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Horror – Der Wandel eines Images

Horror – Der Wandel eines Images

Kein anderes Filmgenre ist so sehr umstritten wie das Horrorgenre. Outet sich jemand in der Öffentlichkeit als Fan von Horrorfilmen, so wird er sogleich angeschaut, als habe er den Nachbarshund entführt. Da helfen auch keine filmhistorischen Erfolge wie die Neuadaption von Stephen Kings Es. Das schlechte Image bleibt in der Öffentlichkeit erhalten und ist mit Sicherheit nicht so schnell zu ändern. Aber, so paradox dies klingt, dennoch gibt es einen Wandel bei der Betrachtungsweise dieses Genres.

Horror einmal allgemein betrachtet

Die gesellschaftlich weit verbreitete Aversion gegenüber Horrorfilmen bestimmt nicht nur den allgemeinen Diskurs, sondern war auch lange Zeit in den Kultur- und Medienwissenschaften verbreitet – in Deutschland ist dies zum großen Teil noch immer der Fall. Und nicht zuletzt rümpften die Kritiker die Nase, wenn es um dieses Thema ging. Erst seit dem neuen Jahrtausend wird in diesen Disziplinen das Phänomen Horror ernst genommen und auf seine kulturellen, soziologischen und (film-)historischen Inhalte hin untersucht. Etwa innerhalb desselben Zeitraums veränderten auch Filmkritiker ihre Voreingenommenheit und begannen, sich näher mit dem Thema Horrorfilm, dessen Geschichte und dessen Merkmale auseinanderzusetzen.

Das Ergebnis: Horror hat die Vorurteile, die das Genre brandmarken, nicht verdient. Horror ist weder – wie die allgemeinen Kritikpunkte lauten – pornografisch noch trivial noch Gewalt verherrlichend. Horror ist ein Genre, das auf eine überaus kunstvolle Weise mit sozialen Ängsten arbeitet, sich dabei an einer freudianisch inspirierten Symbolik orientiert und zugleich auf soziokulturellen und folkloristischen Merkmalen basiert.

In dieser Hinsicht kommen Horrorfilme in ihrer Erzählweise den Märchen, Sagen und Legenden ziemlich nahe – oder besser noch der berühmten Lagerfeuergeschichte, auf deren kulturelle Bedeutung John Carpenter am Anfang seines Films The Fog verweist. Doch gehen Horrorfilme noch einen Schritt weiter: Sie sind eine Art Indikator für soziale Konflikte und Probleme und verstehen sich daher als eine Form der Gesellschaftskritik. So sind zum Beispiel die Filme der 70er Jahre mit den sozialen Bewegungen jener Zeit stark verbunden. Die Filme aus der J-Horror-Ära sind eng verbunden mit der japanischen Emanzipationsbewegung der 90er Jahre.

Betrachtet man kurz die Historie des Horrorfilms, so liegen dessen Ursprünge am Ende des 19. Jahrhunderts, als in Paris das Grand Guignol-Theater eröffnet wurde. Dort wurden Stücke gespielt, in denen es um Psychopathen, Monster, Vampire und Spukerscheinungen ging, Figuren also, die sich auch in den späteren Horrorfilmen wiederfinden. Die große Beliebtheit dieser Stücke führte dazu, dass ab 1900 gleichartige Geschichten für die Leinwand adaptiert wurden. Wes Craven verwies auf diesen historischen Ursprung im Vorspann von Nightmare on Emstreet, in dem er statt des Begriffs »Spezialeffekte« den Begriff »Theatereffekte« erscheinen ließ.

Der Erfolg kannte auch beim filmischen Äquivalent des Grand Guignol keine Grenze. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Dies führte dazu, dass Horrorfilme für die Produktionsfirmen ein überaus wichtiger ökonomischer Faktor geworden sind. Zwar wurde das Horrorgenre aufgrund günstiger Produktionsbedingungen ab den 80er Jahren auf den Videomarkt verdrängt, doch durch den Welterfolg Scream (1996) und endgültig durch das Remake Ring (2002) wieder zurück in die Kinos gebracht. Für Regisseure und Schauspieler dienen Horrorfilme als Karrieresprungbrett. Aber auch bekannte Regisseure werden gelegentlich von den Möglichkeiten, die das Horrorgenre als eine Form des künstlerischen Ausdrucks bietet, angesteckt. Zum Beispiel Stanley Kubrick mit Shining (1980), William Friedkin mit Der Exorzist (1973) oder auch Ingmar Bergman mit Filmen wie Das siebte Siegel (1957), Die Jungfrauenquelle (1959) oder Die Stunde des Wolfs (1968). Nicht zu vergessen natürlich Alfred Hitchcock mit Psycho (1960) und Die Vögel (1963).

Das negative Image

Bei den oben genannten Filmen handelt sich nicht nur um Horrorfilme, sondern zugleich um Filmklassiker. Zugleich ist ersichtlich, wie weitreichend das Horrorgenre ist, das sowohl den Autorenfilm als auch die Big Budget-Produktion umfasst. Geht es um die Diskussion um Horrorfilme, so erwähnen Gegner des Genres nie diese Klassiker. Es zeigt sich dabei auch ein großes, mit Vorurteilen bespicktes Unverständnis (vor allem seitens der Pädagogen) nicht nur gegenüber dem Horrorfilm als solchem, sondern auch gegenüber Film als Medium und Kunstform.

Das wohl bekannteste Beispiel für eine solche Voreingenommenheit ist die Dokumentation Mama, Papa, Zombie, die 1984 vom ZDF produziert und ausgestrahlt wurde. Der einzige Zweck dieser Reportage lag darin, das Horrorgenre zu diffamieren, ohne auf das Genre und dessen soziokulturellen und filmhistorischen Hintergründe einzugehen. Wie bei Kritiken dieser Art üblich, wurden möglichst blutige und grausam wirkende Szenen gezeigt, um diese Filme als »pervers« bezeichnen zu können. Eine solche, fast schon propagandistische Art führt letztendlich zu einer kompletten Verzerrung der Tatsachen, da zum Beispiel die gezeigten Szenen aus ihrem jeweiligen Kontext genommen wurden. Von Seiten der Macher der Dokumentation kam es auch zu keinem Hinweis auf die Handlungen der erwähnten Filme oder darüber, welche Funktionen diese Szenen in den Filmen haben. Fans von Horrorfilmen werden in der Dokumentation als »pervers« und »psychisch abartig« bezeichnet. Inzwischen besitzt diese Reportage aufgrund ihrer Naivität und ihrer unfreiwilligen Komik so etwas wie einen Kultstatus bei den Horrorfans. Man sollte sich das Filmchen einmal wirklich ansehen, wenn man wissen möchte, wie man schlechte Reportagen hinbekommt.

Doch die grundlegende Frage bleibt natürlich bestehen: Weswegen besitzt das Horrorgenre ein solch schlechtes Image? Jetzt könnte man natürlich eine philosophische Diskussion starten, doch ich bleibe im Folgenden lieber auf dem Teppich. Interessanterweise wird besonders in Deutschland, wo eigentlich die Wiege des späteren Horrorfilms liegt (Filme wie Das Kabinett des Dr. Caligari oder Nosferatu beeinflussen bis heute das Genre), vehement gegen Horrorfilme diskutiert. Dies hat zum einen den Grund, da während des Nationalsozialismus (Horrorfilme wurden im Deutschen Reich nicht produziert) die meisten Künstler aus dem Land flohen oder ermordet wurden und dadurch der Sinn für dieses Genre verloren ging. Dadurch kam es zu dem harten Schnitt zwischen dem deutschen Film während der Weimarer Republik und dem deutschen Film nach 1945.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Deutschland das Genre der Phantastik, zu dem Horror ja zählt, als trivial empfunden. Der Grund dafür findet sich vor allem in der Art des Umgangs mit diesem Genre seitens der Germanisten/Literaturwissenschaftler und Kulturwissenschaftler, die der Phantastik (in literarischer und in filmischer Form) wenig bis gar keine Beachtung schenkten, da sie schlichtweg als Schund und als vollkommen unwichtig betrachtet wurde. Dies im Gegensatz zu den USA, England oder Frankreich, wo die Phantastik beinahe denselben Rang einnimmt wie die sogenannte anspruchsvolle Literatur oder Kunst. Da aus diesem akademischen Bereich auch die meisten Kritiker stammten, fand sich auf diese Weise die Abneigung gegenüber diesem Genre in den Massenmedien wieder, die wiederum die öffentliche Meinung beeinflussten, was dazu führte, dass auch Leute gegen Horrorfilme waren, die noch nie einen gesehen hatten.

Ein weiterer, sichtbarerer Effekt, der zum negativen Image des Horrorfilms in Deutschland beitrug, liegt in zwei weiteren Aspekten begründet: Zum einen darin, da Horrorfilme in Deutschland ab den 70er Jahren vor allem in den Bahnhofskinos liefen, die generell ein Schmuddelimage umgab. Zum anderen durch das Aufkommen der Videotheken Ende der 70er/Anfang der 80er Jahre, die nicht weniger mit einem zwielichtigen Ruf zu kämpfen hatten. Und da viele Horrorfilme aufgrund des Videobooms speziell für diesen Markt produziert wurden, ging das Schmuddelimage auch auf sie über.

All dies zusammengenommen sorgte und sorgt für eine verzerrte Wahrnehmung des Genres, das eigentlich, wie dies der Filmwissenschaftler Andrew Tudor in seiner Abhandlung Monsters and Mad Scientists (1989) bezeichnet, das faszinierendste Genre in Sachen Film darstellt. In keinem anderen Genre, so fügt er hinzu, lernt man so viel über den Zustand einer Gesellschaft wie in einem Horrorfilm.

Horror: Die neue Sichtweise

Wie oben bereits erwähnt, änderte sich diese negative Sichtweise im akademischen und medienkritischen Bereich in den letzten siebzehn Jahren. Auslöser dafür war eine Welle film- und medienwissenschaftlicher Publikationen in den USA, die sich mit dem Horrorgenre auf einer soziokulturellen, einer historischen und einer narrativen Ebene ernsthaft auseinandersetzte. Diese schwappte in den vergangenen Jahren bis nach Deutschland, wo nun ebenfalls eine Art Umdenken gegenüber dem Horrorgenre zu erkennen ist. Dies macht sich unter anderem darin bemerkbar, dass nun auch in Radio- und Fernsehprogrammen Horrorfilme rezensiert und verschiedene akademische Abhandlungen darüber veröffentlicht werden.

Der Grund für diese Auseinandersetzung in den USA liegt in dem Film Ring (2002), einem Remake des japanischen Horrorfilms Ringu (1998). Ringu zählt zu den erfolgreichsten japanischen Spielfilmen überhaupt. Das von Gore Verbinski gedrehte Remake zählt zu den erfolgreichsten Remakes der Filmgeschichte. Der Film ebnete die Rückkehr des Horrorfilms in die Kinosäle und führte zugleich zu einer Japanisierung Hollywoods in diesem Genre. Die Frage, die sich aufgrund des Remakes stellte, lautete, auf welche Weise werden soziokulturelle Merkmale des japanischen Originals in dem Remake umgesetzt? Die Frage war deswegen von großem Interesse, da sich sowohl Ringu als auch Ring auf spezifische soziokulturelle Merkmale des Alltagslebens (vor allem im Bezug auf allein erziehende Mütter und deren soziale Probleme) bezog und damit einen zentralen Aspekt der Globalisierungsdebatte betraf. Hierbei vor allem die Fragestellung, ob es im Laufe einer Globalisierung zu einer Homogenisierung von Kultur kommt – was das Beispiel Ringu – Ring eindeutig widerlegte. Die Diskussion verlief in den USA nicht nur innerhalb des akademischen Bereichs, sondern umfasste nach und nach auch Filmmagazine, professionell betriebene Blogs und andere Medien.

Der Diskussionspunkt führte zu der oben genannten Fülle an Publikationen. Diese weiteten sich auf andere Horrorfilme und Subgenres aus. Das Ergebnis der diversen Untersuchungen war: Horror ist keineswegs Schund. Horror ist ein ernst zu nehmendes und hochgradig kunstvolles Filmgenre, dessen kulturelle Bedeutung bisher vollkommen unterschätzt wurde.

Die Beschäftigung mit dem Genre führte dazu, dass nun auch die öffentlich gebrandmarkten Produktionen aus der »Schmuddelfilm-Ära« der 70er Jahre anders betrachtet und bewertet wurden. Da, wo man fälschlicherweise pornografische und Gewalt verherrlichende Tendenzen bemerkt haben wollte, erkannte man nun eine besondere Form der Kunst, deren Farben, Lichtgebung und Optik von den unterschiedlichsten Kunststilen beeinflusst wird – angefangen vom Barock bis hin zum Art Deco – und die mit einer besonderen Art von Gesellschaftskritik einhergeht.

Wie gesagt, macht sich diese neue Sichtweise nach und nach auch in Deutschland bemerkbar. Zwar gibt es noch immer die Leute, die nicht über ihr engstirniges Weltbild hinwegsehen wollen, doch ist eine deutliche Tendenz da, die zeigt, dass auch hierzulande das Horrorgenre zunehmend ernst genommen wird.

Und nicht zuletzt macht sich dies auch in der deutschen Filmproduktion bemerkbar, innerhalb der der »Horror«-Tatort sicherlich nicht das beste, aber immerhin ein interessantes Beispiel ist. Gaben die verstaubten Beamten der deutschen Filmförderung bisher sofort Gelder für den nächsten Hitler-Film, während sie von anderen Themen nichts wissen wollten, so sind sie nun immerhin dazu bereit, ein paar Cent für einen Thriller springen zu lassen – was früher undenkbar gewesen war. Man darf also gespannt sein, wie es weitergeht.

(mp)