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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Skalpjäger – Der Hinterhalt

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Dritter Teil
Siebtes Kapitel

Der Hinterhalt

Eine Stunde ging vorüber.

Der glänzende Lichtkörper sank hinter uns und der Quarzfelsen nahm eine dunkle Färbung an. Die einzelnen Strahlen der Dämmerung schwebten nur einen Augenblick über den kalkweißen Klippen und verschwanden sodann.

Wir stiegen in einer langen Reihe die Hügel hinab und gelangten auf die Ebene. Wir wandten uns zur Linken und hielten uns am Fuß des Gebirges. Die Felsen dienten uns als Orientierung.

Wir gingen vorsichtig vorwärts und tauschten unsere Worte nur in Flüstertönen aus. Wir krochen um von oben herabgefallene Felsstücke, wir bogen um mehrere in die Ebene hinausschießende Ausläufer. Von Zeit zu Zeit hielten wir und berieten uns.

Nach einer Reise von zehn bis zwölf Meilen befanden wir uns der indianischen Stadt gegenüber. Wir waren nicht mehr als eine Meile von ihr entfernt. Wir konnten die auf der Ebene brennenden Feuer sehen und die Stimmen der sich um sie Bewegenden hören.

An dieser Stelle wurde die Schar geteilt. Ein kleines Detachement versteckte sich in einer Felsenschlucht. Dies waren diejenigen, welche den gefangenen Häuptling und die Maultiere bewachten. Die Übrigen bewegten sich von Rube geleitet, der sie um den Rand des Waldes vorwärts führte, und ließen hier und da ein Piquet von einigen Mann zurück.

Diese Abteilungen verbargen sich an ihren Posten, blieben schweigend liegen und warteten auf das Hornsignal, welches gegen Tagesanbruch gegeben werden sollte.

Die Nacht ging langsam und still vorüber. Die Feuer verlöschten allmählichg und endlich war die Ebene von dem Dunkel einer mondlosen Mitternacht bedeckt.

Dunkle, Regen verkündende Wolken – in diesen Gegenden ein seltenes Phänomen – zogen über den Himmel. Der Schwan stieß seinen wilden Schrei aus. Der Kranich kreischte über dem Fluss und der Wolf heulte an den Säumen der schlafenden Stadt.

Die Stimme der Riesenfledermaus jammerte durch die Luft, man hörte das Flattern ihrer kolossalen Schwingen, wie sie auf die Cocuyos hinabschoss. Man hörte den Hufschlag auf der Ebene, das Knistern der weidenden Pferde und das Klappern ihres Gebissringes – denn die Pferde waren nicht abgezäumt worden.

Von Zeit zu Zeit murmelte ein müder Jäger im Schlaf und kämpfte in seinen Träumen mit dem furchtbaren Feind. So verging die Nacht – dies waren ihre Stimmen!

Sie hörten mit der Annäherung des Morgens auf. Der Wolf heulte nicht mehr, der Schwan und der blaue Kranich schwiegen. Der Nachtfalke hatte seinen gefräßigen Rachen gefüllt und ruhte auf der Bergfichte. Die Laternenträger wurden von den kälteren Morgenstunden in ihre Verstecke getrieben und die Pferde standen, nachdem sie das, was in ihrem Bereich wuchs, verzehrt hatten, schlafend da.

Ein graues Licht begann sich in das Tal zu schleichen, es flackerte an den Quarzfelsen auf. Es brachte eine kalte raue Luft mit, welche die Jäger weckte.

Allmälig standen sie auf; sie erhoben sich fröstelnd und nahmen ihre um die Schultern gewickelten Decken mit. Sie waren müde und sahen blass und verstört aus. Das Morgengrau gab ihren staubigen Bärten und ungewaschenen Gesichtern eine gespenstische Färbung.

Nach Kurzem legten sie ihre Lassos zusammen und befestigten sie an die Ringe. Sie sahen nach ihren Flintensteinen und dem Pulver auf der Pfanne und schnallten ihre Gürtel fester an. Sie nahmen aus ihren Proviantsäcken Stücke gedörrten Fleisches und aßen dieselben roh. Sie standen zum Aufsitzen bereit bei ihren Pferden. Noch war es nicht Zeit.

Das Licht wurde im Tal stärker; der blaue Nebel, welcher die Nacht über auf den Felsen geschwebt hatte, stieg empor. Wir konnten die Stadt sehen, wir verfolgten die eigentümlichen Umrisse der Häuser mit unseren Augen. Welche seltsamen Gebäude es waren!

Einige davon waren größer als andere – ein – zwei – drei – auch vier Stockwerke hoch. Ihre Form glich die einer Pyramide ohne Spitze. Ein jedes Stockwerk war kleiner als das unter ihm liegende. Die Dächer der unteren dienten den oberen als Terrasse. Sie waren von einem weißlichen Gelb – der Farbe des Lehms, woraus man sie erbaut hatte. Sie besaßen kein Fenster, aber von außen führten in jedes Stockwerk Türen; von einer Terrasse zur anderen streckten sich an die Wand gelehnte Leitern. Auf den Dächern einiger waren Stangen mit Fähnchen. Dies waren die Dächer der vornehmsten Kriegshäuptlinge und großen Krieger der Nation.

Wir konnten den Tempel deutlich sehen. Seine Gestalt glich der der Häuser, aber er war höher und mit größeren Dimensionen. Auf seinem Dach erhob sich eine hohe Stange, an deren Spitze ein Panier mit einer seltsamen Figur flatterte.

Bei den Häusern sahen wir mit Maultieren und Mustangs – die Herden der Stadt – angefüllte Korrals.

Das Licht wurde stärker. Auf den Dächern erschienen Gestalten, die sich über die Terrassen bewegten. Es waren menschliche Gestalten in langen gestreiften Gewändern. Wir erkannten die Navajodecken mit ihren abwechselnden schwarzen und weißen Streifen.

Mit dem Fernrohr konnten wir diese Gestalten deutlicher sehen und ihre Gesichter unterscheiden. Ihr Haar hing locker über ihre Schultern und weit über ihren Rücken hinab.

Die meisten von ihnen waren Frauenzimmer – Mädchen und Weiber – auch viele Kinder waren dabei. Dann erblickten wir weißhaarige Männer, aber keine Krieger. Die Krieger waren abwesend.

Sie stiegen von einer Terrasse zu der anderen auf den Leitern herab. Sie gingen auf die Ebene hinaus und zündten die Feuer wieder an. Einige trugen irdene Gefäße – Ollas – auf ihrem Kopf und gingen zu dem Fluss hinab. Sie holten Wasser. Diese waren beinahe nackt. Wir konnten ihren braunen Körper und unbedeckte Brust sehen. Sie waren Sklaven.

»Seht, die Greise klettern auf das Dach des Tempels.«

Ihnen folgten Frauen und Kinder – Kinder, teils in weißen, teils in bunten Kostümen.

Es waren Mädchen und junge Burschen – die Kinder der Häuptlinge.

Mehr als hundert waren hinaufgestiegen; sie hatten das höchste Dach erreicht. Neben der Flagge stand ein Altar. Eine Rauchwolke stieg auf – wir sahen etwas leuchten – sie hatten auf dem Altar Feuer angezündet.

Horcht! Es erschallte ein Gesang und eine indianische Trommel wurde gerührt!

Die Töne hörten auf, und alle stanen unbeweglich und dem Anschein nach schweigend nach Osten gewendet da.

Was bedeutete das?

Sie wartetn auf das Erscheinen der Sonne. Diese Leute verehrten sie.

Die Jäger strengten neugierig ihre Augen an, um die Zeremonien zu beobachten.

Die höchste Zinne des Quarzberges glühte – es war der erste Strahl der Sonne!

Der Pik färbte sich weiter hinab gelb, andere Bergspitzen wurden von den glänzenden Strahlen getroffen. Sie hatten die Gesichter der Anbetenden berührt.

»Seht, da sind weiße Gesichter unter ihnen! Eins – zwei – viele weiße Gesichter, sowohl von Frauen als von Mädchen.«

»O Gott, gebe, dass es so sein möge!«, rief Seguin aus, indem er hastig das Fernrohr zusammenschob und das Horn an seine Lippen hob.

Einige wilde Töne schallten durch das Tal. Die Jäger hörten das Signal, sie kamen aus dem Wald und den Bergschluchten hervor. Sie galoppierten über die Ebene, und breiteten sich dabei aus. Nach einigen Minuten hatten wir einen Kreisbogen beschrieben, dessen Enden bei der Stadt waren. Wir ritten auf die Mauern zu. Wir hatten die Maultiere und den gefangenen Häuptling, von einigen Leuten bewacht, in dem Defilé gelassen.

Die Töne des Zorns hatten die Aufmerksamkeit der Einwohner erregt. Sie standen eine Zeitlang verwundert und ungewiss da. Sie erblickten die deplojierte Linie, sie sahen die Reiter sich der Stadt nähern.

Konnte es ein scherzhafter Überfall irgendeines befreundeten Stammes sein? Nein! Die Stimme des Horns war den indianischen Ohren neu. Aber einige von ihnen hatten sie früher gehört und wussten, dass sie der Kriegsruf der Bleichgesichter war.

Eine Zeitlang behinderte sie die Bestürzung an jeder Bewegung, sie blickten auf uns, bis wir dicht bei ihnen waren. Dann sahen sie Bleichgesichter – fremdartige Rüstungsstücke und sonderbar aufgezäumte Pferde. Es war der weiße Feind! Sie liefen von einer Stelle zu der anderen – aus einer Straße in die andere! Diejenigen, welche Wasser holten, warfen ihre Ollas zu Boden und eilten schreiend und kreischend zu den Häusern. Sie erkletterten die Dächer und zogen die Leitern nach. Mehrere Weiber und Kinder wechselten Zurufe aus. Das Entsetzen lag auf allen Gesichtern, der Schrecken zeigte sich in jeder Bewegung.

Unterdessen hatte sich unsere Linie genähert, bis wir kaum noch zweihundert Schritt von den Mauern war.

Hier hielten wir einen Augenblick an. Zwanzig Mann wurden als äußere Wache zurückgelassen, die Übrigen ritten in einer Masse dem Anführer nach.