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John Sinclair Classics Band 19

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 19
Doktor Tod

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 22.05.2018, 66 Seiten, 1,80 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 01.07.1975 als Gespenster-Krimi Band 94.

Kurzinhalt:
Ein unheimliches Horror-Kabinett ist die Attraktion des Jahrmarktes von Tonbridge, einem kleinen Städtchen südlich von London. Auch zwei junge Pärchen wollen an diesem Freitagabend etwas Außergewöhnliches erleben und kaufen gut gelaunt bei dem Buckligen ihre Eintrittskarten.

Dann öffnen sich die Schwingtüren, und sie treten in die Dunkelheit. Nur zwei von ihnen werden die Welt des Schreckens wieder verlassen …

Leseprobe

Die nackte Leiche lag auf einem langen Tisch!

Zwei Punktstrahler knallten das Licht auf den weißen Körper, zeichneten jede Hautfalte in fast brutaler Deutlichkeit nach.

Ein Teil des Gewölbes lag im Dunkeln. Irgendwo tropfte ein Wasserhahn. Überlaut drang das Geräusch der zerplatzenden Tropfen durch die Stille.

Plötzlich tauchten die Konturen eines Mannes aus der Finsternis auf. Seine Schritte waren kaum zu hören, nicht einmal ein leises Schleifen hätte das geübte Ohr vernommen.

Der Mann geriet in den Lichtkreis der Strahler und blieb neben dem Tisch stehen.

Dieser Mann war der größte Feind der Menschheit. Er war – Doktor Tod …

Lange, aber dennoch kräftige Finger strichen über die nackte Leiche. Liebkosend, wie es schien.

Ein seltsamer Ring blitzte im Schein der Lampe auf. Der Mann trug ihn am Mittelfinger seiner rechten Hand. Der Ring besaß eine viereckige rubinrote Oberfläche, auf die ein weißer Totenkopf eingraviert worden war. Je nach Stimmung des Mannes strahlte der Totenkopf ein seltsames Licht aus. Dieses Phänomen hing wiederum mit der Körperwärme und der psychischen Verfassung des Unheimlichen zusammen.

Einen Augenblick verharrten die Hände auf dem Gesicht des Toten. Die Fingerspitzen drückten leicht gegen die Augenlider, schoben sie hoch.

Die Augen der Leiche waren verdreht. Überdeutlich trat das Weiße hervor.

Doktor Tod nickte zufrieden. Ja, das würde klappen.

Er wandte sich um und tauchte wieder ein in das Dunkel des Gewölbes.

Ein Eishauch blieb zurück. Der Hauch von Vernichtung, Angst und Grauen.

Doktor Tod, wie er sich selbst nannte, war zurückgekehrt. Niemand wusste, woher er kam. Niemand kannte seinen Namen, sein Aussehen.

Er war einfach da. Und er hatte nur ein Ziel.

Er wollte die Menschheit vernichten. Dazu war ihm jedes Mittel recht…

Doktor Tod hatte das Zeitalter der Hölle eingeleitet!

Schon einmal hatte er einen Versuch unternommen. Vor vielen vielen Jahren. Doch damals hatte es nicht geklappt. Er war noch zu schwach gewesen, um sich gegen das Gute zu behaupten. Aber mittlerweile hatte er sich Asmodis, dem Höllenfürsten, verschworen und durch ihn die Fähigkeiten bekommen, die er brauchte. Er war der erste Diener des Satans geworden.

Doktor Tod hatte den Zeitpunkt seiner Rückkehr genau abgepasst. Den Menschen fehlte heute das Zusammengehörigkeitsgefühl. Jeder dachte nur an sich, war immer auf seinen eigenen Vorteil bedacht.

Und das war der ideale Nährboden für einen Mann wie Doktor Tod.

Unerkannt konnte er zwischen den Menschen leben, ihnen seinen Willen aufzwingen und somit die Erde in das absolute Chaos stürzen.

Immer wieder kreisten diese Gedanken in dem Schädel des Unheimlichen. Die Vorstellung, einmal der Herr der Welt zu sein, ließ ihn alles vergessen.

Doktor Tod lachte hässlich. Überlaut hallte das Gelächter von den Wänden des Gewölbes wider und vermischte sich zu einem schaurigen Geheul.

Minuten verstrichen. Dann näherte sich Doktor Tod wieder dem Holztisch.

Lampen blitzten auf. tauchten das Gewölbe in ein kaltes, beinahe grelles Licht.

Das Gewölbe war riesig. Es lag tief unter der Erde und war nur durch einen Geheimgang zu erreichen. Überall standen moderne elektrische Apparaturen, die mit Skalen, Schaltern und Monitoren ausgestattet waren.

An einer Wand waren zwei große Labortische befestigt. Moderne chemische Messgeräte standen darauf. Die Regale darüber waren mit Chemikalienflaschen vollgestellt.

In einer Ecke des Gewölbes stand ein riesiger Bottich. Er war angefüllt mit einer klaren, dickflüssigen Substanz. Dünne Schwaden stiegen von. der Oberfläche gegen die Decke.

Doktor Tod öffnete seine rechte Hand. Ein kleines Fläschchen kam zum Vorschein. Durch das weiße Glas schimmerte eine rote Flüssigkeit.

Doktor Tod öffnete die Flasche. Ein ätzender Geruch zog in seine Nase. Er drehte den Kopf zur Seite und beugte sich über die Leiche.

Seine Hände zitterten kein bisschen, als er etwas von dieser Flüssigkeit in die Augen der Leiche tröpfeln ließ.

Wie ein dicker Vorhang legte sich der rote Stoff über die Pupillen.

Doktor Tod verschloss die Flasche, steckte sie ein und betrachtete zufrieden sein Werk.

Der Anfang war gemacht.

Dann trat der Unheimliche an einen der in der Wand eingebauten Schränke, zog eine Schublade heraus und entnahm dieser zwei runde Lederstücke, die er der Leiche über die Augen legte.

Jetzt konnte nichts mehr passieren.

Der Unheimliche griff nach dem Tonten. Er hob ihn mit fast spielerischer Leichtigkeit hoch.

Dabei war er von der Statur hör noch nicht einmal ein kräftiger Mann.

Doktor Tod war beinahe schmächtig. Doch auf seinem schmalen Körper thronte ein schon übergroßer haarloser Schädel. Die Augen standen dicht beieinander und lagen tief in den Höhlen. Wie eine Klippe sprang die scharf geschnittene Nase hervor. Die Lippen waren messerscharf und schienen mit der straffen, faltenlosen Haut zusammenzuwachsen. Die Gesichtsfarbe war blass, fast weiß, und es fiel besonders auf, dass dieser Mann keine Augenbrauen besaß.

Doktor Tod bevorzugte schwarze Kleidung. All dies gab seinem Aussehen einen unheimlichen Ausdruck.

Es gab Menschen, die schon bei seinem Anblick das Fürchten bekamen.

Doktor Tod wandte sich um.

Die Leiche lag über seinen ausgestreckten Armen. Mit gemessenen Schritten ging er auf den Bottich zu, in dem die Flüssigkeit dampfte.

Der Bottich besaß Heizspiralen, die in das Mauerwerk eingebaut worden waren und eine Wärme ausstrahlten, die selbst Metall zum Schmelzen brachte.

Doktor Tod tunkte die Leiche mit dem Kopf zuerst in die kochend heiße Flüssigkeit.

Ein paar Blasen stiegen träge an die Oberfläche.

Der Bottich war groß genug, dass die ganze Leiche hineinpasste.

Doktor Tod wandte sich ab. Mit ruhigen Bewegungen streifte er sich ein paar Gummihandschuhe über. Dann ließ er zehn Minuten verstreichen und schaltete schließlich die Heizung des Bottichs aus.

Wieder trat Doktor Tod an das große Gefäß. Diesmal zog er den Toten an den Füßen zuerst aus dem Bottich.

Tropfen fielen auf die Erde. Innerhalb kurzer Zeit überzogen sich die Tropfen mit einer Kruste, wurden hart. Wie Wachs.

Und genau das hatte sich in dem Bottich befunden. Flüssiges Wachs, das jetzt wie eine zweite fingerdicke Haut über der Leiche lag.

Doktor Tod zog die wärmeabstoßenden Handschuhe aus und wartete, bis sich die Leiche abgekühlt hatte.

Der erste Teil seines Planes war gelungen.

Nun kam die schwierigste Aufgabe.

Der Tote musste wieder lebendig werden!

Aber das lag nicht in seiner Hand. Das war einzig und allein Asmodis’ Sache.

Nur er hatte die Kraft dieser Kreatur ein neues, teuflisches Leben zu geben.

Doch dazu brauchte er einen Menschen. Damit die Seele dieses Lebenden in den Körper des Toten überwechseln konnte.

Es war ein Experiment, wie es sich nur der Satan selbst ausdenken konnte.

 

 

Die U-Bahn-Station East Putney liegt südlich der Themse, nicht weit entfernt vom Richmond Park.

Die Station selbst ist ziemlich alt. Sie stammt noch aus den Anfängen des U-Bahn-Netzes. Außerdem zählte sie als Nebenstrecke, und die Stadt hatte kein großes Interesse, die Station noch zu renovieren. Hauptsache die Betriebssicherheit war gewährleistet.

Betrieb herrschte hier in den Morgen- und Abendstunden. Vor allen Dingen brachte der Berufsverkehr Geld in die Kassen.

Doch nach dreiundzwanzig Uhr sagten sich auf der kleinen Station Hase und Fuchs gute Nacht. Es kam wohl noch gegen Mitternacht ein Zug. aber das war auch alles.

Insgesamt war die Station ein stiller Fleck.

Das wusste auch Jimmy, der Penner. Er hatte schon manche Nacht auf der schäbigen Wartebank verbracht, stets eingerollt in bekannte englische Zeitungen.

Ausländische Blätter nahm Jimmy nie. Dafür war er schließlich Brite.

Auch an diesem Abend saß Jimmy wieder auf einer Parkbank. Aus rot umränderten Augen stierte er auf die großen Reklameschilder an den gefliesten Wänden. Eine Whisky-Werbung fiel ihm besonders ins Auge.

Jimmy leckte sich die spröden Lippen und schielte zu der halb leeren Ginflasche hin, die neben ihm auf der Bank stand.

Der billige Gin war ein Sprit von der übelsten Sorte.

Trotzdem nahm Jimmy einen Schluck und rülpste dann kräftig; Besser Gin als Wasser.

Jimmy schlug den Korken auf die Flaschenöffnung und verstaute die Buddel in der Tasche seines abgetragenen Mantels.

Für heute hatte er eigentlich genug. Mittlerweile war es so spät geworden, dass er sich hinlegen konnte, Zeitungen hatte er mit. Es handelte sich diesmal um zwei Ausgaben des Daily Mirror.

Jimmy legte sich lang und blinzelte gegen die gekrümmte Decke.

Das kalte Leuchtstoffröhrenlicht brannte Tag und Nacht. Jimmy fluchte, weil es ihm immer in die Augen stach und ihn am zeitigen Einschlafen hinderte.

Doch auch diesmal tat der Alkohol seine Wirkung. Jimmy schlummerte ein.

Wie lange er gelegen hatte, wusste er nicht.

Er wurde nur plötzlich wach.

Sein jahrelanger Instinkt hatte ihn gewarnt.

Jimmy setzte sich auf.

Da hörte er das Geräusch. Es waren Schritte. Sie kamen die Treppen hinunter, die zu der U-Bahn-Station führten.

Vielleicht ein Fahrgast Aber um diese Zeit fuhr keine Bahn mehr.

Jimmy verspürte plötzlich Angst. Aus weit aufgerissenen Augen starrte er zu dem Eingang hin.

Ein Schatten tauchte auf.

Für einen Augenblick stockten die Schritte.

Dann sah Jimmy den Mann – und konnte nur mit Mühe einen Schrei des Entsetzens unterdrücken.

Der Mann hatte einen völlig kahlen Schädel und war ganz in Schwarz gekleidet.

Das grelle Licht ließ jede Einzelheit seines Gesichtes erkennen. Es erinnerte Jimmy an eine Totenkopfmaske. Glatt, abweisend und grausam.

Auf einmal wusste Jimmy, dass es der Mann nur auf ihn abgesehen hatte.

Aber weshalb? Er war nur ein Penner, und etwas zu holen gab es weiß Gott nicht bei ihm.

Der Unheimliche blieb zwei Schritte vor der Bank stehen, mit dem Rücken zu den Gleisen.

Jimmy versuchte ein Grinsen, das jedoch misslang.

Sekundenlang starrte ihn der Unheimliche an. Dann sagte er: »Komm mit!«

Jimmy schüttelte entschieden den Kopf. »Nee, Mister, ich bleibe hier!«

»Du wirst mitkommen. Ich brauche dich!«

»Und wenn Sie einen Kasten Whisky gratis dazugeben, ich will nicht.« Jimmy konnte manchmal sehr störrisch sein. »Außerdem sind Sie mir nicht ganz geheuer.«

Doktor Tod lachte. Urplötzlich schoss seine Hand vor und umklammerte Jimmys Arm.

Der Penner schrie wütend auf. Er hatte das Gefühl, zwei Stahlklammern würden seine Muskeln zusammendrücken.

Doktor Tod zog den Penner von der Bank hoch.

Jimmy merkte, dass er der Kraft dieses relativ schmächtigen Mannes nicht gewachsen war, reagierte deshalb in wilder Panik.

Er riss die Flasche aus der Manteltasche und schlug sie mit voller Wucht auf Doktor Tods Kopf.

Der Unheimliche stieß eine Verwünschung aus und ließ Jimmy los.

Der Penner rannte direkt auf den Ausgang zu.

Diesen Schlag konnte der Kerl nicht verkraftet haben. Der hatte ihn bestimmt ins Reich der Träume geschickt. Vielleicht war er auch tot.

Dieser Gedanke jagte Jimmy einen heißen Schreck ein. Er wandte den Kopf – und brüllte in wilder Panik auf.

Der Unheimliche war nur wenige Schritte hinter ihm. Er musste einen Schädel aus Eisen haben. Noch nicht einmal eine Platzwunde war auf seinem Kopf zu sehen

Jimmy hetzte weiter.

Personen

  • Doktor Tod
  • Jimmy, der Penner
  • Nick
  • Helen Clay
  • Kellner
  • Hank Dillinger
  • Jill
  • Buckliger Kassierer
  • Beamter
  • Sir James Powell, Superintendent
  • John Sinclair, Inspektor bei Scotland Yard
  • Mrs. Dillinger, Hanks Mutter
  • Jeff Turpin, Verwalter und Hausmeister des Obdachlosenasyls
  • Polizeibeamte
  • Krankenschwester im Guy-Hospital
  • Wachsmonster
  • Inspektor Dennison
  • Dr. Brennison, Wissenschaftler im Yard
  • Miss Polly, Prostituierte
  • Carlo, Doktor Tods Diener

Orte

  • London
  • Tonbridge

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 19. Bastei Verlag. Köln. 22. 05. 2018
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000