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Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern – 18. Blatt

Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern
von Johann Heinrich Ramberg, mit Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Verlag C. B. Griesbach. Gera. 1871

Warum Eulenspiegel ein graues Pferd reitet.  Er dient beim Grafen von Anhalt.

ulenspiegel ritt immer gern ein graues Pferd, damit man ihn, wo er durchkäme, gleich kennen möchte. Andere Farben meidete er, zum Beispiel einen Fuchs, weil er selbst rote Haare hatte. Auch machte er überall Aufsehen durch einen sonderbaren
Anzug. Seine Handlungsweise war folgende:

1) Er war allezeit gern in Gesellschaften, aber nicht, wo Kinder waren, weil die Eltern eher auf ihre Kinder achteten, als auf seine Possen. Auch sah er sich nach solchen Leuten stets um, welche die Narrheit liebten, denn er sagte oft: Gleich und Gleich gesellt sich gern, und dieses Sprichwort befolgte er genau.

2) Herbergte er nicht gern bei einem verständigen Wirt, weil er diesen nicht mit seinen Possen anführen konnte, und

3) hütete er sieh vor drei Dingen, nämlich vor gesunder
Speise, großem Glück und starkem Getränk. Unter gesunder Speise meinte er die Arzenei aus der Apotheke, die, obwohl sie gesund mache, doch nur für Kranke angewandt würde. Ein großes Glück nannte er, wenn ein Stein vom Dach fiele und niemanden beschädige, von dem man dann sagte: »Es war ein großes Glück, dass der Stein mir nicht auf den Kopf gefallen ist.« Mit dem starken Getränk meinte er
das Wasser; denn er sagte: »Es ist so stark, dass es Mühlenräder treibt; auch kann man sich darin zu Tode trinken.«

Eulenspiegel kam, nachdem er wieder eine Zeit lang umhergestrichen war, und sein Pferd hatte verkaufen müssen, zu dem Grafen von Anhalt und vermietete sich bei ihm als Turmwächter, welcher beständig darauf achten musste, wenn etwa Feinde gegen die gräfliche Burg anrückten. Nun hatte der Graf wegen seiner Sicherheit zu der Zeit viel Reiterei und Fußvolk im Schloss versammelt, welches täglich versorgt
wurde. Einstmals hatten die Aufwärter an einem Mittag dem Eulenspiegel das Essen zu bringen vergessen. Hierüber unzufrieden, dachte er darauf, dafür einen Possen zu spielen. Kurz danach, als alle im Schloss zu Mittag in guter Ruhe und Fröhlichkeit schmausten, kamen des Grafen Feinde und nahmen den Bewohnern, die um das Schloss wohnten, alles Vieh weg und trieben es fort. Eulenspiegel sah aus dem Turmfenster das alles ruhig mit an, und blies nicht mit dem Lärmhorn, welches er doch bei solchen Vorfällen tun musste. Das Klagegeschrei der beraubten Untertanen kam aber sogleich vor den Grafen, welcher augenblicklich mit seiner Reiterei den Feinden nacheilte. Bei diesem Tumult sahen einige Reiter, dass Eulenspiegel im Fenster des Turmes lag und lachte.

Als dies der Graf auch bemerkte, rief er ihm zu: »Was liegst du Faulenzer da und machst keinen Lärm, wenn die Feinde kommen?«

Eulenspiegel antwortete: »Mit hohlem Magen kann ich das Lärmhorn nicht blasen; wenn ich aber tüchtig zu essen bekommen habe, dann will ich blasen.«
Der Graf rief ihm wieder zu: »Willst du die Feinde zusammenblasen?«

Eulenspiegel antwortete: »Ich blase die Feinde nicht zusammen, sonst wird das ganze Feld voll, nehmen Euch alles weg und schlagen Euch tot.«

Und so hielt er seinem Herrn noch länger das Widerspiel. Während dieses Disputs
hatten des Grafen Reiter den Feind eingeholt, ihn besiegt, das gestohlene Vieh ihm wieder abgenommen, auch ihre anderen Sachen, die sie noch bei sich hatten, und brachten alles zum Schloss. Jetzt hatte der Graf eine lange Zeit Ruhe vor dergleichen Räubereien und lebte mit seinen Holleuten in Jubel und Frieden.

Einst bei einer Schwelgerei wurde Eulenspiegel auf dem Turm wieder vergessen, und er dachte deshalb sogleich auf Vergeltung.

Indem nun alle im gräflichen Schloss noch in vollem Vergnügen bei Tisch schmausten und Gesottenes und Gebratenes in Menge vor sich hatten, da nahm Eulenspiegel das Lärmhorn, fing an zu blasen, und rief aus vollem Hals: »Feinde! Feinde!«

Der Graf und seine Gäste sprangen schnell von der Tafel auf, legten ihre Harnische an, eilte, mit den Waffen in den Händen zur Burg hinaus in das Feld und sahen sich nach dem Feind um. Während sie alle den Feind suchten, eilte Eulenspiegel schnell vom Turm herunter, lief zu des Grafen Tafel, nahm davon die Speisen, welche ihm beliebten, ging damit auf den Turm und ließ es sich wohl schmecken.
Da nun der Graf und seine Leute den Feind vergeblich suchten, merkten sie Verdacht und sprachen untereinander: »Das hat der Hausmann (Turmwächter) aus Schalkheit getan, denn Neckereien hatte er schon oftmals gemacht.

Bei der Rückkehr rief der Graf dem Eulenspiegel zu: »Warte, deine Dummheit soll dir bezahlt werden! Du machst Lärm, wenn keine Feinde vorhanden sind! Warum hast du geblasen?«

Eulenspiegel antwortete: »Weil keine Feinde da waren, musste ich welche herbeiblasen, die jenes Amt verrichteten.«

Der Graf verstand diese Worte sogleich nicht und ging mit seinen
Gästen wieder zur Tafel, um nun erst fertig zu schmausen; und siehe, das Beste von den zurückgelassenen Speisen war weg.
Nun merkte der Graf wohl, was Eulenspiegel mit den Worten er habe müssen Feinde herbeiblasen, welche deren Amt verrichteten habe andeuten wollte. Unzufrieden über das
leichtsinnige Betragen Eulenspiegels setzte ihn der Graf von seinem Turmwächterdienst ab und machte ihn zu einem Läufer, damit, wenn der Graf ausfuhr oder ausritt, Eulenspiegel vor ihm herlaufen sollte. Das verdross ihn aber, weil er nun nicht mehr, wie sonst, auf der faulen Seite liegen konnte. Er wäre deshalb gern weggegangen, nur wusste er nicht mit Ehren vom Grafen zu kommen. Er dachte nun darüber nach, wie er allerlei Widerspiel machen wollte; zum Beispiel
wenn der Graf ausfuhr oder ritt, so lief er immer hinter her, statt vor ihm; fuhr oder ritt er aber nach Hause, so war Eulenspiegel stets zuerst beim Schlosstor. Hierüber stellte ihn der Graf zur Rede.

Eulenspiegel antwortete: »Da ich auf dem Turme Wächter war, musste ich oft, wenn Ihr mit Euren Hofleuten schmaustet, Hungerpfoten saugen. Davon bin ich nun so matt geworden, dass ich nicht schnell laufen kann. Geht es aber nach Hause, so laufe ich gern, damit ich als Erster an den Tisch komme und als Letzter wieder davon gehen kann, meine verlorenen Kräfte wieder zu bekommen.«

Der Graf sprach: »Es scheint, als ob du verlangst, man solle dir zuerst aufwarten!«

Eulenspiegel sagte: »Jeder behauptet sein Recht.«

Der Graf antwortete: »Das sollst du auch erhalten!« Und gab ihm seinen Abschied. Dies war Eulenspiegels Wunsch.