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Die Gespenster – Zweiter Teil – Vierunddreißigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Vierunddreißigste Erzählung

Die Erscheinung des Großvaters

Als der noch lebende Bürgermeister zu Eger, Herr von L., zu Wien studierte, träumte ihm einst, dass er mit seinem Großvater, welcher zu Eger lebte, die Stephanskirche besuche. Als sie in die Mitte derselben kamen, ergriff der Großvater seines Enkels Hand und sprach: »Matthes ich sterbe! Gedenke meiner und lebe stets redlich und rechtschaffen!«

Nach diesen Worten versank er in den Boden der Kirche und L. erwachte. Froh, dass es nur ein Traum sei, denn er liebte den guten Großvater innig und kindisch, schlief er bald wieder ein und hatte des Traums schon ganz vergessen, als ihm einige Tage darauf der Briefträger einen schwarz gesiegelten Brief überreichte. Der Traum stand wieder lebhaft vor seiner Seele. Weinend brach er das Siegel und las im Brief, dass sein Großvater sanft und ruhig verschieden sei. Gedanken mancher Art beschäftigten nun des edlen Jünglings Seele. Er eilte, um den wahrscheinlichen Wink des bestätigten Traumes zu erfüllen, zu der Stephanskirche und betete zum Heil seines Großvaters. Einige Monde vergingen, ehe er sich wieder zu fassen und Anteil an jugendlichen Freuden zu nehmen vermochte. Immer gedachte er des Verstorbenen, war ängstlich und traurig und betete für seine Seele, wenn alle seine Freunde lustig und fröhlich waren.

Doch nach und nach siegten auch bei ihm Vernunft und jugendliche Vergessenheit. Er besuchte wieder muntere Gesellschaften und wollte eben nach Tisch zu einer derselben eilen, als seine Speisewirtin ins Zimmer trat und ihm meldete, dass ein fremder Herr, der allein mit ihm zu sprechen wünsche, im Vorhaus seiner harre. Er öffnete schnell die Tür und taumelte noch schneller zurück.

»Mein verstorbener Großvater ist draußen«, sagte er zu seiner Wirtin, die sich zu bekreuzigen und zu segnen anfing. »Er will allein mit mir sprechen«, fuhr er fort. »Ich muss seinem Befehl Genüge leisten!«

Nun nahm er standhaft den Schlüssel zu seiner Zimmertür und bat, wiewohl zitternd, seines Großvaters Geist, dass er ihm dahin folgen möge. Der Weg ging durch einen langen etwas dunklen Gang. Oft wollte L., den sein schneller Vorsatz zu gereuen anfing, umkehren, aber der Gang war schmal und zwischen der Wand und dem nachfolgenden Geiste kein Raum zur Flucht. Das Zimmer war nun geöffnet. Der Geist stand, stillschweigend auf seinen Stock gestützt, in der Mitte desselben. L. hatte Muße genug, die seltene Erscheinung näher zu untersuchen. So sehr er sich auch nun bemühte, seine Sinne zu sammeln und seine Vernunft zu Hilfe zu rufen, so überzeugten ihn doch beide immer mehr und mehr, dass die Erscheinung kein Trug, sondern Wirklichkeit und der vor ihm Stehende ganz gewiss sein verstorbener Großvater sei. Er erkannte solchen nicht allein im Gesicht, sondern vorzüglich auch in der Kleidung. Er hatte sein Lieblingskleid, einen braunen Rock mit hohen silbernen Knöpfen, an, und trug sogar das Spanische Rohr in der Hand, dessen silberner Knopf einen Mohren bildete, den L. als Knabe sich so oft borgte und womit er zu großer Freude des Alten im Zimmer herumgaloppierte. Die immer höher wachsende Gewissheit mehrte L.s Erstaunen in gleichem Grade. Er würde es lange noch nicht gewagt haben, den Geist anzureden, wenn dieser nicht das Stillschweigen selbst unterbrochen hätte.

Der Fremde: »Matthes, kennst du mich nicht?«

L.: (welcher nun auch in der Stimme seinen Großvater erkannte) »O ja; ich habe sie gleich erkannt! Kenne Sie sehr gut! Was befehlen Sie, das ich zu Ihrem Heil verrichten soll?«

Der Fremde: »Kennst du mich wirklich?«

L.: »Ja! Sie sind mein verstorbener Großvater. Sie sind sein Geist!«

Der Fremde: (lächelnd) »Ich bin keines von beiden, aber dir doch fast ebenso nahe verwandt. Ich bin deines Großvaters leiblicher Bruder, ihm im Gang, in der Sprache und im Gesicht von jeher so ähnlich, dass selbst deine übrigen Freunde zu Eger darüber erschraken, als ich dort ankam. Alle baten mich, dass ich auf meiner hiesigen Durchreise dich besuchen möchte, und freuten sich schon im Voraus auf den Eindruck, den mein Besuch bei dir verursachen würde. Ich hätte noch länger geschwiegen, wenn deine Angst und die Bleiche deiner Gesichtsfarbe mir nicht deutlich verraten hätten, dass du wirklich in mir deines Großvaters Geist zu sehen glaubtest.«

L.: »Aber diese Kleidung? Dieser Stock? Nie hörte ich, dass mein Großvater noch einen lebenden Bruder habe.«

Der Fremde: »Leicht möglich, aber doch bin ich es!« Jeden deiner Zweifel wird hier der Brief lösen, den ich dir von deinem Vater mitbringe. Lies ihn, ich will indessen von dem mir so ungewöhnlichen Treppensteigen ausruhen.«

L. las nun in seines Vaters Brief, dass der Überbringer desselben wirklich ein Bruder seines Großvaters sei, der bisher immer in Schlesien gelebt habe und wahrscheinlich nie nach Eger gekommen sein würde, wenn nicht eine reiche Erbschaft, welche in Ungarn seiner Frau zugefallen war, eine Reise dahin notwendig gemacht hätte.

Er nahm seinen Weg über Eger, um einen so lange nicht gesehenen Bruder zu umarmen und fand ihn tot. Die so auffallende Ähnlichkeit mit diesem gab schon zu Eger oft Stoff zur Unterhaltung. Da er einst zur Vermehrung derselben das Kleid seines verstorbenen Bruders anzog, so war unter den vielen, die ihn sahen, nicht einer, der nicht dreist behauptet hätte, dass er, auf diese Art gekleidet, der Verstorbene selbst sei. Dieser Umstand war die Ursache, dass er sich Kleid, Perücke und Stock zum Andenken von den Erben seines Bruders erbat und in diesem Anzug den jungen L. zu Wien auf seiner Durchreise zu besuchen beschloss.