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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang 15

Die Fahrten und Abenteuer des kleinen Jacob Fingerlang
Ein Märchen von Gotthold Kurz
Nürnberg, bei Gottlieb Bäumler 1837

Fünfzehntes Kapitel

Jacob wird von einem Storch verfolgt, der ihn zum Nest tragen will.

Aber Jacob verlor die Besinnung nicht, er tauchte auf und schwamm mit kräftigem Arm ans jenseitige Ufer, während der Wagen seiner sauberen Begleiter in der Ferne entschwand.

Eine weite Grasebene dehnte sich hier vor ihm aus, von Wassergräben durchschnitten, von zahlreichen Rindern belebt. Um sich vor der Gefahr zu sichern, von einer weidenden Kuh zertreten oder verschluckt zu werden, nahm Jacob seinen Lauf zu einem nahen Pfahl und kletterte hinauf. Hier trocknete er sich an den warmen Sonnenstrahlen und schaute ausruhend auf die Landschaft hin, die sich mit Dörfern und Windmühlen, Baumgruppen und Viehweiden nach allen Seiten ausdehnte. So saß er da in Gedanken versunken, auf seinem hohen und schmalen Sitz, als neue Gefahr und neue Not über ihn kamen.

Klappernd, mit breiten Flügelschlägen und hinterwärts gestreckten Beinen kam ein Storch herbeigeflogen, umkreiste bedächtig und immer klappernd den Sitz des Helden, öffnete seinen Schnabel, um ihn zu packen und seiner lieben Jugend als willkommenen Raub nach Hause zu bringen.

Jacob aber war derjenige nicht, wofür ihn der Blödsinnige ansah. Er versuchte ihm dies in aller Kürze begreiflich zu machen, dass er kein Laubfrosch, sondern holländischer Offizier à la suite sei. Zugleich zog er den Degen, schwenkte den Hut und setzte sich endlich zur Wehr. Allein seine Worte waren in den Wind gesprochen. Was half sein Schwertlein gegen einen so großen harten Schnabel, wie ihn ein Storch führt?

Es blieb dem bedrängten Junker nichts übrig, als sich dem Angriff mit flinken Gliedern zu entziehen, so gut es gehen wollte. So sprang er auf einen dicken eisernen Ring herab, der den Pfahl rings umschloss, und spazierte da von einer Seite zur anderen, um hinter dem Pfahl Schutz zu suchen.

Der Storch aber ließ sich seinerseits die Mühe nicht verdrießen, mit schwerfälligem Flug ihm nachzufolgen. So spielten beide eine geraume Zeit lang Verstecken und Haschen miteinander. Der arme Fingerlang aber hatte wenig Spaß bei diesem Spiel, den gelang es je dem wunderlichen Kauz, ihn zu erwischen, so war er auch sicher, durch die Lüfte zum Nest entführt zu werden, und was half es ihm dann, wenn der dumme Vogel droben auf dem Forst, Gott weiß von welchem holländischen Bauernhaus, auch seinen Irrtum endlich einsah und die Uniform respektierte? Schwerlich waren ihm dann so viel Vernunft und Rechtschaffenheit zuzutrauen, dass er ihn wieder zurückbringen werde, wo er ihn hergenommen hatte. In dieser Not war es ein unerwartetes Glück für ihn, dass eine Dirne des Weges kam, die eben mit dem Geschäft des Melkens der Kühe zu tun gehabt hatte. Als diese den Ooijevaar, (so heißt im holländischen der Storch) und seine wunderliche Jagd gewahrte, ging sie mit schnellen Schritten auf ihn los, sodass der Vogel abließ und davonflog. Es war eine echte Holländerin, von Gesicht wie Milch und Blut, von starkem Wuchs und gefälligen Anstand, Häubchen, Halstuch und Schürze weiß wie frisch gefallener Schnee, die Messingreifen an ihren Milcheimern blinkend wie Gold.

Das Mädchen machte große Augen, als sie den Helden in seiner glänzenden Uniform erblickte, den sie soeben durch ihre Dazwischenkunft befreit hatte, und er mit dem seidenen Taschentuch sich den Schweiß abwischte.

Es fielen ihr alle Sagen ein von Klabautermännchen und von Alraunen, die bei ihr zu Lande so geläufig sind. Misstrauisch hörte sie seine Geschichte und der Versicherung zu, dass er Offizier à la suite und beim Hof attachiert sein.

»Ei, mein Gott!«, sagte sie, »klein seid ihr ausgefallen, Jongetje! Wie kann ein Christenmensch in einer Haut stecken, die zweimal kleiner ist als eine Haarlemer Wurst!« »Spottet nicht«, erwiderte Jacob, »nehmt mich lieber in Eure Schürze und tragt mich ins Dorf, wo ihr her seit.«

»Ei, mitnichten, junger Herr«, versetzte sie, »man kennt euch Leute! Dass ihr etwa unterwegs und fast immer größer würdet, und Euch mir an den Hals hängt, Zentner schwer wie der Alp oder Maar?« Sie trat zurück.

»Schönes Meisje«, schmeichelte der Kleine und sah sie mit seinen unwiderstehlich gutmütigen klaren Blicken an, »wie spröde du auch tun magst gegen die großen Jungen, die dir schön tun am Brunnen oder auf der Kirmes, von mir hast du nichts zu fürchten! Lass dich meiner erbarmen, der ich kaum der Todesnot entgangen bin und hier umkommen muss wie ein Schellfisch auf der Klippe, wenn du mich hier sitzen lässt! Ich schwöre dir, ich bin kein Spukgeist noch ein Vagabund. Ich bin aufs Beste angeschrieben bei Sr. Hoheit dem Statthalter, bin einer seiner Kavaliere und muss in dringenden Geschäften noch heute ohne Aufenthalt zu ihm. Schicke dich, Herzchen, und lass zu Hause anspannen, um mich dahin zu bringen, es koste, was es wolle!«

Länger konnte die anmutige Jungfrau nicht empfindlich bleiben gegen so dringende Bitten und so viel schelmische Liebenswürdigkeit!

Sie huckte ihr Joch mit den sauber gesteuerten Milcheimern auf die Schultern und steckte den Hofkavalier in die Geldtasche, die ihr zur Seite hing.

Das Glockenspiel des nächsten Kirchturms verkündete eben die Mittagsstunde und schnellen, zierlichen Schrittes eilte sie der Heimat zu.

Zu Hause saß der Vater im Lehnstuhl neben einem ungeheuren Bett, auf dessen Decke der Stammbaum der ganzen Sippschaft eingenäht und zu lesen war. Er setzte seine Brille auf, betrachtete misstrauisch den kleinen Findling und schüttelt das greise Haupt seiner Geschichte. Indessen ließ er ihn an seinem Mittagsmahl teilnehmen und schien durch die Offenheit, womit dieser auf seine ebenso trockene wie schlaue Fragen antwortete, ziemlich befriedigt.

Jacob verging vor Ungeduld, fortzukommen. Aber er musste sich dem bedächtigen Gang, womit hier alles unternommen wurde, geduldig fügen. Endlich trat der alte Vater in seinem stattlichen Sonntagsstaat herein, und zur gleichen Zeit wurden die wohlbeleibten Friesländer Braunen aus dem Stall gezogen und vor die offene Kalesche gespannt.

Jungfrau Mietje in Schleier mit Ohrenspangen und schönem seidenen Gewand prangend, stieg mit ihrem Schützling ein, neben ihr der Vater.

Donnernd fuhr der Wagen über die treffliche von Backsteinen gewölbte Straße dahin.