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Emanzipation und Generationskonflikt

Emanzipation und Generationskonflikt
Horror der 60er Jahre – Die USA zwischen Psycho- und Gothik-Horror
Eine kleine Einführung

Die 60er Jahre waren geprägt von starken gesellschaftlichen Veränderungen. Vor allem junge Menschen suchten nach sozialen Alternativen. Das traditionelle Wertesystem erwies sich für eine neue Generation als zu starr. Man versuchte, das Alte zu durchbrechen und hielt nach neuen Wegen Ausschau. Dies führte unter anderem zu sozialen Gruppierungen wie etwa den Hippies oder den Beatniks und der damit verbundenen Flowerpowerbewegung.

Die 60er Jahre waren aber auch geprägt von Rassenunruhen in den USA. Soziale Bewegungen kämpften für die Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung. Parallel dazu kämpften Frauen für Emanzipation. Der Kampf um mehr Freiheit, um alternative Lebensformen und alternative Lebensgestaltung sorgte nicht selten für Konflikte innerhalb der Familien. Generationskonflikte waren damit an der Tagesordnung.

Die Suche nach Alternativen sorgte zugleich für mehr Unsicherheit. In traditionellen Gesellschaften existieren nicht viele Optionen. Der Lebensweg eines Individuums ist sozusagen bereits vorgeprägt. Brechen nun diese traditionellen Dämme weg, so ergibt sich dadurch eine unerhört große Vielfalt an Verwirklichungsmöglichkeiten. Die Optionenvielfalt steigt, was zugleich einen Individualisierungsschub auslöst. Dieser Schub führt zu neuen sozialen Ängsten. Diese resultieren aus dem plötzlich Ungewissen. Zum einen sind es Zukunftsängste, da nicht garantiert ist, dass der alternative Lebensweg gelingt. Zum anderen sind es Ängste vor dem Anderen, der zunehmend zu einer Art Fremden wird. Und drittens sind es Ängste vor einem unklaren politischen und gesellschaftlichen Rahmen.

In den 60er Jahren kam es zu einem sichtbaren sozialen Wandel. Das bedeutet, die Geschwindigkeit, mit welcher die sozialen Transformationen abliefen, erschien enorm hoch. Schneller sozialer Wandel sorgt für große Unsicherheit und damit für große soziale Ängste. Die Gefahr vor einem Atomkrieg war größer denn je.

Die Weltsicht der 60er Jahre im Film

Zusammenfassend kann man sagen, dass die 60er eine plötzliche Unvertrautheit und damit soziales Unbehagen auslösten. Der Filmklassiker Blow Up (England 1966) des Regisseurs Michelangelo Antonioni weist exakt auf diesen Sachverhalt hin. Hier ist es der Fotograph Thomas, der das neue Lebensgefühl verkörpert, das in den 60er Jahren aufkam. Dieses als eine Art Freiheit dargestellte Gefühl besitzt jedoch seine Schattenseite. Diese findet Thomas unerwartet auf einer seiner Fotographien, die er in einem Park aufgenommen hat. Auf einem seiner Fotos zeichnen sich die Konturen eines menschlichen Körpers ab. Thomas lässt diese Erkenntnis keine Ruhe. Er versucht, das Rätsel dieser seltsamen Aufnahme zu lösen. In dieser Situation schleicht sich das Unbehagen in sein Leben. Die Leichtigkeit bekommt eine zunehmend ernste und teils unheimliche Seite. Mithilfe dieses Stils versucht Antonioni zu zeigen, dass in einer modernen Gesellschaft nichts mehr gewiss ist. Die Individuen verlieren sozusagen den Überblick. Dieser Verlust führt zu zwei Konsequenzen. Zum einen muss sich jeder Akteur selbst sein Weltbild schaffen. Zum anderen muss nach neuen Vertrauensgrundlagen gesucht werden.

Die Suche nach neuen Vertrauensmechanismen entwickelte sich also aus den Gründen, da traditionelle Vertrauensformen nicht mehr funktionierten. Das bisher Vertraute erhielt einen Beigeschmack von etwas Fremden. In dieser Hinsicht bekommen die quasireligiösen Strömungen sowie Erscheinungen wie Okkultismus und Satanismus einen zweiten Zweck zugeführt. Sie dienten nicht nur zur Legitimierung sozialer Alternativen, sondern sollten zugleich eine gewisse Sicherheit vermitteln. Trotz teils drastischer Veränderungen boten religiöse und quasireligiöse Erklärungen eine Art seelischen Schutz, auf den sich die Akteure beziehen konnten. Denn die Gesellschaft wurde auf einmal unübersichtlich.

In filmischer Hinsicht wurde der Aspekt zunehmender sozialer Unübersichtlichkeit gerne aufgegriffen. Dies zum einen in surrealen Thrillern wie etwa der Agentenserie Nummer 6. In diesem Ende der 60er Jahre entstandenen Fernsehklassiker besitzen die Bewohner einer kleinen Küstenstadt keine Namen, sondern nur Nummern. Ein Mann, der plötzlich in dieser Stadt aufwacht und der als Nummer 6 bezeichnet wird, versucht herauszubekommen, wer Nummer 1 ist. Die Suche ist alles andere als leicht, da sich die Struktur der Miniaturgesellschaft ständig ändert. Statt Antworten zu erhalten, gerät der Protagonist in immer größere Verwirrung. Eine Antwort darauf, wer eigentlich für die Ordnung und Regeln verantwortlich ist, welche das Leben der Gesellschaft bestimmen, wird nicht geliefert. In diesem Zusammenhang erscheint die Miniserie als geradezu prädestiniert dafür, ein Bild einer sich ständig verändernden Gesellschaft zu liefern. Die ständigen Veränderungen führen dazu, dass viele Menschen die Orientierung verlieren. Es ist nicht mehr deutlich, wer eigentlich die Fäden in der Hand hält. Da im gewissen Sinne der Alltagswelt eine bestimmte Routine fehlt, führt dies bei einigen Akteuren zu verstärkter Unsicherheit. Ständige Konflikte verstärken noch die sozialen Ängste vor einem zunehmenden Chaos. Hierbei ist vor allem die Vielzahl an manifesten Konflikten ein Indikator dafür, dass es in den 60er Jahren zu einem rasanten sozialen Wandel gekommen ist. Konflikte treten in der Regel dann auf, wenn Menschen mit ihrer derzeitigen Situation unzufrieden sind. Sie wollen Veränderungen. Diese Veränderungen versuchen sie, mithilfe sozialer Bewegungen durchzusetzen. Schon das Vorhandensein einer sozialen Bewegung zeigt, dass sich zwei Akteure (hier in Form unterschiedlicher Gruppierungen) mit unterschiedlichen Meinungen und Interessen gegenüberstehen. In den sozialen Bewegungen der 60er Jahre ging es wie bereits erwähnt darum, die traditionalen Elemente der Gesellschaften außer Kraft zu setzen, um dadurch eine Optionenvielfalt, die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und mehr soziale Gerechtigkeit zu erhalten. Die Bewegungen initiierten also soziale Transformationen. Eine ebenfalls bereits erwähnte Konsequenz davon zeigte sich in Form einer beschleunigten Individualisierung, die letztendlich zu einer zunehmenden sozialen Unübersichtlichkeit führte. Speziell im Bereich des Horrorfilms greifen die zunehmende Angst vor dem Fremden und der Zunahme des sozialen Vertrauensverlustes und damit der Zunahme einer bestimmten Form des Unheimlichen in der Gesellschaft Psychothriller wie z. B. Psycho (USA 1960) oder Peeping Tom (England 1960) auf. Heutige südkoreanische Horrorfilme greifen auf diese Aspekte ebenfalls verstärkt zurück. Parallel zu diesen Filmen kann man starke soziale Veränderungen bemerken, die einhergehen mit dem Wegfall von Tradition und einer Zunahme an.

In medialer Hinsicht waren die 60er Jahre zusätzlich durch einen deutlichen Rückgang der Kinobesucher geprägt. Ursache dafür war die zunehmende Verbreitung von Fernsehapparaten in den US-amerikanischen und den europäischen Haushalten. Um wieder Gewinne einzufahren, mussten sich Produzenten und Regisseure etwas Neues einfallen lassen. Die strategische Offensive der Filmwirtschaft führte zu den Cinemascopefilmen, die mit einem überteuerten Budget und einer überdimensionalen Leinwand lockten. Der teuerste Film der damaligen Zeit war Cleopatra (USA 1964), der trotz seines enormen Erfolges die Kosten nicht mehr einbringen konnte. Zur selben Zeit wurden die Westernfilme rauer und brutaler. Die Kriminalfilme zeigten mehr Action. Ein Subgenre, das des Agentenfilms, wurde neu definiert. James Bond visualisierte in dieser Hinsicht Action als etwas regelrecht Beeindruckendes. Durch gewagte Stunts und einer Vielzahl an Explosionen stellten die Bond-Filme bisherige Actionfilme in den Schatten.

Norman Bates als Vertreter der alten Ordnung?

Auch im Horrorfilmgenre tat sich etwas Neues. Horrorfilme greifen die jeweiligen aktuellen sozialen Ängste auf und verarbeiten diese auf ästhetische Weise. Da sich diese Form der Angst seit den 50er Jahren von einer exogenen Gefahr in Form einer kommunistischen Unterwanderung auf die Veränderungen in der eigenen Gesellschaft verschoben, zeigten Horrorfilme keine Aliens mehr, die versuchten, eine Invasion auf die USA zu starten, sondern Psychopathen und unheimliche Schlösser, welche als Symbole der neu aufgekommenen sozialen Ängste betrachtet wurden. Wenn wir Alfred Hitchcock als einen der bekanntesten Vertreter dieses Genres den Vortritt lassen, so steht am Anfang der 60er Jahre der Psychothriller Psycho (USA 1960). Diese in schwarzweiß gedrehte Low-Budget-Produktion nach dem gleichnamigen Roman von Robert Bloch verunsicherte und schockierte das Publikum in gleichem Maße. Zum einen zeigt die perfekte Montage der berühmten Duschszene eine eigentlich gar nicht sichtbare Gewalt. Es ist ein herunterstoßendes Messer zu sehen, die abwehrenden Hände des Opfers, das Gesicht der kreischenden Frau in Großaufnahme, die schattenhaften Konturen des zustoßenden Täters sowie Blut, das in den Abfluss sickert. Die Montage der einzelnen Aufnahmen bildet beim ersten Betrachten jedoch den Eindruck, als würde man sehen, wie das Messer in den Körper der Frau eindringt. Dies wird durch die parallel verlaufende Tonfolge, welche stechende Geräusche vortäuscht, sowie durch die panische Musik verstärkt. In der Tat zeigt jedoch keine der einzelnen Sequenzen, wie das Messer in den Körper dringt.

Zum anderen besitzt der Film einen Grundton, der auf das Unheimliche in der Gesellschaft hinweist. Auch bewegt sich Psycho auf einer stark antiemanzipatorischen Ebene. Diese Schlussfolgerung ergibt sich aus den ersten zusammenhängenden Szenen, in der es um eine Frau geht, die ihre Firma bestiehlt, fliehen möchte, doch auf ihrer Flucht von Norman Bates ermordet wird. Der Weg in die Freiheit wird ihr verwehrt. Sie hat keine Chance ein Leben zu führen, wie sie es sich wünscht. Ihr Emanzipationsversuch scheitert. Interessanterweise ist es ausgerechnet ein Mann, der sie daran hindert.

Das Unheimliche in der Gesellschaft offenbart sich in Norman Bates selbst. Der Psychopath erscheint nach außen hin wie ein etwas merkwürdiger, doch harmloser Motelbesitzer. Sein harmloses Äußeres täuscht. Norman Bates stellt eine Gefahr dar. Man könnte sagen, er kann als eine Art Prototyp einer endogenen Gefahr betrachtet werden, welche in den Filmen der 70er Jahre fortgesetzt wurde. Allerdings ist in dem nachfolgenden Jahrzehnt das Unheimliche für den Zuschauer deutlicher zu erkennen. Leatherface besitzt z. B. kein einnehmendes Äußeres, sondern ist von seinem ersten Auftreten bereits als Antagonist zu erkennen. Die einzige Gemeinsamkeit liegt in der Abgeschiedenheit des Ortes. Diese spezielle Lage von Orten, in denen etwas Unheimliches oder auch Bösartiges geschieht, ist im Volksglauben sowie in Märchen und Sagen verankert. Die Schauerliteratur des 18. Jahrhunderts griff diese Elemente auf, welche in der unheimlichen Literatur des 20. Jahrhunderts fortgesetzt wurden und auch in der modernen/postmodernen Literatur weitergeführt werden. Ist es in Texas Chainsaw Massacre ein einsam gelegenes Landhaus, so ist es in Psycho ein abseits gelegenes Motel. In Psycho existiert allerdings noch eine einnehmende Fassade. Das Motel (nicht das berühmte Haus) wirkt zwar einsam, aber befindet sich in einem sauberen Zustand. Das kann man etwa zehn Jahre später von Leatherfaces Wohnort nicht behaupten. Dort zeigt bereits die Fassade einen bestimmten Grad an Verfall. Die Gesellschaft in Psycho scheint also im Groben und Ganzen noch gut zu funktionieren. Doch dann schnappt die Falle zu. Der Zuschauer ist wie vor den Kopf gestoßen. Das Grauen kommt nicht von außen, sondern ist Teil der eigenen Gesellschaft. Norman Bates entpuppt sich als Psychopath, der in die Rolle seiner eigenen Mutter schlüpft. Dabei berichtet der Film indirekt von zerstörten Familienverhältnissen, über die in den Horrorfilmen der 50er Jahre so gut wie gar nichts zu sehen gewesen ist. Dort war es eine ideale Gesellschaft ohne versteckte, unheimliche Orte. Mit einem Mal führt Psycho dem Zuschauer zu Bewusstsein, dass die Gesellschaft nicht mehr der Ort ist, in dem jeder jeden kennt und Vertrauen eine Selbstverständlichkeit ist. Alfred Hitchcock offenbart in seinem Film das Fremde in der eigenen Gesellschaft. Das Unheimliche, das sich aus der rasanten Differenzierung der Gesellschaft ergibt. Auf einmal steht der Einzelne unbekannten Personen gegenüber, die alles sein können. Schon allein durch den Fakt, dass man nichts über den Anderen weiß, ergibt sich ein Vertrauensbruch. Ein Gefühl des Unheimlichen, das sich innerhalb der Gesellschaft abspielt, schleicht sich ein. Die Gesellschaft und ihre Individuen werden sich selbst fremd.

Bis das Blut gefriert oder Emanzipation klappt nicht

Über den verzweifelten Versuch einer Emanzipation sowie dessen Scheitern handelt in gewisser Weise auch der Film Bis das Blut gefriert (USA 1963). Diese Mischung aus Psychothriller und Haunted-House-Elementen basiert auf dem Roman Hill House von Shirley Jackson. Der Film handelt von Eleanor, einer jungen Frau, die sich ständig wünscht, ihr eigenes Leben führen zu können. Die Pflege ihrer schwerkranken Mutter verbietet es ihr aber. Schließlich erhält sie die Möglichkeit, an einem parapsychologischen Experiment teilzunehmen. Dieses soll in einem leer stehenden Haus durchgeführt werden, in dem es angeblich spukt. Eleanor genießt ihr neues Leben. Zugleich merken die anderen Teilnehmer ihre Unerfahrenheit und hänseln sie. Dr. Markward, der Leiter des Experiments, weist sie gelegentlich zurecht. Dies führt dazu, dass sich Eleanor mehr und mehr zu dem seltsamen Haus hingezogen fühlt, da sie glaubt, das Haus zu verstehen bzw., dass das Gebäude sie versteht. Ihr zweiter Fluchtversuch (der erste gelang ihr aus ihren eigenen vier Wänden) führt jedoch zu einer Katastrophe.

Die Zurechtweisung durch einen Mann sowie der gescheiterte Versuch, ein emanzipiertes Leben zu führen, deuten wie auch schon Psycho auf ein noch immer mächtiges Patriarchat hin, das Frauen zwar eine gewisse Freiheit gewährt, diese damit gleichzeitig auch einschränkt. So gelingt es Eleanor zwar aus ihrem eintönigen Leben auszubrechen und an dem Experiment teilzunehmen. Ihre vollständige Flucht und damit Emanzipation wird ihr jedoch verwehrt. Aus dieser Perspektive erhält der Film eine äußerst tragische Note und kann durchaus als Psychodrama bezeichnet werden. Der Wunsch, nicht mehr abhängig zu sein, wird durch die Figur des Dr. Markward zunichtegemacht. Die Gruppe, deren Mitglied sie ist, stellt sich als abhängig von einem Mann heraus, nämlich dem Parapsychologen, der das Experiment leitet. Bis das Blut gefriert offenbart zugleich die Konsequenzen einer Modernisierung auf einer Mikroebene. Wiederum steht hier Eleanor im Mittelpunkt. Ihr bisheriges Leben, das allein aus dem Pflegen der Mutter bestand, existiert aufgrund ihrer Flucht nicht mehr. Das heißt, die Alltagsroutine, die man hier als traditionales Element bezeichnen  könnte (das Pflegen findet innerhalb der Familie statt und wird nicht von einer anonymen Institution übernommen), bricht plötzlich ab. Gleichzeitig verliert die Protagonistin ihre bisherige Identität, die auf der Alltagsroutine basierte. Es kommt zu einer verzweifelten Identitätssuche innerhalb einer Welt, die nicht mehr so streng durch traditionelle Regeln bestimmt ist. Hier muss sich Eleanor als Individuum behaupten. Eine neue Identitätsfindung misslingt. Eleanor findet sich nicht zurecht. Hier spiegeln sich u. a. Aspekte wieder, die mit Individualisierung und Multioptionen zusammenhängen. In einer modernen Gesellschaft müssen die Individuen ihren eigenen Platz finden, im Gegensatz zu traditionalen Gesellschaften, in denen sie ihren Platz zugewiesen bekommen. Da die Moderne durch eine gewisse Unübersichtlichkeit charakterisiert ist, ist die Suche nach einer eigenen und einer sozialen Identität mit großen Schwierigkeiten verbunden. Für Eleanor selbst endet die Suche in einem Desaster. Der Regisseur Robert Wise weist hier in codierter Form auf soziale Konflikte hin, die sich durch den gesellschaftlichen Wandel vollziehen. Nur derjenige, dem es gelingt, sich an sozialen Transformationen schnell und effizient anzupassen, geht nicht unter. Theodora, die zweite Frau innerhalb der Gruppe, erweist sich als kühl und erfahren. Sie versucht, Dr. Markward die Stirn zu bieten. Daher erscheint sie emanzipiert und verkörpert eine Frau, die sich selbst sexuell bestimmt (in dem Remake von 1998 wird ihre Bisexualität stärker betont). Allerdings muss auch sie sich dem Mann Dr. Markward unterordnen, was bedeutet, dass ihre emanzipatorischen Bestrebungen eingeschränkt sind.

Roger Cormans Poe-Verfilmungen als Sinnbilder des Zeitgeists

Emanzipation bezeichnet das Freikommen aus ursprünglichen Gewaltverhältnissen. Die Frau befreit sich aus der traditionell bedingten Herrschaft des Mannes. Dieser Prozess lässt sich auch auf die Herrschaftsverhältnisse zwischen älterer und jüngerer Generation übertragen. Seit jeher ist aus traditionellen Gründen die jüngere Generation der älteren untergeordnet. Dies kann so weit führen, dass die ältere Generation Berufswahl und Intimbeziehungen der jüngeren bestimmt. Der Sohn ergreift den Beruf des Vaters, da es ihm von der älteren Generation auferlegt ist. Die Wahl der Frau (bzw. bei einer Frau die Wahl des Mannes) übernimmt ebenfalls die ältere Generation. Dies geht so lange gut, bis Modernisierungsprozesse diese traditionellen Elemente zunehmend auflösen. In diesem Sinne veranschaulichten die 60er Jahre weit deutlicher als die 50er Jahre, dass sich die Jugend im zunehmenden Maße von der älteren Generation emanzipieren möchte. Andere, alternative Lebensformen und Verwirklichungsmöglichkeiten werden ausprobiert. Die Hippiebewegung wäre ein Beispiel dafür. Die oben skizzierten sozialen Bewegungen weisen darauf hin, dass solche Transformationen nicht ohne Konflikte ablaufen.

Regisseur und Produzent Roger Corman machte diese Generationskonflikte, die sich meistens innerhalb einer Familie abspielen, zum zentralen Thema seiner berühmt gewordenen Edgar Allan Poe-Verfilmungen. Diese Filmreihe prägte das Gesicht des US-amerikanischen Horrorfilms der 60er Jahre mehr als die in der Regel schwarzweiß gedrehten Psychothriller. Um die Thematik der Filme zu entschärfen und damit der Zensurbehörde ein Schnippchen zu schlagen, verlegte Drehbuchautor Richard Matheson die Handlungen ins späte 18., frühe 19. Jahrhundert. Hauptdarsteller der Filme war fast immer Vincent Price, der dadurch endgültig zur Horrorikone emporgehoben wurde. In beinahe jeder Poe-Adaption von Roger Corman spielt Price einen alten, mürrischen Schlossherrn, der an seinen Traditionen unweigerlich festhält. Und dies, trotzdem um ihn herum das Gebäude aus alten Regeln und Verhaltensweisen droht, auseinanderzubrechen. Als Symbol für das unausweichliche Zugrundegehen der Tradition diente 1960 das Haus Usher in dem Film The Fall of the House of Usher. Es muss hierbei betont werden, dass es sich bei den Poe-Verfilmungen um freie Adaptionen handelt. Meistens wurden nur der Titel sowie die Grundidee einer Poe-Geschichte übernommen. Der Rest entsprang der Fantasie Richard Mathesons und Roger Cormans. In Die Verfluchten (so der deutsche Titel) geht es um Roderick Usher, der unter allen Umständen verhindern will, dass seine Schwester heiratet. Vergleicht man die Figuren hinsichtlich ihres Alters, so zeigt sich, dass Roderick Usher um vieles älter erscheint als seine Schwester Madeline. In der Tat könnte Roderick ihr Vater oder Großvater sein. Madeline und ihr Verlobter Philip symbolisieren dadurch die jüngere Generation, die aus den engen Schranken der Tradition ausbrechen möchte. Diese ist, wie bereits erwähnt, dem Zusammenbruch nahe, symbolisiert durch das gewaltige Gebäude, in dessen Mauern sich mehr und mehr Risse bilden. Usher pocht dennoch auf die alten Regeln und Pflichten. Philip, der aus der Stadt kommt (die im Film angedeutete Gegenüberstellung zwischen Stadt und Land verweist ebenfalls auf den Gegensatz zwischen Moderne und Tradition) möchte Madeline von ihrem herrschsüchtigen Bruder befreien. Dieser ersinnt natürlich mit der gekonnt dämonischen Mimik von Vincent Price gemeine Hindernisse, um die Flucht zu verhindern. Das Ende ist im Titel bereits vorweggenommen. Das Schloss bricht zusammen und Roderick Usher stirbt unter den Trümmern. Madeline und Philip gelingt es, der Tradition zu entkommen und ein neues, selbständiges Leben zu führen. Vielleicht bestärkte dieser Film damalige jugendliche Zuschauer in ihrem Drang, ein emanzipiertes Leben zu führen und nach alternativen Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen. Der Erfolg des Filmes blieb jedenfalls nicht aus. Roger Corman verfilmte weitere Poe-Geschichten. Die damalige Zensurbehörde verbot das Darstellen von zu viel Blut. Doch ging es Corman und seinem Autor Matheson auch nicht um blutige Effekte. Viel mehr sollten diese Filme eine gewisse Message vermitteln. Ähnlich wie später die Horrorfilme zu Beginn der 70er Jahre, sollte auf aktuelle soziale Probleme aufmerksam gemacht werden. Die Poe-Filme (von denen interessanterweise Die Folterkammer des Hexenjägers auf einer Geschichte von H. P. Lovecraft basiert), können zusätzlich als eine Art Sprachrohr der Emanzipation betrachtet werden. Jeder dieser Filme zeigt, wie die Protagonisten versuchen, sich aus dem Joch alter Werte, die ihr Leben einengen, zu befreien. Zum Beispiel versuchen sich in Die Grube und das Pendel (USA 1961) und Lebendig Begraben (USA 1962) Frauen aus ihrem eingeengten Eheleben zu fliehen, um ein Leben nach ihren eigenen Vorstellungen zu führen. In der Horrorkomödie Der Rabe (USA 1963) spielt wiederum ein junges Liebespaar eine gewisse Rolle, das trotz der Fehde zwischen den Vätern seinen eigenen Weg einschlagen möchte. Der Konflikt erscheint hier als ein traditionelles Element. Die beiden Liebenden symbolisieren eine moderne Lebenseinstellung. Im Gegensatz zu den Psychothrillern gelingt den »Ausbrechern« ihre Flucht. Am Ende eines jeden Films bricht der Schauplatz der Handlung, das alte Schloss, in sich zusammen. Die Tradition ist besiegt. Der Weg in die Moderne ist frei. Das prächtige Farbenspiel sowie die teils psychedelischen Aufnahmen weisen hier stark auf die Flowerpowerbewegung mit ihrer bunten Kleidung und ihren Drogenexperimenten hin.

Und was kam danach?

Die Gesellschaft und ihre Entwicklung bleiben nicht stehen. Im Laufe der Jahre wurden die Sperenzchen eines Schlossherrn, der verzweifelt versucht, seine Macht aufrecht zu erhalten, für die Zuschauer zu brav und altmodisch. Das Bild des Horrorfilms änderte sich. Für Vincent Price ergab sich zunächst eine neue Rolle als genialer Bösewicht Dr. Phibes, der die Gesellschaft für den Tod seiner Frau verantwortlich macht und sich an ihr rächt. Gemeinsam mit seiner Tochter ersinnt er gemeine Tricks, um seine Feinde außer Gefecht zu setzen. Das Neue an den beiden Phibes-Filmen Das Schreckenskabinett des Dr. Phibes (USA 1971) und Die Rückkehr des Dr. Phibes (USA 1972) ist, dass hier nicht mehr auf Konflikte aufmerksam gemacht wird, die sich durch Modernisierung ergeben, sondern eine bereits modernisierte Gesellschaft zeigen, deren Missstände aufgedeckt werden. Sie entlarven Betrug, Verlogenheit und Bestechung und zeigen erneut ein anderes Bild der Gesellschaft als in den 60er Jahren. Die Moderne ist keineswegs so rosig und heilsbringend, wie dies seit den 50er Jahren vermutet und durch Modernisierungsforscher in alle Welt hinausgetragen wurde. Im Gegenteil, die moderne Gesellschaft erweist sich als ein geradezu düsterer Ort, in dem so gut wie nichts in Ordnung ist. Wissenschaftshistorisch verliert im selben Zeitraum die Modernisierungstheorie an Bedeutung. Sie wurde in Grund und Boden kritisiert. Die USA verlor außenpolitisch an positivem Image, und innenpolitisch geriet sie beinahe außer Kontrolle. Polizisten schossen auf Studenten. Bürgerrechtler wurden ermordet. Der alte Schlossherr hatte im wahrsten Sinne des Wortes ausgedient. Nun ging es darum, die Gesellschaft wachzurütteln. Es ging darum, den Protest gegen die Regierung, gegen die Machthaber und gegen die sozialen Missstände aufzunehmen. In filmästhetischer Hinsicht führte dies zu einem neuen Typ von Horrorfilm. Das Ende der 60er Jahre gilt als die Geburtstunde der Postmoderne. Von ihr blieb das Horrorgenre nicht unbeeinflusst. Der postmoderne Horrorfilm, der zugleich als Ursprung des Splatterfilms bezeichnet wird, erschien auf der Leinwand. Und von da an änderte sich alles.

(mp)