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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jack Lloyd Folge 23

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Durst nach Rache

Elena stürzte aus der Kajüte. Ihre Augen waren geweitet vor Schreck. Auf ihren Lippen lag ein Schrei und doch hatte sie nicht die Kraft diesen auszustoßen. Die Tür hinaus auf den Deckaufbau stand weit offen. Doch selbst als sie die Enge des Raumes, in welchem sie sich versteckt hatten, verlassen hatte, sah sie nichts von dem, was um sie herum geschah. Ihre Aufmerksamkeit galt einzig und allein den beiden Gestalten, die in der weit geöffneten Tür auf dem Boden kauerten. Jack, der neben ihrem Vater kniete, warf der jungen Frau einen Blick zu, in dem vor allem eines zu erkennen war: Mitleid. Elena versuchte diesen Blick zu ignorieren, auch den Mann der vor ihr auf dem Boden lag, und wollte sich ganz und gar nur auf ihren Vater konzentrieren. Rasselnd ging der Atem des alten Kaufmannes. Gequält hob und senkte sich seine Brust, während er mühsam versuchte, Sauerstoff in seine Lungen zu pumpen. Sein Blick irrte dabei ziellos aber gehetzt über das Oberdeck. Jack hielt seine Hand und sah dem Spanier fest in die Augen. Leise murmelte er: »Warum habt Ihr das getan?«

»Dieser Bastard durfte nicht … nicht gewinnen«, röchelte der schwerverletzte Mann. Dann hustete er schwer und spuckte etwas Blut.

Elena erreichte die beiden Männer und ging wie in Trance in die Knie. Sie griff nach der anderen Hand ihres Vaters und sah dem Mann, der sie bisher ihr ganzes Leben lang begleitet hatte, ins Gesicht. Die Kugel Edmunds hatte durch den Aufprall auf die Tür ihre Flugbahn verändert und war in die Brust des spanischen Händlers eingedrungen. Leise flüsterte Elena: »Halte durch, Vater. Wir werden dich zu einem Arzt schaffen. Du wirst …«

Der alte Mann hob abwehrend die Hand, die seine Tochter fest umklammert hielt. Er versuchte ein Lächeln aufzusetzen, doch dieser Versuch misslang gründlich.

»Es geht zu Ende mit mir, mein Kind. Aber dank unseres Freundes hier kann ich dir immerhin ein Schiff hinterlassen. Wir haben die Jungfrau doch wieder, nicht war Kapitän?«

»Das Schiff ist in unserer Gewalt und wir konnten einen Teil Eurer Mannschaft befreien.«

»Gut. Das ist sehr gut.« Wieder wurde der Körper des Spaniers von einer Hustenattacke geschüttelt. Elena rann eine Träne über die Wange. Sie schloss die Augen, in einem verzweifelten Versuch all das, was in den letzten Augenblicken passiert war, ungeschehen zu machen. Doch als sie die Augen wieder öffnete, hatte sich nichts an dem Bild verändert.

»Elena, mein Kind«, röchelte der tödlich verwundete Kaufmann. »Versprich mir, dass du auf dich Acht gibst, hörst du? Und behalte deinen alten Vater in guter Erinnerung.«

»Nein. Bitte … du darfst mich nicht allein lassen.«

»Ich lasse dich nicht allein, meine Liebe. Du hast deine Mannschaft. Und … wenn du auf dein Herz hörst, kannst du mehr haben als nur das.«

»Ich will aber nicht ohne dich sein.« Elena weinte jetzt völlig hemmungslos. Jack, der noch immer auf der anderen Seite des immer blasser werdenden Mannes kniete, wurde schwer ums Herz. Auch seine Augen füllten sich mit Tränen. Doch dem Kapitän war klar, dass er in diesem Augenblick keine Schwäche zeigen durfte.

»Es geht aber nun einmal nicht immer so, wie wir das wollen«, stieß Elenas Vater ächzend hervor.

»Ich liebe dich, mein Kind. Das solltest du niemals vergessen.« Seine letzten Worte gingen in einem unkoordinierten Röcheln und einem Schwall von Blut, der aus seinem Mund quoll, unter. Dann verkrampfte sich der Körper des alten Seefahrers und seine Augen wurden starr. Elena, die die Hand ihres Vaters an ihr Gesicht gepresst hatte, schluchzte laut auf und warf sich über den Leichnam des Mannes, der für sie Vorbild, Freund und Mentor gewesen war. Es kümmerte sie nicht, dass das Blut ihres Vaters auf ihrer Kleidung, in ihren Haaren und an ihrem Gesicht klebte. Ihre Trauer war so übermächtig, dass sie sich wünschte, augenblicklich ebenfalls zu sterben. Und doch wollte der Gott, der offenbar seinen Spaß daran hatte, dieses perfide Spiel mit ihr zu spielen, ihr diesen Wunsch nicht erfüllen.

Jack erhob sich langsam von dem Leichnam. Sein Blick wanderte über das Deck der White Swallow. Mittlerweile waren alle Kämpfe eingestellt, sowohl auf der Swallow als auch auf der Jungfrau von Cartagena. Sie hatten einen großen Sieg errungen. Und doch war Jack nicht nach Feiern und Freude zumute. Edmund war erneut entkommen und auch wenn das rettende Ufer in weiter Ferne war, Jack war sich sicher, dass dieser Bastard einen Weg finden würde, nicht in den Fluten der karibischen See zu sterben. Sie würden sich wiedersehen, dass spürte der junge Kapitän. Und nun hatte Jack noch einen weiteren Punkt auf der langen Liste der Dinge, auf Grund derer Edmund den Tod verdiente. Es war alles so schnell gegangen. Er hatte den Feind stellen wollen, wissend, dass er aufgrund seiner Verletzung wenige Aussichten hatte, den Kampf für sich zu entscheiden. Doch in dem Augenblick, als sie sich endlich gegenüberstanden, war der Spanier ihm zu Hilfe geeilt. Jack wusste nicht, was den alten Mann dazu gebracht hatte, sich mit aller Macht von innen gegen die Tür zu werfen. Wahrscheinlich hatte er gehofft, der Mann, der die Tür zuvor mit Schlägen, Tritten und Schwerthieben bearbeitet hatte, würde noch davor stehen. Und so war es ja auch gekommen. Doch was dann geschah, war kaum vorhersehbar gewesen. Jack legte Elena kurz eine Hand auf die Schulter, dann wandte er sich Joe zu, der gerade die Treppe zum Deckaufbau erklomm. Er hatte jetzt andere Aufgaben zu erfüllen, auch wenn es ihm schwerfiel, die junge Frau ihrem Kummer zu überlassen. Einer der Männer der Jungfrau von Cartagena begleitete den Ersten Maat der White Swallow. Als der junge Mann sah, wer da auf dem Oberdeck kauerte und um wen die junge Frau trauerte, wurde er mit einem Mal kreidebleich. Jack reichte dem Matrosen eine Hand. Dann murmelte er leise: »Ihr seid unsere Gäste, so lange Ihr das wollt.«

»Habt Dank, Kapitän.«

»Kümmert Euch um die Tochter Eures Kapitäns. Wenn ich etwas für Euch oder die Euren tun kann, lasst es mich wissen.«

»Aye.«

Nach dem kurzen Dialog ließ Jack den Mann stehen und gesellte sich mit Joe und Pablo zu den anderen Männern, die auf dem Deck der Swallow standen. Leise fragte er: »Wie ist es gelaufen?«

»Unerwartet gut, Käpt´n«, erwiderte Joe achselzuckend. »Die Feinde haben gekämpft wie die Wahnsinnigen. Aber unsere Verluste haben sich in Grenzen gehalten. Vor allem, als die Männer der Jungfrau befreit wurden, war es vorbei mit dem Kampfesmut der Piratenjäger.«

»Gut gemacht, Männer. Wenn wir in Port Royal sind, haben wir uns ein paar Tage Landgang verdient.«

Jacks Worte riefen lauten Jubel unter seinen Männern hervor. Jack, der zwar eine solche Reaktion erhofft hatte, aber dennoch ein schlechtes Gefühl gegenüber der trauernden Frau auf dem Deckaufbau hatte, sah sich kurz nach Elena um. Die Spanierin wurde gerade von dem Matrosen der Jungfrau von Cartagena auf ihre Beine gezogen. Der Mann redete auf die junge Frau ein, doch ihr Blick blieb wie versteinert auf das Gesicht ihres verstorbenen Vaters gerichtet. Erst einige Augenblicke später riss sie sich von dem Leichnam los und ging in Begleitung ihres neuen Vertrauten auf die Treppe zu. Unten angekommen trat sie vor Jack. Ihre Gesichtszüge wirkten verhärtet, ihre Augen waren leer. Und auch ihre Stimme klang leise und gequält. Jack betrachtete die junge Frau, die ihm bereits zu der Zeit, als sie noch seine Gefangene gewesen war, eine Menge Respekt abverlangt hatte, und stellte zu seinem Entsetzen fest, dass kaum noch etwas von dem Feuer in ihr zu sein schien, das ihn bislang so an der Spanierin fasziniert hatte.

»Ich danke Euch, für Eure Hilfe und Gastfreundschaft, Kapitän«, erklärte Elena mit monotoner Stimme. »Wir werden sie nicht länger in Anspruch nehmen als notwendig.«

»Ihr seid uns stets willkommen, Mylady«, antwortet Jack leise. Über das Gesicht Elenas huschte für einen Augenblick so etwas wie Dankbarkeit. Doch statt einer Antwort brachte sie nur ein Nicken zustande. An ihrer Stelle antwortete der spanische Matrose.

»Lasst bitte den Leichnam unseres Kapitäns an Bord der Jungfrau bringen. Wir werden aufbrechen, sobald das möglich ist.«

»Wie Ihr wollt.«

Jack gab drei seiner Männer ein Zeichen, dass sie den Leichnam des Spaniers auf dessen Schiff bringen sollten. Dann sah er Elena und ihrem Begleiter nach, wie sie auf die Jungfrau von Cartagena wechselten. Keine Stunde später trennten sich die Routen der beiden Schiffe. Jack stand noch eine Weile an der Reling und starrte dem spanischen Handelsschiff hinterher. Erst als Joe sich zu ihm gesellte und ihm freundschaftlich eine Hand auf die Schulter legte, konnte der Kapitän seinen Blick für einen Moment vom Horizont lösen.

»Es war nicht deine Schuld, mein Sohn«, erklärte der alte Seebär leise.

»Ich weiß, Joe. Danke.«

Joe nickte knapp. Der Ton seines Kapitäns sagte ihm klar und deutlich, dass der junge Mann in diesem Augenblick nicht darüber reden wollte. Joe klopfte seinem Anführer noch einmal auf die Schulter. Dann murmelte er lächelnd: »Du wirst sie wiedersehen, wenn es das ist, was du dich fragst.«

»Wie kommst du darauf?«

»Keine Ahnung, Käpt´n. Ich weiß es einfach. Es ist so ein Gefühl.«

»Wir werden sehen«, erwiderte Jack. Und wieder den Blick gegen den Horizont gewandt, setzte er flüsternd hinzu: »Wir werden sehen.«

Fortsetzung folgt …

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