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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Dreißigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Dreißigste Erzählung

Das vielköpfige Gespenst zu Jena

Ein Gespenst, das entweder gar keinen oder ihn doch wenigstens unter dem Arm trägt, anstatt ihn über dem Rumpf zu tragen, ist so wenig etwas Seltenes als ein Gespensterseher ohne Kopf. Schon eher verdient ein Gespenst mit vielen Köpfen zu den Seltenheiten in der Geisterwelt gezählt zu werden. Von dem wirklichen Dasein vielköpfiger Geister aber mag uns folgende Tatsache überzeugen:

Als der bereits verstorbene Prediger zu Lübben, Herr Delius, ungefähr um das Jahr 1734 zu Jena studierte, erweckte ihn einst des Nachts plötzlich ein furchtbares Getöse aus dem ersten Schlaf. Es war ihm, als ob vom schaudervollen Rasseln die Fenster, seine Bettstätte und das ganze Zimmer erbebten. Ungeachtet der mehr als mitternächtlichen Finsternis, welche in der stürmischsten aller Nächte draußen herrschte, sah er plötzlich sein ganzes Zimmer gleichsam in Flammen. Während dieser unerwarteten Erleuchtung, welcher viele den übernatürlichen Ursprung auf den ersten Blick angesehen haben würden, erblickte er vor seinem Bett ein vielköpfiges Ungeheuer, von dessen drohender Miene er alles zu fürchten zu haben schien. Diese Schreckensgestalt mit ihren scheußlichen Anhängseln erblicken, den am Bett hängenden Degen ergreifen und auf das Ungetüm einhauen, war bei dem mutvollen und raschen Studenten eins. Wirklich fühlte er auch bald, dass seine Hiebe nicht fruchtlos einen Schatten durchschnitten, sondern auf etwas Hartes fielen. Allein indem er den einen Kopf des Ungeheuers gespalten zu haben glaubte, grinsten ihm die anderen nur desto scheußlicher an. Er zerfetzte mit Kreuz- und Querhieben bald dem einen, bald dem anderen das Angesicht. Plötzlich verschwand nun das unbegreifliche, wandernde Licht, welches sein Zimmer gleichsam durchflog, aber das damit verbundene furchtbare Rasseln hörte noch nicht auf. Alles war nun wieder stockfinster um ihn her. Er trat einen Schritt vom Kampfplatz zurück. Um sich indessen den Geist vom Leib zu halten, fuhr er mit seinen Kreuzhieben vor und neben sich fort, bis endlich auf sein anhaltendes Rufen einer seiner Hausburschen, der noch bei den Büchern saß, mit Licht herbeieilte.

Wie sehr erstaunten beide, als sie statt des vielköpfigen Ungeheuers einen vierarmigen Perückenstock mit zerfetzten Kleidungsstücken vor sich stehen sahen.

Durch einen bloßen Zufall war er durch die Aufwärterin des Abends, als der Student schon schlief, von seinem gewöhnlichen Platz weggenommen und, Herrn Delius unbewusst, dahin gesetzt worden, wo er diesem beim Erwachen zuerst ins Auge fallen musste. Ein zweiter Zufall hatte dafür gesorgt, dass die auf dem Perückenstock gehängten Kleidungsstücke in einer zweideutigen Erleuchtung, zumal für einen noch halb Schlaftrunkenen, eine furchtbare Schreckensgestalt bildeten. Übrigens hatte das nächtliche Rollen einer vorbeifahrenden Kutsche den Schlafenden geweckt, so wie die erhellte Stube eine Folge der Fackeln war, welche dem Kutscher den Weg erleuchteten. Das Licht musste plötzlich verschwunden, als die Kutsche um eine Ecke bog. Glücklicherweise war dieser Umstand dem noch nicht zu Bett gegangenen Hausburschen, der Herrn Delius zu Hilfe eilte, nicht entgangen.