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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 4

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

4.

Cranmers Rückkehr nach England. Heinrichs Unterredung mit Cranmer.

»Ah! Cranmer!«, rief König Heinrich diesem zu, als er denselben im Audienzsaal empfing. »Willkommen, willkommen, in unserem schönen Land! Habt Euch aber lange bitten lassen, Mann, ehe Ihr unserem königlichen Ruf folgtet. Am kaiserlichen Hofe geht es wohl glänzender zu als bei uns. Aber es werden auch hier bessere Zeiten kommen!«

»Vergebung, Majestät«, erwiderte Cranmer, demütig das Knie beugend. »Ich befand mich in den letzten Monaten nicht mehr am Hofe, sondern am Rhein bei meinem lieben Freund, dem gelehrten Theologen Neander.«

»Wohl ein Lutherischer?«, fragte Heinrich rasch.

»Ein echter Protestant, Majestät«, erwiderte Cranmer, »und ein lebhafter Verehrer König Heinrichs.«

»Ah! Wir könnten ihn vielleicht hier brauchen. Doch halt! Ist er verheiratet? Hat er Kinder?«

»Nur eine Tochter, siebenzehn Jahre alt, Majestät.«

»Dann soll er nicht nach England kommen«, sagte Heinrich.

»Sind Eure Majestät gegen die Aufhebung des Zölibats?«, fragte Cranmer gespannt.

»Nun, so entschieden sind wir noch nicht darüber. Alle Dinge haben zwei Seiten. Es würde vielleicht die Geistlichkeit im Allgemeinen an uns binden, aber dagegen laden wir uns auch eine Verantwortung auf, wenn wir die Ehe gestatten, denn wir müssen für den Unterhalt der Familien sorgen. Lady Anne dort spricht zwar der heiligen Ehe mächtig das Wort«, fügte Heinrich mit einem schelmischen Blick auf diese zu, welche am Fenster saß.

»Weil ich glaube, dass das Weib dem Mann zur keuschen Gehilfin geschaffen wurde«, erwiderte Anne entschieden. »Gottes Gebot ist, dass jedermann ohne Unterschied sein eigen Weib habe, dem er anhänge und alle Sittenlosigkeit verachte und verwerfe. Das freie Gelübde der Keuschheit, das man ablegt, um Gottes Reich besser zu dienen, ist erhaben und verdient Achtung, wenn es mit reiner Seele gehalten wird. Majestät wissen besser als ich, wie es mit der Sittlichkeit der Geistlichen auch in unserem Land steht.«

»Ja, Gottes Tod, das wissen wir!«, rief der König aus. »Wie tief der moralische Schlamm und Unrat aufgehäuft ist, zeigt sich erst jetzt, nachdem wir angefangen haben, die Klöster aufzuheben oder zu durchsuchen. Da fand man, dass von der berühmten Abtei Clarefond im Westen ein geheimer Gang in das benachbarte Nonnenkloster Ladywood führte.«

»Schändlich!«, sagte Cranmer.

»Aber das ist noch nicht das Schlimmste! Diese Nönnchen, weil sie Weiber sind wie andere, hatten Kinder, die aber nicht sichtbar werden durften.«

»Man hat sie ermordet, natürlich!«

»Ja, meine Beamten ließen in einem Keller graben, weil sie dort Schätze vermuteten, und fanden einen ganzen Wall von Kinderknochen und Skeletten.«

»Mein Gott!«, rief Cranmer entrüstet aus. »Diese Gräuel und entwürdigenden Schandtaten werden Eure Majestät nicht ungestraft lassen!«

»Nein, bei Gott nicht!«, rief dieser zornig aus. »Die Sünder drohten mir zwar mit dem Zorn des Papstes und den Racheblitzen des Himmels. Aber ich ließ mich nicht irremachen. Die beiden Wespennester ließ ich rein ausplündern, den geheimen Gang verschütten und vermauern, und dann, als ich erfuhr, dass die ehrwürdige Mutter mit dem Prior ihren Schafen das Beispiel zur Unzucht gegeben hatte, wurden beide, angesichts ihrer Brüder- und Schwesternschaft bis aufs Blut gegeißelt. Es war gerade Fastenzeit, aber ich stehe dafür, die Selbstpönitenz war bei ihnen nicht sehr streng beachtet worden.«

»Wie verhielt sich das Volk bei dieser Gerechtigkeitspflege?«, fragte Cranmer.

»Ganz vortrefflich, still wie die Mäuse. Ich war auf eine Empörung gefasst, aber es scheint, sowohl der Adel als auch das Volk billigt die Verminderung der Klöster, namentlich der Bettelmönche.«

»Die vertriebenen Ordensbrüder werden Unruhen stiften«, sagte Cranmer ängstlich.

»Gnade sei mit ihnen, wenn sie das wagen«, rief Heinrich drohend aus. »Ich weiß, diese grässlichen Höhlen dienen auch zu Komplotten jeder Art, zu geheimen Versammlungen, in denen man mich verflucht und mich den leibhaftigen Beelzebub schmäht.1 So lange sie hinter ihren Mauern sich verborgen halten, ist ihnen schwer beizukommen. Aber wenn ich sie einmal fasse oder wenn sie einen Aufruhr anzetteln, dann sollen sie es büßen. Trotz der Weihen auf ihren kahlen Köpfen werden diese nicht fester am Hals sitzen als bei anderen Verbrechern.«

»Wie, Majestät, das wollt Ihr wagen?«, sagte Cranmer überrascht, »wollt die Priester der weltlichen Strafe unterwerfen?«

»Warum nicht?«, fragte Heinrich. »Muss doch ein Laie sterben, der des Hochverrats gegen seinen Fürsten beschuldigt wird. Warum sollte ein Pfaffe ungefährdet dasselbe Verbrechen begehen dürfen? Nein, Ehre der geistlichen Macht, so lange diese in ihren Grenzen bleibt, nur mit geistlichen Dingen sich befasst. Aber wehe den Geistlichen, wenn sie die Gesetze des Landes übertreten und das Volk zum Aufruhr reizen!«

»Majestät haben geruht, mich kommen zu lassen?«, fragte Cranmer. »Darf ich fragen, zu welchem Zweck?«

»Oh, oh, freilich. Ich hatte das ganz vergessen, Mann«, rief der König. »Nun im Augenblick sollt Ihr Euch nur behaglich bei uns wieder einrichten, bis wir Euch ein Amt übergeben können. Ihr bleibt doch gern bei uns?«

»Majestät sind zu gnädig. So lange bleibe ich, wies Eure Majestät meiner Dienste bedarf«, antwortete Cranmer ausweichend.

»Gut, dann wird das wohl Euer Leben lang sein«, rief Heinrich in froher Stimmung aus. »Der Erzbischof von Canterbury ist kränklich. Ihr sollt sein Adjunkt werden, vorläufig Euch in das Amt hineinarbeiten und dann … nun wer weiß, was geschieht«, fügte er lächelnd hinzu. »Heinrich weiß seine treuen Diener zu belohnen.«

Cranmer war leichenblass geworden. Die Sitte erforderte, dass er dem Monarchen kniend für die Huld dankte, allein er blieb regungslos stehen und blickte den König wie ein Träumender an.

»Nun? Die Aussicht auf die Primatenkrone scheint Euch zu verwirren und zu erdrücken«, sagte Heinrich. »Eure Bescheidenheit und Demut ist allzu groß, Cranmer.«

»Ich bin noch ein Kirchenuntertan des Papstes, Sire«, stammelte Cranmer, »der Papst würde die Wahl nicht bestätigen. Er kennt auch meine freisinnigen Ansichten, da er mich sogar als einen Ketzer bezeichnet hat.«

»Wird sich finden«, sagte Heinrich ungeduldig. »Übrigens merkt Euch ein für alle Mal: Ich bin das Haupt der Kirche in meinem Land und besitze somit die Gewalt, meine Diener nach Belieben zu ernennen.«

»Des Papstes Gutheißen zu Cranmers Wahl, wenn einmal die Stelle vakant ist«, sagte Anne, »kann man auch erkaufen. Das Geld ist ein Zauberwort, vor dem das päpstliche Gewissen schweigt. Um Geld spräche der heilige, unfehlbare Vater sogar den Erzketzer Luther heilig.«

»Nehmt Euch in Acht, Lady Anne«, drohte Heinrich ihr mit dem Finger.

»Ich fürchte keinen Papst, wenn Heinrich mich beschützt!«, rief diese aus, eilte auf den König zu und umfing ihn liebevoll.

»Aber wenn er wirklich seine Drohung ausführte, uns in das Interdikt täte, Liebchen!«

»Auch das kümmert mich nicht, so lange diese kräftigen Arme mich halten«, antwortete das Mädchen. »Heinrich ist mein Beichtvater und gibt mir die Absolution für alle Sünden.«

Heinrich küsste sie zärtlich. »Ihr seht, Cranmer, es ist bei uns noch beim Alten. Die treue Liebe bietet Papst und Kaiser Trutz. An Euch richten wir die Bitte, so schnell wie möglich das letzte Hindernis zu unserer Verbindung zu beseitigen. Ihr müsst das Werk vollenden, das Ihr angefangen habt und unsere Hände bald auf ewig vereinigen, wie die Herzen es schon lange sind.«

»Dann, wenn diese Stunde vorüber sein wird, wenn Ihr meiner nicht mehr bedürft, dann, Majestät, darf ich mich zurückziehen? Nach Deutschland gehen?«, fragte Cranmer dringend.

»Gottes Tod! Ihr seid ein wunderlicher Patron«, rief Heinrich lachend aus. »Andere Leute erwarten Belohnung von uns nach einem geleisteten Dienste, Ihr, dass wir Euch in die Verbannung senden.«

»Nicht Verbannung, Majestät«, stammelte Cranmer. »Ich habe dort liebe, liebe Freunde zurückgelassen.«

»Und ich wette, auch eine liebe Freundin«, rief Anne lachend aus. »Ja, ja, Cranmer, Eure Verlegenheit verrät Euch. Am Rhein soll es schöne Mädchen geben!«

»Wie, mein ehrwürdiger, ehrbarer Cranmer hätte sich dort ein Liebchen gesucht?«, fragte Heinrich halb komisch, halb erzürnt. »Nun, wundert mich eben nicht, denn am kaiserlichen Hof, selbst bei Kirchenfesten, soll es mehr verrufene Dirnen als ehrliche Weiber geben.«

»Majestät irren sich«, sagte Cranmer mit edler Festigkeit. »Das Mädchen, das ich liebe und dessen Andenken ich im Herzen trage, ist nie meine Geliebte gewesen, noch wird sie es werden.«

»Dann will ich sie kennenlernen!«, rief Anne aus. »Was meint Ihr, würde sie sich entschließen, zu uns zu kommen?«

»Ich weiß nicht«, erwiderte Cranmer verlegen, »sie ist noch jung und schüchtern, würde ihren Vater nicht verlassen.«

»Es ist die junge Tochter Neanders!«, rief Anne plötzlich schelmisch aus. »Gesteht nur, dass Ihr um ihretwillen so lange am Rhein bliebt!«

»Lady Anne spricht die Wahrheit«, entgegnete Cranmer, die Hand derselben küssend. »Es hielt schwer, die holde Gegenwart zu fliehen! Nur der Gedanke an Euch …«

»Schmeichler!«, sagte Anne, indem sie ihm wohlgefällig die Hand entzog. »Nun, dient Eurem König treu und helft ihm, seine schwere Aufgabe zu lösen, dann wird auch Eure junge Freundin in mir eine treue Beschützerin finden. Wenn Ihr an sie schreibt, meldet ihr, dass wir ihrer huldvoll gedenken. Bittet sie, dass sie auch für uns bete.«

Cranmer verließ die königliche Braut mit schwerem Herzen und blutender Seele. Er dachte an Helene, an sein schönes, junges Weib am Rhein, das täglich um seine Rückkehr betete, täglich nach einem Schreiben aussah, das ihr die freudige Botschaft brächte. Er sah das liebe Antlitz, seine Lippen berührten im Geist die ihren, sehnsuchtsvoll klopfte ihr das Herz entgegen …

Da erhob sich finster zwischen ihm und dem Lichtbild eine fremde Vision mit einer glänzenden, aber hohlen Krone. Die Gestalt eines Primaten von England, der frei vom päpstlichen Stuhl, frei im Land neben Heinrich regieren sollte!

Wohl geschieht es selten, dass die Menschen beim Anblick einer Krone oder sonstigen Pracht zurückweichen, jedoch es war so bei unserem Cranmer.

Die bischöfliche Krone däuchte ihm eine Märtyrerkrone, der goldbestickte Talar ein Leichengewand. Und nicht mit Unrecht, denn unter diesem musste er alle Hoffnungen für ein ähnliches Glück zu Grabe tragen, nicht nur sein eigenes, auch das Herz seines lieben Weibes, das ihm so grenzenlos, so unbedingt vertraut hatte.

»Ich tue es nicht«, rief Cranmer aus, als er sich in seinem Zimmer allein befand, »nie und nimmermehr breche ich Helene die Treue! Was nützen mir alle Ehren der Welt ohne sie, was freut mich der Reichtum, den sie nicht mit mir teilen darf! Ich hätte es gleich verwerfen sollen, als der König davon redete, und Anne von Helene.

Ich war feige, unmännlich, ich wagte es nicht. Aber Anne ist klug, sie hat mein Geheimnis wohl schon durchschaut oder gar durch ihre Spione, die mich in Wien umgaben, teilweise erfahren. Nun, desto besser! Sie ist weichherzig und gut, sie wird, wenn ich mich ihr entdecke, den König von seinem Entschluss zurückbringen, damit ich Helene öffentlich anerkennen kann. Es wird gehen! Aber der Bruch zwischen Heinrich und Rom muss vollendet und ihm der Rücktritt unmöglich gemacht werden. O, es wird mir gelingen! Ich kämpfe ja auch um den Besitz eines lieben, teuren Weibes, um die Freiheit meines Gewissens, meines Glaubens!«

Show 1 footnote

  1. Prioren waren es, die sich heftig gegen Heinrichs Obergewalt auflehnten.