Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

John Sinclair Classics Band 23

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 23
Hochzeit der Vampire

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 17.07.2018, 66 Seiten, 1,80 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 21.10.1975 als Gespenster-Krimi Band 110.

Kurzinhalt:
Geister, Wölfe, alte Schlösser – und als Höhepunkt der Reise in die Karpaten eine Vampir-Hochzeit! Mit diesen Worten wirbt das Unternehmen »Horror-TOURS« um neue Kunden. Auch Bill Conolly erliegt der Verlockung und ordert zwei Tickets – für sich und John Sinclair. Und damit beginnt die Reise ins Verderben …

Leseprobe

Kalt pfiff der Wind über die karstigen Höhenzüge hinunter ins Tal.

Der einsame Mann fröstelte. Er hatte den Kragen seines dicken Man­tels hochgeschlagen und stemmte sich geduckt gegen den Wind.

Der Mann hatte es eilig. Um Punkt Mitternacht wollte er an dem bewussten Treffpunkt eintreffen. Urplötzlich blieb er stehen. Ein Geräusch war an seine Ohren gedrungen. Es war ein gefähr­liches Knurren, das sogar das Pfeifen des Windes übertönte.

Der einsame Wanderer bekam es mit der Angst zu tun. Er drehte sich um, wollte weglaufen, doch da hatten sie ihn schon eingekreist.

Gelbe, tückische Augen bannten ihn auf der Stelle. Dem Mann stockte der Atem.

Die Wölfe waren gekommen!

Vier graue Schatten huschten auf die Straße. Wie Schemen waren sie aus den Büschen zu beiden Seiten des schmalen Weges aufgetaucht.

Sie hatten auf den Einsamen gelau­ert.

Der Mann zitterte plötzlich. Kalter Schweiß legte sich auf seine Stirn. Er bereute es, sich auf den Weg gemacht zu haben. Aber er war Geschäftsmann, musste sehen, dass er zu Geld kam, und Horror-Tours waren etwas Außerge­wöhnliches.

Der Mann hieß Janos Ruff. Im vo­rigen Monat war er vierzig Jahre alt geworden und hatte vor, doppelt so lange zu leben.

Ruffs Gedanken stockten.

Die Wölfe schlichen näher. Kein Laut war zu hören. Die Bestien bewegten sich wie auf Samtpfoten.

Ruffs Blicke irrten zwischen den gelblich funkelnden Augen der Tiere hin und her. Jeden Moment rechnete er damit, dass sie ihn anfallen würden.

Nichts geschah. Sie standen um ihn herum und lauerten.

Sekunden wurden für Ruff zu Ewig­keiten. Wenn er doch nur etwas tun könnte …

Mit der Zeit flaute die Erregung ab. Seine Zunge huschte über die spröden, auf gerissenen Lippen. Der Wind trock­nete den Schweiß.

Ruff atmete durch den Mund. Noch einmal riss er sich zusammen und wagte den ersten vorsichtigen Schritt.

Den zweiten …

Die Wölfe wichen zur Seite, bildeten eine Gasse.

Ruff atmete auf. Langsam und auf Zehenspitzen ging er weiter. Er hielt seinen Kopf zur Seite gewandt und beobachtete aus verdrehten Augen die Bestien.

Sie folgten ihm, flankierten den ein­samen Wanderer.

Wie Leibwächter, dachte Ruff. Viel­leicht waren sie es sogar. Vielleicht hatte der Graf sie vorgeschickt.

Ja, so musste es gewesen sein. Eine andere Möglichkeit konnte sich Ruff gar nicht vorstellen.

Er sah zum Himmel.

Wolkenberge türmten sich dort oben und wurden von dem Wind wie Spiel­bälle durcheinander geschleudert.

Der Mond war nicht zu sehen. Es funkelte auch kein einziger Stern. Es war eine Nacht zum Fürchten. Ideal für dunkle Gestalten aus dem Totenreich.

Janos Ruff ging weiter. Karren und Wagen hatten tiefe Furchen in den Weg gegraben. Die Erde war hart und trocken. Es hatte lange nicht mehr ge­regnet.

Ruff suchte eine Zigarette aus der Packung. Es waren amerikanische. Ruff mochte keine anderen.

Er riss ein Zündholz an. Der Wind blies die Flamme aus. Beim vierten Versuch brannte die Zigarette endlich.

Janos Ruff sog den Rauch tief in die Lungen. Seine Nerven beruhigten sich etwas.

Der Mann rauchte hastig. Schon nach ein paar Minuten warf er die Zigarette weg. Sie wurde vom Wind noch weitergetrieben und blieb dann im Graben für kurze Zeit als glühender Punkt liegen.

Die Wölfe waren noch immer da, ließen den Mann keine Sekunde aus den Augen.

Ruff ging schneller. Durch den Aufenthalt vorhin hatte er zu viel Zeit verloren. Und er wollte pünktlich sein. Zuviel hing davon ab.

Dann hatte er sein Ziel erreicht. Ein anderer Pfad schnitt seinen Weg, er wurde zum Kreuzweg.

Der Kreuzweg! Mythen und Legen­den ranken sich darum. Der Kreuzweg war die Inkarnation des Bösen. Gerade in Süd- und Osteuropa spielte er eine große Rolle. Er wurde von den Men­schen gemieden, denn er galt als Treff­punkt der Untoten und Hexen.

Janos Ruff blieb stehen. Ein unheim­liches Gefühl beschlich ihn, denn auch er kannte die alten Geschichten.

Ruffs Blick wanderte ein Stück zur Seite, saugte sich an der knorrigen ur­alten Eiche fest, die ihre dicken Äste wie lange Totenfinger in den grauen Himmel reckte.

Der Galgenbaum! Noch vor siebzig Jahren hatte man hier Mörder und Sit­tenstrolche gehängt. Nachts – meistens bei Vollmond – sollten die Geister der Verbrecher noch heulen und wehkla­gen.

Ruff dachte an den Mann, den er hier treffen wollte.

Graf Montesi. Er kannte ihn nicht, hatte nicht einmal von ihm gehört. Brieflich war der Graf an ihn herangetreten. Er hatte Ruffs Annonce in der Zeitung gelesen.

»HORROR TOURS – Eine Reise, die mehr ist als ein Abenteuer. Wenn Sie etwas Besonderes erleben wollen, dann buchen Sie bei HORROR TOURS! Wir garantieren für eine Gänsehaut!«

Dann war der Anruf von Graf Montesi gekommen. Der Graf hatte sich nach den Bedingungen erkundigt und sein Schloss zur Verfügung gestellt. Es lag irgendwo in den Karpaten. Ruff sollte erst heute Einzelheiten erfah­ren. Doch eins musste er dem Grafen versprechen. Er durfte mit niemandem über dieses Treffen reden.

Da Janos Ruff sowieso ein Einzel­gänger war, hatte ihn das nicht weiter gestört.

Ruff sah auf seine Uhr.

Noch zehn Minuten bis Mitternacht. Dann würde sich alles entscheiden.

Wieder warf er einen Blick zum Galgenbaum hinüber. Die vier Wölfe hatten sich vor dem dicken Stamm nie­dergelassen und ließen Ruff nicht eine Sekunde aus den Augen.

Unruhig ging Janos Ruff hin und her. Wirre Gedanken tanzten in seinem Schädel. Er war neugierig und ängstlich zugleich. Wenn das Geschäft klappen sollte, dann brauchte er sich keine Sor­gen mehr um die Zukunft zu machen.

Hufgetrappel schreckte Ruff aus sei­nen Gedanken. Es kam von Osten und wurde schnell lauter.

Auch die Wölfe hatten das Geräusch gehört. In lauernder Haltung starrten sie in die entsprechende Richtung.

Sollte der Graf etwa auf einem Pferd kommen? Oder waren es Soldaten, die…

Etwas schälte sich aus der Dunkelheit. Etwas Großes, Wuchtiges. Pferde schnaubten.

Janos Ruff sprang unwillkürlich einen Schritt zur Seite, als die beiden schwarzen Tiere vor ihm auftauchten und, wie von Geisterhand gelenkt, an­hielten.

Janos Ruff stockte der Atem.

Die Pferde zogen einen Wagen.

Einen Leichenwagen!

Jede Einzelheit prägte sich in Ruffs Gehirn ein. Der Leichenwagen war pechschwarz. Vier hohe Räder trugen ihn. An den vier Ecken steckten in ei­sernen Haltern ebenfalls schwarze Ker­zen. Die Flammen wurden von einem Glastrichter vor dem Wind geschützt. Die Fenster waren im Innern des Lei­chenwagens durch dunkle Vorhänge verhängt. Zwei prächtige Pferde zogen den Wagen.

Die Tiere standen still und hatten die Köpfe gesenkt. Aus ihren Nüstern drang warmer Atem, der wie eine Wolke vor den Mäulern stand.

Janos Ruff räusperte sich die Kehle frei. Er traute sich nicht, die Tür des Leichenwagens zu öffnen. Mit pochen­dem Herzen wartete er ab, was geschah.

Zuerst blieb es still.

Dann hörte Ruff ein Geräusch aus dem Innern des Leichenwagens. Die Tür wurde geöffnet.

»Komm her!«, hörte Ruff eine leise, aber dennoch befehlsgewohnte Stimme.

Janos Ruff setzte sich in Bewegung. Da er seitlich des Leichenwagens ge­standen hatte, musste er um ihn herum­gehen, um zur Hinterseite zu gelangen.

Der Dreck knirschte unter Ruffs Sohlen. Überlaut kam ihm das Ge­räusch vor.

Janos Ruff wich den Türflügeln aus und konnte endlich in den Leichenwa­gen sehen.

In der gleichen Sekunde traf ihn der Schock.

In dem Leichenwagen stand ein of­fener Sarg…

 

 

In London blätterte ein gewisser Bill Conolly einen Stapel Zeitungen durch. Unter anderem fiel ihm auch ein Blatt in die Hand, das erst seit einem Jahr auf dem Markt war und meistens von Skandalen berichtete.

Bill Conolly war freier Reporter. Da seine Frau Sheila ein großes Vermögen mit in die Ehe gebracht hatte, konnte er sich seine Beschäftigung aussuchen. Meistens jedenfalls. Er schrieb mal für diese Zeitschrift und mal für jene.

Im Augenblick arbeitete er an einem Reisebericht über Südamerika. Er hatte den Kontinent vor einigen Wochen mit seiner Frau bereist, und die Eindrücke waren noch dementsprechend frisch.

Wenn Bill nicht schrieb, ging er meistens mit seinem Freund Inspektor John Sinclair auf Geisterjagd. Sehr zum Ärger seiner jungen Frau Sheila.

Aber sie war für drei Tage verreist. Es ging um eine Filiale, die das Werk, das Sheila gehörte, in Schweden ein­richten wollte. Und dazu brauchten die Manager ihr ›Okay‹. Bill wollte erst mitfahren, hatte es sich dann aber anders überlegt.

Bill Conolly fühlte sich in seinem mit allem Komfort eingerichteten Haus ziemlich einsam. Außerdem schmeckte ihm das Frühstück längst nicht so gut.

Er nahm einen Schluck Kaffee, ver­zog das Gesicht und schlug die letzte Seite der Zeitung auf.

Sie war fast ausschließlich mit An­zeigen bedruckt.

Eine fiel Bill besonders ins Auge. Ein gewisser Janos Ruff pries Horror-Tou­ren nach Rumänien, in das klassische Vampirland, an.

Der Reporter las die Anzeige einmal und dann noch ein zweites Mal.

»Eigentlich sollte man da mitfah­ren«, murmelte er. Er wusste, dass in letzter Zeit solche Reisen up to date waren. Aber bisher war Ruff der einzige Unternehmer, der nach Rumänien fuhr. Und das klassische Vampirland wollte Bill immer schon mal kennenlernen. Besonders, weil er sich selbst schon mit Vampiren herumgeschlagen hatte.

Eine Woche würde die Reise dauern.

Bill war noch im Zweifel, als das Telefon anschlug. Sheila, seine Frau, war am Apparat.

»Tut mir leid, Bill. Aber ich muss noch einige Tage länger bleiben«, teilte sie ihrem Mann mit. »Vor einer Woche bin ich nicht zurück in London.«

»Ist es denn so wichtig?«

»Ja. Du kennst mich, Bill. Ich wäre viel lieber zu Hause.«

Das war kein leeres Gerede, Sheila meinte es tatsächlich so.

»Gut, dann kann ich ja auch etwas unternehmen.«

Sofort wurde Sheila misstrauisch.

»Hat dich John in einen Fall verwi­ckelt? Willst du wieder auf Geisterjagd gehen?«

»Nein, nein«, lachte Bill, »so schlimm ist es nicht.« Dann berichtete er Sheila von den Horror-Touren.

Seine Frau blieb misstrauisch. Schließlich stimmte sie doch zu, denn sie wusste, dass Bill sowieso nicht zu halten war.

Die beiden wechselten noch ein paar Worte, und Bill Conolly schrieb sich an­schließend Mr. Ruffs Telefonnummer auf.

Hoffentlich hat er noch einen Platz frei, dachte er und fing im gleichen Augenblick an zu grinsen.

»Nee, eigentlich zwei Plätze«, sagte Bill Conolly zu sich selbst. »Vielleicht hat John, der alte Geisterjäger, auch noch Lust, mitzukommen.«

Der Reporter ahnte nicht, dass der Entschluss, den er gefasst hatte, der Beginn eines unheimlich und haar­sträubenden Abenteuers war …

Personen

  • Janos Ruff
  • Graf Montesi alias Doktor Tod
  • Bill Conolly, Reporter
  • Sheila Conolly, Bills Ehefrau
  • John Sinclair, Inspektor bei Scotland Yard
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Carlos Ortega, Hotelier
  • Gehilfen von Dr. Tod
  • Haduk, Doktor Tods Diener
  • Vera Montesi
  • Dino Zachew
  • Ehepaar Carol und Simon Schuster
  • Jane Collins, Detektivin

Orte

  • Schloss Montesi, Rumänien
  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 23. Bastei Verlag. Köln. 17. 07. 2018
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000