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Der Welt-Detektiv Band 6

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Atlantis Teil 38

Das U-Boot Tredrups hatte den Kanal hinter sich, fuhr mit äußerster Kraft Kurs Süd zu Südwest. Uhlenkort stand neben Tredrup im Kartenhaus. Der wies ihm die Peillinie, die er in Saltadera aufgenommen und in die Karte eingetragen hatte.

»Hier!« Er deutete auf eine kleine Insel, die von der Peillinie geschnitten wurde. »Vielleicht ist dies die Insel. Bin dessen aber nicht sicher, denn so kleine Atolle sind wohl kaum auf dieser Karte verzeichnet. Jedenfalls wird es morgen Abend werden, ehe wir in die Gegend kommen, die uns interessiert. Wir haben die schönste Zeit, uns unter das Sonnensegel zu setzen und Seemannsgarn zu spinnen.«

»Hamburg, das alte Nest. Wie sieht es da jetzt aus?«

»Nicht anders, wie du es zuletzt sahst«, gab Uhlenkort zur Antwort. »Öde Fabriken, tote Häuserzeilen. Die Menschen stumm, freudlos, in der Sorge um Zukunft und Leben. Nicht anders, als ginge der Schwarze Tod in der Stadt um. Der Hafen. Auf den ersten Blick kaum verändert. Schiff an Schiff. Aber doch so ganz anders als früher. Kaum noch, dass tote Fracht ankommt oder abgeht. Menschen … Menschen … voll beladene Schiffe bringen sie ein, voll beladene Schiffe bringen sie weiter. Die Bilder der Auswanderer: Entsetzen, mitleiderregend. Der Norden Skandinaviens sollte geräumt sein. Geräumt. Aber nein, gerade hier, wo der Tod am nächsten war, ergab sich das Sonderbare, dass viele dieser Nordländer sich weigerten, Haus und Hof zu verlassen. Der ewige Kampf mit Schnee, Eis und Tod hatte sie abgestumpft gegen die drohende, viel größere Gefahr. Je weiter nach Süden, desto größer die Angst. Bis nach Mitteldeutschland wirkt die Furcht vor dem kommenden Unheil. Eine neue Völkerwanderung von Norden her, wie sie die Geschichte schon einmal kannte, wälzt sich zum Süden, mit Gewalt an dessen Tore pochend.«

»Gewalt?«, unterbrach Tredrup.

Uhlenkort nickte mit finsterer Miene. »Wie nicht anders möglich versagte die Organisation an vielen Stellen. Die Fliehenden, gejagt von Not und Elend, verschafften sich eigenmächtig, was sie brauchten. Das südliche Europa, ohnmächtig, allen zu helfen, alle aufzunehmen, wehrte sich. Man wandte sich an das Rumpfparlament. Nur wenige der Deputierten waren gekommen. Man machte Vorschläge, beriet, ging wieder auseinander. Hoffnungslos war alles, eine Farce die ganze Tagung. Es waren schwere Stunden für mich, die schwersten, die ich je in meinem Leben durchgemacht habe. Schlimmer als die auf die Nachricht vom Durchbruch des Golfstroms. Meine Augen sahen alles, meine Ohren hörten alles. Immer wieder wurde auch meine Stimme zurate gezogen. Und ich konnte und durfte den Mund nicht öffnen, um den Trost zu geben, der alle Leiden mit einem Schlag beendet hätte. Das Schicksal! Stunden gab es, wo ich an seinem gerechten Walten verzweifelte, wo sich meine Zunge zu lösen drohte. Ich fuhr mit meinem Oheim, dem Staatspräsidenten, nach Hamburg zurück. Da traf mich deine Nachricht. Ich bestieg das Flugzeug, kam nach Saltadera … sah meinen alten Freund … sprach mit ihm, und nun sind wir auf der Fahrt zu ihr, zu Christie Harlessen.«

 

*

 

»Chefingenieur Grimmaud!«, meldete der Flügeladjutant des Kaisers.

»Grimmaud? Er kommt von selbst? Nachdem er wochenlang Timbuktu und den Hof mied?«

Wohl hatte ihn der Kaiser zu trösten versucht, ihn von aller Verantwortung für das Unglück losgesprochen. Doch Grimmaud war allen Trostgründen unzugänglich geblieben. Er sann nur Tag und Nacht, wie der Schaden gutzumachen, das Unglück zu beheben sei. Vergeblich blieben all seine Bemühungen.

Jetzt stand er vor dem Kaiser. Die gebeugte Gestalt aufgerichtet, das Auge wie von Zuversicht belebt.

»Grimmaud! Was bringen Sie? Was Gutes muss es sein, ich sehe es Ihnen an.«

»Gut, Majestät? Ja und nein. Vorläufig nichts Gutes … Aber ich hoffe, dass daraus Gutes für den Schacht entstehen wird.«

Der Kaiser trat einen Schritt näher an ihn heran.

»Grimmaud, was sagen Sie? Ich weiß, dass jedes Wort aus Ihrem Mund wohlbedacht ist. Was können Sie Gutes hoffen, wo die Gelehrten der Welt einstimmig den ewigen Brand des Schachtes prophezeiten?«

Grimmaud schöpfte tief Atem. »Ich weiß nicht, ob Euer Majestät von den kleinen Explosionen in den letzten Tagen, die in der Schachttiefe stattfanden, Bericht erhielten?«

Der Kaiser schüttelte den Kopf. »Ich weiß von nichts. Der Schacht, die Erinnerung – an alles, was passiert ist – meine Umgebung vermeidet es, in meiner Gegenwart den Namen auszusprechen.«

»Es ist so, Majestät. Kleinere Explosionen fanden in den letzten Tagen statt. Wohl niemand außer mir achtete ihrer. Für mich bedeuteten sie das Licht in dem undurchdringlichen Dunkel. Und ich hatte sie erwartet, wenn auch noch nicht jetzt, so später, viel später.«

»Und die Explosionen? Wie entstehen sie, was bedeuten sie?«

War es der Glanz von Grimmauds Zuversicht, der auf seinem Gesicht sich widerspiegelte? Auch an dem stahlharten Körper des Kaisers war die Katastrophe nicht spurlos vorübergegangen. Zu stark war der Schlag, wirtschaftlich, politisch, der so viele Hoffnungen, Entwürfe zu Fall brachte.

Die Differenzen mit der Südafrikanischen Union waren geregelt … Durch das Nachgeben des Kaisers.

»Kommen Sie! Hier ist das Profil des Schachtes.«

Er zog aus einem Schrank die Schachtkarte.

»Zeigen Sie! Erzählen Sie!«

Grimmauds Finger glitt über die Karte.

»Euer Majestät sehen hier unseren Karbidabbau. Wir hatten, als die Katastrophe kam, bereits drei Sohlen angelegt, die Strecken nach allen Richtungen fast zweitausend Meter vorgetrieben, Querschläge gesetzt. In diese Hohlräume ist das Wasser eingebrochen. Es entwickelte mit dem Karbid zusammen unendliche Mengen Azetylengas, die seit jenem Tag zum Schachtmund hinausbrennen. Zurück bleibt dort unten eine gewaltige Kalkmasse, deren Volumen größer ist als das des Karbids, aus dem sie entstand. Die Kalkmassen haben alle Strecken und Querschläge gefüllt, sind, Ausweg suchend, auch in den Schacht getreten, sammelten sich, versperrten dem abströmenden Gas den Weg. Das wurde von innen gepresst, bis seine explosive Natur sich mit Gewalt freie Bahn schuf. Jene Explosionen, von denen ich Euer Majestät bereits erzählte, waren für mich das sichere Zeichen, dass die Entwicklung dort unten bis zu diesem Punkt gediehen ist.«

Augustus Salvator war dem Vortrag seines Chefingenieurs mit wachsendem Interesse gefolgt.

»Und was weiter?«, drängte es von seinen Lippen.

»Die Explosionen sind, wie ich bestimmt erwarte, die Vorläufer einer großen, ganz großen Bewegung, einer neuen Katastrophe, wenn man so sagen will, aus deren Auswirkungen vielleicht die Heilung entspringt.«

»Heilung? Durch eine neue Katastrophe? Ich verstehe Sie nicht, Grimmaud. Und doch. Jedes Wort von Ihnen ist Trost, Hoffnung.«

Grimmaud hatte mit schneller Hand in die Schachtkarte ein paar Linien eingezeichnet.

»Der Druck der riesigen, sich fortwährend neu bildenden Kalkmassen wird diese nur bis zu einer gewissen Grenze in den Schacht treiben. Ihr Druck wird auch direkt auf das Hangende wirken, stärker und stärker werdend, bis es ihm weicht. Bis die Schichten darüber erdbebenartig durcheinandergeschüttelt und gehoben werden.«

»Wie kann daraus für den Schacht Rettung entstehen? Wird er bei Erschütterungen nicht zusammenstürzen?«

Grimmaud machte eine zweifelnde Gebärde. »Die Frage, Euer Majestät, ist wohl berechtigt. Der Schacht wird sicherlich darunter leiden. Wahrscheinlich schwer leiden. Aber ich habe die Hoffnung – nichts kann sie trüben –, dass der entstehende Schaden an der Schachtmauerung nicht so groß sein wird, dass er nicht zu reparieren wäre.«

»Aber das Feuer, Grimmaud? Der Riesenbrand? Wird er dadurch ausgelöscht? Unmöglich!«

»Nicht direkt, Euer Majestät. Aber das feindliche Element, das Wasser, wird, wie ich hoffe, dabei abgesperrt werden. Die unterirdischen Schichten, in denen es fließt, werden in erster Linie starke Verwerfungen erfahren, so starke, dass dem Wasser der Weg in den Schacht verlegt wird.«

»Grimmaud! Was sagen Sie? Wären Sie gesund, keinen Augenblick würde ich zweifeln. Aber Sie sind krank. Das Unglück hat Ihren Geist verwirrt. Hirngespinste!«

Grimmaud schüttelte den Kopf. Ein leichtes Lächeln lief über sein Gesicht.

»Ich war krank, Majestät. Die Explosionen gaben mir die Kraft wieder. Was ich sage, ist kein Hirngespinst, sondern wohldurchdacht.«

Der Kaiser stand vor ihm. Seine Augen bohrten sich prüfend in das Gesicht des Chefingenieurs. »Wahrheit?«

Und als gäbe die Natur selbst die Antwort: Einen Augenblick schien es, als wankten die Mauern des Palastes. Einige Bilder lösten sich von der Wand. Die große Lampe an der Decke schwankte in wilden Bewegungen.

Die beiden sahen sich an, jeder tief erregt.

»Ein Erdbeben!«, flüsterte der Kaiser.

Grimmaud sprang auf. »Der Schacht!«, schrie er. »Die Massen regen sich unter dem Druck. Gestatten, Euer Majestät, dass ich mich entferne. Ich muss hin, sehen, dabei sein.«

Der Kaiser winkte ab, ging zu einer Schalttafel, sprach ein paar Worte in ein Mikrofon. Es war die Verbindung mit der Fernsehstation Mineapolis. An der dem Fenster abgewandten Seite des Gemachs erschien das Bild des Schachtes, wie es, von der Fernsehkamera der Station aufgenommen worden war, auf den Bildschirm an der Wand geworfen wurde.

Ein wogendes Flammenmeer, zum Himmel brodelnd. Das alte Bild … aber jetzt!

Die Umgebung! Die Reste der vom Brand verschont gebliebenen Gebäude waren zu wüsten Trümmerhaufen zusammengestürzt. Menschen, angstvoll auf der Flucht nach allen Seiten hin.

Der Adjutant trat ein, wollte melden. Der Kaiser winkte ihm zu schweigen, wies auf den Bildschirm an der Wand. Da, ein neuer Erdstoß. Ihre Hände suchten unwillkürlich nach einem Halt. Taumelnd starrten sie auf das Bild. Der neue Stoß hatte den Schachtmund und seine Umgebung gehoben, als drücke ein Riesenpilz durch die Erdkruste nach oben.

Noch hatten ihre Augen das Bild nicht ganz erfasst … ein neuer Stoß!

Der Adjutant mahnte, den Raum zu verlassen, Sicherheit im Freien zu suchen. Der Palast könnte einstürzen. Der Kaiser achtete nicht auf die Warnung. Nur fester klammerten sich seine Hände an Grimmaud, der mit gespreizten Beinen dastand, sieghaften Glanz in den Augen.

Das Bild des Schachtes! Der Boden seiner Umgehung hatte sich um ein weiteres Stück gehoben. Das früher gleichmäßig strömende Feuer loderte flackernd, bald kleiner, bald größer werdend. Und dann! War das noch der brennende Schacht? War es der Kratermund eines Vulkans? Durch die wabernde Lohe des brennenden Gases schossen in Eruptionen Massen emporgeschleuderten Kalkes. Noch einmal eine Rieseneruption, die Feuerfontäne schien sengend den Himmel zu fassen. Dann sank sie zusammen, wurde kleiner und kleiner … zuckte noch ein paar Mal kurz auf.

Dann war sie verschwunden … noch eine Zeit lang ein feuriger Glast über dem Schachtmund, der verblasste, langsam verschwand.

»Gerettet!«, schrie Grimmaud. Vergaß, dass es die Person des Kaisers war, dessen Hand er ergriff, schüttelte.

»Gerettet unser Werk!«