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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 3

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

3.

Cranmer in Wien. Seine Verheiratung mit Helene Neander.

In der kaiserlichen Hofburg zu Wien, besonders in der nächsten Umgebung des Kaiser Karl, sah man vergnügte, triumphierende Gesichter. Die päpstliche Bulle, welche Katharinas Ehe guthieß, war dort mit großer Feierlichkeit veröffentlicht worden. Seine kaiserliche Majestät zeigte sich äußerst huldvoll gegen die fremden Gesandten und beschenkte freigebig die wundertätigen Madonnenbilder, denn nur diesen schrieb er die endliche Entscheidung des Papstes zu. Aber auch Cranmer, Heinrichs Gesandter erfreute sich der Sonnenstrahlen der kaiserlichen Gunst. Sei es, um den talentvollen, gebildeten jungen Mann für das Scheitern seiner Mission zu entschädigen, sei es, um diesen für sich zu gewinnen, genug, der Kaiser zeichnete ihn vor allen anderen Gesandten aus, überhäufte ihn mit kostbaren Geschenken und bot ihm eine reiche Pfründe an, falls er sich entschließen könne, sein Vaterland zu verlassen.

Cranmer lehnte das Letztere ab. Nicht dass er unter diesen Umständen, wo Heinrichs Aussöhnung mit Katharina durch die päpstliche Bulle allen unwiderruflich bestimmt schien, sein Vaterland ungern verlassen hätte, sondern weil infolge seines Aufenthaltes auf dem Kontinent und seines häufigen Verkehrs mit den gelehrtesten Anhängern der Reformation seine Seele sich gegen die Bande der katholischen Religion auflehnte. Nur die Rücksicht auf den König, nur seine Dankbarkeit gegen Anne, hatten ihn von einem öffentlichen Übertritt abgehalten. Aber mächtiger als die Lehren der Reformatoren mochten wohl die süßen Blicke, das liebliche Antlitz Helenes, der siebenzehnjährigen Tochter Neanders, zu Cranmers Ketzerei beigetragen haben.

Helene hatte den Vater nach Wien begleitet, wo dieser gelehrte Theologe Konferenzen mit den Lutheranern pflegte, zu denen Cranmer sich gesellte. Zwischen Neander und dem liebenswürdigen Gesandten entstand in kurzer Zeit eine innige Freundschaft. Auf des Freundes Einladung besuchte Cranmer ihn in seiner Herberge und lernte Helene kennen.

Des Mädchens übliches, sittsames Wesen, ihre feine Gestalt, die blauen Augen und die weichen blonden Haare fesselten gleich anfangs Cranmers Blicke, die aufgeweckte, nach Wahrheit verlangende Seele, die Offenheit und Reinheit des Gemüts, die innige Liebe zu dem verwitweten Vater gewannen ihr bald sein Herz.

Das Zutrauen, das Wohlgefallen waren gegenseitig. Bald zahlte auch Helene in mädchenhafter Ungeduld die Stunden bis zur Wiederkehr von Cranmers Besuch, obwohl der Theologe nicht mit Worten seine Liebe ausgesprochen hatte, noch es zu tun wagte. Wohl flüsterte diesem oft eine Geisterstimme in stillen Stunden zu: »Sei mutig, bekenne frei deinen Glauben und entsage um Gottes willen der irdischen Schätze. In Helene empfängst du hundertfältig alles Verlorene wieder!« Aber Cranmer war eine unentschlossene Seele, der es schwerfiel, einen entscheidenden Schritt zu tun. Er ließ sich lieber von anderen auf den richtigen Weg führen, sich von einem stärkeren Willen überreden.

Die Gültigkeitserklärung von Heinrichs Ehe erschien ihm wie ein Fingerzeig von oben, dass er sich von England losreißen solle. Es war auch mehr als wahrscheinlich, dass Heinrich seiner Dienste nicht mehr bedürfe, ihm gern die Freiheit schenken würde. Dann, dann stand nichts mehr zwischen ihm und seinem Glück. Er würde die lutherische Konfession bekennen und dadurch den Zölibat abschwören.

Dem Freund Neander war der Kampf nicht entgangen, der Cranmers heitere Stirn nun trübte. Er hatte auch die Liebe erkannt und im stilleren, ängstlichen Wesen seiner Tochter das Bekenntnis einer hoffnungslosen Neigung gelesen.

Die päpstliche Bulle erfüllte daher sein väterliches Herz ebenfalls mit einer unverhohlenen Freude.

»Wir werden ihn behalten, Helenchen«, sagte der würdige Mann zuversichtlich. »Wir werden in ihm einen neuen, tüchtigen Gottesstreiter erringen. Der Papst selbst treibt ihn uns in die Arme.«

Helene lächelte, aber ihr Herz war nicht so zuversichtlich wie das ihres Vaters. Sie sah eine große Kluft zwischen sich und Cranmer, denn sie glaubte nicht, dass König Heinrich ihn entlassen werde.

»Wird sich zeigen«, sagte Neander. »Aber was in aller Welt sollte der König jetzt von ihm wollen, wenn er bigott katholische Gemahlin wieder zu sich nimmt?«

»Ja, wenn er das tut«, versetzte Helene ungläubig. »Ich kann es mir kaum denken. Und wenn er Anna wirklich so liebt, wie man behauptet, und sie so reizend und gescheit ist, wie Cranmer sie schildert, dann dauert mich fast der König.«

»Lenchen, Lenchen!«, drohte der Vater lächelnd.

»Nun«, erwiderte das Mädchen errötend, das liebe Haupt senkend, »ich weiß schon, dass Heinrich unrecht tut, aber es muss schrecklich sein, jemand zu verlieren, den man liebt.«

»Ja, mein Kind. Gott bewahre dich vor einem solchen Schicksal!«

»Horch, es kommt jemand auf unsere Tür zu!«, rief Helene, rasch von ihrem Sessel aufspringend. »Herr Cranmer ist es, Väterchen!« Dabei eilte sie zur Tür und öffnete sie, ehe der davorstehende Cranmer dies tun konnte.

Der Vater aber lächelte still vor sich hin. »Wahrlich, sie erkennt seinen Schritt schon von Weitem! Kein Zweifel, dass sie ihn liebt. Ah, guten Abend, lieber Freund!«, rief er dem Eintretenden zu. »Sieht man Euch auch wieder bei uns? Hattet uns wohl am Hof vergessen? Aber wie, was hat es gegeben, Freundchen? Ihr seht ja ganz verklärt aus!«

»Ich bin glücklich, ich bin selig!«, rief Cranmer stürmisch aus, warf dann ein dickes Schreiben dem Vater zu, fasste die verwirrte Helene in seine Arme und drückte sie an sein laut klopfendes Herz.

»Cranmer, Mann, seid Ihr von Sinnen oder ist das tausendjährige Reich im Anzug?«, rief der Gelehrte aus.

»Ja, ein tausendjähriges Reich der Liebe bricht für mich heran, Väterchen, in diesem lieben, holden Kind! Heinrich von England trotzt der päpstlichen Bulle, er führt die Reformation ein, und ich darf meine süße Helene als Gattin heimführen, wie es Gottes Gesetz angeordnet hat. Aber lest nur selbst, Vater!«

Neander schüttelte misstrauisch das Haupt, entfaltete jedoch das gewichtige Schreiben und war bald ganz darin vertieft.

Unterdessen hielten sich die Liebenden im Arm. Helenes zartes, wie eine schöne Rose erglühtes Antlitz ruhte an Cramners Brust. Er hatte sie nicht gefragt, ob sie ihn liebe und sie ihm dies nicht mit Worten versichert. Aber in dem liebevollen, seligen Blick der blauen Augen, in ihrer willenlosen Hingebung lagen eine deutliche Antwort.

Sie war sein, schon lange, ihr jungfräuliches Herz hatte sich ihm zum Eigentum unbewusst hingegeben, die Schranke übersehend, die beide zeitlebens zu trennen drohte.

»Du bleibst nicht mehr Priester?«, flüsterte sie ihm zu.

»Priester bleibe ich, mein süßes Täubchen, aber nicht im Sinne der katholischen Lehre. Nein, jetzt erst werde ich ein echter Priester, ein Diener Gottes nach dem Gebot seines Apostels, der auch diesem die liebende Gattin zur Gehilfin, zum Trost und zur Stütze gestattete. Denk dir ein schönes Pfarrhäuschen am Rhein, meine Helene, und wir darin die glücklichen Pfarrleutchen!«

»Und den Vater bei uns«, setzte Helene hinzu. »Ja, das wird schön sein, ganz wie ich es mir oft als Kind ausgemalt habe, ehe ich etwas von der Liebe wusste. Väterchen, höre nur! Du ziehst zu uns, deinen Kindern!«

»Ja«, antwortete dieser, das Schreiben niederlegend, »das klingt freilich schön, aber in aller Welt, Cranmer, hier steht der Befehl, dass Ihr unverzüglich zurückkehren sollt, weil der König Eures Rates dringend bedürfe!«

Bestürzt blickte Helene zum Geliebten auf und schlang dann ihre Arme um seinen Nacken. »Du gehst nicht fort, wir lassen dich nicht wieder los«, sagte sie zärtlich.

»Nein, mein Leben, ich werde dem König schreiben, dass ich für immer England verlasse und das Papsttum ebenfalls«, antwortete Cranmer, die schöne Stirn Helenes küssend.

»Hm«, sagte bedenklich Neander, »das ist hier indessen eine Ehrensache, Cranmer! Darüber müssen wir erst ernstlich reden.«

»Ihr werdet uns nicht trennen, Herr«, bat Cranmer ängstlich. »Bedenkt …«

»Dass ich mit einem Liebenden rede«, sagte Neander freundlich lächelnd. »Nun, ich sehe es, ja, wie es mit Euch beiden steht, und freue mich darüber. Habe es mir gedacht, es müsse noch so kommen. Wenn es Gottes Wille ist, dass ihr ein Paar werdet, so habt ihr meinen Segen dazu.«

Helene stürzte sich in die Arme ihres Vaters und küsste ihn zärtlich. Aber dennoch verblieb die Wolke auf seiner Stirn und eine düstere Vorahnung in seiner Brust.

Misstraute er Cranmers Entschluss? Nein, nicht seinem Entschluss, aber seiner Beharrlichkeit, seinem festen Widerstand gegen die Lockungen des englischen Königs, der dem pflichttreuen Mann mehr galt als sein Töchterchen.

»Geh du jetzt und besorge für uns den Nachtimbiss, Kind«, sagte er nach einer kleinen Weile. »Ich will indessen mit Cranmer über dieses Schreiben reden.«

Helene erhob sich und eilte hinaus.

»So, jetzt sind wir allein, lieber Cranmer«, fing Neander an. »Also wollt Ihr wirklich den katholischen Irrglauben abschwören und zur reformierten Lehre treten?«

»Dessen bin ich willens, Herr. Ihr wisst, schon lange kämpft der Entschluss in mir. Nicht von heute stammt die Überzeugung her, dass Eure Lehre von Gott ist.«

»Ich weiß es«, antwortete Neander ernst, »und freue mich darüber, denn nie würde ich mein Kind einem Mann anvertrauen, der um irdischer Liebe willen seinen Glauben wechselt. Aber ich bin in mir nicht einig über den Weg, den Ihr einschlagen müsst. Ist es dem König Ernst mit seiner Opposition gegen die teuflische Gewalt des Papstes, wie ich hoffe, und will er die Reformationslehre in England einführen, so bedarf er dazu treuer, aufgeklärter Männer, die ihm helfen und ihn unterstützen. Mir ist, als dürftet Ihr Eure Hand nicht von dem geistigen Pflug abziehen, der den verdorbenen Boden für einen reinen, unverfälschten Samen neu umackern soll für den Samen von Gottes heiliger Schrift.«

»Heinrich wird tüchtigere Leute finden, bessere Gelehrte, als ich bin«, sagte Cranmer.

»Es handelt sich zunächst nicht um Talent«, sagte Neander, »sondern um einen Mann, dessen ruhiger, gottesfürchtiger Einfluss den wilden englischen Eber zu lenken und seinen Sinn zu veredeln versteht. Ihr seid auf eine so wunderbare Weise zu ihm geführt worden und habt so schnell sein Herz gewonnen, dass ich glauben möchte, Gott selbst berief Euch zu dem hohen Posten.«

»Aber Helene, Vater! Ihr werdet nicht verlangen, dass ich sie den Wünschen Heinrichs aufopfere?«

»Nein, das folgt keineswegs daraus. Ihr könnt in England wirken und dennoch Helene besitzen. Führt Heinrich die Reformation durch, so hebt er natürlicherweise auch das Satansgesetz, das Zölibat der Priester auf.

»Wer bürgt uns dafür?«, fragte Cranmer.

»Heinrich ist gewalttätig. Nicht Frömmigkeit, sondern der Zorn gegen den Papst treibt ihn zum Widerstand.«

»Aber er ist ein weiser König daneben. Wenn Ihr sein Rat werdet, fällt es Euch nicht schwer, ihm zu beweisen, wie er durch die Ehe der Priester diese fest an sich und den Staat kettet, denn schon um Weib und Kinder willen ehrt der Geistliche die Gesetze des Staates, dessen Bürger er wird. Dann führt Ihr die Heilige Schrift in der Landessprache ein und errichtet Schulen. Das sind Mittel, vor denen die Nacht des Papsttums weichen muss wie der Nebel vor den Strahlen der Sonne. Unwissenheit ist die Mutter des Aberglaubens, das Bollwerk des Fanatismus. Begünstigt die Wissenschaften und das Lesen guter Bücher, so fällt das Gebäude langsam, aber sicher zusammen.«

»Ihr glaubt also …«, sagte Cranmer, offenbar über Neanders Rede bestürzt.

»Dass man seine eigenen Wünsche, seinen eigenen Willen dem des Herrn aufopfern soll«, war die Antwort. »Ich glaube, Eure Pflicht gegen den König und gegen das heilige Werk gebieten es, dass Ihr wenigstens auf kurze Zeit nach England zurückkehrt. Helene ist noch jung, und Eurem Wort vertrauend, wird sie willig einige Jahre auf die Verbindung mit Euch warten.«

»Nein«, rief Cranmer heftig aus, »ich scheide nicht von dem teuren Mädchen, ehe ich es fürs Leben an mich gebunden habe! Wer weiß, welche Versuchungen mir dort drohen, Vater, oder welche Leiden. Der Mensch ist schwach. Gebt meiner Seele den festen Halt, dass ich nicht mehr zurücktreten kann, ohne Euer Kind unglücklich zu machen!«

»Ich verstehe Euch nicht«, sagte Neander. »Die Reformation wird in England eingeführt, und dann darf auch ich frei meine Ehe bekennen«, sprach Cranmer. »Der Umstand, dass ich das Zölibat abgeworfen habe, schützt mich gegen jede Verlockung des Königs oder des Papstes, spornt mich zu neuem Eifer für das gute Werk. Lasst Helene meine Frau werden, ehrwürdiger Herr, ehe ich nach England zurückkehre.«

»Ohne die Erlaubnis des Königs, ohne ein öffentliches Bekenntnis? Das wäre doch gewagt!«

»Ich will es wagen!«, rief Cranmer. »Offen werde ich mit Helene vor den König hintreten und ihm sagen: Das ist mein liebes, holdes Weib, das ich mir aus deutschem Lande geholt habe.«

»Wenn Ihr auch dazu den Mut hättet«, sagte Neander, »so litte ich es nicht. Ehe Eure Stellung im Land gesichert und Euer Weg klar ist, gebe ich mein liebes Kind, mein Ein und mein Alles auf Erden, nicht weg. Ist Helene mit Euch einverstanden, Eure Gattin zu werden, mag es sein; aber nur im Stillen, vor der Welt noch im Geheimen. Geht Ihr dann nach England und redet mit dem König. Das Weitere wird dann bald zeigen, wie die Stellung der englischen Geistlichkeit sich gestaltet. Einstweilen bleibt Helene hier oder am Rhein unter meinem Schutz, bis Ihr sie mit Ehren auch vor der Welt Eure Gattin nennen könnt, wie sie es vor Gott sein wird. Für heute Abend jedoch schweigt Ihr darüber. Ich will selbst mit Lenchen ruhig reden und Euch Bescheid und Antwort geben.«

Hier trat Helene mit der Dienerin ein, welche die zubereitete, einfache Nachtmahlzeit hereintrug.

Es waren noch einige glückliche, selige Stunden, welche die drei Menschen miteinander feierten, von einer späteren Zukunft redend und scherzend. Die Wolke auf der Stirn der Männer verschwand in den sonnigen Bildern, die Helenes Fantasie ihnen entwarf.

Ich kann nicht glauben, dass es Gottes Wille sei, dass ich Helene verlasse, dachte Cranmer düster, indem er langsam und in Gedanken versunken seinen Weg durch die engen Gassen der alten Reichsstadt zu seiner Wohnung nahm.

»Mir ahnt nur Unheil und Kummer für uns beide durch diese Trennung. Ich misstraue den reformatorischen Plänen Heinrichs. Neander hat recht, wenn er Vorsicht anempfiehlt und sich weigert, Helene dem Zorn des Königs preiszugeben, der unfehlbar sie treffen wird, wenn dieser unsere Ehe entdeckte. Ja, sie muss hier in Sicherheit, unter dem Schutz ihres Vaters bleiben, bis ich meine Entlassung von Heinrich erlangt habe. Aber nur als meine Gattin verlasse ich sie! Die Sehnsucht nach ihr wird meinen Mut in dem schweren Kampf, der mir in England bevorsteht, aufrechterhalten. Aber muss ich denn nach England zurückkehren?«, fragte er sich abermals. »Warum muss ich, da es gegen meine Überzeugung ist? Ich gehe nicht aus freiem Willen, sondern weil Neander, der edle, weise Mann, es für Gottes Willen hält.«

»Gottes Wille!«, wiederholte sich der junge Mann gedankenvoll. Die Zukunft wird beweisen, ob Neander recht hat.«

Einige Tage später wurden Helene und Cranmer in aller Stille, nur von den nötigen Zeugen begleitet, von einem lutherischen Priester getraut. Darauf verabschiedete sich Cranmer vom Kaiser und reiste mit seiner Gattin und Neander an den Rhein, wo Letzterer seinen Wohnsitz besaß.

Mehrere Wochen verweilte hier der glückselige Gatte unter dem Namen eines protestantischen Edelmanns. Ungeachtet der wiederholten Ermahnungen Heinrichs vermochte er sich lange nicht aus den Armen der Liebe zu reißen. Endlich jedoch musste es sein, denn schon drückte Heinrichs letztes Schreiben Verdacht aus. Mit unsäglichem Schmerz küsste er das liebliche junge Weib und gelobte beim Abschied feierlich, dass die Trennung nicht lange währen solle.

»Sehe ich dich nicht wieder, so sterbe ich«, stammelte Helene, als sie halb bewusstlos in seinen Armen lag.

»Helene, Gott wird mich und dich beschützen«, sagte Cranmer. »Vertraue ihm, mein holdes Lieb, und bete für unser Glück.«

»Du wirst ihn wiedersehen, meine Tochter«, sprach Neander. Aber die Stimme des frommen Mannes klang nicht mehr so vertrauensvoll, so sicher wie bisher.

Zeuge der innigen Liebe des Ehepaares, ihres herben Schmerzes bei der von ihm herbeigeführten Trennung, war ihm selbst nun die Frage in der Seele aufgestiegen, die Cranmer oft an sich gestellt hatte: Ist es in Wahrheit Gottes Wille?

Sein Herz hatte ihm eine unklare Antwort erteilt.

Vielleicht habe ich mich dennoch getäuscht, dachte der redliche Mann. »Vielleicht sollte Helenes Liebe eben Cranmer von England entfernen? Wer weiß, ob er kräftig genug ist, den Verlockungen des Königs zu widerstehen, seinen Glauben unerschrocken zu verkündigen? Nun, es muss sich ja bald zeigen«, fügte er hinzu und eilte, die erschütterte Tochter, die verlassene siebenzehnjährige Gattin zu trösten.