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Der Kommandant des Tower 49

Der Kommandant des Tower
Band 2
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Viertes Buch
Verschwörung und Gegenverschwörung
Fünftes Kapitel

Wie der Admiral Besitz vom Tower zu ergreifen sucht

Es war Anfang Januar 1549. Der Admiral hatte seit seiner Unterredung mit der Prinzessin Elisabeth, die ein unauslöschliches Feuer in seiner Brust entzündet hatte, unablässig seine Pläne verfolgt und dieselben jetzt, wie er meinte, der Reife nahe gebracht. Wie gefährlich sein Projekt war, wird man am besten aus einer Unterredung ersehen, die er um diese Zeit mit Ugo, seinem Vertrauten, hatte, der eben von Bristol, wo er von Sir William Sharington eine große Summe in Empfang genommen hatte, zurückgekommen war. »Wie viel hast du mir gebracht, Ugo?«, fragte der Admiral. »Ich hoffe, die ganzen zehntausend Pfund.«

»Leider nur tausend Pfund, Mylord,« antwortete der Diener, »aber Sir William verhieß das Übrige in einigen Tagen.«

»Verfluchter Aufschub!«, rief der Admiral mit dem Ausdruck der Enttäuschung. »Ich brauche alles Geld, dessen ich habhaft werden kann. Meine Anhänger fallen ab, wenn ich sie nicht bezahle. Meine Kasse ist beinahe erschöpft, und ich weiß nicht, wie ich sie füllen soll. Das Wrack an der Küste von Cornwallis hat nur ein paar Hundert Pfund eingebracht, und Hornbeak und Blades haben sich die spanische Galeone, der sie auflauerten, entwischen lassen. Geld fehlt mir, Ugo, und ich muss es haben.«

»Ew. Hoheit muss sich gefallen lassen, zu warten, bis Sharington imstande ist, Euch damit zu versehen, oder bis irgendeine Beute Euch zufällt. Wir haben in letzter Zeit kein Glück gehabt, aber das wird sicher anders werden.«

»Ich kann nicht warten. Zehntausend Mann sind zum Aufstand bereit, wenn ich das Zeichen gebe – aber ich habe gar nichts, um sie zu besolden und zu unterhalten.«

»Für den Augenblick habt Ihr genug«, antwortete Ugo, »und wenn Ihr Eure Leute gewähren lasst, so werden sie sich schon selbst Zahlung und Unterhalt verschaffen.«

»Ich wollte sie nicht plündern lassen«, sprach der Admiral, »aber ich sehe nicht ein, wie es anders möglich sein wird. Für dich, Ugo, habe ich einen wichtigen Posten, und ich weiß, du wirst ihn gut ausfüllen.«

»Was ist es, Mylord?«

»Nichts Geringeres als das Kommando von Holt Castle. Du musst es, wenn der Aufstand ausbricht, in meinem Namen übernehmen. Die Veste hat fünfhundert Mann Besatzung und ist mit Waffen und Vorräten gut versehen.«

»Ich weiß das, Mylord, und weiß das Vertrauen, das Ihr in mich setzt, vollkommen zu würdigen.«

»Ich habe Anhänger in Cheshire, Lancashire und Yorkshire, welche die Missvergnügten in jenen Gegenden aufreizen werden«, fuhr der Admiral fort. »Ferner habe ich starken Anhang in Norfolk und Suffolk und in Gloucestershire und Wiltshire, wie du weißt. Hunderte werden sich um meine Fahne scharen, wenn ich sie dort aufpflanze. Die Insurrektion wird allgemein sein.«

»Aber wie wird das Signal gegeben, Mylord?«, fragte Ugo.

»Du sollst hören. Mein Erstes wird sein, mich der Person meines königlichen Neffen zu versichern, weil von ihm alle Dekrete ausgehen müssen. Und habe ich den König, so kann ich jeder Opposition trotzen. Einmal dachte ich daran, ihn nach Holt zu bringen, aber dem stehen viele und unüberwindbare Hindernisse im Wege, sodass ich den Gedanken aufgab und seitdem einen kühneren Plan gefasst habe. Ich beabsichtige, mich in Besitz des Towers zu setzen, Ugo, und den König in demselben festzuhalten, bis alles abgetan sein wird.«

»Ein verwegener Plan, wahrlich!«, rief Ugo aus. »Aber wie hofft Eure Hoheit, in Besitz des Towers zu gelangen?«

»Durch Sir John Gages Beistand.«

»Was! Sir John Gage ist auf die Seite Eure Hoheit getreten?«, rief Ugo aus.

»Er wird es tun«, antwortete der Admiral. »Nehmen wir an, der Tower ist genommen, – gleichviel wie oder durch wen, – und der König befindet sich in demselben. Mein erstes Geschäft wird sein, eine Proklamation folgenden Inhalts zu erlassen: Da es entdeckt wurde, dass das Dokument, welches angeblich den Letzten Willen des verstorbenen Königs enthalte, gefälscht ist, so sei hiermit das in jenem Dokument ernannte Conseil aufgelöst und der Lordprotektor seines Amtes entsetzt wird. Ferner sei der Lordprotektor, des Hochverrats und anderer schlimmer Verbrechen beschuldigt, samt seinen Genossen der Untersuchung verfallen. Diese Proklamation ist das Signal für den Aufstand.«

»Sollte sie wirklich erlassen werden, so wird sie zweifellos die von Euer Hoheit vorausgesetzte Wirkung tun. Wie aber wollt Ihr die Anklage beweisen, die Ihr gegen den Lordprotektor zu erheben beabsichtigt – wie dartun, dass mit dem Testament des Königs irgendein Betrug vor sich gegangen ist?«

»Indem ich das Bekenntnis des Doktor Butts, der dabei geholfen hat, vorlege«, sprach Seymour. »Du erinnerst dich vielleicht, dass ich dir vor einiger Zeit ein Paket übergab, mit dem Auftrag, es äußersten Falles der Königin zu übergeben. Das Paket enthielt das Bekenntnis.«

»Wirklich!«, rief Ugo aus. »Das hätte ich wissen sollen!«, setzte er leise hinzu.

»Butts’ Bekenntnis leistete mir schon damals einigen Dienst«, fuhr der Admiral lachend fort, »aber es soll mir binnen Kurzem noch besser dienen. Was denkst du, was die Leute sagen werden, wenn sie hören, dass der Lordprotektor durch Hilfe solcher Mittel seinen Posten erlangt hat? Werden sie ihn unterstützen? Gewiss nicht! Man wird ihn aufgeben. Seine Anhänger werden abfallen und ihn der Gerechtigkeit überliefern.«

»Kann sein«, entgegnete Ugo nachdenklich.

»Kann sein! Ich sage dir, es wird sein!«, rief der Admiral. »Somerset mag sich vorsehen, wenn er seinen Platz behaupten will. Es werden binnen Kurzem viele Hände sich ausstrecken, um ihn herunterzureißen.«

»Euer Plan ist gut angelegt. Aber ich muss bemerken, Mylord, Ihr habt, so wie ich sehe, den Towerkommandanten nicht gewonnen.«

»Aber ich werde ihn gewinnen. Ich will sogleich den Versuch machen. Sir John befindet sich jetzt im Tower. Ich gehe hin und du sollst mich begleiten.«

»Ich bitte Eure Hoheit, mich zu entschuldigen. Ich möchte gern eine kleine persönliche Angelegenheit besorgen.«

»Gut, wie du willst. Aber eile mit deinem Geschäft, weil ich, wenn ich zurückkehre, deiner bedürfen könnte.«

Ugo verbeugte sich und half seinem Herrn den Mantel umhängen, worauf der Admiral, begleitet von einem Dutzend bis an die Zähne bewaffneter Männer, ohne welche er jetzt nie ausging, sich an die Treppe von Whitehall begab, wo seine Barke auf ihn wartete. Er stieg ein und befahl den Leuten, zum Tower zu rudern.

Als er in der Festung ankam, befand sich Sir John in dem Quartier des Lieutenants. Seymour begab sich dorthin, sagte, dass er den Kommandanten privatim zu sprechen wünsche, und wurde in ein großes, mit Eichenholz getäfeltes Zimmer geführt, wo gewöhnlich die Staatsverbrecher verhört wurden, und wo Sir John bald ebenfalls erschien.

Nach einer kurzen einleitenden Unterhaltung eröffnete der Admiral sein Anliegen.

»Es ist eine Sache von der größten Wichtigkeit, die mich zu Euch führt, Sir John«, sprach er. »Sie betrifft die Wohlfahrt des Königs und die Sicherheit des Landes. Erinnert Ihr Euch, dass Euch und mir der Zutritt zum Sterbezimmer des Königs verwehrt wurde, als das Testament unterzeichnet oder vielmehr gestempelt wurde?«

»Ich erinnere mich dessen sehr gut«, entgegnete der Kommandant. »Was soll’s?«

»Um jene Zeit war Heinrich bewusstlos«, fuhr Seymour fort, »und das Dokument wurde ohne seinen Befehl – nein, seinen vorher geäußerten Wünschen zuwider, unterzeichnet.« »Woher wisst Ihr das, Mylord?«

»Von einem, der bei dem Unterschleif mitgewirkt hat, der aber seitdem hingegangen ist, Rechenschaft abzulegen – von Doktor Butts. Er schrieb seine Beichte nieder und übergab sie mir. Und dass Somerset die Wahrheit der Aussage nicht leugnen kann, ist klar, wenn ich Euch sage, dass ich ihm gerade damals die Sache mitteilte, als er mich hierher in den Tower schicken wollte. Mit Heinrichs Testament fällt alles, was darauf basiert ist. Alle Anordnungen des Protektors platzen wie Seifenblasen. Er steht auf illegalem Boden. Es gibt kein Conseil und keinen Protektor.«

»Dann lasst die Sache ruhen«, sagte der Kommandant. »Die Dinge sind zu weit gediegen, um jetzt noch geändert werden zu können.«

»Ihr irrt Euch, guter Sir John. Meine Absicht ist es, sie zu ändern, und ich bedarf dabei Eurer Unterstützung.«

»Lasst hören, was Ihr vorschlagt«, sprach der Kommandant. »Ich beabsichtige, einen Streich zu führen, der Somersets usurpierte Macht brechen soll. Aber während dies geschieht, muss der König in Sicherheit, er muss im Tower sein, guter Sir John, unter Eurem Schutz.«

»Und wenn Ihr ihn hierher gebracht habt, was soll zunächst geschehen?«

»Dann wird im Namen des Königs eine Proklamation erlassen, die Somersets Umtriebe enthüllen und ihm und seine Helfershelfer des Hochverrats anklagen soll. Alle ihre Handlungen werden annulliert, sich selbst ihrer Ämter entsetzt und andere an ihre Stelle ernannt.«

»Unter denen sich ohne Zweifel vor allen Eure Hoheit befinden wird?«

»Freilich, Sir John. Wer anderes sollte Lordprotektor werden. Aber Ihr sollt nicht vergessen werden. Ihr sollt Lordgroßkämmerer werden, mit einer Pairsschaft.«

»Um den Preis, dass ich Euren Bruder und seine Freunde im Stich lasse? Hm!«, rief der Kommandant aus.

»Es wäre Verrat am König, an ihnen festzuhalten«, entgegnete Seymour.

»Nein, so kann ich es kaum ansehen. Aber Ihr meint doch nicht, dass eine solche Umgestaltung, wie Ihr sie vorhabt, ohne Kampf vonstattengehen könne, dass der Herzog von Somerset seinen Posten ohne Weiteres aufgeben würde? Höchst wahrscheinlich wird das Heer auf seiner Seite stehen, und er besitzt eine große Anzahl fremder Söldner, auf die er sicher zählen kann.«

»Da irrt Ihr Euch, Sir John. Die fremden Söldner lassen sich erkaufen. Was das Heer betrifft, so müssen wir uns vorsehen. Ich besitze eine große Zahl von Anhängern, die auf meinen Wink sich erheben!«

»Was? Das ist vollständige Rebellion! Wir werden einen Bürgerkrieg bekommen.«

»Rebellion, gegen wen? Gegen einen Erzverräter, der zu lange bereits den ersten Platz im Reich usurpiert hat. Wir kämpfen für den König, nicht gegen ihn. Wir werden ihn von denjenigen befreien, die sich eine Kontrolle über ihn angemaßt haben, zu der sie nicht berechtigt sind. Wir entlarven den Verrat und bestrafen ihn.«

»Und doch bin ich nicht zufriedengestellt«, entgegnete der Kommandant. »Euer Plan gefällt mir nicht.«

»Aber wenn ich den König hierher bringe, wollt Ihr ihm die Festung überliefern? Wollt Ihr die Tore schließen und alles in Verteidigungszustand versetzen?«

»Wenn seine Majestät selbst mir solches befehlen sollte, so muss ich gehorchen. Aber ich glaube nicht, dass er es tun wird.«

»Ihr kennt den König nicht so gut, wie ich ihn kenne, Sir John. Es werden nicht viele Tage vergehen, bis ich ihn herbringe. Seit bereit, zu tun, wie er Euch befiehlt.«

»Ich verspreche nichts«, entgegnete der Kommandant, »und wenn ich hoffen könnte, dass Ihr auf meinen Rat hört, so würde ich Eurer Lordschaft empfehlen, dass Ihr nicht weiter vorginget.«

»Ihr werdet kein Wort von dem, was zwischen uns vorgegangen ist, verraten, Sir John!«, sprach Seymour. »Fürchtet nichts von mir, ich werde nichts sagen, bis ich den König gesehen habe.«

Da Seymour sah, dass mit dem Kommandanten nichts weiter anzufangen war, so verabschiedete er sich und ließ sich nach Whitehall zurückrudern.