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Der Welt-Detektiv Band 6

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Schwäbische Sagen 62

Schwäbische-Sagen

Zweites Buch

Geschichtliche Sagen

Die zwölf Knaben
Eine mündliche Überlieferung aus Altdorf

Zu der reichen Gräfin von Altdorf im Schussental kam einst ein armes Weib und bat um eine Gabe für sich und ihre hungernden Kinder. Da wies die Gräfin aber das Weib ab und sagte: »Wenn du keine Kinder ernähren kannst, so solltest du auch keine haben und hättest gar nicht heiraten sollen.«

Das erbitterte die arme Frau und sie wünschte der Gräfin, dass sie zwölf Kinder zumal gebären möge. Nicht lange danach geschah es auch wirklich, dass die Gräfin mit zwölf Knaben niederkam. Darüber entsetzte sie sich gar sehr, und da ihr Gemahl eben ausgegangen war, so schickte sie auf der Stelle ihre Magd mit elf Knaben fort, dass sie dieselben in die Scherzach werfen sollte. So aber jemand sie anhalte und befrage, möge sie nur sagen, sie müsse junge Hunde ertränken.

Die Magd war bereits mit ihrem Korb bis in die Nähe des Mühlbachs gekommen, da traf es sich, dass gerade der Graf des Wegs daher kam und sie fragte, wohin sie wolle und was sie da habe. Mit der Ausrede, welche die Magd vorbrachte, begnügte der Graf sich nicht; er wollte die Hunde selbst sehen. Kurz und gut, er erfuhr die ganze Geschichte, indem die Magd ihm alles gestand. Darauf befahl er der Magd tiefes Schweigen. Sie solle der Gräfin sagen, dass sie ihren Auftrag vollzogen habe. Dann ließ er die elf Knaben zu einem Müller tragen, der in der Nähe an der Scherzach wohnte, und empfahl namentlich der Müllerin die Kleinen zu sorg­fältiger Pflege. Die Knaben gediehen auch alle miteinander vor­trefflich. Als sie so das siebente – andre sagen das zwölfte – Jahr erreicht hatten, veranstaltete der Graf ein großes Gastmahl, wozu viele vornehme Gäste geladen wurden. Während des Essens brachte der Graf, wie zufällig, das Gespräch auf verschiedene Verbrechen und fragte die Gäste der Reihe nach, welche Strafe sie für das und das Vergehen ansetzen würden, worauf dann ein jeder seelmütig seine Meinung äußerte. So kam denn auch die Reihe an seine Gemahlin.

Der Graf fragte sie, welche Strafe doch wohl eine Mutter verdiene, die elf Kinder umgebracht hätte.

»Ei, die ver­diente«, sagte die Gräfin rasch, »dass man sie lebendig in Öl siede.«

»So hast du selbst dir dein Urteil gesprochen«, versetzte der Graf und öffnete eine Nebentür, durch welche er die elf Knaben herein­treten ließ, und nun die ganze Geschichte seinen Gästen vortrug. Die Gräfin fiel ihm zu Füßen und bat um Gnade, die sie auch er­halten haben soll.

Vor dem Rathaus zu Altdorf sind die zwölf Knaben nebst dem Müller und der Müllerin abgebildet; ebenso auf einem alten Ölbild im Inneren des Hauses.