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Die drei Musketiere 13

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
1. bis 3. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

XIII.

Monsieur Bonacieux

Bei dieser ganzen Geschichte spielte eine Person mit, um die man sich, trotz ihrer bedenklichen Lage, nur wenig zu beunruhigen schien. Diese Person war Monsieur Bonacieux, der ehrenwerte Märtyrer politischer und verliebter Intrigen, die sich in dieser zugleich so ritterlichen und so galanten Epoche so gut miteinander vermengten.

Zum Glück erinnert sich der Leser, oder er erinnert sich auch nicht, dass wir ihn nicht aus dem Blick zu lassen versprochen haben.

Die Schergen, welche ihn verhaftet hatten, führten ihn geraden Wegs zur Bastille, wo man ihn ganz zitternd an einem Zug Soldaten, welche ihre Musketen luden, vorübergehen ließ. Von hier in eine halb unterirdische Galerie gebracht, wurde er vonseiten derjenigen, welche ihn verhaftet hatten, der Gegenstand der gröbsten Beleidigungen, der größten Misshandlungen. Die Sbirren sahen, dass sie es mit keinem Edelmann zu tun hatten, und behandelten ihn als einen armen Schlucker.

Nach Verlauf einer halben Stunde machte ein Gerichtsschreiber seinen Qualen, aber nicht seiner Unruhe ein Ende, indem er befahl, Monsieur Bonacieux ins Verhörzimmer zu bringen. Gewöhnlich befragte man die Gefangenen in ihrem Zimmer, aber mit Monsieur Bonacieux machte man nicht so viel Umstände.

Zwei Garden ergriffen den Krämer, ließen ihn durch einen Hof schreiten, sodann in eine Flur eintreten, wo drei Schildwachen standen, öffneten eine Tür und stießen ihn in eine niedrige Stube, in der das ganze Gerät aus einem Tisch, einem Stuhl und einem Kommissar bestand. Der Kommissar saß auf dem Stuhl und schrieb auf dem Tisch. Die zwei Garden führten den Gefangenen vor den Tisch und entfernten sich auf ein Zeichen des Kommissars aus dem Bereich seiner Stimme. Der Kommissar, welcher bis dahin seinen Kopf gesenkt gehalten hatte, erhob ihn nun, um zu sehen, mit wem er es zu tun hätte. Dieser Kommissar war ein Mann von widerlicher Miene, mit spitzer Nase, gelben, hervorstehenden Backenknochen, kleinen, aber forschenden und lebhaften Augen, ein Mann, dessen Physiognomie eine Mischung von Marder und Fuchs zu sein schien. Sein von einem langen Hals getragenes Haupt trat, sich wiegend, aus seinem schwarzen Gewand beinahe mit derselben Bewegung hervor, die man bei der Schildkröte wahrnimmt, wenn sie den Kopf aus ihrem Panzer herausstreckt.

Er fing damit an, dass er Monsieur Bonacieux nach Namen und Vornamen, Alter und Domizil fragte. Der Angeklagte antwortete, er heiße Jacques Michel Bonacieux, sei einundfünfzig Jahre alt, Krämer, der sich vom Geschäft zurückgezogen hatte, und wohne in der Rue des Fossoyeurs, Nr. 11.

Statt mit dem Verhör fortzufahren, hielt ihm der Kommissar nun eine lange Rede über die Gefahr, die ein unbedeutender Bürger laufe, wenn er sich in die öffentlichen Angelegenheiten mische. Diese Predigt verband er mit einer Erläuterung, worin er von der Macht und den Handlungen des Monsieur Kardinals, dieses unvergleichlichen Ministers, dieses Besiegers früherer Minister, dieses Beispiels zukünftiger Minister sprach, von einer Macht und von Handlungen, denen niemand ungestraft in den Weg trete.

Nach diesem zweiten Teil seiner Rede heftete er seinen Sperberblick auf den armen Bonacieux und forderte ihn auf, den Ernst seiner Lage in Betracht zu ziehen.

Die Betrachtungen des Krämers waren alle angestellt. Er wünschte den Augenblick zum Teufel, wo Monsieur La Porte den Gedanken gehabt hatte, ihn mit seiner Patin zu verheiraten, und mehr noch den Augenblick, wo eben diese Patin in die Garderobe der Königin aufgenommen wurde.

Der Grundstoff im Charakter von Meister Bonacieux war verhärtete Selbstsucht, vermischt mit schmutzigem Geiz und gewürzt mit außerordentlicher Feigheit. Die Liebe, die ihm seine junge Frau eingeflößt hatte, war ein ganz sekundäres Gefühl und konnte mit den aufgezählten Gefühlen nicht in die Schranken treten.

Monsieur Bonacieux überdachte sich in der Tat, was man ihm soeben gesagt hatte.

»Aber, Monsieur Kommissar«, sprach er schüchtern, »glaubt mir, dass ich mehr als irgendein Mensch das Verdienst der unvergleichlichen Eminenz, von der wir regiert zu werden die Ehre haben, kenne und zu schätzen weiß.«

»Wirklich?«, fragte der Kommissar mit etwas zweifelhafter Miene. »Aber wenn dem in der Tat so ist, wie kommt Ihr in die Bastille?«

»Wie ich hierherkomme, oder vielmehr, warum ich hier bin«, erwiderte Bonacieux, »das kann ich Euch unmöglich sagen, weil ich es selbst nicht weiß, aber sicherlich nicht, weil ich den Monsieur Kardinal beleidigt habe, wenigstens nicht wissentlich.«

»Ihr müsst doch ein Verbrechen begangen haben, da Ihr hier des Hochverrats angeklagt seid.«

»Des Hochverrats!«, rief Bonacieux erschrocken. »Des Hochverrats! Wie sollte ein armer Krämer, der die Hugenotten hasst und die Spanier verabscheut, des Hochverrats angeklagt sein? Bedenkt doch, Monsieur, dies ist in der Tat rein unmöglich.«

»Monsieur Bonacieux«, sprach der Kommissar und schaute dabei den Angeklagten an, als ob seine kleinen Augen die Macht besäßen, in der Tiefe der Herzen zu lesen. »Monsieur Bonacieux, habt Ihr eine Frau?«

»Ja, Monsieur«, antwortete der Krämer, am ganzen Leib zitternd, denn er fühlte, dass in diesem Punkt der böse Knoten der ganzen Angelegenheit liegen musste. »Das heißt, ich hatte eine.«

»Wie? Ihr hattet eine! Was habt Ihr gemacht, wenn Ihr sie nicht mehr besitzt?«

»Man hat sie mir entführt, Monsieur.«

»Man hat sie Euch entführt?«, sprach der Kommissar. »Ah!«

Bonacieux fühlte bei diesem Ah, dass sich die Angelegenheit immer mehr verwickelte.

»Man hat sie Euch entführt?«, versetzte der Kommissar, »und wisst Ihr, wer der Mann ist, der diesen Raub begangen hat?«

»Ich glaube ihn zu kennen.«

»Wer ist es?«

»Bedenkt, dass ich nichts behaupte, Monsieur Kommissar, sondern nur vermute.«

»Wen habt Ihr im Verdacht? Antwortet offenherzig.«

Monsieur Bonacieux war in der größten Verlegenheit. Sollte er alles leugnen oder alles sagen? Leugnete er alles, so konnte man glauben, er wisse zu viel, um zu gestehen. Sagte er alles, so war dies ein Beweis von gutem Willen. Er entschloss sich, alles zu sagen.

»Ich habe«, sprach er, »einen großen Mann von bräunlicher Gesichtsfarbe und stolzer Miene im Verdacht, der ganz aussieht, wie ein vornehmer Monsieur. Er folgte uns wiederholt, wie es mir vorkam, wenn ich meine Frau vor der Pforte des Louvre erwartete, um sie nach Hause zu begleiten.«

Der Kommissar schien sich etwas beunruhigt zu fühlen. »Und sein Name?«, sprach er.

»Ah, was seinen Namen betrifft, den weiß ich nicht. Aber wenn ich ihm je begegne, und wäre es unter tausend Menschen, werde ich ihn sogleich wiedererkennen, dafür stehe ich Euch ein.«

Die Stirn des Kommissars verfinsterte sich. »Ihr werdet ihn unter tausend Menschen wiedererkennen, sagt Ihr?«, fuhr er fort.

»Das heißt«, erwiderte Bonacieux, welcher einsah, dass er einen falschen Weg eingeschlagen hatte, »das heißt …«

»Ihr habt mir geantwortet, Ihr würdet ihn wiedererkennen«, sprach der Kommissar, »schon gut, das ist für heute genug. Ehe wir weitergehen, muss jemand davon in Kenntnis gesetzt werden, dass Ihr den Räuber Eurer Frau kennt.«

»Aber ich habe Euch nicht gesagt, ich kenne ihn!«, rief Bonacieux in Verzweiflung. »Ich sagte Euch im Gegenteil …«

»Führt den Gefangenen ab«, sprach der Kommissar zu den Wachen.

»Und wohin soll man ihn führen?«, fragte der Gerichtsschreiber.

»In einen Kerker.«

»In welchen?«

»Oh, mein Gott! In den nächstbesten, wenn er nur fest ist«, erwiderte der Kommissar mir einer Gleichgültigkeit, die den armen Bonacieux schaudern machte.

»Wehe, wehe!«, sprach er zu sich selbst, »das Unglück lastet auf meinem Haupt. Meine Frau wird ein furchtbares Verbrechen begangen haben. Man hält mich für ihren Mitschuldigen und bestraft mich mit ihr. Sie wird gesprochen, sie wird eingestanden haben, ich sei mit allem vertraut. Eine Frau ist so schwach! Ein Kerker! Der nächstbeste! So geht es! Eine Nacht ist bald vorüber, und dann morgen Galgen und Rad! Oh! mein Gott, mein Gott, erbarme dich meiner!«

Ohne im Geringsten auf das Klagegeschrei des Meisters Bonacieux zu hören, ein Geschrei, woran sie übrigens gewöhnt sein mussten, nahmen die zwei Wachen den Gefangenen beim Arm und führten ihn weg, während der Kommissar in Eile einen Brief schrieb, auf den der Gerichtsschreiber wartete.

Bonacieux schloss kein Auge. Nicht, als ob sein Kerker zu abscheulich gewesen wäre, sondern weil seine Unruhe zu groß war. Er blieb die ganze Nacht auf seiner Bank, er zitterte beim geringsten Geräusch. Als die ersten Strahlen des Tages in seine Kammer drangen, kam es ihm vor, als hätte das Morgenrot eine Leichenfärbung angenommen.

Plötzlich hörte er die Riegel klirren und sprang erschrocken auf. Der Unglückliche glaubte, man komme, um ihn zu holen und zum Schafott zu führen. Aber als er statt des erwarteten Henkers seinen Kommissar und seinen Gerichtsschreiber vom vorigen Tag erscheinen sah, war er sehr geneigt, ihnen um den Hals zu fallen.

»Eure Angelegenheit hat sich seit gestern Abend sehr verwirrt, mein braver Mann«, sagte der Kommissar. »Ich rate Euch, die Wahrheit unumwunden zu gestehen, denn nur Eure Reue vermag den Zorn des Kardinals zu beschwören.«

»Ich bin bereit, alles zu sagen«, rief Bonacieux, »wenigstens alles, was ich weiß. Fragt, ich bitte Euch.«

»Vor allem: Wo ist Eure Frau?«

»Ich sagte Euch doch, man habe sie mir entführt.«

»Ja, aber seit gestern Mittag um fünf Uhr ist sie durch Eure Hilfe entflohen.«

»Meine Frau ist entflohen?«, rief Bonacieux. »Oh, die Unglückliche! Monsieur, wenn sie entflohen ist, so bin ich nicht schuld, ich schwöre es Euch.«

»Was hattet Ihr dann bei Monsieur d’Artagnan, Eurem Nachbarn zu tun, mit welchem Ihr an diesem Tag eine lange Konferenz hieltet?«

»Ach! Ja, Monsieur Kommissar, ja, das ist wahr, und ich gestehe, dass ich Unrecht hatte. Ja, ich bin bei Monsieur d’Artagnan gewesen.«

»Und was war der Zweck Eures Besuches?«

»Ich wollte ihn bitten, mir meine Frau aufsuchen zu helfen. Ich glaubte mich berechtigt, sie zurückzufordern, aber ich täuschte mich, wie es scheint, und bitte um Vergebung.«

»Was antwortete Monsieur d’Artagnan?«

»Monsieur d’Artagnan hat mir seinen Beistand zugesagt, aber ich sah bald ein, dass er mich verriet.«

»Ihr wollt der Justiz eine Lüge aufschwatzen! Monsieur d’Artagnan hat einen Vertrag mit Euch abgeschlossen, hat kraft dieses Vertrags die Polizei, welche Eure Frau verhafteten, in die Flucht gejagt und alle Nachforschungen vereitelt.«

»Monsieur d’Artagnan hat meine Frau entführt? Ei, ei, was sagt Ihr mir da?«

»Zum Glück ist Monsieur d’Artagnan in unseren Händen und Ihr sollt ihm gegenübergestellt werden.«

»Ah! Meiner Treu, das ist mir ungemein lieb«, rief Bonacieux, »es soll mir gar nicht leidtun, ein bekanntes Gesicht zu sehen.«

»Lasst Monsieur d’Artagnan eintreten«, sprach der Kommissar zu den zwei Wachen.

Die Wachen ließen Athos eintreten.

»Monsieur d’Artagnan«, sprach der Kommissar, sich an Athos wendend, »erklärt, was zwischen Euch und diesem Monsieur vorgefallen ist.«

»Aber Ihr zeigt mir ja gar nicht d’Artagnan«, rief Bonacieux.

»Wie, das ist nicht d’Artagnan?«, sprach der Kommissar.

»Keineswegs«, antwortete Bonacieux.

»Wie heißt dieser Monsieur?«, fragte der Kommissar.

»Ich kann es Euch nicht sagen, ich kenne ihn nicht.«

»Wie, Ihr kennt ihn nicht?«

»Nein!«

»Ihr habt ihn nie gesehen?«

»Doch, aber ich weiß nicht, wie er heißt.«

»Euer Name?«, fragte der Kommissar.

»Athos«, antwortete der Musketier.

»Das ist kein Menschenname, sondern der Name eines Berges«, rief der arme Untersuchungsrichter, der den Kopf zu verlieren anfing.

»Es ist mein Name«, sprach Athos ruhig.

»Aber Ihr sagtet doch, Ihr hießet d’Artagnan?«

»Ich?«

»Ja, Ihr!«

»Man hat zu mir gesagt: Ihr seid Monsieur d’Artagnan? Ich erwiderte: Ihr glaubt? Meine Wachen meinten, sie wüssten es gewiss. Ich wollte ihnen nicht widersprechen; überdies konnte ich mich täuschen.«

»Monsieur, Ihr beleidigt die Majestät der Justiz!«

»Durchaus nicht«, entgegnete Athos gelassen.

»Ihr seid Monsieur d’Artagnan?«

»Seht, Ihr sagt es mir noch einmal.«

»Nun ich sage Euch, Monsieur Kommissar«, rief Bonacieux, »dass man hier keinen Augenblick zweifeln darf. Monsieur d’Artagnan wohnt in meinem Haus, und ich muss ihn folglich kennen, obwohl er mir meinen Mietzins nicht bezahlt, und gerade aus diesem Grund. Monsieur d’Artagnan ist ein junger Mann von kaum neunzehn bis zwanzig Jahren, und dieser Monsieur ist gewiss dreißig Jahre alt. Monsieur d’Artagnan steht bei den Garden des Monsieur des Essarts, und dieser Monsieur bei der Musketierkompanie des Monsieur de Tréville. Schaut die Uniform an, Monsieur Kommissar, schaut die Uniform an.«

»Es ist wahr«, murmelte der Kommissar, »es ist bei Gott wahr!«

In diesem Augenblicke wurde die Tür rasch geöffnet. Ein von einem Gefangenenwärter der Bastille eingeführter Bote übergab dem Kommissar einen Brief.

»Oh! die Unglückliche!«, rief der Kommissar.

»Wie? Was sagt Ihr? Von wem sprecht Ihr? Hoffentlich nicht von meiner Frau?«

»Im Gegenteil, gerade von ihr. Eure Angelegenheit steht ganz schön!«

»Ah«, rief der Krämer in Verzweiflung, »macht mir das Vergnügen und sagt mir, wie sich meine Angelegenheit durch das verschlimmern kann, was meine Frau tut, während ich im Gefängnis sitze.«

»Weil das, was sie tut, die Folge eines unter Euch abgekarteten höllischen Planes ist.«

»Ich schwöre Euch, Monsieur Kommissar, dass Ihr in einem gewaltigen Irrtum befangen seid, dass ich nicht das Geringste von dem weiß, was meine Frau tun sollte, dass ich dem, was sie gesagt hat, völlig fremd bin, und dass ich sie, wenn sie Dummheiten begangen hat, verleugne, verfluche.«

»Ei«, sprach Athos zu dem Kommissar, »wenn Ihr mich hier nicht braucht, so schickt mich irgendwo hin. Dieser Monsieur Bonacieux ist ein sehr langweiliger Geselle.«

»Führt die Gefangenen in ihre Kerker zurück«, sprach der Kommissar, mit derselben Gebärde Athos und Bonacieux bezeichnend, »und man bewache sie mit der größten Strenge!«

»Wenn Ihr indessen mit Monsieur d’Artagnan zu tun habt«, sagte Athos mit seiner gewöhnlichen Ruhe«, so sehe ich nicht ganz ein, warum ich seine Stelle vertreten soll.«

»Tut, was ich gesagt habe«, rief der Kommissar, »und beobachtet das tiefste Stillschweigen, hört Ihr?«

Athos folgte den Wachen mit einem Achselzucken, und Monsieur Bonacieux mit einem Klagegeschrei, das einem Tiger hätte das Herz zerreißen mögen.

Man führte den Krämer in denselben Kerker, wo er die Nacht zugebracht hatte, und ließ ihn hier den ganzen Tag. Den ganzen Tag weinte Monsieur Bonacieux wie ein wahrer Krämer, denn er war durchaus kein Mann vom Schwert, wie er uns selbst gesagt hat.

Abends gegen neun Uhr, in dem Augenblick, wo er sich entschloss, zu Bett zu gehen, hörte er Tritte im Hausflur. Diese Tritte näherten sich seinem Kerker, die Tür wurde geöffnet, die Wachen erschienen.

»Folgt mir«, sagte ein Gefreiter, der hinter den Wachen ging.

»Euch folgen!«, rief Bonacieux, »Euch folgen, zu dieser Stunde! Und wohin denn, mein Gott?«

»Wohin wir Euch zu führen den Befehl haben.«

»Aber das ist keine Antwort.«

»Es ist die Einzige, die wir Euch geben können.«

»Ach! Mein Gott, mein Gott«, murmelte der arme Krämer, »diesmal bin ich verloren.«

Er folgte maschinenmäßig ohne Widerstand den Wachen, die ihn holten. Er ging durch denselben Flur, durch die er bereits gegangen war, durchschritt einen ersten Hof und dann ein zweites Hauptgebäude. Vor dem Tor des Einfahrthofes fand er einen von vier Reitern umgebenen Wagen. Man ließ ihn in diesen Wagen einsteigen, der Gefreite setzte sich neben ihn. Man verschloss den Kutschenschlag mit einem Schlüssel, und beide befanden sich in einem fahrenden Gefängnis.

Das Gefährt setzte sich langsam wie ein Leichenwagen in Bewegung. Durch das geschlossene Gitter gewahrte der Gefangene die Häuser und das Pflaster, mehr nicht. Aber als wahrer Pariser erkannte Bonacieux jede Straße an den Ecksteinen, an den Schildern, an den Laternen. Als sie zu St. Paul gelangten, wo man die Verurteilten der Bastille hinrichtete, war er einer Ohnmacht nahe und bekreuzte sich zweimal. Er glaubte, der Wagen würde hier halten, aber es ging weiter. Später erfasste ihn abermals ein gewaltiger Schrecken, als er am Kirchhof St. Jean vorüberfuhr, wo man die Staatsverbrecher beerdigte. Ein einziger Umstand beruhigte ihn einigermaßen, nämlich dass man ihnen vor der Einscharrung gewöhnlich den Kopf abschnitt, und sein Kopf saß noch auf seinen Schultern. Als er aber sah, dass der Wagen die Straße nach der Grève einschlug, als er die spitzen Dächer des Stadthauses bemerkte und wahrnahm, dass man unter der Arkade einbog, da glaubte er, jetzt sei alles aus. Er wollte dem Gefreiten beichten. Da ihm dieser aber alles Gehör verweigerte, so stieß er ein so erbarmungswürdiges Geschrei aus, dass ihm der Gefreite erklärte, wenn er nicht aufhöre, ihm die Ohren voll zu schreien, so werde er ihm einen Knebel anlegen. Diese Drohung beruhigte Bonacieux einigermaßen. Wollte man ihn an der Grève hinrichten, so lohnte es sich nicht der Mühe, ihn zu knebeln, da man die Richtstätte beinahe erreicht hatte. Der Wagen fuhr in der Tat über den unseligen Ort hin, ohne anzuhalten. Nun war nichts mehr zu befürchten. Doch als der Wagen seinen Weg in Richtung der Croix-du-Trahoir nahm, konnte man diesmal nicht mehr zweifeln. Auf der Croix-du-Trahoir wurden Verbrecher untergeordneten Ranges hingerichtet. Bonacieux hatte sich des St. Paul- oder des Grève-Platzes würdig gehalten. An der Croix-du-Trahoir sollten sein Leben und sein Schicksal enden! Er konnte das unglückliche Kreuz noch nicht sehen, aber er hatte ein Gefühl, als ob es ihm entgegenkäme. Als nur noch etwa zwanzig Schritte zurückzulegen waren, hörte er ein Geräusch und der Wagen hielt an. Das war mehr, als der arme, durch die rasch aufeinandererfolgten Gemütsbewegungen niedergeschmetterte Krämer zu ertragen vermachte. Er stieß einen schwachen Seufzer aus, den man für den letzten Atemzug eines Sterbenden hätte halten können, und sank in Ohnmacht.