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Die drei Musketiere 02

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
1. bis 3. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

II.

Das Vorzimmer des Monsieur de Tréville

Monsieur von Troisville, wie seine Familie in der Gascogne noch hieß, oder Monsieur de Tréville, wie er sich selbst am Ende in Paris nannte, hatte wirklich gerade wie d’Artagnan angefangen, nämlich ohne einen Sou Geldeswert, aber mit jenem Grundstock von Kühnheit, Geist und Ausdauer, worin der ärmste gascognische Krautjunker mehr an Hoffnungen zum väterlichen Erbteil erhält, als der reichste Edelmann des Perigord oder Berry in Wirklichkeit empfängt. Sein kecker Mut und sein noch viel keckeres Glück in einer Zeit, wo die Schläge wie Hagel fielen, hatten ihn auf die Höhe der schwer erklimmbaren Leiter gehoben, die man Hofgunst nennt, und deren Stufen er vier und vier auf einmal erstiegen hatte.

Er war der Freund des Königs, der, wie jedermann weiß, das Andenken seines Vaters Heinrich IV. sehr in Ehren hielt. Der Vater des Monsieur de Tréville hatte ihm in seinen Kriegen gegen die Ligue so treu gedient, dass er ihm in Ermangelung von barem Geld – eine Sache, die dem Bearner sein ganzes Leben lang abging, denn er bezahlte seine Schulden stets mit dem einzigen Ding, das er nicht zu entlehnen brauchte, mit Witz – dass ihm in Ermangelung von barem Geld, sagen wir, nach der Übergabe von Paris die Vollmacht verlieh, als Wappen eines goldenen Löwen im roten Feld mit dem Wahlspruch fidelis et fortis zu führen. Das war viel in Bezug auf Ehre, aber mittelmäßig in Bezug auf Vermögen. Als der berühmte Gefährte des großen Heinrich starb, hinterließ er also seinem Monsieur Sohn als einziges Erbe nur seinen Degen und seinen Wahlspruch. Dieser doppelten Gabe und dem fleckenlosen Namen, von dem sie begleitet war, hatte Monsieur de Tréville seine Aufnahme unter die Haustruppen des jungen Fürsten zu verdanken, wo er sich so gut seines Schwertes bediente, und seiner Devise so treu war, dass Ludwig XIII., einer der besten Degen seines Königreichs, zu sagen pflegte, wenn er einen Freund hätte, der sich schlagen wollte, so würde er ihm den Rat geben, zum Sekundanten zuerst ihn selbst und dann Monsieur de Tréville oder sogar vielleicht diesen vor ihm zu nehmen.

Ludwig XIII. hegte eine wahre Anhänglichkeit an Tréville, eine königliche Anhänglichkeit, eine selbstsüchtige Anhänglichkeit allerdings, darum aber nicht minder eine Anhänglichkeit. In dieser unglücklichen Zeit strebte man mit aller Macht danach, sich mit Männern von dem Schlag Trévilles zu umgeben. Viele konnten sich den Beinamen fortis geben, der die zweite Hälfte seiner Devise bildete, aber wenige Edelleute hatten Anspruch darauf, sich fidelis zu nennen, wie der erste Teil hieß. Tréville gehörte zu den Letzteren; er war eine von den seltenen Organisationen mit dem gehorchenden Verstand des Hundes, dem blinden Mut, dem raschen Auge, der schnellen Hand, ein Mann, dem das Auge nur gegeben schien, um zu sehen, ob der König mit jemand unzufrieden war, und diesen jemand, einen Besme, einen Maurevers, einen Poltrot von Meré, einen Vitry niederzuschlagen. Tréville hatte bis jetzt nur die Gelegenheit gefehlt, aber er lauerte darauf, er hatte sich gelobt, sie beim Schopf zu fassen, sobald sie in den Bereich seiner Hand käme. Ludwig XIII. machte Tréville zum Kapitän seiner Musketiere, welche in Bezug auf Ergebenheit oder vielmehr auf Fanatismus für ihn dasselbe waren, was die schottische Leibwache für Ludwig XI. und die Ordinären für Heinrich III.

Der Kardinal an seiner Seite blieb in dieser Beziehung nicht hinter dem König zurück. Als dieser zweite oder vielmehr erste König von Frankreich die furchtbare Eile wahrnahm, mit der sich Ludwig XIII. seine Umgebung schuf, wollte er ebenfalls seine Leibwache haben. Er hatte also seine Musketiere wie Ludwig XIII. und man sah diesen mächtigen Nebenbuhler in allen Provinzen Frankreichs und sogar in auswärtigen Staaten die berühmtesten Kampfhähne ausheben. Ludwig XIII. und Richelieu stritten sich auch oft, wenn sie abends eine Partie Schach spielten, über die Verdienste ihrer Anhänger. Jeder lobte den Mut und die Haltung der seinen, und während sie sich laut gegen Zweikämpfe und Händel aussprachen, stachelten sie dieselben ganz in der Stille gegen einander auf, und das Unterliegen oder der Sieg ihrer Leute bereitete ihnen wahren Kummer oder eine maßlose Freude. So erzählen wenigstens die Memoiren eines Mannes, der bei einigen dieser Niederlagen und bei vielen von diesen Siegen beteiligt war.

Tréville hatte seinen Monsieur bei der schwachen Seite gefasst, und dieser Geschicklichkeit verdankte er die lange und beständige Gunst eines Königs, der nicht den Ruf großer Treue in seinen Freundschaften hinterlassen hat. Mit einem verschmitzten Lächeln ließ er seine Musketiere vor dem Kardinal Armand Duplessis paradieren, wobei sich die Haare im Schnurrbart Sr. Eminenz vor Zorn sträubten. Tréville verstand sich vortrefflich auf den Krieg dieser Zeit, wo man, wenn man nicht auf Kosten des Feindes leben konnte, auf Kosten seiner Landsleute lebte; seine Soldaten bildeten eine gegen jedermann, nur gegen ihn nicht, unbotmäßige Legion lebendiger Teufel.

Hals und Brust entblößt, betrunken, verbreiteten sich die Musketiere des Königs, oder vielmehr des Monsieur de Tréville, in den Schenken, auf den Spaziergängen, bei den öffentlichen Spielen, schrien, strichen ihren Schnurrbart, ließen ihre Degen klirren, versetzten aus lauter Mutwillen den Leibwachen des Monsieur Kardinals Rippenstöße und zogen unter tausenderlei Scherzen am hellen Tag auf offener Straße vom Leder. Sie wurden zuweilen getötet, aber sie wussten gewiss, dass man sie in diesem Fall beweinte und rächte. Zuweilen töteten sie, aber sie wussten ebenso gewiss, dass sie nicht im Gefängnis zu verschimmeln hatten, denn Monsieur de Tréville war da, um sie zurückzufordern. Das Loblied des Monsieur de Tréville wurde auch in allen Tonarten von diesen Leuten gesungen, die den Satan nicht fürchteten, aber vor ihm zitterten, wie Schüler vor ihrem Lehrer, seinem geringsten Worte gehorchten und stets bereit waren, sich töten zu lassen, um einen Vorwurf abzuwaschen.

Monsieur de Tréville hatte sich anfangs dieses mächtigen Hebels für den König und die Freunde des Königs – dann für sich selbst und für seine Freunde bedient. Übrigens findet man in keinem Memoirenwerk dieser Zeit, welche so viele Memoiren hinterlassen hat, dass dieser würdige Edelmann, selbst nicht einmal von seinen Feinden – und er hatte deren so viele unter den Leuten von der Feder als unter denen vom Degen – nirgends, sagen wir, findet man, dass dieser würdige Edelmann angeklagt worden wäre, er habe sich für die Mitwirkung seinerseits bezahlen lassen. Bei einem seltenen Talent für Intriguen, das ihn auf dieselbe Stufe mit den stärksten Intriganten stellte, war er ein ehrlicher Mann geblieben. Noch mehr, trotz der großen Stoßdegen, welche lendenlahm machen, und der angestrengten Übungen, welche ermüden, war er einer der galantesten Boudoirläufer, einer der feinsten Jungfernknechte, einer der gewürfeltsten Schönredner seiner Zeit geworden. Man sprach de Trévilles Liebesglück, wie man zwanzig Jahre früher von Bassompierre gesprochen hatte, und das wollte viel sagen. Der Kapitän war also bewundert, gefürchtet und geliebt, und dies bildet wohl den Höhepunkt menschlicher Glücksumstände.

Ludwig XIV. verschlang alle kleinen Gestirne seines Hofes in seiner weiten Ausstrahlung, aber sein Vater, eine Sonne pluribus impar, ließ jedem seiner Günstlinge seinen persönlichen Glanz, jedem seiner Höflinge seinen eigenthümlichen Wert. Außer dem Lever des Königs und dem des Kardinals zählte man damals in Paris mehr als zweihundert einigermaßen besuchte Levers. Unter den zweihundert kleinen Levers war das de Tréville eines von denjenigen, zu welchen man sich am meisten drängte.

Der Hof seines in der Rue du Vieux-Colombier gelegenen Hotels glich einem Lager, und dies von morgens sechs Uhr im Sommer und von acht Uhr im Winter. Fünfzig oder sechzig Musketiere, welche sich hier abzulösen schienen, um stets eine imposante Zahl darzustellen, gingen beständig in völliger Kriegsrüstung und zu jedem Tun bereit umher. Auf einer der großen Treppen, auf deren Raum unsere moderne Zivilisation ein ganzes Gebäude errichten würde, stiegen die Bittsteller von Paris auf und ab, die irgendeine Gunst zu erhaschen suchten; ferner die Edelleute aus der Provinz, deren höchster Wunsch war, ins Korps aufgenommen zu werden, und die in allen Farben verbrämten Lakaien, die an Monsieur de Tréville die Botschaften ihrer Gebieter überbrachten. In den Vorzimmern ruhten auf langen, kreisförmigen Bänken die Auserwählten, das heißt diejenigen, welche berufen waren. Das Gesumme dauerte vom Morgen bis zum Abend, während Monsieur de Tréville in seinem an dieses Vorzimmer stoßenden Kabinett Besuche empfing, Klagen anhörte, seine Befehle erteilte und, wie der König auf seinem Balkon im Louvre, sich nur an das Fenster zu stellen hatte, um Menschen und Waffen Revue passieren zu lassen.

 Den Tag, an welchem d’Artagnan sich hier einfand, war die Versammlung äußerst imposant, besonders für einen Provinzbewohner, der eben erst aus seiner Heimat anlangte. Dieser Provinzbewohner war allerdings Gascogner, und damals besonders standen d’Artagnans Landsleute nicht im Ruf, als ließen sie sich so leicht einschüchtern. In der Tat, sobald man einmal durch die starke, mit langen viereckigen Nägeln beschlagene Tür gelangt war, geriet man unmittelbar mitten in eine Truppe von Männern des Degens, die sich im Hof herumtrieben, einander anriefen, miteinander stritten und spielten. Um sich durch diese brausenden Wogen eine Bahn zu brechen, hätte man ein Offizier, ein vornehmer Monsieur oder eine hübsche Frau sein müssen.

Mitten durch dieses Gedränge und diese Unordnung rückte unser junger Mann mit zitterndem Herzen, den langen Raufdegen an die mageren Beine drückend und eine Hand an den Rand seines Filzes haltend, mit dem verlegenen provinzialen Halblächeln, das eine gute Haltung geben soll, sachte vorwärts. Hatte er eine Gruppe hinter sich, so atmete er freier; aber er begriff wohl, dass man sich umwandte, um ihm nachzuschauen, und zum ersten Mal in seinem Leben kam sich d’Artagnan, der bis auf diesen Tag eine ziemlich gute Meinung von sich selbst gehabt hatte, lächerlich vor.

Als er zur Treppe gelangte, war die Sache noch schlimmer.Eer fand hier auf den ersten Stufen vier Musketiere, die sich mit folgender Übung belustigten, während zehn bis zwölf mit ihren Kameraden auf dem Ruheplatz der Treppe warteten, bis es an sie käme, an der Partie teilzunehmen. Einer von ihnen, der mit entblößtem Degen auf der obersten Stufe stand, verhinderte die anderen heraufz steigen, oder er bemühte sich wenigstens, sie daran zu hindern. Diese drei anderen fochten mit sehr behenden Degenstößen gegen ihn. D’Artagnan hielt Aanfangs ihre Eisen für Fechtrappiere und glaubte, sie seien mit Knöpfen versehen; aber bald erkannte er an gewissen Schrammen, dass jede Waffe im Gegenteil gehörig zugespitzt und scharf geschliffen war. Und bei jeder von diesen Schrammen lachten nicht nur die Zuschauer, sondern auch die handelnden Personen wie die Narren.

Derjenige, welcher in diesem Augenblick die oberste Stufe behauptete, hielt seine Gegner vortrefflich im Schach. Man bildete einen Kreis um sie. Es war Bedingung hierbei, dass bei jedem Stoß der Getroffene die Partie verlassen musste und dadurch seine Audienzreihe zugunsten des Berührenden verlieren sollte. In fünf Minuten waren drei gestreift, der eine an der Handwurzel, der andere am Kinn, der Dritte am Ohr, während der Verteidiger, der ihnen diese Schrammen beibrachte, unberührt blieb, eine Geschicklichkeit, die ihm eine dreimalige Audienzreihe zu seinen Gunsten eintrug. So schwer auch unser junger Reisender in Erstaunen zu setzen war, oder wenigstens sein wollte, so verblüffte ihn doch dieser Zeitvertreib gewaltig. Er hatte in seiner Provinz, auf diesem Boden, wo sich die Köpfe doch so schnell erhitzen, etwas mehr als Präliminarien zu Zweikämpfen gesehen, und die Gasconnade der vier Spieler erschien ihm als die stärkste unter allen, von denen er bis jetzt selbst in der Gascogne gehört hatte. Er glaubte sich in das berühmte Land der Riesen versetzt, wohin Gulliver ging und wo er so gewaltig bange hatte; und er war noch nicht einmal am Ziel. Es blieben noch der Ruheplatz und das Vorzimmer.

Auf dem Ruheplatz der Treppe schlug man sich nicht, man erzählte sich Geschichten von Frauen, und im Vorzimmer Hofgeschichten. Auf dem Ruheplatz errötete d’Artagnan, im Vorzimmer schauderte er. Seine rege, umherirrende Einbildungskraft, die ihn in der Gascogne für Kammermädchen und zuweilen sogar für junge Edeldamen furchtbar machte, hatte nie, selbst nicht einmal in den Augenblicken des Delirierens, die Hälfte dieser verliebten Abenteuer und den vierten Teil dieser Heldenthaten geträumt, bei denen die bekanntesten Namen herhalten mussten und die Details ganz und gar nicht verschleiert wurden. Aber wenn auf dem Ruheplatz sein Sittlichkeitsgefühl verletzt wurde, so bereitete man im Vorzimmer seiner Achtung vor dem Kardinal ein wahres Ärgerni. Hier hörte d’Artagnan zu seinem größten Erstaunen ganz laut die Politik, welche Europa erzittern machte, und das Privatleben des Kardinals kritisieren, für dessen Verunglimpfung so viele hochgestellte und mächtige Messieurs gestraft worden waren. Dieser große, von Monsieur d’Artagnan sr. verehrte Mann wurde verspottet von den Musketieren des Monsieur de Tréville, welche sich über seine krummen Beine und seinen gewölbten Rücken lustig machten. Einige sangen Spottlieder auf Madame d’Aiguillon, seine Geliebte, und auf Frau Combalet, seine Nichte, während andere gegen die Pagen und die Leibwachen des Kardinal-Herzogs Pläne schmiedeten, lauter Dinge, welche d’Artagnan als monströse Unmöglichkeiten vorkamen.

Indessen kam zuweilen plötzlich und ganz unversehens der Name des Königs mitten unter diese kardinalistischen Scherze wie eine Art von Knebel, der für einen Augenblick allen Anwesenden den spöttischen Mund verstopfte. Man schaute sachte um sich her und schien die Indiskretion der Scheidewand am Kabinett des Monsieur de Tréville zu fürchten. Aber bald brachte irgendeine Anspielung das Gespräch wieder auf Se. Eminenz, die Spöttereien wurden immer derber und keine seiner Handlungen blieb mit einer kräftigen Beleuchtung verschont.

»Gewiss sind dies Leute, welche insgesamt nach der Bastille gebracht und gehängt werden«, dachte d’Artagnan mit Schrecken, »und ich ohne Zweifel mit ihnen, denn von dem Augenblick an, wo ich sie gehört und verstanden habe, wird man mich für ihren Mitschuldigen halten. Was würde mein Monsieur Vater sagen, der mir so dringend Achtung vor dem Kardinal eingeschärft hat, wenn er mich in Gesellschaft von solchen Lümmeln wüßte?«

D’Artagnan wagte es also, wie man sich leicht denken kann, nicht, an dem Gespräch teilzunehmen. Er schaute nur mit beiden Augen, hörte nur mit beiden Ohren, er hielt seine fünf Sinne gierig gespannt, um nichts zu verlieren, und trotz seines Vertrauens auf die väterlichen Ermahnungen fühlte er sich, infolge seiner Geschmacksrichtung und von seinen Instinkten hingerissen, mehr geneigt, die unerhörten Dinge, die sich in seiner Gegenwart ereigneten, zu loben als zu tadeln.

Da er indessen der Menge der Höflinge des Monsieur de Tréville völlig fremd war, und da man ihn zum ersten Mal an diesem Ort bemerkte, so fragte man ihn, was er wünsche. Auf diese Frage nannte d’Artagnan demütig seinen Namen. Er berief sich auf seinen Titel als Landsmann und ersuchte den Kammerdiener, der diese Frage an ihn gerichtet hatte, Monsieur de Tréville für ihn um eine kurze Audienz zu bitten, welche Bitte man in hohem Gönnerton zu geeigneter Zeit und geeigneten Orts vorzutragen versprach.

D’Artagnan erholte sich allmählich von seinem ersten Staunen und hatte nun Muße, die Trachten und Gesichter ein wenig zu studieren.

Der Mittelpunkt der belebtesten Gruppe war ein Musketier von großer Gestalt, hochmütigem Antlitz und höchst wunderlichem Aufzug, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Er trug in diesem Augenblick keine Uniform, wozu er auch in jener Zeit geringerer Freiheit, aber größerer Unabhängigkeit nicht durchaus verbunden war, sondern er hatte einen etwas abgetragenen Leibrock an, und auf diesem Kleid gewahrte man ein prachtvolles Wehrgehänge mit goldenen Stickereien, das funkelte wie ein Wasserspiegel im vollen Sonnenschein. Ein langer, karmesinroter Mantel fiel anmutig über die Schultern und ließ vorn nur das glänzende Wehrgehänge sehen, woran ein riesiger Raufdegen befestigt war.

Dieser Musketier war soeben von der Wache abgekommen, beklagte sich über Schnupfen und hustete von Zeit zu Zeit mit einer gewissen Affektation. Deshalb hatte er den Mantel genommen, wie er zu seiner Umgebung sagte, und während er von oben herab sprach und verächtlich seinen Schnurrbart kräuselte, bewunderte man mit großer Begeisterung – d’Artagnan mehr, als jeder andere – das gestickte Wehrgehänge.

»Was wollt Ihr, es kommt in die Mode«, sagte der Musketier. »Es ist eine Torheit, ich weiß es wohl, aber es ist einmal Mode. Überdies muss man doch auch sein anererbtes Vermögen draufgehen lassen.«

»Ah! Porthos!«, rief einer von den Umherstehenden, »suche uns nicht glauben zu machen, dieses Wehrgehänge sei dir durch die väterliche Großmut zugefallen. Die verschleierte Dame hat es dr ohne Zweifel gegeben, mit der ich dir an einem Sonntag in der Nähe der Porte Saint-Honoré begegnete.«

»Nein, auf Ehre und Edelmannsparole, ich habe es selbst und zwar um mein eigenes Geld gekauft«, antwortete derjenige, welchen man mit dem Namen Porthos bezeichnete.

»Ja, wie ich diese neue Börse mit dem gekauft habe, was mir meine Geliebte in die alte gesteckt hat«, sprach ein anderer Musketier.

»Wahrhaftig, ich habe zehn Pistolen dafür bezahlt«, sagte Porthos.

Die Bewunderung verdoppelte sich, obgleich der Zweifel noch fortbestand.

»Nicht wahr, Aramis?«, fragte Porthos und wandte sich dabei gegen einen dritten Musketier um.

Dieser bildete einen vollständigen Kontrast mit dem Fragenden, der ihn mit dem Namen Aramis bezeichnet hatte. Er war ein junger Mann von kaum zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, mit naivem, süßlichem Gesicht, schwarzem, sanftem Auge und mit Wangen, so rosig wie ein Pfirsich im Herbst. Sein feiner Schnurrbart zog eine völlig gerade Linie auf seiner Oberlippe. Seine Hände schienen sich vor dem Herabhängen zu hüten, weil ihre Adern anschwellen könnten, und von Zeit zu Zeit kniff er sich in die Ohren, um sie in einem zarten, durchsichtigen Inkarnat zu erhalten. Er hatte die Gewohnheit, wenig zu sprechen, viel zu grüßen und geräuschlos zu lachen, wobei er seine schönen Zähne zeigte, auf die er, wie aus seine ganze Person, die größte Sorgfalt zu verwenden schien. Er beantwortete die Aufforderung seines Freundes mit einem bestätigenden Kopfnicken.

Diese Bestätigung schien allen Zweifeln in Beziehung auf das Wehrgehänge ein Ende zu machen. Man bewunderte es fortwährend, aber man sagte nichts mehr davon, und das Gespräch ging infolge einer der raschen Wendungen des Gedankens auf einen anderen Gegenstand über.

»Was denkt Ihr von dem, was der Stallmeister von Chalais erzählt?«, fragte ein anderer Musketier, ohne seine Worte unmittelbar an einen von der Gruppe zu richten, sondern im Gegenteil sich an alle Umstehenden wendend.

»Und was erzählt er?«, sagte Porthos in anmaßendem Ton.

»Er erzählt, er habe in Brüssel Rochefort, den Vertrauten des Kardinals, als Kapuziner verkleidet getroffen. Der verfluchte Rochefort hatte in dieser Verkleidung Monsieur von Laigues, gerade wie er ist, als einen wahren Einfaltspinsel gespielt.«

»Als einen wahren Einfaltspinsel«, fragte Porthos, »aber ist die Sache gewiss?«

»Ich habe es von Aramis gehört«, antwortete der Musketier.

»Wirklich?«

»Ei! Ihr wisst es wohl, Porthos«, sagte Aramis, »ich habe es Euch selbst gestern erzählt; sprechen wir nicht mehr davon.«

»Nicht mehr davon sprechen, meint Ihr?«, erwiederte Porthos. »Nicht mehr davon sprechen? Zum Henker! Wie! Der Kardinal lässt einen Edelmann ausspähen, er lässt ihm seine Korrespondenz durch einen Verräter, durch einen Dieb, durch einen Galgenstrick stehlen; lässt mithilfe dieser Späher und dieser Korrespondenz Chalais unter dem törichten Vorwand, er habe den König ermordet und Monsieur mit der Königin verheiraten wollen, den Hals abschneiden! Niemand wusste etwas von diesem Rätsel, Ihr erfuhrt es gestern zum allgemeinen Erstaunen, und während wir über diese Neuigkeit noch ganz verwundert sind, kommt Ihr heute und sagt: Sprechen wir nicht mehr davon!«

»Sprechen wir also davon, wenn Ihr es wünscht«, erwiderte Aramis geduldig.

»Wäre ich der Stallmeister des armen Chalais«, rief Porthos, »so würde dieser Rochefort einen schlimmen Augenblick mit mir erleben.«

»Und ihr würdet einen schlimmen Augenblick mit dem Herzog Rot erleben«, versetzte Aramis.

»Ah! der Herzog Rot! Bravo, bravo, der Herzog Rot!«, erwiderte Porthos, in die Hände klatschend. »Der Herzog Rot, das ist allerliebst. Ich werde den Witz verbreiten, seid nur ruhig. Welch ein gescheidter Kerl doch dieser Aramis ist! Es ist ein wahres Unglück, dass Ihr Euren Beruf nicht verfolgen konntet, mein Lieber. Was für ein köstlicher Abbé wäre doch aus Euch geworden!«

»Ah! Das ist nur für den Augenblick hinausgeschoben«, entgegnete Aramis, »ich werde es später schon noch werden. Ihr wisst wohl, Porthos, dass ich zu diesem Behuf die Theologie zu studieren fortfahre.«

»Er tut, was er sagt«, rief Porthos, »er tut es früher oder später.«

»Früher«, sprach Aramis.

»Er wartet nur eines ab, um sich gänzlich hierfür zu entscheiden und die Sutane zu nehmen, welche hinter seiner Uniform hängt«, sagte ein anderer Musketier.

»Und was wartet er denn ab?«, fragte ein Dritter.

»Er wartet, bis die Königin der Krone Frankreich einen Erben geschenkt hat.«

»Scherzen wir nicht hierüber, meine Messieurs«, sprach Porthos; »sie ist, Gott sei dank  noch in dem Alter, um der Krone einen Erben zu schenken.«

»Man sagt, Monsieur von Buckingham sei in Frankreich«, versetzte Aramis mit einem spöttischen Lächeln, das dieser scheinbar so einfachen Äußerung eine ziemlich skandalöse Bedeutung verlieh.

»Aramis, mein Freund«, unterbrach ihn Porthos, »diesmal habt Ihr unrecht. Eure Manie, Witze zu machen, lässt Euch beständig alle Grenzen überspringen. Wenn Monsieur de Tréville Euch hörte, so dürftet Ihr eine solche Sprache teuer zu bezahlen haben.«

»Wollt Ihr mir eine Lektion geben. Porthos!«, rief Aramis, und durch sein sanftes Auge zuckte ein Blitz.

»Mein Lieber, seid Musketier oder Abbé, seid das eine oder das andere, aber nicht das eine und das andere«, erwiderte Porthos. »Hört, Athos hat Euch noch vor Kurzem gesagt: Ihr esst an allen Raufen! Oh! erzürnt Euch nicht, es wäre vergeblich, Ihr wisst wohl, was zwischen Euch, Athos und mir abgemacht ist. Ihr geht zur Frau d’Aiguillon und macht ihr den Hof. Ihr geht zur Frau von Bois-Tracy, der Base der Frau von Chevreuse, und man sagt, Ihr steht bedeutend in Gnade bei der Dame. Oh! Mein Gott, Ihr braucht Euer Glück nicht einzugestehen. Man fragt Euch nicht um Euer Geheimnis, denn man kennt Eure Diskretion. Aber da Ihr diese Tugend besitzt, so macht in des Teufels Namen in Beziehung auf Ihre Majestät davon Gebrauch. Beschäftige sich mit dem König und dem Kardinal, wer will und wie jeder will; aber die Königin ist geheiligt, und wenn man von ihr spricht, so muss es in Gutem geschehen.«

»Porthos, Ihr seid anmaßend, wie ein Narzis«, erwiderte Aramis. »Ihr wisst, dass ich die Moral hasse, außer wenn sie von Athos gepredigt wird. Was Euch betrifft, mein Lieber, Ihr habt ein viel zu prachtvolles Wehrgehänge, um in diesem Punkt stark zu sein. Ich werde Abbé, wann es mir beliebt. Mittlerweile bin ich Musketier. In dieser Eigenschaft sage ich, was mir gefällt, und in diesem Augenblick gefällt es mir zu sagen, dass Ihr mich ungeduldig macht!«

»Aramis!«

»Porthos!«

»He, meine Messieurs! Meine Messieurs!«, rief man um sie her.

»Monsieur de Tréville erwartet Monsieurn d’Artagnan«, unterbrach der Bediente, die Tür des Kabinetts öffnend.

Bei dieser Ankündigung, während welcher die Tür offen blieb, schwieg jeder, und unter diesem Stillschweigen durchschritt der junge Gascogner das Vorzimmer und trat bei dem Kapitän der Musketiere ein, nicht ohne sich von ganzem Herzen Glück zu wünschen, dass er gerade zu rechter Zeit dem Ende dieses seltsamen Streites entging.