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Die Gespenster – Zweiter Teil -Siebenundzwanzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Siebenundzwanzigste Erzählung

Der blutdürstige Hausgeist zu Teltow

Um das Jahr 1775 hauste zu Teltow, einem Flecken bei Berlin, ein Gespenst von ganz eigener Natur. Es ließ sich nie sehen, polterte aber desto mehr. Seine größte Wonne schien es im Würgen unschuldiger Täubchen und im Verzehren gebackener Pflaumen zu finden. Einst wollte ein Teltowscher Ackerbürger, der aus Liebhaberei eine Sammlung überaus schöner Tauben hatte, diese füttern. Dieses Mal pfiff und lockte er indessen vergebens. Sie, die sonst auf den ersten Wink herbeieilten, weil sie den Ruf ihres Freundes und Ernährers kannten, blieben ganz aus. Beim Hinaufblicken zum Taubenschlag bemerkte er zu seiner nicht geringen Verwunderung, dass der Schieber, den er in eigener Person sonst täglich zu verschließen pflegte, bereits zu war. Er zog mittelst einer Leine die Falltür auf, um die Eingeschlossenen aus der Gefangenschaft zu befreien. Allein, o Wunder! Es kam auch nun keines seiner lieben Täubchen zum Vorschein. Ängstlich um sie besorgt, eilte er auf den Taubenboden, um zu untersuchen, was da vorgegangen sei, und fand zu seinem größten Leidwesen, dass mit seinem ganzen Taubenvorrat eine der schönsten Freuden seines Lebens getötet war. Allein nicht die gewöhnlichen Würgengel dieser Ölzweigträger – Iltisse und Marder – sondern ein Hausgespenst hatte sie ermordet. Das Blut war ihnen nicht ausgesogen, aber das Genick war ihnen umgedreht. Auch fand man im ganzen Taubenschlag kein Loch, durch welches Iltisse und Marder hätten eindringen können. Da übrigens der Eingang zur Taubenkammer immerfort fest verschlossen war und der Schlüssel fast nicht aus des Hausvaters Händen kam, so fiel natürlich der Verdacht auf den Kobold, der diese schwarze Tat verübt und im Verborgenen sein mordsüchtiges Wesen getrieben haben möchte. Dieser Gedanke schien dem betrübten Hausherrn um so natürlicher, da doch ein mordsüchtiger boshafter Mensch unmöglich durch das Schlüsselloch in den Taubenschlag eingedrungen sein konnte.

Übrigens rechtfertigten auch die Ereignisse der nächstfolgenden Tage und Nächte, diesen Verdacht auf einen Hauskobold vollkommen, denn der Nachbar, ein Bäcker, hatte das Unglück, von der Zeit jenes Taubenmordes an, auf seinem Dachboden ebenfalls sehr beunruhigt zu werden. Zwar gab es da keine Tauben zu würgen, aber doch gebackene Pflaumen. Der Hausgeist war, wie schon bemerkt, ein Liebhaber von beiden, so verschiedenartig die Beschäftigungen auch sein mögen.

Das Toben im Haus des Bäckers nahm ganzer acht Tage lang vom Morgen bis an den Abend und von diesem wieder bis zum neuen Morgen kein Ende. Indem die Hausgenossen am Tage ihren Geschäften nachgingen, setzte allerlei unbegreifliches Geräusch um sie her sie in die größte Angst. Wer des Nachts, von der Last des Tages ermüdet, im Schlaf Erquickung suchte, der wurde, kaum eingeschlafen, durch das heftige Poltern eines unsichtbaren Wesens wieder aufgeschreckt. Besonders spielte der Geist dem Gesinde und der Hausfrau übel mit. Niemand von ihnen wagte es ferner, des Abends ohne Licht im Haus irgendwo hinzugehen. Selbst am hellen Tag sah man sich bei jedem Schritt vorwärts, schüchtern um. Knechte und Mägde wollten sogar mitten in der Dienstzeit ihre Herrschaft verlassen. Der Meister tat, als glaube er nicht an das Gespenst. Indessen war er nur zu sehr überzeugt, dass ein unbekannter böser Geist die Ruhe seines Hauses störe. Schien er des Kobolds nicht zu achten, so war es doch nur, weil er sich nicht auf die Entdeckung, nicht auf das Wegbannen desselben verstand. Selbst die Hausfrau wollte nicht länger mit dem Gespenst unter einem Dach wohnen. Mithin waren also dem Gesinde die Drohungen, plötzlich aus dem Dienst zu gehen, wohl zu verzeihen.

Nach Verlauf von acht unruhvollen Tagen und Nächten hatte der Meister ein Geschäft auf dem Dachboden, wo des Gepolters vorzüglich viel war. Einer der alten verbrauchten Backtröge sollte durch einen neuen, der oben vorrätig lag, ausgetauscht werden. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er, zu seiner nicht geringen Verwunderung, eine unzählige Menge Pflaumenkerne, die auf dem ganzen Boden umher gestreut lagen. Auch fand er eine hier aufbewahrte Salztonne, die mit gebackenen Pflaumen angefüllt gewesen war, halb ausgeleert. »Also ein Gespenst, das gern Obst isst«, brummte er verdrießlich in den Bart und schüttelte bedenklich den Kopf dazu. Indem hob er den platt auf der Fußdecke liegenden, neuen Backtrog in die Höhe. Und siehe! Der Hausgeist, so lang und dick er war, lag darunter und grinste ihn mit offenem Maul an.

Der Bäcker erkannte auf der Stelle das verlorene Martinchen, des Nachbars ungeratenes, höchst verzogenes Muttersöhnchen, den boshaften Taubenwürger, den Pflaumenfresser, das achttägige Gespenst!

Der Bube hatte eine derbe Züchtigung vom Vater bekommen; ich glaube, weil er seinem Lehrherrn aus dem Dienst gelaufen und wieder zu dem hätschelnden Mütterchen gekommen war. Dafür drohte er in die weite Welt zu gehen und hielt auch wirklich Wort. Die Mutter wimmerte, aber der Vater dachte, wer zum Brot gewöhnt ist, wird wohl wiederkommen, wenn ihn hungert. Um diese Zeit fiel der Taubenmord vor, den er mithilfe des unvermerkt entwandten Schlüssels zum Taubenschlag ins Werk zu richten gewusst hatte. Dann schlich er von hinten dem benachbarten Bäckermeister wieder ins Haus, spukte dort fort und fraß ihm die Pflaumen.