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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Alte vom Berge – Kapitel 2

C. F. Fröhlich
Der Alte vom Berge
Oder: Taten und Schicksale des tapferen Templers Hogo von Maltitz und seiner geliebten Mirza
Ein Gemälde aus den Zeiten der Kreuzzüge
Nordhausen, bei Ernst Friedrich Fürst, 1828

II.

Das Gesicht braun gefärbt und in der Kleidung eines Derwisches, unter welcher zwei Dolche verborgen waren, stand am späten Morgen desselben Tages Hugo im Gemach des Drapiers.

»Seid versichert«, sprach er, »dass ich meinen Auftrag zu Eurer Zufriedenheit gewiss ausführen werde.«

»O, könnte ich Euch doch begleiten«, rief schwärmerisch der Drapier, »denn mit meinem Dolch im Herzblut des Alten vom Berge zu wühlen, wäre gewiss für mich die höchste Wonne. Und sollte ich ergriffen werden, wenn ich den verfluchten Alten durchbohrt hätte, so wollte ich freudig sterben, denn gewiss würde mich dann mein Heiland unter die Heiligen versetzen. Unser hochwürdiger Großmeister muss Euch sehr achten, dass er einem Jüngling ein so schwieriges Unternehmen anvertraut.«

»Habt Ihr keine sichere Kunde, edler Drapier, wo die Hütte oder Höhle des Alten ist?«, fragte Hugo.

»Nein«, erwiderte der Befragte, »nur soviel wissen wir gewiss, dass er auf dem Berg Libanon wohnt. Ja«, setzte er lächelnd hinzu, »wenn ich die Höhle des verdammten Heiden wüsste, so wollte ich meine alten Knochen noch einmal gehörig in Bewegung setzen und den Alten selbst niederstoßen.«

»Er fügt uns vielen Schaden zu«, meinte Hugo.

»Eben deswegen muss er unschädlich gemacht werden«, rief der Drapier feurig, »denn glaubt mir, dieser schwärmerische Heide droht uns gefährlicher zu werden, als ob der Sultan ein Heer gegen uns sendet, wobei er natürlich nicht ist. Sollte er aber das Heer durch seine lügenhaften Reden begeistern, so sind wir ohne den Beistand Gottes und des Heilandes verloren. Ha!« fuhr er mit Begeisterung fort, »bringt mir den Dolch, woran das Blut des Heiden klebt und seid versichert, ich verschaffe Euch Sitz und Stimme im Kapitel.«

»Der Gedanke, den Christen des Morgenlandes nützlich geworden zu sein, wird Belohnung für mich genug sein«, entgegnete Hugo, verbeugte sich und ging.

»Beim heiligen Bonifaz«, rief ihm der Drapier nach, »Ihr seid der bravste Templer.«

Nicht so freudig, als ginge es zur Schlacht, wanderte Hugo zum Siegestor Jerusalems hinaus. Der Gedanke, ob er auch wirklich recht handle, wenn er den Alten ermorde, beunruhigte ihn trotz der Absolution des Kaplans immer noch. Oft blickte er nach Jerusalem zurück und schritt immer nur zögernd weiter. Von einem Hügel herab konnte er es endlich zum letzten Mal sehen. Recht lange weilte sein Blick auf den heiligsten Orten, um sie recht in sein Gedächtnis einzuprägen. Dann aber schritt er schnell vorwärts.

Am späten Abend, als schon lange die Sterne freundlich blinkten, erreichte er die äußerste Burg der Templer, welche auf hohen Felsen erbaut war. Nachdem er sich durch die gewöhnlichen Zeichen des Ordens als ein Bruder gezeigt hatte, wurde die schwere Zugbrücke herabgelassen.

Der Komtur der Burg empfing den Jüngling recht freundlich, gab ihm mancherlei nützliche Ratschläge, um zu seinem Zweck zu gelangen, und bewirtete ihn dann mit einem frugalen Mahl.

Hugo sehnte sich bald nach Ruhe, er wurde einsilbiger und suchte sein Lager, wo er bald in einen festen Schlaf sank.

Neu gestärkt und mit Speise reichlich versehen, verließ er am anderen Morgen die Burg.

Der Weg führte ihn durch die herrlichsten Fluren, aber nicht selten bemerkte er auch die bösen Folgen des Krieges, denn diese herrliche Gegend war weder durch Christen noch durch Sarazenen bewohnt. Selbst die Sänger des Haines schienen diese Gegend zu meiden, weil hier schon manche heiße Schlacht gewütet hatte.

Erst nach einigen Tagen, als Hugo eben aus einem dichten Wald kam, sah er vor sich den hohen Libanon mit seinen herrlichen Zedern.

»Ich soll einen Mann ermorden«, rief er aus, »um dadurch die Christen des Morgenlandes zu retten, aber wenn unser Untergang vom Schicksal beschlossen ist, so stemmen wir arme Sterbliche uns vergebens dagegen!«

Eben wollte er rasch weiter schreiten, als wohl zehn Sarazenen mit schnellen Rossen auf ihn zu sprengten. Demütig grüßten sie den Derwisch und reichten ihm Nahrungsmittel.

Ermüdet erreichte er endlich am Fuße des Libanons eine Hütte, deren Besitzer ihn freudig aufnahm.

Hugo war bereits drei Jahre in Palästina, sprach und verstand die türkische Sprache, gleich die seines Vaterlandes. Er erkundigte sich sogleich nach dem Alten vom Berge, weil er ihn in einer wichtigen Sache sprechen müsse.

»Wenn du zu dem willst«, meinte der Sarazene, »so bist du wirklich zu deinem Glück bei mir eingekehrt, denn wenig bekannt ist der Wohnort des Alten, weil er ihn oft ändert. Jetzt brauchst du nur am Fuße des Berges bis zu einer Quelle fortzuschreiten, die lustig aus einem Felsen hervorsprudelt. Dann steige aufwärts den kahlen Felsen zu, wo Raubvögel jeder Art nisten. Dort wirst du die Höhle des Alten finden, vor deren Eingang ein Halbmond aufgesteckt ist.«

»Ich danke dir herzlich für Deine Mitteilung«, erwiderte Hugo und ließ sich Ziegenmilch und Brot trefflich schmecken.

»Wo kommst du denn her, ehrwürdiger Vater, wenn man fragen darf«, fragte neugierig der Mann.

»Aus Damaskus«, entgegnete Hugo, »wo die Christen nicht wenig Unfug treiben. Aber ich will sie mithilfe des Alten dort alle vernichten, denn er hat verwegene Streiter.«

»Die geraubten Christenkinder«, fiel rasch der Sarazene ein, »die der Alte selbst in unserer Religion unterrichtet, streiten wahrlich gegen ihre Väter und Brüder wie die Götter der Vorzeit.

»Wie viel Kinder lässt der Alte wohl jährlich rauben?«, fragte der verkappte Derwisch.

»Zwei- bis dreihundert wenigstens«, meinte der Sarazene.

»Ich habe schon viel darüber gehört, wie er die Kinder unterrichtet, allein man darf nicht alles glauben. Kannst du mir vielleicht mit Bestimmtheit die Art seines Unterrichts mitteilen?«

»Ich weiß seinen Unterricht genau«, erwiderte jener, »und will ihn dir gern mitteilen, denn ich habe das hohe Glück, ein Freund des Alten vom Berge zu sein, der ein Verwandter unseres erlauchten Propheten ist.«

Menschenstimmen und Pferdegetrappel unterbrachen das Gespräch. Sie traten durch die Tür in die Hütte.

»Sieh! Sieh!«, rief der Sarazene freudig, »dort reiten die Diener des Alten mit sechs geraubten Christenkindern!«

Hugos ritterlicher Sinn erwachte. Er fasste unwillkürlich nach den Dolchen, um auf die Sarazenen zu stürzen und die Kinder zu befreien, aber er hatte einen ungleichen Kampf zu bestehen und der Zweck seiner Reise wäre vereitelt. Auch deine Brüder,

dachte Hugo, treiben solche Schändlichkeiten, rauben sarazenische Kinder und lassen sie in der christlichen Religion unterrichten, um dann gegen ihre Verwandte zu streiten. Die Christen nennen diese Kinder Turkopolen und die Sarazenen die ihren Assassinen.

»Auf dem Antilibanon«, begann der Sarazene wieder, »ist ein Plätzchen, welches wir das Paradies nennen, denn nirgends auf der Welt ist es schöner, als da. Die herrlichsten Blumen prangen dort. Zitronen-, Zypressen- und Zedernbäume erreichen ihre höchste Vollkommenheit. Die Balsampappel verbreitet den köstlichsten Geruch. Dort lockt das Weibchen der Nachtigallen das Männchen mit so unendlich harmonischen Tönen in das dunkle Grün der Ulmen, dass das Gefühl der Liebe selbst bei einem alten Mann wieder erwacht. Hier ist es, wo die geraubten Kinder erzogen werden. Sie erhalten die köstlichsten Speisen und werden von den schönsten Mädchen bedient. Bis zum vierzehnten Jahr währt dies Leben, dann erhalten sie einen Schlaftrunk. Bei ihrem Erwachen befinden sie sich dann auf den kahlen Felsen, welche der Alte bewohnt. Hier werden sie dann in den Waffen geübt, erhalten die schlechteste Speise, müssen unter freiem Himmel schlafen und verwünschen natürlich ein solches Leben. Nun sagt der Alte zu ihnen, dass sie in den Gefechten mit den Christenhunden tapfer streiten sollten, denn derjenige, welcher im Kampf gegen die Christen umkäme, würde im nächsten Augenblick in Mohammeds Paradies wieder auferstehen, wo es noch viel schöner sei, als auf dem Antilibanon, weil dort die lieblichsten Speisen stets dufteten, der Rebensaft in goldenen Pokalen stets perlte, die Mädchen über jede Beschreibung erhaben und man ewig jung bleibe. Sieh, ehrwürdiger Herr, nach solchen Erzählungen brennen die Jünglinge vor Begierde, im Kampf gegen die Christen zu fallen.«

»Und die Toren glauben auch den Worten des Alten?«, polterte Hugo, seine Rolle vergessend.

»Warum sollen sie die Wahrheit nicht glauben?« fragte der Sarazene misstrauisch.

»Die Worte des herrlichen Alten sind nicht zu bezweifeln«, entgegnete der verkappte Derwisch, »aber dass die jungen Assassinen die Worte glauben, darüber wundere ich mich.«

»Durch Allahs und Mohammeds Eingebungen geschieht dies«, belehrte der eifrige Mohammedaner.

»Der Alte lässt sich doch allein sprechen?«, fragte Hugo.

»Besonders von Dienern der Religion,« meinte jener etwas müde und sah sich nach seinem ärmlichen Lager um.

Auch Hugo bedurfte der Erholung, um sich zu seinem Vorhaben auf den nächsten Tag zu stärken. »Der Alte ist ein schändlicher Betrüger«, murmelte er, »drum will ich ihn auch freudig niederstoßen.«

In der Frühe des nächsten Tages ergriff Hugo wieder seinen Wanderstab und folgte den noch einmal vom Sarazenen mitgeteilten Weg.

Dem Lauf der Quelle folgend wurde der Weg mit jeder Minute steiler und gefährlicher. Hohe, fast unüberwindbare Felsen, die abenteuerlichsten und seltsamsten Figuren bildend, schienen den Jüngling von seinem Vorhaben abhalten zu wollen. Außer einigen Raubvögeln erblickte man auf diesen furchtbaren Felsen kein lebendes Geschöpf. Ermattet von der Anstrengung setzte sich Hugo auf ein hohes Felsenstück, um neue Kräfte zu sammeln. Er überschaute die Gegend, dachte an sein liebes Thüringen und ließ seine seltsamen Schicksale noch einmal an der Fantasie vorübergleiten, welche ich nun dem Leser in aller Kürze mitteilen will.