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Die Büffeljäger am Lagerfeuer – Kapitel 4

Thomas Mayne Reid
Die Büffeljäger am Lagerfeuer
Reisebilder und Naturschilderungen aus dem Westen
Verlag Schmidt & Spring. Stuttgart.1858

Viertes Kapitel

Die Wandertauben

Am anderen Morgen nach dem Frühstück zündeten wir unsere Pfeifen und Zigarren an und machten uns auf den Weg. Die Sonne schien hell. Schon zwei Stunden nach dem Aufbruch wurden wir von einer fast tropischen Hitze belästigt. Es war einer jener Herbsttage, welche Amerika eigentümlich sind, wo selbst ein hoher Breitengrad keinen Schutz gegen die Glut der Sonne zu gewähren scheint. Unser Weg führte durch ein offenes Gehölz von schwarzen Steineichen, deren verkrüppelter Wuchs keinen Schatten gewährte, sondern nur den Wind hinderte, uns mit sanfter Kühlung zu erfreuen. Indem wir über einen seichten Fluss setzten, überfiel das dürre, schlecht gelaunte Pferd des Doktors plötzlich eine unbändige Wut zum Ausschlagen. Eine Zeit lang schien es wahrscheinlich, dass entweder der Doktor selbst oder seine Satteltaschen auf den Grund des Wassers abgesetzt werden würden. Aber nach einer derben Züchtigung mit Peitschenhieben und Fußstößen vonseiten des Reiters bewegte sich das Tier wieder vorwärts. Bei der Untersuchung nach der Ursache dieses Vorfalls vernahmen wir das Summen einer Bremse dicht vor unseren Ohren, und dies erklärte sofort alles. Diese großen Pferdefliegen, welche der Mississippigegend eigentümlich sind und sich häufig an fließenden Wassern finden, sind den Pferden gefährlicher als ein wütender Hund. Ich habe Pferde vor ihnen davon galoppieren sehen, als ob sie von einem Raubtier verfolgt würden.

Bald nach diesem Vorfall gelangten wir in die Niederung eines ansehnlichen Flusses. Sie war dicht bewaldet, und der Schatten der großen Bäume gewährte uns angenehmen Schutz gegen die Sonne. Unsere Führer teilten mit, dass noch mehrere Meilen solcher Waldung vor uns lägen. Wir freuten uns über die Nachricht. Wir bemerkten, dass die Mehrzahl der Bäume aus Buchen bestand, deren glatte, gerade Stämme sich wie Säulen um uns erhoben.

Die Buche ist eine der schönsten amerikanischen Waldbäume. Ganz anders, als fast alle übrigen, ist ihre Rinde glatt, ohne Risse und mit silbernen Flecken überstreut. Große Buchen, welche an der Straße oder an einem Kreuzweg stehen, sieht man häufig mit Namen, Anfangsbuchstaben und anderen Zeichen bedeckt. Selbst der Indianer bemüht nicht selten die Rinde einer Buche, um seine Freunde von seiner Anwesenheit zu benachrichtigen oder eine blutige Heldentat zu verewigen. Der schöne, säulenartige Stamm scheint auch wirklich das Messer einzuladen, und der verweilende Reisende gräbt gern manches Andenken darauf ein. Die Art des Ansiedlers dagegen meidet ihn. Die Buchenwälder bleiben oftmals unberührt, während alles andere in ihrem Umkreis fallen muss. Der Grund davon ist, dass die Buche selten ein Anzeichen von fruchtbarem Boden zu sein pflegt. Mehr noch ist es die Tatsache, dass die Klärung eines Ackers Buchenwald keineswegs eine leichte Sache ist. Die grünen Stämme brennen nicht so gut wie die Stämme der Eiche, der Ulme, des Ahorns oder der Pappel. Man muss sie deshalb vom zu klärenden Boden wegrollen, eine sehr gewichtige Tatsache, wenn man berücksichtigt, dass Hände zur Arbeit im fernen Westen selten und teuer sind.

Wir ritten schweigend dahin, als wir plötzlich durch ein sonderbares Geräusch aufmerksam gemacht wurden. Es glich dem Klatschen von Tausenden von Händen, welchem dann ein pfeifender Laut folgte, als ob ein jäher Wind durch die Bäume einhersauste. Wir wussten alle recht gut, was dies zu bedeuten hatte. Dem gleichzeitigen Ruf Tauben! Tauben! folgte auch das gleichzeitige Krachen von einem halben Dutzend Flinten, worauf mehrere bläuliche Vögel aus der Luft zu Boden stürzten. Das gute Glück hatte uns auf einen Rastplatz der Wandertaube geführt.

Wir dachten für den Augenblick natürlich nicht daran, unsere Reise fortzusetzen, sondern befanden uns nach wenigen Minuten mitten im Schwarm und schossen mit Schrot und Büchsenkugeln tapfer darunter. Doch war es nicht ganz leicht, sie in beträchtlicher Anzahl herunterzubringen. Bei ihrer Verfolgung entfernten wir uns voneinander, bis die Gesellschaft völlig zerstreut war. Fast zwei Stunden verflossen, ehe wir wieder auf unsere Straße zurückkamen.

Unsere Jagdtaschen gewährten übrigens einen schönen Anblick. Gegen vierzig Paar Tauben wurden auf den Wagen geladen. In der Erwartung eines vortrefflichen Abendessens ritten wir vergnügt unserem Nachtlager zu. Die ganze Straße entlang fanden wir noch Tauben. Manchmal flatterten große Schwärme derselben über unsere Köpfe zwischen den Wipfeln der Bäume dahin. Da unsere Jagdlust befriedigt war und wir unsere Munition nicht verschwenden wollten, so beachteten wir sie weiter nicht.

Um Lanty hinreichende Zeit zum Kochen und Braten zu geben, machten wir etwas zeitiger als gewöhnlich Halt. Unsere Tagesreise war kurz gewesen, aber die Aufregung und das Vergnügen der Taubenjagd hatten uns genügend dafür entschädigt. Unser Essen bestand aus einer köstlichen Topfpastete, dessen hauptsächliche Bestandteile die Tauben, etwas weicher Mehlteig und einige Schnitte Speck als Würze bildeten. Die Pastete war wirklich ausgezeichnet, und da sich unser aller Appetit in gleich vortrefflichem Zustand befand, so wurde sie beinahe rein aufgegessen.

An diesem Abend lieferten natürlich die wilden Tauben Amerikas den Stoff zum Gespräch ab, und Herr Audubon namentlich erzählte uns Folgendes von ihnen.

Die Wandertaube ist von kleinerer Gestalt als die zahme Taube. In der Luft sieht sie einem kleinen Falken nicht unähnlich, wenn man sich den gabelförmigen, oder Schwalbenschwanz, hinwegdenkt; der Schwanz der Wandertaube ist keilförmig. Ihre Farbe wird am besten als ein fast einförmiges Schiefergrau bezeichnet. Beim Männchen sind die Farben tiefer, und die Halsfedern zeigen denselben wechselnden Anflug von Grün, Gold und Purpur, welchen man gewöhnlich bei den Vögeln dieser Gattung sieht. Nur in den Wäldern und gleich nach dem Einfangen oder der Tötung kann man diese glänzenden Farben in ihrer Vollkommenheit beobachten. Sie verbleichen in der Gefangenschaft und unmittelbar nachdem der Vogel geschossen worden ist. Tatsächlich sind sie an sein Leben und seine Freiheit gebunden und verschwinden, wenn er des einen oder der anderen beraubt wird. Ich habe oft die frischgetötete wilde Taube, die wie ein Opal glänzte, in meine Jagdtasche gesteckt; wenn ich sie dann ein paar Stunden später wieder herausnahm, zeigte sie eine matte Bleifarbe und sah dem lebenden Vogel kaum noch ähnlich.

Das Weibchen ist, wie bei allen Vögeln dieser Art, dem Männchen sowohl an Größe als auch an Schönheit des Gefieders untergeordnet. Auch das Auge ist weniger lebhaft. Beim Männchen glänzt es im feurigsten, brennendsten Orange und ist von einem scharfgezeichneten roten Kreis umschlossen. Das Auge ist jedenfalls die größte Schönheit des Taubers, und ermangelt nie, die Bewunderung des Beschauers zu erregen. Das Eigentümlichste in der Naturgeschichte der Wandertaube ist vor allem ihre zahllose Menge. Man hat einen Zug beobachtet, der nach billiger Abschätzung eine Billion einhundertundsechzehn Millionen Vögel enthielt! Wilson zählte oder berechnete vielmehr einen anderen Zug aus zweitausend zweihundertunddreißig Millionen! Diese Zahlen scheinen unglaublich, und doch ist an deren Richtigkeit nicht zu zweifeln. Vielmehr glaube ich, dass bei der Zählung die wirklich gesehene Anzahl eher unterschätzt als übertrieben worden ist.

Woher kommen diese zahllosen Züge?

Die wilden Tauben brüten in allen Gegenden Amerikas. Ihre Brutplätze finden sich im Norden bis an die Hudson-Bay, und auch in den südlichen Wäldern von Louisiana und Texas sind ihre Nester gesehen worden, Sie bauen dieselben meist auf hohe Bäume, so dass sie ungeheuren Krähen-Horsten gleichen. Einer ihrer Brutplätze in Kentucky war vierzig Meilen lang und mehrere Meilen breit! Es fanden sich oft hundert Nester auf einem einzigen Baum und in jedem Nest brütet ein einzelnes Paar. Die Eier sind, wie bei der gewöhnlichen Taube, von reinem Weiß, und auch die wilde Taube brütet, wie jene, mehrere Male des Jahres, besonders wenn das Futter recht reichlich vorhanden ist. Die Schwärme lassen sich manchmal jahrelang an großen Brutplätzen nieder, zu denen sie jeden Abend von ihren, vielleicht Hunderte von Meilen ausgedehnten Ausflügen zurückkehren. Diese angegebene Entfernung ist nur ein kurzer Flug für Vögel, die in einer einzigen Minute eine englische Meile zurücklegen können, und von denen einige sogar sich über das atlantische Meer nach England verirrt haben! Sie bleiben jedoch, wie ich selbst beobachtet habe, tagelang in den nämlichen Wäldern, wo sie Nahrung finden. Auch habe ich bemerkt, dass manche es vorziehen, im niedrigen Gebüsch zu nisten, selbst wenn hohe Bäume dicht danebenstehen. Wenn sich der Brutplatz in der Nähe des Wassers oder am Abhang eines Flusses befindet, so gefällt er ihnen noch besser, und man kann jeden Morgen sehen, wie sich am Ufer Tausende zum Trinken versammeln, bevor sie ihrer täglichen Nahrung nachgehen.

Die großen Ansiedlungen und Brutplätze sind beliebte Aufenthaltsorte für zahlreiche Raubvögel. Die kleinen Geier oder, wie sie im Westen genannt werden, die Aasgeier und Aaskrähen, beschränken sich nicht allein auf Aas, sondern lieben auch die lebendigen Jungen der Tauben, welche sie nach Belieben aus den Nestern rauben. Zahlreiche Falken und Weihen stellen ihnen nach, und nicht selten sieht man sogar den großen weißköpfigen Adler über ihnen kreisen und von Zeit zu Zeit auf einen leckeren Bissen herabstoßen. Auf der Erde unter ihnen tummeln sich Feinde anderer Art, sowohl Zwei- als auch Vierfüßler umher: Jäger mit Flinten und langen Stangen, Farmer mit Wagen, um die toten Vögel fortzufahren, und selbst Herden von Schweinen, die sie zu Tausenden verzehren. Bäume fallen unter der Art, große Zweige brechen unter der Last der Vögel zusammen und töten bei ihrem Sturz oft eine große Zahl von ihnen. Des Nachts wendet man Fackeln an, wenn die Vögel vom Aufsuchen der Nahrung zurückkehren, und stellt Töpfe mit brennendem Schwefel und andere Werkzeuge der Zerstörung hin. Immer ist es ein geräuschvolles Schauspiel. Das Klatschen von Millionen von Flügelpaaren, ähnlich dem Brüllen des Donners, die Schüsse und das Geschrei, der heisere Zuruf der Männer, das lustige Kreischen der Frauen und Kinder, das Bellen der Hunde, das Wiehern der Pferde, das Krachen brechender Äste und der Schall der Hinterwäldlerart mischen sich zu einem wunderbaren Konzert.

Wenn sich die Menschen endlich, müde des Schlachtens, von den Grenzen der Brutplätze zurückgezogen haben, um die Nachtruhe zu suchen, dann wird ihre Stelle vom schleichenden Wolf, vom Fuchs, vom Waschbären und Kuguar, vom Luchs und dem großen schwarzen Bären eingenommen.

Man sollte glauben, dass die Wandertauben bei so zahllosen Feinden bald gänzlich ausgerottet werden müssten, aber dies ist nicht der Fall. Ihre Fruchtbarkeit ist so groß, dass sie ohne diese Feinde aus Mangel an Nahrung umkommen müssten. Man stelle sich nur vor, was zu ihrer täglichen Erhaltung erforderlich ist. Allein der von Wilson beobachtete Zug würde jeden Tag an achtzehn Millionen Scheffel Getreide gebraucht haben, und dabei war er vermutlich nur einer von vielen anderen Zügen, die zu derselben Zeit das große amerikanische Festland durchzogen.

Die wilden Tauben ernähren sich vorzüglich von den Früchten des großen Waldes, von Eicheln, Bucheckern, Buchweizen und Mais, und von mancherlei Arten Beeren, wie Heidelbeeren, Preiselbeeren und den Früchten der Stechpalme. In den nördlichen Gegenden, wo diese selten sind, machen die Beeren des Wachholders ihre hauptsächliche Nahrung aus. In den südlichen Pflanzungen dagegen verschlingen sie gierig den Reis sowie die Früchte der zahmen Kastanie und verschiedener Eichenarten. Ihre vorzüglichste Nahrung bleibt jedoch immer die Buchecker oder sogenannte Mast. Diese lieben die Tauben ganz besonders, und glücklicherweise ist sie stets in großer Menge vorhanden. In den Wäldern des westlichen Amerikas findet man große Strecken Landes fast nur mit Buchen bedeckt.

Diese Buchenwälder Amerikas bleiben, wie bereits erwähnt, fast ganz unberührt. Solange sie ihre Millionen Scheffel Mast herabschütteln, solange werden auch die Wandertauben in zahllosen Mengen zwischen ihren Zweigen umherflattern. Die Wanderungen der Tauben finden halbjährlich statt, doch sind sie keineswegs so regelmäßig, wie die Wanderungen anderer Zugvögel. Ihr Flug ist tatsächlich weniger ein regelmäßiger Wechsel des Wohnsitzes, als vielmehr eine Art von Nomadenleben, da es allein die Nahrung ist, welche ihre Bewegungen bestimmt und ihre Richtung ihnen vorschreibt. Mangel an einer Stelle treibt sie zu einer anderen. Wenn in den nördlichen Gegenden mehr Schnee fällt als gewöhnlich, so erscheinen ungeheure Züge in den mittleren Staaten, zum Beispiel in Ohio und Kentucky, und dies kann einigermaßen die überfüllten Horste erklären, welche man zuweilen gesehen hat, ohne dass sie darum gewöhnlich wären. Man kann vielmehr Jahre lang im Westen leben, ohne nur ein einziges Schauspiel, wie das von Wilson und anderen beschriebene zu erblicken, obwohl man ein- bis zweimal in jedem Jahr Tauben genug sehen kann, um durch ihre Anzahl in Verwunderung gesetzt zu werden.

Es ist ein Irrtum, dass die wilden Tauben in Amerika so zahm wären, wie sie manchmal beschrieben worden waren. Diese sogenannte Zahmheit findet man bei ihnen nur an den Brutplätzen, solange sie noch jung sind, oder in den großen Horsten, wenn sie durch das Gedränge verwirrt und durch Fackelschein geblendet werden.

Bei der Wanderung durch lichtes Gehölz, wo sie Nahrung suchen, zeigen sie sich von einer ganz anderen Seite. Es ist dann ebenso schwierig, sich ihnen zu nähern, wie sie zu töten. Einzelne Vögel kann man dann wohl leicht erreichen. Man sieht sie überall auf den Zweigen und in Schussweite sitzen, aber die große Masse des Zuges hält sich stets in einer Entfernung von ein- bis zweihundert Schritten. Der Jäger kann sich nur selten überwinden, auf einzelne Vögel zu schießen. Nein. Er sieht einen Baum ganz nahe vor sich, der von Tauben buchstäblich ganz schwarz ist und dessen Zweige unter der Last krachen. Welche schöne Ernte wird er halten, wenn er nur nahe genug herankommen kann. Aber hier liegt eben die Schwierigkeit. Es ist keine Deckung vorhanden, er muss ohne dieselbe heranschleichen, so gut er kann. Er windet sich wie eine Schlange. Die Vögel sitzen ganz still, beobachten aber alle seine Bewegungen. Er tritt leise, mit größter Vorsicht auf und verwünscht in seinem Innern die dürren Blätter und Reiser, die unter seinen Füßen laut rascheln. Da auf einmal scheinen die Vögel unruhig zu werden, einige machen einen langen Hals, andere sehen aus, als ob sie davonfliegen wollten.

Endlich glaubt unser Jäger, in richtiger Entfernung angekommen zu sein und erhebt die Flinte, um zu zielen, aber dies ist auch das Zeichen der Flucht für das scheue Wild. Ehe er noch den Drücker berühren kann, sind sie bereits rauschend auf und zu einem anderen Baum geflogen! Nur einige Nachzügler bleiben zurück. Auf diese richtet er nun sein Gewehr und feuert. Aber der Schuss wird nur aufs Geratewohl getan, denn der Jäger, dem es nicht gelungen ist, dem Flug beizukommen, ist in der Regel aufgeregt und ärgerlich. In den meisten von diesen Fällen fliegen die Tauben mit dem Verlust von nur einigen Federn davon.

Die Flinte wird wieder geladen, und da unser Jagdliebhaber den dichten Flug auf einem anderen Baum erblickt, so versucht er von Neuem, sich demselben zu nähern, aber mit gleichem Erfolg. Die Tauben äffen ihn, bis er verdrießlich die Nachstellung aufgibt.