte, verbarg es in einer Felsspalte und sagte zu seinem Gefährten: »Wenn alle schlafen, nehmen wir all das Fleisch und laufen damit in die Wälder!«

Doch der Steppenwolf war damit nicht einverstanden und sagte es den Indianern. Diese aber ergriffen den Waldwolf, hielten ihm sein Verbrechen vor und jagten ihn mit Schimpf und Schande aus ihrem Dorf. Der Steppenwolf aber blieb und wurde allmählich zum Hund. Der Waldwolf hingegen und der Indianer leben seit jener Zeit in beständiger Feindschaft, bekämpfen und bekriegen einander, wo sie sich nur finden.