Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Arzt auf Java – Erster Band – Kapitel 2

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Erster Band
Kapitel 2

Der Doktor Basilius

Eusebius dachte nach diesen Versuchen, das Beste würde sein, wenn er wartete, bis Doktor Basilius sein Haus verließe, wie er dies zu tun versprochen hatte. Dann wollte er ihn anreden und ihm bis zu seiner Wohnung führen.

Der Sturm dauerte noch immer fort, das Toben des Meeres und das Pfeifen des Windes hatten sich nicht vermindert. Der Regen stürzte mit solcher Gewalt herab, dass es schien, als wären die Wolken durch Wasserstrahlen mit der Erde vereinigt. Aber der Schmerz, den Eusebius empfand, war so gewaltig und sein Geist von dem, was um ihn her vorging, so weit entfernt, dass er nicht einmal daran dachte, unter den Teerdecken Schutz zu suchen und frei dem Regen ausgesetzt blieb. Übrigens glich der Sturm der Elemente nur dem in seinem Inneren.

So wartete er eine Stunde lang. Als er denn sah, dass die Tür noch immer geschlossen blieb und dass kein Geräusch im Inneren des Hauses verriet, der Doktor treffe Anstalt, sein Versprechen zu erfüllen, klopfte er abermals wütend an die Tür. Doch wieder vergebens. Jetzt fühlte er sich entmutigt, vernichtet, überzeugt, dass die junge Holländerin seiner Leichtgläubigkeit gespottet hatte und dass der Doktor sich seinetwegen nicht bemühen wolle. Er kehrte daher niedergeschlagen auf dem Weg zurück, den wir ihn kommen sahen. Auf der Hälfte der Anhöhe blieb er stehen, um noch einen letzten Blick zurückzuwerfen. Soweit seine Augen bei der Dunkelheit und dem stürzenden Regen etwas erkennen konnten, war die Straße öde.

»Ha, der Elende!«, rief er, die Arme emporstreckend, als wollte er den Fluch Gottes auf ihn herabrufen. »Er hat in seinen Händen die Rettung eines seiner Mitmenschen und er hält sie geschlossen, weil man kein Geld hat, es ihm zum Austausch für ein Leben zu geben.«

Dann blickte er rings an dem Horizont umher und sagte: »Arme Esther, du bist verurteilt, und ich kann keine barmherzige Seele finden, dich dem unerbittlichen Schicksal zu entreißen, mit zwanzig Jahren zu sterben! Doch ich will kämpfen bis zum Ende und dein Leben verteidigen, bis Gott selbst es meinen Händen entreißt.«

Als hätte er einen Entschluss gefasst, lief er plötzlich wie wütend vorwärts, hatte nach wenigen Sekunden den Berg vollends erstiegen und klopfte an die Tür der Wohnung eines der berühmtesten Ärzte Batavias. Auch dort weigerte sich die Dienerschaft, ihn bis zu ihrem Herrn vorbringen zu lassen. Doch dieser hörte sein Geschrei, seine Tränen, seine Bitten, und kam zu ihm. Eusebius setzte ihm seinen Wunsch auseinander.

»Von welcher Krankheit ist Ihre Frau ergriffen?«, fragte der Arzt.

»Die Ärzte haben sie bisher auf Schwindsucht behandelt«, erwiderte Eusebius.

Der Arzt schüttelte den Kopf, ging zu einem Tisch, schrieb einige Zeilen auf ein Stück Papier und reichte dieses dem jungen Manne, indem er sagte: »Lassen Sie Ihre Frau morgen ins Hospital bringen; hier ist eine Anweisung zum Eintritt. Verlangen Sie für sie ein Bett, in dem Saal D, und ich werde ihr meine Aufmerksamkeit widmen. Aber ich darf Ihnen nicht verhehlen, dass diese Krankheit, in Europa beinahe immer tödlich, hier nicht ein einziges Beispiel der Heilung bietet, obwohl dieser Empiriker Basilius behauptet, er könne die Schwindsüchtigen im dritten Grad (Stadium) heilen.«

»Basilius! Immer wieder Basilius!«, rief Eusebius, indem er zum Zimmer hinausstürzte, ohne auch nur die Schrift anzunehmen, die der Doktor ihm bot.

»Ha! Er muss kommen, er muss sie sehen und sollte ich ihn mit dem Tod bedrohen, um ihn dahin zu bringen. Sollte ich Feuer an sein Haus legen, damit er es verlässt und ich ihn zu Esther schleppen kann!«

Außer sich über den Vorschlag, seine Frau zum Hospital bringen zu lassen, wollte Eusebius zurückkehren, um seine Drohung auszuführen, als er überlegte, dass er seine Wohnung schon vor längerer Zeit verlassen hatte, dass Esther seitdem allein war und dass sie seines Verstandes vielleicht dringend bedurfte. Der Gedanke, dass Esther ihn riefe und dass das arme Geschöpf vielleicht glaubte, er hätte sie verlassen, brach ihm das Herz. Statt zum Hafen zurückzukehren, eilte er vorwärts zur oberen Stadt. Einige Zeit ging er an den Mauern entlang, welche die Gärten der prachtvollen Villen der reichen Holländer umgaben. Dann drang er in die verworrene Masse der schmutzigen und ungesunden Gassen, welche die Juden bewohnten, die gleich den Chinesen und Malayen in Batavia ihr eigenes Viertel hatten. Endlich kam er zu seinem Haus. Es war ein Gebäude, das, ursprünglich von Bambus aufgeführt, allmählich aber in Verfall geraten und mit Stücken von Matten und Segeltuch ausgebessert war. Man konnte sich nichts Elenderes denken als diese Wohnung. Sie hatte nur ein Erdgeschoss. Ein schwacher Lichtschimmer drang durch eine Matte, die zugleich als Tür und als Fenster diente. Das Licht rührte von der Nachtlampe her, die neben dem Bett der Kranken brannte. Als Eusebius es sah, erbebte er.

»Ach, mein Gott!«, sagte er, »so schwach auch dieses Licht ist, hat es doch vielleicht meine arme Esther überlebt.«

Seine Angst war so gewaltig, dass er zögerte, einzutreten. Endlich sammelte er seine Kräfte, hob die Matte auf, eilte in das Zimmer und zu der Matratze, auf welcher Esther ruhte. Die junge Frau lag regungslos und schien zu schlafen. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Mund halb geöffnet, ihr Atem unhörbar.

»Ach«, sagte Eusebius, »sie schläft!« Dann fuhr ihm ein anderer, fürchterlicher Gedanke durch den Kopf wie ein finsterer Blitz. Er beugte sich über die Lippen der Schlafenden, um ihren Atem zu hören, als eine Art von Gekicher, welches aus einer Ecke des Zimmers ertönte, ihn erbeben machte. Er wendete sich um und erblickte indem Halbdunkel einen Mann, der, aus einem Bambusschemel saß und im Mund eine Pfeife hielt, die seine Atemzüge glühend machten wie einen Ofen.

»He! He! He!«, sagte dieser Mann, »es scheint, Sie sind um die Schule gegangen, mein junger Freund! Denn obwohl der Weg vom Hafendamm bis hierher weit ist, warte ich doch schon länger als eine Stunde auf Sie.«

»Wer sind Sie, mein Herr?«, rief Eusebius verwundert.

»Ei, der Doktor Basilius«, entgegnete der Raucher.

Eusebius wendete hierauf seinen Blick auf den sonderbaren Gast, der sich bei ihm eingeführt hatte. Der Doktor Basilius war ein dicker, kurzer, rundbäuchiger Mensch und dies widerlegte die geheimnisvollen Gerüchte, welche über diabolische Natur des Doktors in Umlauf waren, denn man ist gewohnt, sich Satan lang und mager vorzustellen.

Es wäre schwierig gewesen, sein Alter genau zu bestimmen. Er konnte ebenso gut 35 Jahre alt sein und älter aussehen, wie er war, oder 55 und jünger erscheinen. Sein Gesicht hatte jene ziegelrote Farbe, wie man sie häufig bei Menschen findet, die dem weißen Stamm angehören, aber lange Jahre hindurch der Seeluft und der Glut der tropischen Sonne ausgesetzt waren. Seine dicken Wangen hatten eine beträchtliche Entwicklung erfahren und seine Kinnladen, die sein Gesicht unten breiter machten als oben, verliehen seiner Physiognomie einen einfältigen Ausdruck, der nur durch seinen eigentümlichen Blick beseitigt wurde.

Wenn in der Tat irgendeine Verwandtschaft zwischen dem Doktor Basilius und dem Geist der Finsternis bestand, so musste man sie in den Augen des Doktors suchen. Obwohl sie in den Höhlen tief zurücklagen und halb durch dicke Augenbrauen verborgen wurden, waren die Augen des Doktors Basilius dennoch feurig und stechend. Dieser Ausdruck stand in Harmonie mit der eigentümlichen Feinheit seines Mundes, dessen Lippen sich an den Enden mit seinem Lächeln bogen, das vollständig gegen den übrigen Teil dieser höllischen Hülle abstach.

Seine Stirn war hoch und ganz kahl, sodass man einen doppelten Vorsprung bemerken konnte, welcher sich an der Stelle befand, welche die Mythologie den Hörnern des Satyrs und die Magie des Mittelalters denen Satans anweist. Der Mangel der Haare war durch eine gewebte rote Mütze ersetzt, welche sich über die Ohren ziehen ließ, wenn der Doktor sich gegen die Kälte oder den Regen schützen wollte, die er aber in Form einer chinesischen Kappe in die Höhe zog, wenn er glaubte, dass seine Ohren durch die Wirkung der Luft keine Gefahr liefen.

Seine Kleider glichen durchaus nicht denen, welche gewöhnlich seine Standesgenossen tragen. Über die Beinkleider von gestreiftem Baumwollzeug hatte er, um sich gegen den Regen zu schützen, ein Paar jener gelb geteerten Hosen gezogen, deren die Matrosen sich auf dem Meer bedienen. Ein Paletot von blauem Tuch, sehr grob, aber warm und bequem und ein rotes Madrastuch, um den Hals durch eine gewaltige Tuchnadel in Form eines Ankers befestigt, vollendeten eine Kleidung, die an den Ufern des Zuiderzees außerordentlich passend hätte erscheinen können, die aber sich dessen in Juba nicht rühmen durfte.

Wie wir erwähnten, hatte der Doktor auf einem Bambusschemel Platz genommen, und um den Schemel in einen Stuhl zu verwandeln, denselben in eine Ecke gestellt. Um sich die Langeweile zu vertreiben, rauchte er aus einer Pfeife von versilbertem Kupfer, die er mit einer Opiumischung gestopft hatte.

»Aber wie sind Sie denn hergekommen, Herr Doktor?«, fragte Eusebius van der Beek verwundert.

»Durch die Luft und auf einem Besenstiel«, sagte der Doktor mit einem kurzen scharfen Lachen, welches ihm eigentümlich war und so ziemlich dem Zirpen der Grille glich. »Sie begreifen wohl, dass ich bei einem solchen Wind nicht lange brauchte, um den Weg zurückzulegen.«

»Sie sind gekommen, Doktor«, sagte Eusebius, »und meine Dankbarkeit kümmert es nicht, welche Bewegungsmittel Sie angewendet haben. Ich danke Ihnen, guter Doktor, ich danke Ihnen.«

Er suchte nach der Hand des Doktors, um sie ihm voll Innigkeit zu drücken.

»Sehen Sie sich vor«, sagte der Doktor, indem er sie lebhaft zurückzog, »Sie möchten sich an meinen Krallen verbrennen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Eusebius. »Sollten Sie der Einzige in dieser guten Stadt Batavia sein, welcher nicht weiß, dass Satan und ich ein paar gute Freunde sind; dass der Fürst der Finsternis jeden Morgen mit mir meinen Milchkaffee und jeden Abend meinen schwarzen Kaffee trinkt und dass ich es seinen Ratschlägen verdanke, wenn ich bei drei oder vier Gelegenheiten etwas weniger als ein Esel erschien, wie meine Herren Confratres?«

»Allerdings, Herr Doktor, habe ich darüber sprechen hören. Aber wie können dergleichen Albernheiten in unserer Zeit Glauben finden?«

»Ei, ei, mein junger Freund, man muss auf nichts schwören. Überdies ist die Dankbarkeit eine Last, die sich schwer bis an das Ende tragen lässt, und viele Personen wären sehr froh, sich ihrer entledigen zu können, selbst um den Preis einer Albernheit.«

»Ach, Herr Doktor, glauben Sie mir, dass ich nicht zu denen gehöre und ich mich mein ganzes Leben lang der Verpflichtung erinnern werde, welche ich Ihnen für die Schnelligkeit und Uneigennützigkeit schulde, mit der Sie mir zu Hilfe geeilt sind.«

»He! He! He!«, rief der Doktor mit einem so wütenden Gelächter, dass es in einen heftigen Husten überging. »Er unterhält mich, der junge Mensch. Er unterhält mich ganz gewaltig. Fahren Sie fort, mein kleiner Freund. Ich liebe es, die Äußerungen des Herzens sich in einem Wasserfall von Worten ergießen zu sehen. Sie beweisen eine schöne Seele bei dem, welcher sich ihnen hingibt und ich bewundere die schönen Seelen. Sie sagten also …?«

»Dass Sie zur Vergeltung des Dienstes, den Sie mir leisten werden, Doktor, wenn Sie meine Esther heilen, über mich verfügen dürfen, wie es Ihnen gut dünkt, und dass ich, welchen Preis Sie auch von meiner Dankbarkeit fordern werden, stets bereit sein will, Ihnen mein Leben zu opfern, weil Sie mir mehr als das Leben gegeben haben, indem Sie das meiner Frau erhielten, die ich mehr liebe, als mich selbst.«

»Mein Gott, das ist ja ein förmlicher Vertrag, den Sie mir da vorschlagen, mein lieber junger Mann. Ganz gewiss nehmen Sie die Schilderung, welche die guten Seelen Ihnen von mir gemacht haben, buchstäblich. Doch die Dankbarkeit führt Sie zu weit. Die Dankbarkeit ­- Pest! Sehen Sie sich wohl vor, denn das ist ein Gefühl, dem man misstrauen muss.«

»Doktor, sagte der arme Eusebius, welcher über die spöttische Weise, mit welcher Basilius seine Danksagungen aufnahm, so gekränkt war, dass ihm die Tränen über die Wangen liefen. »Doktor, verspotten Sie mich?«

»O, ich werde mich wohl davor hüten«, sagte der Doktor mit lautem Gelächter, »habe ich jemals an irgendetwas gezweifelt? Ich glaube an alle Versprechungen. Man meint es stets aufrichtig, wenn man sie leistet, aber wenn man sie halten soll, dann ist es freilich etwas anderes und die redlichen Leute bedauern es, sie gemacht zu haben, selbst wenn sie sie erfüllen.«

»Doktor, ich schwöre Ihnen …«

»Ich glaube von Ihnen, mein junger Freund, genau das, was ich von allen anderen Menschen glaube, das heißt, dass Sie es ehrlich meinen bei einem Versprechen und dass sie ebenso ehrlich beim Vergessen sein werden.«

»Doktor, ich schwöre Ihnen …«

»Hören Sie«, sagte der Doktor, indem er Eusebius unterbrach, »Sie haben dort rechts von der Kommode ein Stückchen Spiegel. Nehmen Sie es vor das Gesicht und sagen Sie mir dann, was Sie sehen.«

»Mein eigenes Bild …«

»Nun wohl, ebenso gut können Sie schwören, dass Sie in zwanzig Jahren noch an Ihren Eid denken werden, wie Sie hoffen dürfen, dass in zwanzig Jahren Ihr Spiegelbild ebenso aussehen wird wie heute. Aber gleichviel; fahren Sie nur fort, mein junger Freund. Ich habe zehnmal so viel Vergnügen daran, die Leute von ihrer Dankbarkeit sprechen zu hören, als es mir machen würde, die Wirkungen derselben zu unterzeichnen. Immer weiter also, immer weiter. Legen Sie sich keinen Zwang auf.«

»Doktor«, sagte der unglückliche Eusebius, der seinen sonderbaren Gast überzeugen wollte, dass er nicht ein Undankbarer sei wie die Mehrzahl der Menschen. »Ich hoffe, dass mir das Glück vorbehalten sein wird, Ihnen zu beweisen, dass Sie eine zu schlechte Meinung von der Menschheit haben. Aber jetzt scheint es mir, verlieren wir zu viel Zeit. Soll ich die Kranke wecken?«

»Wozu?«

»Ei, Herr Doktor, damit Sie ihr geben, was ihr Zustand erheischt.«

»Ihr Zustand erheischt für den Augenblick nichts«, erwiderte der Doktor mit schneidendem Gelächter. »Sie schläft, wie Sie noch nie geschlafen hat. Sie werden keinen ihrer Atemzüge hören können.«

»Das ist wahr«, sagte der junge Mann besorgt und tat einen Schritt gegen das Bett. Der Doktor zog ihn an dem Rockschoß zurück.»Lassen Sie sie noch schlafen«, sagte er. »Im Schlaf schöpft die Natur neue Kräfte Wer sagte Ihnen denn, ob nicht der Tod sogar, den man so sehr fürchtet, weiter nichts ist, als eine lange Ruhe, die uns zu einem neuen Leben vorbereitet? Hören Sie, ich glaube meiner Treu, ich habe da eben ein System aufgestellt. He he he he! Es ist vielleicht nicht so ganz abgeschmackt.«

»Soll ich Ihnen nicht wenigstens, damit Sie Ihre Zeit nicht verlieren, die Krankheit Esthers näher beschreiben?«

»Zuerst, mein junger Freund, müssen Sie wissen, dass wir unsere Zeit nicht verlieren. Wir philosophieren, und das ist im Gegenteil die beste Verwendung, welche der Mensch den Stunden seines Lebens geben kann. Was die Auseinandersetzung der Krankheit Ihrer Frau betrifft, so kenne ich alle Symptome, die Sie mir angeben möchten, ebenso gut wie Sie. Wie es Gesetze für die Geburt gibt, so gibt es auch welche für den Tod. Daher ist jede Wissenschaft leicht, sobald man es gelernt hat, in dem großen Buch zu lesen, welches für die Blinden geschrieben ist, und das man die Natur nennt. Lassen wir daher Ihre Frau schlafen und sprechen wir von anderen Dingen!«

Eusebius stieß einen Seufzer aus, aber er glaubte, er müsse sich den Launen des Doktors fügen und fragte daher: »Über was würde es Ihnen angenehm sein, zu sprechen?«

»Von allem, was Sie wollen, mein junger Freund. Ich trinke ohne Unterschied den Arak und unseren vortrefflichen Schidam, Constantia und den Palmenwein. Ich habe Stunden lang mit einem ehrwürdigen Brahminen von Jaggernaut gesprochen und am Tage darauf, als ich alle Weisheit der 36 Seelenwanderungen Brahmas erschöpft hatte, unterhielt ich mich deshalb nicht minder gut bei dem Geschwätz der Lascaren der Jonka, auf welcher wir den heiligen Fluss hinabfuhren.«

»Nun denn, Herr Doktor«, sagte der junge Mann, indem er ungeachtet der instinktmäßig wachsenden Bedrückung seines Herzens ein vertrauensvolles und heiteres Wesen anzunehmen suchte, »dann sagen Sie mir, wie es kommt, dass Sie mir so schnell Ihre Teilnahme geschenkt haben, da Sie doch …«

Eusebius sah, dass er auf eine gefährliche Bahn eingelenkt hatte, und zögerte, seinen Satz zu beenden.

»Da ich doch?«, wiederholte der Doktor. Und als er sah, dass Eusebius in seinem Schweigen beharrte, sagte er: »Da ich doch das bisschen Wissenschaft, welches ich besitze, oder das man mir zutraut, nur um schweres Geld verkaufe, nicht wahr? Das wollten Sie sagen, oder das war wenigstens Ihr Gedanke.«

»Ach, Herr Doktor …«

»Er beleidigt mich nicht. Zum Henker, der Priester lebt vom Altar und der Arzt vom Tod. Glauben Sie denn, wenn ich mir die Mühe geben wollte, könnte ich Ihnen nicht deutlich und unwiderleglich beweisen, dass ebenso wie der Arzt auch jeder andere Mensch, welchem Stand er immer angehöre, sich von dem Unglück seines Nächsten mästet? Nur wird das Übel, welches er dem einen zufügt, ihm durch den anderen vergolten. Bloß das Gute vergilt der Mensch niemals. Aber das würde uns zu weit führen. Kommen wir also auf unsere Frage zurück. Es gibt etwas, das ich dem Gold vorziehe, vielleicht, weil ich von diesem so viel habe, dass ich nicht weiß, was ich damit anfangen soll.«

Eusebius sah den Doktor verwundert an.

Ach ja«, sagte dieser, »das ist auch ein Beweis der guten Meinung, welche die Menschen von dem Menschengeschlecht haben. Es wundert Sie, dass ich gestehe, dass ich reich bin? Man sagt dergleichen Dinge aus zwei Ursachen nicht. Erstens, weil der reiche Mensch stets fürchtet, dass man ihn bestehle, und zweitens, weil er noch weit mehr fürchtet, dass man den Quellen seines Reichtums nachforschen werde. Diese Quellen aber, mein Freund, bestehen größtenteils in Bestechung, Wucher, Betrug, Diebstahl, selbst in Mord. Sie begreifen wohl die Missachtung, welche auf unsere meisten Millionäre fallen würde, wenn man bis zu ihren Quellen zurückginge. Die Reisenden, welche die Ufer des Nils aufgesucht haben und bis zu dem vierten Breitengrad gelangten, haben nichts gefunden als stinkende Sümpfe, deren Ausdünstungen töten. Mein junger Freund, ein großes Vermögen stammt meistens aus Sümpfen her, die noch viel stinkender sind als die des Nils. Atmen Sie die Ausdünstungen nicht zu sehr in der Nähe ein oder Sie laufen Gefahr, dabei mehr Kohlensäure als Sauerstoff in ihre Lungen einzusaugen. Bei mir ist das etwas anderes; ich bin ein unverschämter Schuft und sage ganz laut, woher mein Reichtum stammt. Gleich dem Doktor Faustus habe ich mich dem Satan verschrieben und dieser ließ mich aus dem Becher der Wissenschaft trinken. Ich kämpfe gegen Gott, indem ich die Leute gesund mache; aber ich stelle meinen Preis vor der Genesung, denn wenn ich es erst hinterher täte, so würde ich fadenscheinige Hosen und Löcher in den Ellenbogen meines Rockes haben.«

»Das ist es eben, was mich die Frage an Sie richten ließ, Doktor, auf die Sie noch nicht geantwortet haben.«

»Nun wohl, so tue ich das jetzt, mein junger Freund. Es geschah, weil es etwas gibt, das ich dem Gold vorziehe, und das ist meine Laune. Deshalb gebe ich so wenig auf Ihre Dankbarkeit … Rauchen Sie Opium, mein Herr van der Beek?«

»Nein, Doktor.«

»Sie haben unrecht; das Opium ist etwas ganz Vortreffliches. Man sagt, es mache mager. Sehen Sie mich an. Man sagt, es gewähre einen matten Blick. Sehen Sie in meine Augen.«

Indem der Doktor so sprach, schlug er sich auf seinen wohlgerundeten Bauch, der einen hohlen Klang gab wie eine große Kiste, und schoss aus seinen Augen Blitze, welche Eusebius blendeten.

»Man sagt, es verkürze das Leben«, fuhr der Doktor fort. »Irrtum, Lüge, Verleumdung! Es verdoppelt es, denn es macht aus unserem Schlaf ein zweites Leben.«

»Doktor«, sagte Eusebius ängstlich, »was den Schlaf betrifft … finden Sie nicht, dass der meiner Frau sich auf eine beunruhigende Weise verlängert?«

»Wissen Sie, dass die Orientalen, die Türken, die Araber, selbst die Chinesen, welche wir als Anfänge der Schöpfung, als misslungene Werke der Menschheit betrachten, das Leben viel logischer aufzufassen verstehen wie wir Menschen des Okzidents? Was ist denn unsere einfältige und lärmende Trunkenheit, die Trunkenheit des Weins oder des Bieres, die materielle Anfüllung, die den Menschen unter das Tier herabsetzt, neben dieser Begeisterung durch einen wohlriechenden Dunst, der bei dem beständigen Streben nach oben in den Kopf steigt, statt sich in den Magen hinabzusenken, neben dieser feenhaften Betäubung, die unsere Seele von ihrer irdischen Hülle loslöst und ihr gestattet, von Paradies zu Paradies zu fliegen?«

»Doktor, lieber Doktor, lassen Sie uns von Esther sprechen, ich beschwöre Sie!«

»Nun wohl, wenn Sie es durchaus wollen«, sagte der Doktor Basilius, ohne sich Mühe zu geben, seine üble Laune zu verbergen.

»Sie müssen also wissen, Doktor, dass sie schon, ehe wir Harlem verließen, einen hartnäckigen Husten hatte, der mich beunruhigte.«

»So, Sie sind von Harlem?«, sagte der Doktor Basilius, scheinbar ohne die Ungeduld zu bemerken, welche Eusebius über diese Unterbrechung empfand. »Ein hübsches kleines Städtchen, meiner Treu!«

»Eine reizende Stadt, Doktor, nur gestatten Sie …«

»Aber«, fuhr er fort, »wenn Sie wirklich aus Harlem sind, so vermute ich, dass Sie auch die berühmte nächtliche Runde von Rembrandt kennen, die sich gegenwärtig in der Galerie des Herrn van Tomme befindet?«

»Ja, Doktor«, erwiderte Eusebius, »aber ich wollte Ihnen sagen …«

»Mein Lieber, ich will Ihnen etwas sagen, was viel interessanter ist, als alles, was Sie mir mitteilen können. Ich spreche von dem Meisterwerk eines Menschen, welches leben wird, so lange die Leinwand, auf welche dieses Meisterwerk aufgetragen ist, und die Farben, mit denen es gemalt wurde, halten, das heißt, Jahrhunderte, während der Mensch, dieses Meisterwerk Gottes, aus Fleisch und Bein bestehend, 30, 40, 50, 60 Jahre lebt, dann aber in Fäulnis untergeht! – Puh! Wie Hamlet sagt!«

»Doktor«, sagte Eusebius, indem er unwillkürlich erbebte, »ich schwöre Ihnen, dass Sie mir Furcht einflößen.«

»Nun wohl«, fuhr Basilius fort, als hätte er Eusebius Worte nicht gehört, »dieses berühmte Bild ist nur eine Kopie, mein lieber Herr van der Beek. Wenn Sie das Original kennenlernen wollen, so brauchen Sie nur zu mir zukommen, und Sie werden dort nicht nur die nächtliche Runde sehen, sondern auch meine ganze Galerie; denn Sie müssen wissen, dass ich eine sehr schöne Gemäldegalerie in meinem elenden Häuschen am Kai von Batavia besitze. Wie ich Ihnen eben sagen wollte, habe ich dort, dank meinem Reichtum, um mich alle positiven Genüsse der Orientalen und alle intellektuellen der Europäer vereinigt. Sie werden daher auch bei mir alles finden, die Meisterwerke der Kunst und der Natur, Rembrandt, Tizian, Rubens; die besten Weine Ungarns, Frankreichs und Spaniens, und endlich die schönsten Proben der drei Stämme, welche die Welt bevölkern, des schwarzen Stammes, des weißen und des gelben.«

»Mein Gott, mein Gott«, murmelte der junge Mann halblaut, indem er in heftiger Aufregung in dem Gemach umherging und dabei einen Blick auf die junge Frau warf, die noch immer regungslos und stumm dalag, »mein Gott, ist es denn möglich, dass dieser unbarmherzige Schwätzer eben der Doktor Basilius sei, von dem man so wunderbare Kuren erzählt hat?«

Dann blieb er endlich vor dem Doktor stehen, wie ein Mensch, der einen Entschluss gefasst hat, und sagte: »Herr Doktor, besichtigen Sie zunächst meine Frau, ich beschwöre Sie, und dann wollen wir von allem sprechen, was Ihnen gefällig ist.«

»Es sei«, entgegnete der Doktor, »zuvor aber noch einige Worte … Sie heißen Eusebius van der Beek?«

»Ja, Herr Doktor.«

»Sie sind aus Harlem und der Sohn des Jacobus van der Beek?«

»Mein Vater hieß Jacobus van der Beek.«

»Der Mann der Esther Menuis, Tochter des Notars Wilhelm Menuis und seiner Frau der Johanna Katharina Mortico?«

»Das ist alles genau so. Sie sprechen wie ein Kirchenbuch.«

»Schwester«, fuhr der Doktor fort, »eines gewissen Basilius Mortiec, der sich vor zwanzig Jahren in Harlem einschiffte und seitdem nicht wieder erschienen ist?«

»Nein, niemals. Sollten Sie etwa diesen Onkel gekannt haben, dessen meine Frau sich kaum erinnert?«

»Ich habe von ihm sprechen hören, ja, ich habe ihn sogar persönlich gekannt. Er war ein Contrebandier, Pirat, Korsar; ich weiß nicht, wo er sich hat hängen lassen.«

»O mein Gott!«

»Ach, beklagen Sie ihn nicht, Er war ein elender Schuft.«

»Doktor, er war der Onkel meiner armen Esther. Sie müssen mir daher verzeihen, wenn ich Sie bitte, in meiner Gegenwart nicht schlecht von einem so nahen Verwandten zu sprechen. Wir Holländer von altem Schrot und Korn sind in der Achtung unserer Familie erzogen worden.«

»Sie sind wahrlich ein eigentümlicher junger Mann. Sprechen wir also nicht weiter von Ihrem Onkel.«

»Nein, Doktor, aber um des Himmels willen, sprechen wir von seiner Nichte.«

»Es ist sonderbar«, sagte Basilius, als ob er zu sich selbst spräche, aber dennoch laut genug, um von Eusebius verstanden zu werden, »es ist sonderbar, wie hartnäckig der Mensch darauf besteht, seinem Unglück entgegen zu gehen.«

»Ich sagte also«, nahm Eusebius wieder das Wort, ohne auf die Bemerkung des Doktors zu achten.

Dieser aber unterbrach ihn ungeduldig und rief: »Mein Gott, Sie sagten mir, dass Ihre Frau Sie schon vor der Abreise von Harlem durch einen hartnäckigen Husten beunruhigt hätte.« Eusebius wollte fortfahren, er aber unterbrach ihn und sagte: »Lassen Sie mich Ihnen das Übrige erzählen, und Sie werden sehen, dass es nutzlos ist, sich wegen einer Sache zu quälen, die ich besser weiß, als Sie selbst. Unterbrechen Sie mich also nicht. Während der ersten Tage strengte die Seefahrt Ihre Frau ungemein an. Sie musste liegen bleiben, der Husten dauerte fort, der Auswurf wurde stärker.«

»Ja, Doktor, so war es.«

»Lassen Sie mich doch sprechen. Am fünften Tag nach Ihrer Abfahrt bekam Ihre Frau ein heftiges Blutbrechen, dieses wurde mithilfe von Fowlersirup gehoben, aber Ihre Frau fuhr fort, sich über heftige Schmerzen in der Brust zu beklagen. Der Husten hatte sich vermindert, aber die Verdauung war gestört. Das dauerte vier oder fünf Tage. Dann fühlte Ihre Frau sich wohler und hielt sich für geheilt. Da das Wetter schön und das Meer ruhig war, so fand sie sich acht Tage darauf kräftig genug, um auf das Deck zu steigen und an Ihrem Arm umherzugehen. Die Schmerzen in der Brust und selbst in den Eingeweiden hatten aufgehört, der Appetit kehrte zurück und mit ihm fand Ihre Frau einen Teil ihrer Kräfte und ihre ganze Jugend und Heiterkeit wieder, als Sie nach einer Fahrt von fünf Monaten in Batavia landeten. Weder Sie noch Ihre Frau dachten weiter an die Schwindsucht. Man hätte glauben können, es wäre von dieser Krankheit nie die Rede auf der Erde gewesen, und der gute Gott hätte sie in der hohlen Hand zurückbehalten, wie die Hoffnung in der Büchse der Pandora geblieben war.«

»Ja, so ist es, so ist es in der Tat, Doktor«, rief Eusebius, noch erschrockener über die Wissenschaft des Mannes, als über die Art von Gotteslästerung, die er sich hatte entschlüpfen lassen, indem er seine Worte mit jenem teuflischen Gelächter begleitete, welches wir bereits an ihm bezeichnet haben.

»Warten Sie doch auf das Ende, um mir Ihren Beifall zu zollen! Gleich den großen Künstlern bewahre ich mir den Haupteffekt vor. Zwei Tage nach Ihrer Landung, als Sie eben von einem Besuch beim Kaufmann zurückkehrten, dem Sie empfohlen waren, und bei dem Sie am nächsten Montag eintreten sollten, klagte Ihre Frau über Schmerzen in der Seite und über Mattigkeit der Glieder. Der Husten kehrte an demselben Abend zurück, und der Auswurf am nächsten Tag. Bei der Untersuchung zeigte es sich, dass die rechte Lunge beinahe ganz oder doch zum größten Teil verzehrt, und auch die linke angegangen sei. Ihre Frau hatte, was wir die galoppierende Schwindsucht nennen. Der Atem wurde immer schwieriger und pfeifender, die Zirkulation des Blutes schneller und ungleicher, der Puls hatte von 95 bis 115 Schläge in der Minute. Am Morgen waren Brust, Gesicht und Hände mit einem kalten, klebrigen Schweiß bedeckt. Die Kräfte schwanden, das Gefühl der Liebe selbst nahm ab. Binnen einiger Tage hatte das Alter sich der Frau bemächtigt, die noch kurz zuvor so heiter, so liebevoll, so zärtlich gewesen war. Sie zeigte sich gleichgültig gegen alles, selbst gegen die Beweise Ihrer Zärtlichkeit, sorglos in allem, selbst in Beziehung auf den Tod. Ist das nicht alles so gewesen?«

»Ja, Doktor, von Punkt zu Punkt. Aber wie können Sie wissen …?«

»He, he, he, he!«, sagte der Doktor. »Wahrlich, ich muss lachen, wenn Ihre schönen europäischen Romane den Augen ihrer Leser die Brustkranken zeigen, lieblich und rosig, wie die abscheulichen Pastellbilder, welche die Franzosen Gemälde nennen. Köstliche Kranke, welche die Luft von Nizza einatmen oder das Wasser von Cauxbonnes trinken, voll Anmut husten und mit Gefühl ohnmächtig werden. Sagen Sie, mein Herr van der Beek, hat Ihre Esther in den letzten Tagen diesen hübschen kleinen Brustkranken geglichen?«

»Ach nein, Doktor, aber ungeachtet der Veränderungen, welche die Krankheit bei ihr hervorgebracht hat, liebe ich sie nicht weniger wie sonst, und beschwöre Sie daher nochmals, heilen, retten Sie sie!«

»Mein lieber Freund«, sagte der Doktor mit seinem wunderlichen Lachen, »ich wünschte nichts sehnlicher, aber es ist ein wenig spät.«

»Wieso, ein wenig spät!«, rief Eusebius, indem er den Arzt mit starren Blicken ansah.

»Allerdings, denn Ihre Frau hat die Seele um halb neun Uhr abends ausgehaucht, gerade in dem Augenblick, als Sie den ersten Schlag an die Tür meines Hauses taten.«

Eusebius stieß einen fürchterlichen Schrei aus und stürzte auf das Bett zu. <der Körper seiner Esther war schon eiskalt und zeigte jene Steifheit, welche die Wissenschaft mit dem Namen der Leichenstarre bezeichnet.

»Ach, es ist unmöglich!«, schrie der unglückliche junge Mann, indem er sich über das Bett warf, seine Frau in die Arme nahm und seine Lippen auf die bereits eiskalten der Toten presste. »Ach mein Gott, mein Gott, Doktor, kommen Sie mir zu Hilfe! Aber sie ist nicht tot, sie kann nicht tot, sie kann nicht gestorben sein, ohne mir Lebewohl zu sagen … Und ich, der ich alles ruhig anhörte, was dieser Mensch mir sagte! Esther! Esther! … Ach, Doktor, ich beschwöre Sie … als ich sie verließ, war sie ruhig, lächelnd. Sie sagte mir, dass sie sich seit dem Beginn Ihrer Krankheit nie so wohl gefühlt hätte!«

»So ist es stets, mein junger Freund«, sagte der Doktor. »Das Leben ist denen, die es verlassen wollen, ein Lächeln schuldig.«