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Der Welt-Detektiv Band 6

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Atlantis Teil 26

In seinem Arbeitszimmer im Astoria-Hotel in Timbuktu saß Guy Rouse. Sein Arbeitszimmer war überall da, wo er war. Die Fäden, die, sich von ihm aus spinnend, über den Erdball gingen, sie rissen nie ab, sie folgten seiner Person, wo immer er weilte. Ein paar Sekretäre, die seine Befehle vermittelten, weiter brauchte er nichts. Keine Bücher … keine Unterlagen … in seinem Kopf standen die Zahlenreihen klar und deutlich wie in den Hauptbüchern der Zentralen. Wo er war, war seine Residenz, von der er sein Reich bis in die kleinsten Kontore leitete.

Er ging langsam im Zimmer auf und ab, diktierte seinen beiden Privatsekretären gleichzeitig Order über Order …

Das Rohr der Hauspost warf ein Bündel Briefe aus. Weiter diktierend, überlief sein Blick flüchtig die neue Post.

Ein langes, chiffriertes Telegramm. Rouse kniff die Augenlider leicht zusammen, in Gedanken sich umstellend auf die Chiffrezeichen. Er brauchte den Schlüssel nicht.

Ein leichtes Räuspern eines der Sekretäre. Er diktierte weiter. Die waren es nicht anders gewöhnt, als dass er die Post las und weiter mit ihnen sprach.

Und er sprach auch jetzt weiter, zu dem einen … zu dem anderen, halb abgewandt, die chiffrierte Depesche vor Augen.

Er las sie. Seine Augen, wie ganz anders konnten die kühlen grauen Augen blicken, wenn sie niemand sah … auch die beiden Sekretäre nicht hinter ihm. Die Augen, brennend hingen sie an jedem Wort des Telegramms.

James Smith war freigesprochen. In derselben Sekunde, in der der Vorsitzende den Freispruch verkündete, hatten die Radiowellen es ihm zugetragen.

Hier war der Bericht über die ganze Verhandlung, in kurze Schlagworte zusammengedrängt, sorgfältigste Arbeit war es … brachte der Bericht den Gang der Verhandlung.

Das Räuspern der Sekretäre wiederholte sich häufiger denn je …

Die Fragen des Vorsitzenden und der Beisitzer. Guy Rouse kannte sie, wie er seine Feinde besser kannte als seine Freunde. Klippen gefährlichster Art, diese Fragen für den Angeklagten …

Er sah sie da in Gedanken vor sich, die Blicke auf den Angeklagten geheftet, suchend nach irgendeinem versteckten Zug der Schuld, der Schwäche.

Und dann immer wieder die Worte von James Smith. Rouses Augen lasen nur die geschriebenen Worte. Aber seine Ohren glaubten auch den Ton zu hören, mit dem sie gesprochen worden waren.

Aber es war ihm, als wäre es nicht allein die tiefe starke Stimme des Chefingenieurs … der helle leichte Plauderton Juanitas klang dazwischen. Sie war die Resonanz, aus der die Töne des Mannes klangen.

Juanita … Der Tag, an dem er sie zuletzt gesehen, sie verlassen hatte, in Rouse Castle … krank … zum Sterben krank. Immer mehr war es ihm zu Bewusstsein gekommen.

Sollte er sie verlieren? Sie, die ihm ganz unentbehrlich war?

Der Prozess und die Aussagen des Angeklagten hatten den stärksten Beweis dafür geliefert. Juanita! Seine Gedanken gingen zurück zu dem alten Kanal, wo er sie zum ersten Mal gesehen, von wo er sie mit sich genommen hatte. Eine Blume, gepflückt wie so viele andere …

Schon hatte er sie zur Seite werfen wollen. Gut, dass er es nicht tat. Wie hatte er sich so irren können. Ein Spielzeug hatte er zu haben geglaubt. Nein! Sie war es nicht. Sein Werkzeug war sie, ihm unentbehrlich und immer unentbehrlicher werdend, je länger er es besaß.

Und sie wusste viel von ihm. Viel, was er ihr anvertraut, viel, was ihr scharfer Verstand erraten hatte. Und sie war jung und schön. Wie viele neideten ihm ihren Besitz!

Sie entbehren? Verlieren? Unmöglich!

Sie wusste zu viel, wusste auch von dieser Christie Harlessen. Sie war so ganz sein, dass er auf jeder Seite ihres Herzens, auch der verborgensten, lesen konnte.

Der Zwischenfall im Zirkus in Kapstadt … aus den Berichten seiner Agenten war ihm alles klar geworden. Eifersucht? Auf Christie Harlessen?

Die! Was wollte er von ihr? Was trieb ihn zu ihr hin? Gab es nicht unzählige Schönere, die ihm widerstandslos gefolgt wären? Was war es, was ihn nicht von diesem Geschöpf loskommen ließ? Die versteckten Regungen in seiner Seele … immer wieder hatte er sich darüber hinwegtäuschen wollen, hatte sich lustig gemacht …

Was war es, das sein Herz so bewegte? Dunkel, unergründlich, unerklärlich …

Ein Zug zum Reinen, zum Guten?

Er schloss die Augen, stand minutenlang wie im Kampf gegen etwas Unbegreifliches, Unfassbares, das in tiefster Brust rang. Christies Bild stand vor ihm. Er sah die reinen, klaren Züge, die ihre Seele widerspiegelten.

Sie die seine! Entsühnen musste sie alles, alles von ihm nehmen, was auf ihm lastete.

Jetzt war sie in seiner Gewalt! Der Gedanke daran! Er hatte gejubelt, die Tat verwünscht … verwünscht … Tor, der er war? Was hatte er von einer Gefangenen? Ewig konnte er sie nicht halten. Frei? Würde sie bei ihm bleiben?

Er schöpfte tief Atem, ging zum Fenster, lehnte sich hinaus und sog kühle Abendluft ein.

Sie würde es. Sie würde es!

Wo war die Frau, die sich ihm auf immer versagt hätte? Dieses kleine, unbedeutende Geschöpf! Die Erste wäre es!

Nein! Nein, er ließ sie nicht. Sie musste die seine werden.

Was hatte er nicht schon getan, ganz abgesehen von dieser neuen Gewalttat: Menschenraub …

Tejada! Tejada!

Das Wort … hatte er es laut gesprochen? Mit einem Ruck drehte er sich nach dem Zimmer um. Sah die beiden Sekretäre sitzen.

»Hinaus!«, brüllte seine Stimme.

Die beiden fuhren erschreckt hoch, starrten ihn wie fassungslos an.

Dieser Ton von Guy Rouse? Es war gut, dass sie sein Gesicht, dem Licht abgewandt, nicht sehen konnten. Ihr Bild von Guy Rouse wäre über den Haufen geworfen …

Da hatte er sich wieder in der Gewalt.

»Gehen Sie jetzt. Ich werde etwas ruhen und Sie dann rufen lassen.«

Sie waren zur Tür geschritten.

»Nein, bleiben Sie!«

Sein feines Ohr hatte ein fernes Düsengedröhne vernommen.

Juanita! Er erwartete sie stündlich. Das Dröhnen kam näher.

»Bleiben Sie! Machen Sie die Briefe fertig, soweit sie diktiert sind. Ich mache einen kleinen Spaziergang.«

Und dann stand er am Flugplatz, reichte Juanita die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen.

»Juanita!« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Ich freue mich, dass es dir gut geht. Du siehst so wohl aus. Du bist wieder gesund.«

Das soeben Durchlebte …

Vergeblich hatte er auf dem Weg zum Flughafen seinen Kopf davon freizumachen versucht. Jetzt wich es, wich, als er Juanitas kleine Hand in seiner fühlte. Ja! Sie war sein, sein mit allen Fasern ihres Lebens. Unverlierbarer Besitz!

Das Wort flog durch sein Hirn. Er klammerte sich daran, drückte ihre Hände fester. Führte sie zum Wagen.

Und als wolle er sich von den letzten Spuren der Erinnerung ganz freimachen, beugte er sich zu ihr und sprach liebe, linde Worte. Sprach wie zu jenen Zeiten, da er sie an sich zog.

Sie hörte es. Eine leichte Röte kam auf ihre blassen Wangen. Wer in der Welt konnte so zu ihrem Herzen sprechen wie er, wie die Stimme dieses Mannes, dieses Zauberers? Wie waren ihre Gedanken auf der Fahrt? Los! Los von ihm! Und jetzt! Vergessen all das Fürchterliche, was sie in den letzten Wochen, Tagen erlebt hatte, vergessen auch das Allerschrecklichste, das Schwerste von allem: die Begegnung im Gefängnis.

Wie hätte sie Rouse gegenüberstehen wollen?

Abwälzen die ungeheure Schuld, die sie drückte, abwälzen auf ihn, dessen Werkzeug sie doch nur gewesen war.

Ihr Herz hatte, je näher der Flughafen kam, immer stürmischer geschlagen, zum Zerspringen, als sie landete. Da hatte er ihre Hand genommen, zu ihr gesprochen, und alles war weggewischt.

Sie saßen sich in seinem Salon gegenüber. Er hatte den Bericht über die Gerichtsverhandlung in seiner Hand, las, fragte.

Und sie antwortete, plauderte wie über etwas Gleichgültiges, als ob nichts ihre Seele bedrückte …

»Was wird er beginnen, James Smith? Wird er bei uns, bei der Gesellschaft bleiben? Wäre es möglich?«

Sie hatte kurz die Achseln gezuckt. »Warum nicht?«, sprach ihr lächelnder Mund.