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Review: Me And Bobby McGee

Gunter Arentzen
Me And Bobby McGee
Erstveröffentlichung auf dem alten Geisterspiegel am 10. 06.2007

Das grell-bunte Neonlicht flackert in einem nicht enden wollenden Rhythmus.

Stromsummen im Gastraum der heruntergekommenen Raststätte; verbrauchte Röhren, ein träger Ventilator an der Decke. Die Türen stehen offen, um die abendliche Frische hereinzulassen.

Statt Kühle kommen Insekten. Die Sonne zeichnet sich rot über einem kleinen Hügel ab.

Der Gestank von abgestandenem Bier, altem Schweiß und Nikotin zieht als dichte Wolke über die Köpfe der anwesenden Gäste dahin. Aber wer hier sitzt, den interessiert es nicht mehr.

Es ist eine kleine Raststätte irgendwo in Texas.

Nicht weit von Waco und nicht allzu weit entfernt von Dallas. Der Highway zieht sich wie ein schmutziges Band durch die Landschaft, weckt Fernweh und den Wunsch, auf der Straße einfach weiter zu fahren. Ohne Ziel, ohne Gestern und ohne ein Morgen. Fahren, bis der Sprit alle ist oder der Durst die Kehle austrocknet.

Aus der Jukebox dröhnt Musik. Me And Bobby McGee.

Was tue ich hier? Die Frage beschäftigt mich seit zwei Stunden. Das trübe Bier in einem ziemlich sauberen Glas gibt mir darauf auch keine Antwort. Ich starre den Schaum an. Obwohl man die trüb-weiße Schicht kaum als solchen bezeichnen kann. Es ist eben eine dünne, weiße Schicht.

Ist dies der Urlaub, den ich mir vorgestellt hatte? Vier Wochen kreuz und quer durch die Staaten, fern von dem biederen, streng genormten Deutschland. Freiheit gesucht, nicht wirklich gefunden.

Freedom’s just another word for nothing left to lose.

Vor der Tür steht mein Leihwagen. Ein Ford, wie ich ihn daheim fahre. Platz für Frau und Kinder, ein großer Kofferraum. Familienkutsche für einen Familienvater.

Das Bier ist lauwarm, will nicht so recht die Kehle hinunter.

Meine Familie sitzt in Waco in einem Motel. Streit mit der Frau. Wieder einmal. Der dritte in kurzer Zeit. Wir sehen uns vierundzwanzig Stunden am Tag. Anders als zu Hause. Dort arbeitete ich acht Stunden, noch eine Stunde Fahrtzeit, einkaufen. Was am Abend bleibt, sind drei, vier Stunden, die ich mit meiner Familie verbringe. Sex zweimal die Woche, als Pflichtübung abgehandelt. Die Erotik ging schon vor fünf Jahren. Das war kurz, nachdem unser zweiter Sohn geboren wurde. Vielleicht hätte ich ebenfalls gehen sollen. Wer weiß. Jetzt ist es zu spät. Die Lethargie der Gewohnheit hat uns eingeholt. Was bleibt, sind dumme Streitereien, einzig darauf aus, den anderen zu verletzen. Keine Gewinner, keine Verlierer. Routiniert geführt, immer nach den gleichen Regeln. Frust, weil wir beide unzufrieden sind und uns gegenseitig die Schuld dafür geben?

Eingeengt.

Ja, das ist es.

Die Familie nimmt mir die kreativen Freiräume.

Scheiße.

Das Bier drückt. Ich verlasse meinen Platz an der Bar, gehe durch eine schwingende Holztür.

Dahinter ein Flur. Bröckelnder Putz an den Wänden, ehemals weiß getüncht. Jetzt grau-gelb von Nikotin und Staub.

Das Klo ist genauso schmutzig wie alles andere. Eine lange Rinne aus Emaille, rissig und mit gelben Rückständen übersäht. Dahinter drei Kabinen. Ein Waschbecken, kaltes Wasser und Papierhandtücher komplettieren die Einrichtung. Gestank, als sei der Abfluss verstopft. Es dauert ewig, bis der gelbe Bach versickert.

Als ich zurückkomme, ist der dickbäuchige Besitzer der Raststätte verschwunden. An seiner Stelle steht eine Frau hinter der Theke.

Sie sieht gut aus.

Blonde Haare, ordentlich was in der Bluse und ein herbes Gesicht. Eine Middle-West-Queen, wie man solche Frauen hier nennt. Typ Dolly Parton.

Ich setze mich wieder auf meinen Stuhl, bestelle ein weiteres Bier. Das Vierte!

Blaue Augen mustern mich. Dazu Geklimper mit den Brauen. Gefalle ich ihr? Sie stellt den Krug mit Gerstensaft vor mich und wendet sich einem Gast zu, der auf den Boden kotzt.

Schimpfend nimmt sie einen Lappen, wischt den Schmodder auf.

Ich betrachte ihren Po. Er steckt in einer engen Jeans. Darunter sind die Konturen eines schmalen Slips zu erkennen. Die Sicht auf ihre Beine endet dort, wo die braunen Stiefel beginnen. Alles in allem ist sie auf ihre Art sexy. Nicht wie die Girls am Venice Beach. Nein, sie hier ist ehrlicher, natürlicher. Keine Implantate, die ihren Busen vergrößern und keine Diät, mit der sie jedem noch so kleinen Fünkchen Fett zu Leibe rückt. Sie ist, wie sie ist.

Wie alt mag sie sein? Vierzig?

Während ich an meinem Bier nippe, beendete sie die Wischaktion und kehrt zurück hinter den Tresen. Wieder schauen wir uns kurz an. Mag sie deutsche Männer? Oder sieht sie in mir nur einen Gast?

Wir fangen an zu plaudern. Mary heißt sie. Nun ja – ich rede, sie hört zu. Von meiner Frau erzähle ich, und von meinem Job, der mir alles abverlangt. Dann berichte ich von den Kindern. Davon, dass mein Ältester das Klassenziel knapp verfehlt hat und deshalb sitzen geblieben ist. Und von den Nöten des Fünfjährigen, der im Kindergarten ausgelacht wird, weil er ‘Bernd das Brot’ mag. Dinge, mit denen sich meine Frau den ganzen Tag rumschlägt. Warum erscheinen sie mir so gewaltig? Weil ich ganz in meinem Job aufgehe und längst den Bezug zu Heim und Familie verloren habe? Ist es nicht so, dass mir mein Beruf wichtiger ist als die Sorgen und Ängste meiner Kinder? Wochenendausflüge können nicht ausgleichen, was ich versäume.

Nach einer halben Stunde wird mir bewusst, dass ich mich zum Narren mache, und halte die Klappe. Mary hat mir zugehört, ohne mich zu unterbrechen. Vielleicht hat sie nicht alles verstanden. Mein Englisch ist nicht besonders gut.

Als ich schweige, beginnt sie zu erzählen. Von ihrem Job, den sie macht, weil ihr Mann sie verlassen hat. Die Kinder waren gerade zwei und vier gewesen, als er ging. Freiräume suchen und so etwas.

Mary erzählt von den Typen, die hier rumhängen und sie anbaggern. Von der Einsamkeit, die sie empfindet und davon, dass sie alles dafür geben würde, wenn sie ihren Sohn aufs College schicken könnte.

Ich höre zu. Das Gefühl von Schäbigkeit macht sich in mir breit. Mary erzählt weiter. Ihre Eltern, die sie stets vor dem Typen gewarnt hatten und drüben in New Mexiko eine Farm betreiben. Und von ihren Plänen, irgendwann alles hinzuschmeißen und nach Los Angeles zu gehen. Es sind Träume, das weiß sie, und wahrscheinlich weiß sie, dass es immer Träume bleiben werden. Ihr Schicksal ist es, hier Bier zu zapfen und die Kotze von Gästen aufzuwischen.

Mary schweigt, da sie sich ebenfalls zum Narren macht. Wir schauen uns an, und irgendwie ist da ein Band zwischen uns. Unausgesprochen, unsichtbar und doch greifbar. Längst bin ich der einzige Gast, ist die Sonne gänzlich hinter dem Hügel versunken. Die Tür steht offen, das Licht brennt; Mücken strömen weiterhin herein. Jede Kreatur tut, was ihr die Natur befohlen hat zu tun. Mücken und Motten folgen dem Licht, und Menschen …

Ich gehe rüber zur Jukebox. Da ist es. Janis Joplin. Werfe einen Dime ein, drücke das Lied gleich zweimal. Es erinnert mich an meine Zeit im Stadtpark von Frankfurt. Als die Jugend Blumen in den Haaren trug und gegen das Establishment rebellierte. In Vietnam Neunzehnjährige starben und wir gegen den Schah von Persien demonstrierten. Damals waren wir noch frei.

Freedom is just another word for nothing left to lose,
Nothing don’t mean nothing honey if it ain’t free, now now.
And feeling good was easy, Lord, when he sang the blues,
You know feeling good was good enough for me,
Good enough for me and my Bobby McGee.

Als der Refrain kommt, singen wir beide mit. Als das Lied zum zweiten Mal beginnt, nehme ich sie in die Arme. Wir tanzen und wissen, dass es nur diesen einen Abend gibt. Keine Wiederholung.

Ich spüre ihre Rundungen. Sie drücken sich an meine Brust. Mary riecht nach Rosen und schmeckt nach Whisky.

Sie schließt ab, schaltet das Licht aus. Anschließend gehen wir ein kleines Hinterzimmer. Dort steht ein Sofa.

 

Irgendwann in der Nacht kehre ich zurück in das kleine Hotel. Meine Frau schläft bereits, schreckt hoch, als ich die Tür quietschend schließe. Ihr Blick mustert mich. Eine Minute, zwei. Sie weiß es. Sie weiß, dass ich sie an diesem Abend betrogen habe. Ich spüre, dass sie es weiß.

»War es schön?«, fragte sie. Kein Vorwurf. Keine Anklage.

»Ja«, erwidere ich ebenso nüchtern.

»Wirst du sie wiedersehen?« Noch immer kein Vorwurf. Gerade das macht die Situation so schwer. Es wäre mir lieber, sie würde mich anschreien, eine Szene machen.

»Nein.«

Erneut ein langer Blick, während ich mich neben sie lege. Schließlich halte ich ihm nicht mehr stand.

»Ich liebe dich.« Mehr bringe ich nicht heraus.

»Ich weiß«, erwidert sie und legt ihren Kopf an meine Brust. Sonst sagt sie nichts. Das Thema scheint erledigt.

Möglich, dass sie mich ebenfalls schon mal betrogen hatte. Oder es war ein Ausbruch, der die Perspektiven wieder ins rechte Licht gerückt hat. Für uns beide.

Während sie einschläft, denke ich an Mary. Ihr Körper, nass vom Schweiß. An die Kratzer auf meinen Rücken, die ihre Fingernägel hinterlassen haben und an die Schreie, als die Lust über sie hereinbrach. Ich schaue meine Frau an. Sie ist schön. Trotz der Kinder, die sie geboren hat und trotz ihrer fast vierzig Jahre. Und mir wird klar, dass ich sie wirklich liebe. Trotz allem. Oder gerade deswegen.

Ende