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Aus dem Wigwam – Das Totenfeuer

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Das Totenfeuer

enn ein Indianer den Weg alles Fleisches gegangen ist und den ewigen Schlaf begonnen hat, so legen seine Anverwandten den Leichnam in einen Sarg von Birkenrinde und stellen denselben so lange auf ein hohes Gerüst, bis der Körper vollständig verwest ist. Damit der Geist, der sich nach der Meinung der Indianer noch einen Monat lang bei seiner ehemaligen Hülle aufhält, keine Not leide, werden rundum Körbe voller Speisen und vollgestopfte Tabakpfeifen aufgehangen. Ist es Winter, so wird während dieser Zeit ein mächtiges Feuer unterhalten, damit der Geist nicht friere und der Körper gegen hungrige Wölfe geschützt sei.

Den Ursprung dieses Totenfeuers erzählt sich der Odschibwä-Stamm auf folgende Art:

Der genannte Stamm hatte einst einen hartnäckigen Feind besiegt, aber seinen geliebten Häuptling dabei verloren. Alle weinten bitterlich, drückten ihm recht herzlich die Hand und legten ihn mit dem Gesicht in die Richtung, wohin der Feind geflohen war, unter einen Baum. Aber der Häuptling war nur scheintot und musste, ohne seine Leute beruhigen zu können, ihr Jammern und Klagen regungslos mit anhören. Endlich erholte er sich wieder so weit, dass er sich aufrichten und sprechen konnte. Aber niemand sah, noch hörte ihn. Er schrie so laut, wie er nur vermochte, doch kein Mensch achtete darauf. Er kam mit seinen Kriegern in das Dorf und ging in seinen Wigwam zu seiner Frau, die sich aus lauter Kümmernis ihr Haar ausgerissen hatte.

Er tröstete sie, aber sie weinte immer heftiger. Er schrie mit aller Kraft, dass er noch am Leben sei, augenblicklich vor ihr stehe und großen Hunger habe. Die Frau hörte dies jedoch ebenso wenig, was den Häuptling so schrecklich ärgerte, dass er ihr eine derbe Ohrfeige verabreichte, wonach sie über plötzliches Kopfweh klagte. Da fiel ihm ein, dass er eigentlich nur ein Geist und sein Körper auf dem Schlachtfeld liegen geblieben sei. Eilig kehrte er also zurück. Ein gewaltiges Feuer versperrte ihm aber den Weg. Wenn er sich drehte, drehte sich die Flamme ebenfalls, worüber er zuletzt so hitzig wurde, dass er einen tüchtigen Anlauf nahm und kühn darüber wegsetzte. Dieser Sprung hatte ihn jedoch dermaßen angestrengt, dass er von seinem schweren Fiebertraum erwachte. Er blickte um sich und sah den Kriegsadler auf einem Baum sitzen. Derselbe hatte die Raubtiere während seines Schlafes ferngehalten.

Einige Heilkräuter linderten bald die Schmerzen, die ihm seine Wunden verursachten, und ein magisches Feuer briet ihm das Wild. Als er sich auf diese Weise wieder glücklich erholt hatte, trat er die Heimreise an. Ein allgemeines Freudenfest wurde zu seinem Empfang veranstaltet, wobei er den Mitgliedern des Stammes den Rat erteilte, bei jeder Leiche auf kurze Zeit ein Feuer zu unterhalten, damit der Kriegsadler mit der Bewachung derselben nicht zu sehr geplagt werde und der Geist auch wisse, wo er sich seine Speisen zu bereiten habe. Dies wurde auch alsbald eingeführt.