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Der Kommandant des Tower 58

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Fünftes Buch
Viertes Kapitel

Wie die Prinzessin Elisabeth bei dem König für den Admiral Fürsprache einlegt; und wie das Todesurteil unterzeichnet wird.

Trotz der Abmahnungen Sir Johns und seiner Versicherungen, dass es vergeblich sein würde, war Elisabeth entschlossen, den König um Begnadigung anzuflehen. Durch Tränen und Bitten brachte sie Gage auch dahin, dass er einwilligte, ihr eine Zusammenkunft mit ihrem königlichen Bruder zu verschaffen.

Einer Verabredung gemäß traf der Kommandant sie des folgenden Tages am Eingang zum Palast von Whitehall und führte sie zu den königlichen Gemächern. Man würde der Prinzessin den Zutritt verweigert haben, wenn sie nicht in Begleitung Sir Johns gekommen wäre, dessen Ansehen genügte, um sie ungehindert bis an das Vorzimmer gelangen zu lassen.

Das unerwartete Erscheinen der Prinzessin erfüllte die daselbst versammelte Dienerschaft mit Erstaunen und Bestürzung, und der Erste Zeremonienmeister trat ihr entgegen, verbeugte sich tief und sagte ihr, zwar höchst ehrerbietig, aber dennoch entschieden, dass sie den König in diesem Augenblick unmöglich sehen könne.

»Aber ich will ihn sehen!«, rief sie. »Kein Vorwurf soll Euch treffen, Sir, ich nehme alles auf mich.«

»Verzeihung, gnädigste Prinzessin, wenn ich gezwungen bin, Euch den Zutritt zu verweigern«, entgegnete der Zeremonienmeister. »Der Lordprotektor und das Conseil halten eben in dem anstoßenden Gemach eine Beratung, und sobald diese beendet ist, werden sie zu Seiner Majestät zurückkehren.«

Der bedeutungsvolle Blick, den der Zeremonienmeister Sir John Gage zuwarf, entging Elisabeth nicht.

»Sie beraten über des Lordadmirals Hinrichtung! Ist es nicht so? Redet!«

»Eure Hoheit hat recht geraten«, antwortete der Zeremonienmeister zögernd.

»Dann muss ich den König, meinen Bruder, unverzüglich sehen!«, rief die Prinzessin.

»Ich errate den Grund, gnädige Prinzessin und würde Euch gern zu Willen sein«, sprach der Zeremonienmeister mit teilnehmendem Ton, »aber ich muss dem Befehl gehorchen.« »Ist Seine Majestät allein?«, fragte der Kommandant. »Ja, Sir John. Der Bischof von Ely und Doktor Latimer haben ihn eben verlassen. Aber der Lordprotektor und das Conseil können jeden Augenblick zurückkehren und dann …«

»Hört Ihr, Prinzessin?«, sagte der Kommandant.

»Ich höre«, antwortete sie. »Aber Ihr habt mir versprochen, mich zum König zu bringen. Ich fordere Euch auf, Euer Wort zu halten.«

»Nun denn, so sei es«, entgegnete Sir John. »Es soll Euch nicht bei dem Lordprotektor zum Nachteil gereichen, Sir«, wandte er sich an den Zeremonienmeister. »Ich trage die Verantwortung. Es ist nicht nötig, Ihre Hoheit anzumelden.«

Damit nahm er Elisabeths Hand und führte sie weiter.

Die Türen wurden geöffnet, und sie traten in ein großes Gemach, an dessen oberen Ende man Edward an einem Tisch sitzen sah. Ein offenes Buch lag vor ihm, aber es war augenscheinlich, dass er nicht gelesen hatte.

Als er Elisabeth sah, stand er auf und ging ihr langsam entgegen. Er war in prächtiger Kleidung und trug ein Wams von golddurchwirktem Tuch, das mit Purpursamt und Silber besetzt war; darüber einen purpurfarbigen, mit Gold gestickten und mit Hermelin eingefassten Samtmantel. Sein schwarzes Samtbarett war mit Diamanten, Rubinen und anderen kostbaren Steinen geschmückt und die weiße Feder desselben neigte sich aufs rechte Ohr. Die Pracht seiner äußeren Erscheinung stimmte übrigens nicht zu seinem Aussehen. Seine Bewegungen waren matt, und er sah bleich, elend und unglücklich aus. Noch nie hatte er Elisabeth so empfangen, wie in diesem Augenblick. Mit scharfem, fast ärgerlichen Ton fragte er, warum sie käme und wie sie Zutritt erlangt hätte.

»Es ist meine Schuld, Sire«, nahm der Kommandant das Wort. »Ich habe es gewagt, Euren Befehlen zuwiderzuhandeln.«

»Dann habt Ihr unrecht getan – sehr unrecht, Sir John. Wisst Ihr nicht …?« Und er hielt plötzlich inne.

»Ich weiß alles, Sire«, sprach Elisabeth, sich ihm zu Füßen werfend. »Ich komme, um für den Admiral zu bitten. Und ich werde nicht aufstehen, bis Ihr mir versprecht, ihn zu begnadigen.«

»Ach, Elisabeth!«, erwiderte Edward traurig, »Ihr verlangt eine Gnade, die zu gewähren nicht in meiner Macht liegt. Mein unglücklicher Oheim ist für schuldig befunden und verurteilt, und ich bin genötigt gewesen, so schwer mir es auch wurde, das Urteil zu bestätigen. Die Verbrechen, deren er sich schuldig gemacht hat, lassen ihm keine Hoffnung auf Begnadigung.«

»Keine Hoffnung, Sire!«, rief Elisabeth. »O, sagt das nicht. Ein Wort von Euch rettet ihn. Sprecht das Wort, königlicher Bruder, sprecht es – um Eures eigenen Friedens willen, denn wenn Ihr seinen Tod zugebt, werden Euch die Vorwürfe in Eurer Brust nimmer ruhen lassen.«

»Ich habe meinen Oheim nicht gerichtet«, sprach Edward. »Seine entsetzlichen Pläne sind glücklicherweise vereitelt worden, aber wenn sie zur Ausführung gekommen wären, so hätten sie den Staat gefährdet, das Land durch Bürgerkrieg verwüstet und ich selbst vielleicht wäre vom Thron gedrängt worden – um ihm Platz zu machen.«

»Das sind Beschuldigungen, welche die Feinde des Admirals erhoben haben, Sire. Er hat seine Gelegenheit, sie zu widerlegen, denn ein öffentliches Gericht, welches er verlangte, ist ihm verweigert worden. Er wollte Eure Majestät aus der Knechtschaft erlösen, in der Ihr gehalten werdet, denn er ist Euch ergeben. Deshalb soll er geopfert werden. Aber nein, Sire, Ihr werdet es nicht zugeben. Eure edle und großmütige Natur muss sich ob solcher Ungerechtigkeit empören. Ihr werdet dem Lordprotektor in seinen brudermörderischen Plänen nicht beistehen.«

»Ruhig, Elisabeth! Ihr geht zu weit.«

»Nein, Sire, ich rede die Wahrheit, und ich will die Wahrheit reden. Nur seines Bruders Tod kann den Herzog von Somerset zufriedenstellen. Er ist es, der durch seine hinterlistigen falschen Vorstellungen Euer Herz gegen Euren einst geliebten Oheim verschlossen, er ist es, der diese Anklagen gegen ihn erhoben hat – und der Euch jetzt zwingen möchte, ihm bei dem Werk der Vernichtung zu helfen. Ist nicht der Admiral durch Bande des Blutes an Euch geknüpft? Wollt Ihr dem Lordprotektor gestatten, die Hand in seines Bruders Blut zu tauchen und Euch so der Schuld teilhaftig machen? Habt Geduld mit mir, Sire. Ich bin halb von Sinnen.«

»Was bedeuten diese leidenschaftlichen Bitten, Elisabeth? Ihr bittet für ihn wie für einen Gatten.«

»Er ist so gut wie mein Gatte, Sire, ich habe mich mit ihm verlobt.«

»Ha!«, rief Edward mit unzufriedenem Blick.

»Ihr habt Euch durch dies Bekenntnis geschadet«, flüsterte der Kommandant.

»Es tut mir leid, dass ich das hören muss, Elisabeth, weil eine solche Heirat nimmer hätte stattfinden können. Sie wäre gegen den Willen unseres königlichen Vaters. Ihr müsst Euch mit dem Schicksal des Admirals versöhnen.«

»So hat Eure Majestät seinen Untergang beschlossen?«, rief die Prinzessin.

»Die Gerechtigkeit muss ihren Lauf haben«, entgegnete Edward ziemlich streng. »Der Himmel weiß, wie sehr ich meinen Onkel Lord Seymour geliebt habe«, fuhr er in milderem Ton fort, »aber ich bin arg von ihm hintergangen worden. Sein wahrer Charakter ist mir enthüllt worden, nicht von dem Lordprotektor, den Ihr ungerechterweise der schwärzesten Absichten beschuldigt, sondern von anderen.«

»Von wem, Sire?«

»Vom Erzbischof Cranmer, vom Bischof Ely, vom Doktor Latimer. Er ist rastlos aufrührerisch und gefährlich – und zu gefährlich, um geschont werden zu dürfen. Ich wollte, er befände sich in einem besseren Seelenzustand, denn, wie ich höre, verschmäht er alle Tröstungen der Religion.«

»So lasst ihn nicht in seinen Sünden dahinfahren, Sire, gebt ihm Zeit zur Reue.«

»Es ist die Sache des Conseils und nicht die meine, die Zeit zur Hinrichtung zu bestimmen«, antwortete Edward traurig.

»Das Conseil sollte Euch gehorchen, Sire – nicht Ihr ihm. Aber wenn Ihr ihm nicht volle Begnadigung angedeihen lassen könnt – so verschont wenigstens sein Leben. Verdammt ihn zum Exil – zur Gefangenschaft – aber nicht zum Henkerblock.«

»Seine Verbrechen sind zu groß, um irgendeine Milderung der Strafe zu gestatten«, antwortete Edward.

»So bin ich am Ende, Sire!«, rief Elisabeth aufstehend. »Möge der Himmel Euch die Verzeihung gewähren, die Ihr ihm verweigert!«

In diesem Moment wurde die Tür weit geöffnet und ein Zeremonienmeister trat ein, um den Lordprotektor und das Conseil zu melden.

Es war für Elisabeth zu spät, sich zurückzuziehen, aber sie war weit davon entfernt, sich von Somersets Blicken einschüchtern zu lassen, sodass sie dieselben vielmehr in ebenso drohender Weise erwiderte.

»Ich möchte Euch raten, Euch zurückzuziehen, Prinzessin«, sagte der Protektor strengen Tones.

»Ich danke Eurer Hoheit«, antwortete sie, »aber ich gedenke, hierzubleiben.«

»Nun, bleibt, wenn Ihr wollt, aber ich wollte Eure Gefühle schonen.«

Beim Eintritt der Mitglieder des Conseils schritt Edward langsam auf einen Thronsessel zu, der sich unter einem Baldachin befand, und nahm daselbst Platz. Alsdann näherte sich ihm der Lordprotektor, gefolgt von den Grafen Warwick und Southampton. In seiner Hand hielt Somerset ein Pergament, dessen Anblick das Blut in Elisabeths Adern gerinnen ließ. Sie wusste, es war des Admirals Todesurteil. »Sire«, sprach Somerset, »nach reiflicher Beratung hat das Conseil beschlossen, dass die Hinrichtung morgen früh auf Tower Hill stattfinden soll.«

Bei dieser entsetzlichen Ankündigung unterdrückte Elisabeth mit Mühe einen Schrei.

»So bald!«, rief Edward aus. »Besser wäre es, man vergönnte ihm noch einige Tage zur Reue.«

»Solche Gnade würde ihm wenig nützen, Sire, wogegen mehre gewichtige Gründe vorhanden sind, die Hinrichtung nicht aufzuschieben«, entgegnete der Herzog.

»Kann kein Grund zur Linderung des Urteils vorgebracht werden?«, fragte Edward.

»Keiner, Sire, oder ich würde der Erste sein, darauf anzutragen.«

Darauf forderte er eine Feder, hielt dem König das Todesurteil hin und drängte ihm zu unterschreiben.

»Kann mir die Unterschrift nicht erlassen werden?«, sagte Edward, indem er sein Haupt abwandte. »Er ist mein Oheim und es tut mir weh, ihn so zu verurteilen.«

»Er ist auch mein Bruder«, entgegnete Somerset, »und doch werde ich nicht anstehen, das Urteil zu unterzeichnen. Nur ein Federzug, Sire, und es ist geschehen« fuhr er fort und hielt ihm abermals das Pergament hin.

»Aber dieser Federzug ist der Tod eines Mannes, den ich so sehr geliebt habe – den ich noch liebe!«, rief Edward. »Ich kann nicht.« Er brach in Tränen aus.

»Der Himmel sei gepriesen, sein Herz ist gerührt! Er wird seiner schonen!«, murmelte Elisabeth.

»Wenn uns diese Gelegenheit verloren geht, so entwischt uns die Beute«, flüsterte Warwick.

»Seid fest, Sire«, sprach der Protektor. »Ihr dürft dieser Schwäche nicht nachgeben.«

»Gebt mir die Feder!«, rief Edward. Hastig unterschrieb er das Todesurteil. »Nehmt es!«, rief er mit einem Blick des Entsetzens und mit einem Gefühl, als ob er ein Verbrechen begangen hätte.

Das Urteil wurde darauf vom Protektor und dem ganzen Conseil ebenfalls unterzeichnet, worauf Somerset es dem Kommandanten übergab, mit dem Ersuchen, dafür Sorge zu tragen, dass es zwischen neun und zehn Uhr vormittags auf Tower Hill vollzogen werde.

»Es soll geschehen«, antwortete der Kommandant mit finsterem Ton. »Prinzessin«, wandte er sich darauf an Elisabeth, »Ihr habt hier nun nichts mehr zu tun. Kommt mit mir, ich bitte Euch.«

Während Somerset und Warwick mit schlecht verhehlter Befriedigung sich einander anschauten, trat Elisabeth auf sie zu, ohne dass sie es gewahr wurden, heftete einen durchdringenden Blick auf den Protektor und sagte in leisem, schneidenden Ton: »Brudermörder! Auch du kommst bald an die Reihe!«

Und dann, als sie ein Lächeln über Warwicks finstere Züge fliegen sah, fuhr sie, gegen diesen gewendet, fort: »Ha! Ihr lächelt, Mylord? Ich lese den geheimen Gedanken Eurer Seele. Ihr möchtet sie beide vernichten, auf dass Ihr steigen und an ihrer Stelle regieren könnt. Aber zittert! Ihr werdet da nicht sicher schreiten, wo der Weg schlüpfrig von Blut ist. Auch Ihr werdet fallen.«

Sie verließ mit Gage das Gemach.