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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Zu spät!

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Dreiundvierzigstes Kapitel

Zu spät!

Mit aller Kraft der jungen Glieder stiegen die Verfolger den steilen Pfad zum Teufelsloch hinauf. Die hierbei in Herbert Vaughans Herzen tobenden schmerzlichen Gefühle waren gänzlich unbeschreiblich. Er kannte Chakra nicht, hatte ihn niemals gesehen, allein er war ihm am Tag vorher von Cubina moralisch wie physisch in solcher Weise beschrieben worden, dass er jetzt für das Schicksal der armen Unglücklichen, doch ihm so Teueren, die in die Gewalt eines solchen unmenschlichen, grimmigen Ungeheuers gefallen war, vor Furcht und Angst zittern musste.

Jener ahnungsvolle Satz Herberts »Wir kommen zu spät!«, den er früher schon mehrere Male in fürchterlicher Angst der Verzweiflung gebraucht hatte, entrang sich abermals seinem gequälten Herzen, aber dieses Mal mit einer viel größeren Kraft und mit einer noch viel schlimmeren Gefahr drohenden Vorbedeutung. Sein Innerstes war dabei bis in seine tiefsten Tiefen aufgeregt. Wäre das bedauernswerte Opfer der schauderhaften Hinterlist ihm nichts Weiteres gewesen als bloß eine nahe Verwandte, so würde ihn schon die sie bedrohende Gefahr höchstens geängstigt haben. Allein jetzt, wo er Käthchen Vaughan in einem ganz anderen Licht betrachtete, wo er nach Cubinas Aussagen nicht daran zweifeln durfte, dass sie seine Liebe erwidere, und zwar mit lebendiger Glut ihrer Seele, stieg seine Angst noch zehnmal höher, und immer drängte sich ihm mit aller schrecklichen Vorbedeutung der verhängnisvolle Satz auf: »Wir kommen zu spät!«

Cubina, obwohl jetzt, nachdem er die Überzeugung gewonnen hatte, dass Yola vollkommen unversehrt war, vielleicht nicht mehr so ganz besorgt wie zuvor, war dennoch bei der Verfolgung von großem Eifer beseelt, und ebenso sämtliche Maronen, welche die junge Dame fast alle kannten und hoch schätzten. Deshalb stiegen sie trotz der Dunkelheit mit großer Eilfertigkeit den Berg hinauf, wurden auf ihrem Marsch noch dadurch begünstigt, dass der Mond aufging und ihren Pfad hell beleuchtete. Bald auch standen sie am Rand des Teufelslochs und sahen in den dunklen Abgrund hinab, wo sie sowohl den Entführer als auch sein Opfer zu finden hofften.

Schon im nächsten Augenblick stiegen die Maronen einer nach dem anderen die Baumtreppe hinab. Cubina ging voran, dann folgte Herbert und ihm nach alle übrigen mit gleicher Hast, aber dabei so lautlos und still wie nur irgend möglich. Als sie am Fuß der Felsenwand angekommen waren, entfuhr ihrem Führer ein lebhafter Ausruf der Verwunderung. Er hatte unter den Bäumen, halb im Gebüsch versteckt, einen Nachen entdeckt und fürchtete jetzt das gänzliche Misslingen seiner Absichten. Auch Herbert hatte zur selben Zeit den Nachen bemerkt, vermochte aber nicht die Ursache zu begreifen, weshalb Cubina den Ausruf getan hatte, und wandte sich um eine Erklärung an ihn.

»Der Nachen!«, flüsterte Cubina und zeigte auf den unter Baumzweigen und Büschen verborgenen Kahn.

»Ich sehe ihn wohl«, erwiderte Herbert ganz leise. »Was hat das zu bedeuten?«

»Sie sind schon wieder fort von hier.«

»O Himmel!«, rief Herbert mit dumpfer Stimme voller Angst. »Wenn dem so ist, dann kommen wir zu spät! Sie ist verloren! Für immer verloren!«

»Geduld, Kamerad, Geduld! Vielleicht ist nur Chakra allein fortgegangen, oder vielleicht auch nur einer von den Räubern, der ihm geholfen hatte und dessen Rückkehr erwartet wird. Auf alle Fälle müssen wir das Tal durchsuchen und uns von allen Umständen genau überzeugen. Steigen Sie in den Nachen! Sie können mit den Kleidern nicht schwimmen, doch meine Leute sind durch so etwas nicht behindert. Hier, Quaco, lass die Flinten alle in die Nussschale hineinlegen und dann sollen alle durchs Wasser schwimmen. Aber schwimmt leise. Kein lautes Plätschern, hört Ihr? Haltet Euch dicht an dem Felsen. Schwimmt im Schatten geradewegs zu der anderen Seite.«

Ohne Verzug wurden die Flinten von Hand zu Hand gereicht, bis sie alle in den Nachen gelegt waren. Cubina und Herbert hatten sich bereits hineingesetzt, und der Erstere das Ruder ergriffen. Im nächsten Augenblick schoss das kleine Fahrzeug zwischen den Büschen heraus und glitt unter dem Schatten der Felsenwand lautlos über den See. Ein halbes Dutzend menschlicher Gestalten, von denen lediglich die Köpfe oberhalb des Wassers zu sehen waren, folgten dem Nachen und schwammen mit so geringem Geräusch, als wären sie echte Nachkommen von Bibern. Es schien nicht notwendig zu sein, den Nachen zum alten Landungsplatz unter dem Baum zu bringen. Dies war, wie Cubina wusste, lediglich geschehen, um ihn zu verbergen. Stattdessen wählte der Maronenhauptmann den nächsten Punkt an der gegenüberliegenden Seite für die Landung. Als er das Land erreicht hatte, stieg er leise aus dem Nachen und machte dem englischen Gefährten ein Zeichen, seinem Beispiel sofort zu folgen. Einen Augenblick späterer wateten auch die Maronen aus dem See, ergriffen ihre Waffen wieder und folgten ihrem Hauptmann und dessen Begleiter, die schon auf dem Weg zu dem oberen Wasserfall waren.

Von dem Ort, wo sie landeten, führte kein Weg, und so mussten sie sich alle durch das fast undurchdringliche Dickicht hindurcharbeiten. Dabei etwa die Richtung zu verlieren, war durchaus keine Gefahr vorhanden, denn der Schall des Wasserfalls war ein ganz untrüglicher Führer. Außerdem erinnerte sich Cubina ganz genau, dass die Hütte des Myalmannes, zu der er wollte, ganz in der Nähe des oberen Wasserfalls lag. Als sie weiter vorwärtskamen, wurde das Unterholz leichter zu durchbrechen, und die Maronen vermochten rascher zu gehen.

In dem herübertönenden einförmigen Schall des Wasserfalls lag etwas äußerst Trauriges und Klagendes. Cubina sowie sein Gefährte wurden schmerzlich davon berührt. Für sie hatten diese Töne etwas Ahnungsvolles, ein fürchterliches Verhängnis Weißsagendes, da man sie leicht für die Angstseufzer und Klagetöne einer weiblichen Stimme, vereint mit dem Gebrause des Gießbaches, halten konnte.

Sie erreichten die Lichtung, die sich unter den riesigen Zweigen des Baumwollbaumes ausdehnte, und die Hütte lag vor ihnen. Durch die offene Tür derselben schien ein Licht, das den von dem großen Baum beschatteten Platz ziemlich erhellte. Den Nahenden lag in diesem Licht die freudige Gewissheit, dass die von ihnen Gesuchten sich in der Hütte befänden. Denn wer anderes konnte darin sein als Chakra und mit ihm sein unschuldiges Opfer?

O, war sie wirklich schon sein Opfer? Kam die Hilfe bereits zu spät?

Cubinas Gemüt war von schlimmen Ahnungen erfüllt und Herberts Seele in schrecklicher Spannung. Beide waren in solcher Aufregung, dass es ihnen äußerst schwerfiel, bei der Annäherung die von der Klugheit gebotene Vorsicht genügend zu bewahren.

Der Maronenhauptmann machte seinen Leuten ein Zeichen, zwischen den Bäumen stehen zu bleiben, und kroch mit Herbert durch die Lichtung zu dem Baumwollbaum. Als sie dessen dichten Schatten erreicht hatten, richteten sie sich wieder auf und schlichen sich leise zum Eingang der Hütte.

Als wie sie vor der offenen Tür der Hütte angelangt waren und in dieselbe hineinsahen, entschlüpfte beiden gleichzeitig ein lauter Schrei der Verwunderung und schrecklicher Täuschung. Die Hütte war leer!