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Gold Band 2 – Kapitel 10.2

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 2
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 10
Das Wiedersehen
Teil 2

Eine halbe Stunde mochte er etwa so gelegen haben, als er plötzlich helle Frauengewänder durch die Büsche schimmern sah. Gleich darauf betraten zwei Frauen den offenen Platz und schauten von hier aus zur Stadt zurück. Erst glaubte er, sie wollten vorübergehen, wenn er sich auch wun­derte, wie Frauen in diese Wildnis kamen. Am Macalome hatte er aber auch einige Mädchen von Mexiko und Chile getroffen. Da er hörte, dass die beiden spanisch miteinander sprachen, wenn er auch die einzelnen Worte nicht verstehen konnte, achtete er nicht weiter darauf und blieb in seiner Stellung, von jenen gar nicht bemerkt, ruhig liegen.

Die beiden Frauen hatten indessen kaum den ersten Rand erreicht, von dem aus sich der Wald dem Blick öffnete, dass sie die ganze unter ihnen liegende Landschaft frei überschauen konnten, als sie wie von freudigem Schreck gefesselt stehen blieben.

Die eine, die Hände zusammenschlagend, rief: »O, sieh, Manuela – sieh, wie wundervoll, wie prächtig das hier ist – und so viele Tage sind wir nun schon hier, und der böse Hetson hat uns nicht ein einziges Mal hierher geführt.«

»Wie still und friedlich liegt die kleine Zeltstadt da unten«, sagte Manuela, »und doch leben so viele böse Menschen dort, die nur die wilde Leidenschaft der Goldgier kennen.«

»Aber auch viele gute«, erwiderte die junge Frau, freundlich die Hand auf der Begleiterin Arm legend. »Du musst das alles nicht mit so trüben Farben sehen – jetzt nicht wenigstens, wo Gottes Sonne so wunderbar den ganzen Raum erhellt, Licht und Wonne über die schöne Erde gießt. Das ist ein Augenblick, unsere Herzen zu erheben und zu freudigem Dank zu stimmen, nicht zu klagen, dass das Licht auch neben sich den Schatten duldet. Dient es doch nur dazu, es selber noch mehr zu heben und in größerer Reine zu zeigen. Sieh dort unten den Trupp von Männern mit den bunten Überwürfen und den vielen Pferden oder Maultieren – das müssen Mexikaner sein. Und dort drüben die einzelnen Arbeiter in der Flat – wenn sie manchmal ihr blankes Werkzeug heben, kannst du es in der Sonne blitzen sehen. Und die bunten Zelte mit der wehenden Flagge darüber, die schattigen Baumgruppen dazwischen durch, die herrlichen Berge dort drüben. O, stundenlang könnte ich hier stehen und mich nicht sattsehen an dem wundervollen Bild. Wenn man nur hier bleiben, hier Ruhe finden könnte.«

Sie hatte ihren Arm auf Manuelas Schulter gelegt und schaute still und sinnend eine lange, lange Zeit in das Tal hinab. Manuela störte sie mit keinem Wort, mit keinem Laut. Aber die heitere Stimmung, in die sie der herrliche Morgen versetzt hatte, war auch verschwunden. Als Manuela ihr endlich langsam das Antlitz zuwandte, sah sie, wie zwei helle perlende Tränen an ihren Wimpern hingen.

»Jenny«, flüsterte da die Jungfrau, leise ihren Arm um die Hüften der Freundin legend, »Jenny, was ist dir plötzlich? Was fehlt dir? O mein Gott, auch dir drückt vielleicht eine schwere Sorge die Brust, und während Du mir gestattetest, all den Gram, der mein Herz bedrückte, in das deine mit auszuschütten, hast du mir verheimlicht, dass auch du nicht glücklich bist.«

»Glaube es nicht, Manuela«, flüsterte da Jenny, die Freundin fester an sich ziehend. »Ich würde mich versündigen, wollte ich das sagen. In San Francisco allerdings drückte mich ein schwerer Kummer, aber da Hetson sich in der frischen Bergluft hier so bald erholt, so rasch gekräftigt hat, ist auch die Furcht, ihn zu verlieren, von meiner Seele genommen.«

»Aber die Tränen?«

»Sind mir die Tropfen ins Auge gekommen?«, gab die junge Frau lächelnd von sich und schüttelte die verräterischen Perlen ab. »Ich habe es selber nicht gewusst, aber sie galten nicht meinem Glück – sie galten einem Toten. Nur die Erinnerung an vergangenes Leiden hat mich einen Augenblick trübe – oder nicht einmal trübe, nur weich gestimmt. Es ist schon wieder vorüber, und wir wollen uns des schönen heiteren Morgens recht von Herzen freuen.«

»Was war das?«, flüsterte da ängstlich Manuela, deren scharfes Auge eine dunkle Gestalt erspäht hatte, die durch die Büsche glitt.

»Wo?«, fragte Jenny rasch, »sahst du etwas?«

»Gleich dort drüben, nicht zwanzig Schritt von uns … ha … da wieder. Guter Gott, es sind Indianer, und wir haben uns so töricht weit von den unseren fortgewagt.«

»Wir wollen zurückkehren«, flüsterte ihr Jenny erschreckt zu. »Hetson weiß nicht einmal, in welche Richtung wir gegangen sind. Vielleicht haben sie uns noch nicht gesehen.«

»Es ist zu spät«, erwiderte aber die weit besonnenere Spanierin, »sie haben uns schon bemerkt und kommen herüber.«

Jenny war totenbleich geworden, aber sie erwiderte kein Wort, und nur krampfhaft den Arm Manuelas haltend, erwartete sie die braunen Gestalten, die von allen Seiten, plötzlich wie aus dem Boden auftauchend, heranglitten – aber auf die Frauen achteten sie nicht. Die Ersten, die in ihre Nähe kamen, blieben zwar stehen und wechselten einige Worte in ihrer Sprache, auch ihre Blicke ruhten dabei auf den beiden zitternden Frauengestalten, aber sie hatten nichts Feindseliges gegen sie im Sinn. »Walle walle«, sagten sie freundlich grüßend und schritten rasch vorüber – »Walle walle«, sagten die Nachkommenden, und wenige Minuten später war die ganze Schar, wie sie erschienen, so in den Büschen wieder spurlos verschwunden.

Noch aber wagten die Frauen nicht sich zu bewegen, aus Furcht, dass die Wilden vielleicht rasch zurückkehren könnten.

Endlich aber sagte Jenny: »Komm, wir verlassen lieber diesen Platz, denn so gutmütig diese Kinder des Waldes schienen, könnte sich ein zweiter Trupp doch vielleicht weniger nachsichtig betragen. Wir sind auch überhaupt zu weit vom Lager fortgegangen, und Mr. Hetson wird am Ende gar böse, wenn er es erfährt.«

»Da kommen noch mehr«, flüsterte Manuela. »Wären wir nur erst hier fort. Es war auch leichtsinnig, so ohne Begleitung mitten in den Wald hineinzulaufen.«

»Das ist nur ein Pferd«, beruhigte sie aber Jenny, »es scheint zu weiden, und Weiße sind dann auch in der Nähe. Ha, dort ist sein Reiter. Gott sei Dank, jetzt haben wir nichts mehr zu fürchten. Die Indianer scheuen die Schießwaffen unserer Rasse.«

Der junge Engländer war es, der, als er die Indianer unten vorbeiziehen sah, anfing, für sein Pferd besorgt zu werden. Man erzählte sich in den Minen, dass sie Pferde wie Maultiere nicht selten beiseiteschafften, um an ihrem Fleisch ein leckeres Mahl zu halten. Dem wollte er doch, solange das anging, ausweichen. Überdies konnte sich sein Tier wohl jetzt genug erholt haben, die kurze Strecke in die Stadt hinab zurückzulegen. Er war eben im Begriff, es wieder aufzuzäumen.

Der raue Boden dort, der hier und da wenn auch niedere, doch ziemlich steile Steinklippen zeigte, zwang ihn aber an den Frauen vorbeizugehen, um zu seinem Tier zu gelangen. Manuela hatte den Kopf ihm zugedreht. Er erkannte auf den ersten Blick, dass es ein Mädchen spanischen Stammes war. Nach dem, was er von derlei Señoritas in den Macalome-Minen gesehen hatte, glaubte er, keine weitere Notiz von ihr nehmen zu dürfen. Näher gekommen frappierte ihn aber die wirklich blendende Schönheit, das wahrhaft kindliche Wesen des jungen Mädchens. Fast unwillkürlich grüßte er artiger, als es seine Absicht gewesen war. In demselben Moment aber fiel auch sein Blick auf die andere, neben ihr stehende Gestalt. Erschrocken hielt er an, sah sie erbleichen und sich auf die Freundin stützen. »Jenny!«, rief er, seinen Augen kaum trauend, die Arme ausgestreckt gegen die Frau, die einer Ohnmacht nahe die Augen schloss.

»Jenny – um Gotteswillen, was ist dir, mein liebes süßes Herz!«, rief Manuela, sie mit der einen Hand untersuchend, während sie mit der anderen in zitternder Hast ihre bleichen Wangen streichelte.

»Es ist nichts – es ist vorüber«, hauchte aber die Frau, sich gewaltsam emporrichtend und zusammenraffend.

»Jenny!«, sagte da der Fremde mit weicher tief bewegter Stimme, indem er auf sie zuging und ihre ihm willenlos gelassene Hand ergriff, »hier – so müssen wir uns wiederfinden?«

Die Frau stand aufrecht vor ihm. Sie sprach kein Wort, aber sie hatte leise Manuelas Arm zurückgeschoben. Sie zog auch ihre Hand zurück, und wie sie den Kopf zur Seite wandte, war es, als ob sie einen Weg zur Flucht suche, diesem furchtbaren Zusammentreffen zu entgehen. Aber unwillkürlich fand ihr Blick wieder den des Fremden. Ihr Auge ruhte auf den edlen gramdurchfurchten Zügen, und all die Gefühle, die sie bis dahin mit ihr selber unerklärlicher Kraft zurückgedrängt, mit der Erinnerung an das, was sie einst erhofft und was sie dann erlitten und geduldet hatte, brachen in einer mächtigen Flut hervor.

»Charles!«, rief sie, und ihre Hände fassten das Herz, das seine Bande zu sprengen drohte, »Charles!« Weinend, lachend stürzte sie an die Brust des Mannes und barg ihr Antlitz an dem teuren Herzen.

Minutenlang hielt sie dieser umfasst. Sein Gesicht war totenbleich geworden, aber er rührte und regte sich nicht, nur seine Lippen ruhten auf dem lieben Haupt.

Da endlich richtete sich die Frau langsam wieder empor; die Arme, die sie umschlossen gehalten hatten, ließen sie frei. Sie wandte sich ab und sank, wo sie gestanden hatte, betend in die Knie, das jetzt glühend heiße Antlitz mit den Händen deckend. Und neben ihr kniete, sie umschlingend, Manuela.

Regungslos stand der Fremde neben den beiden Frauen. Er wagte kaum zu atmen, und nur das Rauschen der hohen Baumwipfel unterbrach die feierliche Stille.

»Jenny, meine arme, arme Jenny!«, hauchte Manuela in ihr Ohr, »oh fasse dich.«

»Es ist vorbei«, sagte leise die Frau, indem sie sich langsam vom Boden hob. »Fürchte nicht für mich, Manuela, ich kenne meine Pflicht.« Wie umgewandelt war sie, als sie nun aufs Neue dem früher ach so heiß Geliebten entgegentrat.

»Mr. Golway«, sagte sie mit fester, nur noch wenig zitternder Stimme, »es wäre besser für uns beide gewesen, hätten Sie uns dies Wiedersehen erspart. Warum sind Sie uns gefolgt?«

»Gefolgt?«, rief aber nun, mit bitterer Wehmut im Ton, der junge Mann. »Gefolgt?«, setzte er langsamer hinzu. »Als ich in Chile angekommen die Schreckenskunde hörte, die alle meine Hoffnungen zertrümmerte, wurde mir von Ihren Eltern die Nachricht, dass Sie … mit Ihrem Gatten nach Australien gegangen wären. In Chile litt es mich nicht länger und willkommen war mir da die wilde Aufregung, in der alles in toller Hast diesem fast fabelhaften Eldorado entgegenstrebte. Hier konnte ich nicht erwarten, Sie zu finden, und keine Ahnung hatte ich davon, dass Mr. Hetson sich hierher gewandt hatte.«

»Ich dachte es mir«, flüsterte Jenny leise vor sich hin, »oh, hätte Hetson meinen Rat befolgt.«

»Fürchten Sie nicht, Mrs. Hetson«, sagte da der junge Mann, »dass ich Ihren Weg je wieder kreuzen werde. Das nächste Schiff, das Kalifornien verlässt, so rasch ich den Hafen erreichen kann, soll mich hinweg von dieser Küste führen. Ich wäre der Letzte, der Ihren Frieden, Ihre Ruhe stören möchte. Zürnen Sie mir aber auch nicht, wenn ich trotzdem dem Schicksal danke, uns noch einmal zusammengeführt zu haben. Ich füge mich dem Unabänderli­chen, aber ich nehme doch auch die Überzeugung fort mit mir, dass Sie, wie wohl, wie glücklich Sie sich jetzt auch fühlen mögen, mich doch nicht ganz vergessen haben und mir in Zukunft – wenn auch nicht mehr Ihre Liebe – doch Ihre Achtung, Ihre Freundschaft bewahren werden. Die See war von je meine Heimat – ich hatte sie aufgeben wollen. Gott hat es anders gefügt, und der See gehöre ich von jetzt an wieder zu eigen.«

Die Frau erwiderte ihm nichts; es war, als ob sie reden wollte, aber sie vermochte es nicht. Sie brauchte ihre ganze Kraft gegen das Gefühl anzukämpfen, das wieder und wieder auszubrechen drohte. Stumm und schweigend, die Hände gefaltet, der Blick in tiefer Wehmut auf den bleichen ernsten Zügen des Mannes haftend, stand sie vor ihm.

»Ich danke Ihnen, Mr, Golway«, sagte sie endlich, ihm langsam ihre Hand entgegenstreckend. »Sie haben gehandelt, wie ich es nicht anders von Ihnen erwarten konnte. Ein bitteres Geschick hat unsere Lebenspfade auseinandergerissen. Sie werden die näheren Umstände von meinen Eltern gehört haben, wie sich alles vereinigt hatte, das zu trennen, was unlösbar für dieses Leben schien. Wir beide wissen aber auch, dass das Geschehene unabänderlich ist, was auch immer unsere Gefühle dabei sein mögen. Der Mann, dem ich jetzt angetraut bin, hat meine ganze Achtung, hat meine Liebe gewonnen. Ihm gehöre ich an, kein anderer, dem fremder Gedanke, darf mein Herz von Neuem bewältigen. Seien Sie aber versichert«, setzte sie weicher hinzu, »dass ich den Mann, dem sich mein Herz zuerst in reiner Liebe öffnete, nie vergessen werde. Der Himmel segne Sie für die Liebe und Treue, die Sie mir die lange Zeit bewahrt haben. Ich will Gott bitten, dass er auch in Ihrer Brust den Gram mildere und Sie glücklich werden lasse. Leben Sie wohl, Charles.«

Der junge Mann hatte, während sie sprach, ihre Hand fest in der seinen gehalten und nicht gewagt, sie auch nur mit einem Wort zu unterbrechen. Erst als mit ihrem Lebewohl sein ganzes Schicksal ausgesprochen hatte, entschieden vor ihm lag, raffte er seine letzte Kraft zusammen, nicht schwächer zu scheinen als die schwache Frau.

»Leben Sie wohl, Jenny«, flüsterte er leise und hob die Hand, die er noch nicht losgelassen hatte, langsam und fast ehrfurchtsvoll an seine Lippen. »Segne Gott Sie für die freundlichen Worte, die Sie zu mir gesprochen haben. Dieser Augenblick mag mir manche lange trübe Lebensnacht erhellen. Ich gehe jetzt in die Stadt hinunter, mir mein lahm gewordenes Tier gegen ein anderes Pferd oder Maultier einzutauschen. Heute noch verlasse ich diesen Ort, nie mehr hierher zurückzukehren. Leben Sie wohl.«

»Hallo Fremder«, sagte da eine raue Stimme an seiner Seite, der sich alle drei überrascht, ja fast erschreckt zuwandten. »Habt Ihr kein … ah Mrs. Hetson, ich habe Sie im ersten Augenblick gar nicht erkannt, und unsere kleine Señorita ebenfalls. Vortrefflich, dass ich Sie hier beisammen finde. Habt Ihr kein schwarzes Pferd mit weißem rechten Vorderfuß und weißem Stern an der Stirn hier irgendwo gesehen. Der Brand ist H.W.«

»Nein, Sir«, sagte der junge Mann, mit eben nicht freundlichem Blick den Störer musternd, während Manuela, zusammenschreckend, den gefürchteten Siftly erkannte.

»Hm, tut mir leid«, sagte dieser aber, wenig bekümmert, wie es schien, ob er hier gelegen gekommen war oder nicht. »Weiß der Henker, wo sich das verwünschte Vieh herumtreibt, und mit den blutigen Rothhäuten hier überall im Busch, steckte es am Ende ebenso sicher in den Schneebergen drüben. Aber … hm, ich dächte wir beiden wären einander schon einmal begegnet … nicht? Ihr seid ein Engländer.«

»Das bin ich«, antwortete trocken der Fremde und drehte sich von ihm ab.

»Und heißt …«, fuhr Siftly fort. »Wartet ein­mal, wie war doch der Name … John … nein, Charles Galway oder Golway, nicht?«

»Woher kennt Ihr mich?«, rief der Engländer, ihn verwundert ansehend, denn das Gesicht war ihm vollkommen unbekannt.

»Woher? Lieber Gott, hier in Kalifornien kommt man wunderbar zusammen. Wir haben gleichzeitig in Carsons Flat gearbeitet.«

»Ich war nie an dem Ort!«, sagte der Fremde.

»So? … Nicht? Nun, dann war es wo anders. Wenn man sich fortwährend in den Minen herumtreibt, verwechselt man mitunter die Plätze. Ich habe doch hier nicht etwa gestört«, setzte er plötzlich mit einem fragenden Blick auf Mrs. Hetson hinzu.

Niemand antwortete ihm auf die Frage. Der junge Fremde war dem Rande des Abhanges zugeschritten. Noch einmal wandte er sich um und grüßte zurück, noch einmal begegnete er ihrem Blick und dann verschwand er in dem dichten Buschwerk, das den unteren und tiefer liegenden Rand bedeckte.

Siftly war ein stiller, aber aufmerksamer Zeuge der ganzen Szene gewesen, und ein eigenes spöttisches Lächeln zuckte dabei um seine Lippen.

»Komm, Manuela«, sagte nun Mrs. Hetson, indem sie den Arm des jungen Mädchens ergriff, »wir wollen gehen, dass sich Mr. Hetson nicht um unsere Sicherheit ängstigt.« Mit einer leisen Verneigung gegen den Spieler wandten sich die beiden Frauen zum Gehen.

Siftly jedoch, nicht geneigt, sich die Gelegenheit so entschlüpfen zu lassen, rief: »Und dazu hätte Mr. Hetson alle Ursache, denn er konnte nicht wissen, dass Sie hier oben männlichen Schutz gefunden haben – einen alten Bekannten vielleicht? Wenn der Herr aber nicht etwa wartet, Sie hinunter zu führen, so würde ich Ihnen lieber meine Begleitung anbieten, Mrs. Hetson, denn der Wald schwärmt hier von Indianern, und den Burschen ist unter keinen Umständen viel zu trauen.«

»Der Herr wird allerdings nicht auf uns warten, Sir«, entgegnete ihm Mrs. Hetson, von der Bemerkung verletzt, »aber ich fürchte trotzdem nichts für uns, denn wie wir allein heraufgekommen sind, werden wir auch wieder den Heimweg finden. Ein ganzer Trupp von Indianern kam hier vorbei; aber statt irgendeine Feindseligkeit zu zeigen, haben sie uns sogar freundlich gegrüßt und uns weder durch Wort noch Miene belästigt.«

»Desto besser«, erwiderte Siftly lächelnd, »ich glaubte Ihnen auch nur aus Freundschaft für Hetson, das Anerbieten meiner Begleitung machen zu müssen.«

Mrs. Hetson verneigte sich dankend gegen ihn und wollte wieder an ihm vorbei.

»Ach, Señorita«, rief der Spieler, »Ihr Papa wird Ihnen wahrscheinlich schon gesagt haben, dass wir gestern einen Kontrakt miteinander gemacht haben.«

»Mein Vater hat mir nichts gesagt«, antwortete abwehrend das Mädchen, »er hat mir über das, was er tut, keine Rechenschaft zu geben.«

»Wie eine brave, gehorsame Tochter gesprochen«, gab Siftly lachend von sich, »nun, die paar Stunden werden Ihnen keine weitere Unbequemlichkeit machen.«

»Die paar Stunden?«, sagte Manuela und fühlte, wie ihr alles Blut zum Herzen zurückströmte.

»Also wissen Sie noch gar nichts? Das ist aber unrecht von Señor Ronez, denn Ihre Finger sind in der letzten Zeit des Spiels entwöhnt worden und werden wieder einiger Übung bedürfen, die alte Meisterschaft zu erlangen.«

»Mein Vater?«, rief Manuela und vermochte kein weiteres Wort über die Lippen zu bringen, denn die Angst vor dem, was jetzt kommen musste, nahm ihr die Sprache.

»O,  Sie brauchen nicht zu erschrecken, Señorita«, sprach aber Siftly, während ein Zug von boshafter Schadenfreude um seine Lippen die freundlich klingen sollenden Worte Lügen strafte, »es handelt sich bei der ganzen Sache nur um eine unbedeutende Kleinigkeit, eigentlich mehr um eine Unterhaltung für Sie, als eine Arbeit.«

»Er drückt mir das Herz ab mit seinem kalten Hohn«, flüsterte die Arme leise vor sich hin.

»Ich bin mit ihm übereingekommen«, fuhr Siftly fort, »dass Sie nur vorläufig in den nächsten vier Wochen – eigentlich ein Monat, aber wir werden das nicht so genau nehmen – in meinem von heute an etablierten neuen Zelt jeden Abend bloß zwei Stunden spielen sollen. Da es nun …«

»Das kann mein Vater nicht bedungen haben«, unterbrach ihn da Manuela in Todesangst, »das kann, das darf er nicht. Er weiß, dass ich geschworen habe, keinen Fuß wieder in ein solches Spielzelt zu setzen.«

»Man verschwört manches in der Welt, schönste Señorita«, erwiderte aber der Spieler in unzerstörbarer Ruhe, »ohne imstande zu sein, es durchzuführen. Wie oft habe ich selber schon das edle Spiel verschworen, aber es übt einen so unwiderstehlichen Reiz auf mich aus, dass ich es doch nicht lassen kann. Der Himmel ist außerordentlich nachsichtig mit derlei Schwüren.«

»Niemand, Sir«, sagte da Mrs. Hetson, »wird das junge Mädchen zwingen können, einen solchen Kontrakt, sollte er wirklich schon abgeschlossen sein, zu erfüllen. Er bedürfte jedenfalls erst ihrer Einwilligung«

»Man sieht, dass Sie die Gattin eines Advokaten sind, Madam«, sprach Siftly verbindlich. »Diese Einwilligung wird aber hier in sofern leicht erlässlich, ja sogar ganz unnötig sein, da Señorita Manuela noch unmündig ist und unter dem Willen und Befehl ihres dafür verantwortlichen Vaters steht. Die Sache ist aber auch wirklich viel zu unbedeutend, ein großes Aufheben darum zu machen. Zwei Stunden an jedem Abend sind kaum der Rede wert.«

»Ich spiele nicht!«, rief da Manuela entschlossen und gereizt, dass sie in diesem Augenblick selbst die Scheu vor dem ihr sonst so furchtbaren Menschen überwand. »Und wenn mein Vater sein Kind aufs Neue verkauft hätte, das Gesetz wird mich schützen, und die Hand soll verdorren, die je wieder einen Bogen zu Eurem falschen tückischen Spiel führt.«

Siftly sah still lächelnd bei den heftigen Worten vor sich nieder und sagte dann freundlich: »Ereifern Sie sich nicht, Señorita. Das Unabänderliche erscheint uns oft schwer, nicht wahr, Mrs. Hetson? Aber wir lernen uns doch zuletzt darin zu fügen, wenn wir eben sehen, es geht nicht anders.«

»Mr. Hetson wird nie zugeben, dass es geschieht«, sagte die Frau aber selber erregt.

»Er wird es nicht verhindern können, beste Madam«, erwiderte Siftly achselzuckend, »nach unseren, in den Minen gültigen Gesetzen müssen vor allen Dingen Spielschulden in Ehren gehalten und eingelöst werden. «

»Also verspielt … auf eine Karte gesetzt … das eigene Kind!«, stöhnte Manuela und barg schaudernd das Antlitz in den Händen.

»Nein, das soll, das darf nicht sein«, rief aber Mrs. Hetson entrüstet aus, »was auch Ihre Gesetze hier sagen und behaupten mögen, Sir, die Gesetze der Menschlichkeit sagen Nein und abermals Nein. Manuela steht unter unserem Schutz, und gegen ihren Willen soll sie nicht gezwungen werden, sich zu opfern. Hetson wird mir die Bitte nicht abschlagen.«

»Wenn ich Sie nun bäte, Mrs. Hetson«, sagte da Siftly mit derselben lächelnden frechen Ruhe, »mein Fürsprecher bei Ihrem Gatten zu werden und dafür dieses angenehme Zusammentreffen mit einer alten Bekanntschaft, Mr. Charles Golway, vergessen wollte? Manuela wird der Freundin gern dieses Opfer bringen, wenn es wirklich mit einem solchen Namen genannt werden könnte.«

Mrs. Hetson fühlte, wie ihr das verräterische Blut Wangen und Schläfe färbte. Mit der Gewissheit aber, dass der Mann vor ihr mehr von ihren Verhältnissen wusste, als sie bis dahin geahnt hatte. In gerechtem Zorn dem unwürdigen Verdacht gegenüber rief sie aus: »Was auch Ihre versteckte Rede oder Drohung deutet, Sir, Sie sollen erfahren, dass sie machtlos an mir abprallt. Ich habe kein Geheimnis vor meinem Gatten – keines, das ich mit Ihnen teilen möchte. Und nun komm, Manuela – komm, mein Herz. Weniger Beleidigung haben wir von den roten Kindern dieser Wildnis zu fürchten, als von dem Weißen, der sich einen Freund meines Mannes und einen Amerikaner nennt!«

Rasch des Mädchens Hand ergreifend, eilte sie mit ihr den Abhang hinab, sobald wie möglich das Lager wieder zu erreichen.

Siftly blieb mit verschränkten Armen, die Zähne fest aufeinander gebissen, stehen und sah den beiden mit seinem boshaften Lächeln nach. Es war augenscheinlich, dass er von seiner Drohung einen anderen Erfolg erwartet hatte.

»Bah, zum Teufel auch«, murmelte er endlich leise vor sich hin, »geh, du tollköpfiges Ding und arbeite mir selber derweilen vor. Dein alter Galan hätte mir aber zu keiner gelegeneren Zeit hier in den Bergen auftauchen können. Dass ich seine Nähe benutzen werde, dafür lass mich sorgen. Was aber die trotzige Dirne betriff – verdammt will ich sein, wenn ich mir die Beute wieder aus den Fingern schlüpfen lasse. Umsonst habe ich Hetson nicht zum Alkalden gemacht. Indessen werde ich … ha, was ist das?«, unterbrach er sich plötzlich selbst. »Die Mexikaner da drüben haben eine Flagge gehisst? Sollten die feigen Señores doch am Ende Ernst machen wollen? Und mit der Bande von Indianern hier herum? Wenn ich mein Pferd nur hätte, dass das nicht am Ende den verwünschten Rothäuten als Braten in die Hände fällt.«

Er blieb noch unschlüssig, wohin er sich wenden solle, eine Weile stehen. Die Sorge um seine eigene Sicherheit war jedoch stärker als die, sein Pferd wiederzubekommen, denn er wusste recht gut, dass er, sobald die Feindseligkeiten wirklich einmal ausgebrochen wären, hier am meisten der Gefahr ausgesetzt war, von den Indianern abgeschnitten zu werden. Jedenfalls bezeugte die Flagge im mexikanischen Lager, dass die Burschen dort drüben gemeinsames Handeln beraten hätten. Mit einem lästerlichen Fluch den Poncho um sich herwerfend, dass er ihn nicht im Gehen hinderte, schritt der Spieler denselben Pfad, den ihm die Frauen vorangeeilt waren, in das Lager zurück.

Ende des zweiten Bandes