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Der Brautschmuck als Totenkleid

Vom frischen Quell
Sagen, Legenden und Geschichten aus der Eifel
Jung und Alt in neuer Fassung dargeboten von Rektor Jos. Schiffels
Verlag Georg Fischer. Wittlich. 1912
Zweites Bändchen

Der Brautschmuck als Totenkleid

Zur Zeit, als die Herrschaft der Römer in den Rheinlanden ihrem Ende entgegenging und die Saat des Christentums aufzusprießen begann, wohnte auf seinem prächtigen Schloss bei Fließem1 der reiche und mächtige Römer Fabius, der dem heidnischen Glauben seiner Väter treu geblieben und mit unversöhnlichem Hass gegen das Christentum erfüllt war. Er, der Letzte seines Stammes, hatte nur eine Tochter mit Namen Julia, die wie eine schöne Blume auf der grünen Heide blühte. Milde und Güte wohnten in ihrem reinen Herzen. Von ihrem harten Vater wurde sie wie eine Sklavin gehalten. Die Lehren des Heidentums konnten das tugendreiche Mädchen nicht befriedigen. Ihr Herz dürstete, wenn auch anfangs unbewusst, nach der ewigen Wahrheit. Nach dem Willen des Vaters sollte sie einem reichen, aber rohen Römer namens Tellius die Hand zum Ehebund reichen. Abscheu und Schrecken erfüllte die edle Jungfrau, wenn sie daran dachte. Sie musste den wüsten Tellius tief verachten, und doch war des Vaters Entschluss durch nichts zu ändern.

An einem schönen Frühlingsmorgen, als die Natur bereits alle ihre Reize entfaltet hatte, ging Julia in den nahen Wald spazieren. Ihren Gedanken nachhängend, schritt sie langsam weiter, immer tiefer in den weihevoll stillen Wald hinein. Plötzlich drang ein heller Glanz hervor, süße Klänge schlugen an ihr Ohr. Hochentzückt lauschte sie diesen wunderbaren Tönen, die ihr Herz mächtig ergriffen. Auf einmal sah sie vor sich einen ehrwürdigen Greis. Ein weißer Bart umwallte seine Brust. Sein hehres Antlitz spiegelte Herzensgüte, sein sanftes Auge Freundlichkeit und Milde wider. An seinem Gürtel, der das weite, faltige Kleid zusammenhielt, hing ein hölzernes Kreuz. Es war der heilige Hieronymus2. Wenngleich Julia ihn nicht kannte, so fühlte sie sich doch zu ihm hingezogen. »Fürchte dich nicht, meine Tochter!«, begann der Heilige, »ich bin glücklich, dass ich dich, deren Bild ich im Traum geschaut, endlich gefunden habe. Hoffe freudig auf ein besseres Geschick, auf einen lichten Tag, der dir ewig leuchten wird. Du bist eine von den wenigen, die der Himmel sich als Liebling auserwählt hat.«

Das Mädchen sprach: »Der Himmel ist der Ort, wo die Götter meines Vaters wohnen und unser Geschick unabänderlich bestimmen. Ich bin ihr Liebling nicht, sondern ihr Fluch lastet in meinem eigenen Vater schwer auf mir.«

Hieronymus sagte darauf zu ihr: »Du wirst bald die Krone finden, die Gott seinen Dienern und der Tugend verheißen hat. Die Töne, die du hörtest, klangen aus dem Himmel her und waren ein Gruß, womit er dich bewillkommt. Ich will dir den Weg dahin zeigen.«

Julia suchte von nun an jeden Morgen den Heiligen in dem Wald auf. Er unterwies sie in der Lehre des Gekreuzigten und spendete ihr dann die Taufe. Zu ihrem großen Schmerz musste Hieronymus bald nach Trier zurückkehren, wo seiner neue Arbeit harrte.

Inzwischen kam der von Fabius für Julia festgesetzte Hochzeitstag immer näher. Als sie den Vater einst kniend bat, doch nicht auf seinem Entschluss zu beharren, erklärte er ihr hart: »Ich habe Tellius mein Wort gegeben und breche als echter Römer niemals ein Versprechen.«

Auch ihre Tränen konnten des Vaters Herz nicht rühren. Als sie mit ihrem Kummer allein war, zog sie ein Kreuz hervor, presste es an die Lippen und flehte: »Sohn Gottes, der du so viel gelitten hast und am Kreuz für mich gestorben bist, stärke mich in meiner Not! Nur dir will ich angehören und deine Braut auf immer sein. Versage mir jetzt deinen Beistand nicht.«

Inzwischen war alles zur Vermählung bereitet worden. Festesglanz erfüllte des stolzen Schlosses weite Räume, und Lust und Freude herrschte überall. Nur nicht bei Julia. Ihr dünkte, das bevorstehende Fest werde ihres Glückes Leichenfeier, doch das Gebet verlieh ihr Mut und Kraft für diese schwere Stunde. Ohne Widerstreben ließ sie sich zur Hochzeit schmücken.

Dann begab sie sich in den Festsaal. Da warteten Vater, Bräutigam und Gäste auf sie. Sie neigte sich stumm vor ihnen, würdigte aber Tellius keines Blickes.

»Julia«, sprach der Vater, »hier ist Tellius. Erkennst du ihn als Gatten an?«

Beherzt entgegnete sie: »Mein Vater, nie hast du mich gefragt, ob mein Herz mit deiner Wahl einverstanden sei. Willst du deines einzigen Kindes Glück mit Füßen treten? Des Tellius Gattin kann ich niemals werden; ich bin eine Christin!«

Dieses mutige Bekenntnis wirkte wie ein Donnerschlag. Fabius geriet in Wut und griff nach dem Schwert.

In ihres Herzens Drängen aber rief Julia, getreu der Weisung des Hieronymus: »Hilf mir, o ewiger Gott, errette mich, Gott Sabaoth!«

In demselben Augenblick trat der Heilige herein. Er sprach in gewaltiger Rede zu Fabius: »Höre auf! Dir gehört das Kind nicht mehr. Ich bin gekommen, es seinem Himmelsbräutigam zu bringen.«

Wutentbrannt drang der harte Vater nun mit gezücktem Schwert auf Hieronymus ein. In blindem Eifer durchbohrte er aber seine eigene Tochter, die sich an ihres Beschützers Brust geworfen hatte. Engel trugen die Seele der heiligen Jungfrau in ihre ewige Heimat. Den Frevler aber ereilte bald die verdiente Strafe. Es erhob sich ein furchtbares Gewitter; Feuer kam aus der Erde und vernichtete das Schloss mit allem, was darin lebte. Bald war jede Spur verwischt von der Macht und dem Reichtum, die einst dort entfaltet worden waren.

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  1. ein Ort nördlich von Bitburg, unweit der Kyll
  2. gestorben 420