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Aus dem Wigwam – Der Weg zum Meister des Lebens

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Der Weg zum Meister des Lebens

in armer Delaware suchte den Weg zum Meister des Lebens. Als er lange gefastet hatte und ihm allerlei Traumgestalten erschienen waren, genoss er endlich die hohe Gnade, die betreffende Richtung angedeutet zu bekommen. Schnell machte er sich marschfertig, nahm sein Jagd- und Kochgerät und ging los. Er irrte lange Zeit herum, ohne jedoch das Gewünschte zu finden. Endlich, am Abend des achten Tages, bemerkte er vor sich drei große weiße Pfade im Wald, die ihm immer heller entgegen leuchteten, je dunkler es sonst ringsum wurde. Er ließ sein halbfertiges Abendessen stehen und wählte den breitesten Gang. Als er einige Schritte gegangen war, gebot ihm eine aus der Erde hervorschießende Flamme plötzlich Halt. Der Indianer ging also zurück zum nächsten Eingang, wo ihm dasselbe passierte. Auf dem dritten Pfad, den er danach betrat, ging er einen ganzen Tag lang unbelästigt fort und kam zuletzt an einen großen blendendweißen Berg. Weil derselbe zu steil war, so dachte er, ihn zu umgehen.

Da erschien ihm auf einmal eine ganz in Weiß gekleidete wunderschöne Frau und sagte zu ihm: »Wie konntest du nur denken, so beladen wie du bist, jenen steilen Berg zu erklimmen? Gehe dort unten an das klare Flüsschen, wirf Pfeil, Bogen und alles, was du sonst noch bei dir hast, hinein, bade dich und komm wieder hierher, dann will ich dir weiteren Rat geben.«

Er tat, wie ihm befohlen, und trat verzagten Herzens wieder zu der himmlischen Frau. Die bedeutete ihm nun, dass er seine mühevolle Reise nur mit einer Hand und einem Fuß fortsetzen dürfe.

Mit beinahe übermenschlicher Anstrengung erkletterte er nun den Gipfel und sah eine große blühende Ebene vor sich, auf welcher drei Dörfer standen. Er nahm seinen Weg ins größte derselben, aus dem ihm ein stattlicher Mann entgegenkam und ihn hineinführte.

Dort hieß er ihn niedersitzen und sprach: »Siehe, ich bin der Herr des Himmels und der Erde, der Bäume, Flüsse, Seen, Winde und aller anderen Dinge. Ich bin der Erschaffer und Erhalter der Menschheit, und weil ich dies bin, müssen sich die Völker auch nach meinen Geboten richten. Das Land, das ihr bewohnt und das euch und euren Familien den Unterhalt liefert, habe ich nur für euch geschaffen – für euch und niemand anders! Warum duldet ihr denn den weißen Mann unter euch? Der weiße Mann wird euch verdrängen und der Wald wird bald kein Wild mehr für euch haben! Meine Kinder, ihr habt die heiligen Sitten eurer Vorfahren vergessen und das Angedenken eurer Vorväter beschimpft. Warum kleidet ihr euch nicht mehr wie früher in Häute und braucht den Pfeil und Bogen und die Lanze mit der Steinspitze? Nun habt ihr Flinten, Messer, Kessel und große Decken – Dinge, die euch zu Vasallen des Bleichgesichts gemacht haben. Wahrlich, man kennt euch nicht mehr! Und was nun das Allerschlimmste ist: Ihr trinkt sogar das Feuerwasser des weißen Mannes, das euch zu Narren macht. Darum schleudert diese Dinge weg und lebt, wie es eure Vorväter taten! Die Engländer, jene tollen Hunde in roten Kleidern, sind gekommen, euch eurer Jagdgründe zu berauben und das Wild wegzuschießen. Auf diese müsst ihr eure Geschosse richten und für sie Skalpmesser und Tomahawk schärfen! Vertilgt sie auf immer von der Erde, auf dass ihr wieder glücklich und zufrieden werdet! Ganz anders ist es mit den Kindern des großen französischen Vaters. Diese sind nicht wie die Engländer, diese sind eure Brüder, die euch lieben und achten und auch mich anbeten!«

Darauf gab ihm der Meister des Lebens noch mannigfache Lehren über Sitten und Religion! Keiner solle Vielweiberei treiben und keiner solle auf die Reden der Medizinmänner hören, welche teuflischen Ursprungs seien. Zum Abschied erhielt der Indianer noch einen Stock, auf welchem in Hieroglyphen ein Gebet aufgezeichnet war, von dem er Abschriften an alle Bruderstämme schicken sollte. Als er darauf wieder auf der Erde ankam, machte er das Abenteuer, welches er im Himmel gehabt hatte, allenthalben bekannt.