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Die Flusspiraten des Mississippi 26

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

26. Die Entscheidung – Das Zeichen und der Erfolg

Der entscheidende Schritt war getan – das Fahrzeug trieb in der reißenden Strömung rasch ab, der Insel und seinem sichern Verderben entgegen; die Bootsleute aber träumten ruhig fort und schienen alles das, was sie am vorigen Abend mit Besorgnis erfüllt hatte, vergessen zu haben. Selbst Mrs. Everett, durch die Aufregung der letzten Stunden ermüdet, lag in leichtem Schlummer auf ihrer für sie unter dem Zelt ausgebreiteten Decke.

Bill war jetzt aufgestanden und schlich nach vorn zu dem Gefährten, und als dieser seinen Schritt auf den schwankenden Brettern mehr fühlte als hörte, hob er den Kopf.

»Wir sind dicht an der Insel«, flüsterte Bill, als sie nebeneinanderstanden, »ich höre schon den Bruch des Wassers in den an der oberen Spitze hinein­geworfenen Wipfeln.«

»Das habe ich auch gehört«, erwiderte Blackfoot mit vorsichtig gedämpf­ter Stimme, »aber es kommt mir fast so vor, als ob es zu weit rechts wäre. Möglich könnte es doch sein, dass uns die Strömung etwas weiter hin­übergenommen hätte, als wir erwarteten. Am Ende ist es besser, du gehst ans Steuer und lenkst den Bug ein klein wenig rechts hinüber, vorbeifah­ren können wir an der rechten Seite auf keinen Fall.«

»Das geht nicht«, sagte Bill, »das Knarren des schweren Ruders würde die Schläfer oder doch auf jeden Fall den Alten wecken – pst, der Hund knurrt schon. Wenn ich nur die verdammte Bestie über Bord hätte.«

»Ich höre Geräusche von dort drüben!«, flüsterte Blackfoot hastig, »das muss, bei Gott, die Insel sein, und zwar rechts – Hölle und Teufel, wie weit uns der Strom hinübergetrieben hat. Wie wäre es denn, wenn wir die Mannschaft rasch an Deck und an die Finnen riefen. Die Burschen sind jetzt alle schlaftrunken und werden sich, wenn sie das zerrissene Tau sehen, aus Leibeskräften auf die Sandbank rudern.«

»Vielleicht«, sagte Bill zweifelnd, »und wenn wir das sicher wüssten, wäre der Plan vorzüglich. Wollen sie aber nicht, so haben wir verspielt. Nein, sobald wir noch eine Meile weiter unten sind, mag sie mein Schuss wecken, vorher aber schieben wir die schwere Kiste, die dicht an der Luke steht, über diese, und dass aus dieser nachher keiner der Eingesperrten herausklettert, soll meine Sorge sein. Du fertigst indessen rasch den Alten ab – dein Schuss mag zugleich unser Signal sein, und wir schlagen so, während du von seiner Büchse nicht das Geringste zu fürchten hast, zwei Fliegen mit einer Klappe. Wenn du nachher mit deinem Kolben das hier an Backbord angebrachte kleine Küchenfenster bewachst, damit uns von da aus keiner an Deck steigt, so haben wir die ganze Gesellschaft wie in einer Rattenfalle gefangen und können sie nachher einzeln, wie wir sie herauflassen, abfertigen. Die Burschen drüben werden doch aufpassen?«

»Ei gewiss!«, flüsterte Blackfoot. »Das Enterboot wird schon, nach deinem Brief, seit gestern Abend von sich ununterbrochen ablösenden Wachen be­setzt gehalten und stößt in dem Augenblick, da es den Schuss hört, von Land. Das zweite Boot folgt dann augenblicklich nach. Es schadet übri­gens nichts, wenn wir auch an der Insel vorbeitreiben. Sobald die Unseren an Bord kommen, legen wir uns in die Riemen und sind nachher mit leich­ter Mühe imstande, die Notröhre zu erreichen. Das wird Kelly ohne­dies lieber sein, als wenn wir das Boot gleich oben hätten aufrennen lassen.«

»Desto besser«, sagte Bill, »aber jetzt lass uns auch keine Zeit verlieren. Wir müssen schon ein hübsches Stück an der Insel hinuntergefahren sein. Wetter, die Kiste ist schwer, nimm dich in acht, dass sie nicht so scharrt.«

»Das wird es tun – so«, flüsterte Blackfoot, »die kleine Ecke …«

»Nein – wir dürfen kein Luftloch lassen – mehr hier zu dieser Seite«, fiel ihm rasch der Steuermann ins Wort, und beide stemmten eben wieder, alles andere um sich her vergessend, die Schultern gegen die schwere Kiste an.

Der alte Mann indessen, den Müdigkeit zu kurzem Schlummer über­mannt hatte, schlief aber nicht fest genug, um alles das, was keineswegs geräuschlos um ihn her vorging, zu verträumen. Der Schritt des Steuer­manns, der, als er an ihm vorüberschlich, auf dieselbe Planke treten musste, auf der er lag (da die Deckbretter solcher Flatboote stets über das ganze Fahrzeug von backbord nach steuerbord hinüberreichen), und das leise Knurren seines Hundes hatten ihn geweckt, und wenn er auch regungslos seine Stellung beibehielt, so lauschte er doch mit der gespanntesten Auf­merksamkeit den leise geflüsterten Worten der beiden Männer. Das Boot glaubte er aber noch immer an seinem früheren Platz festgebunden. Da fiel sein Blick zufällig auf einen dunklen Schatten. Erschrocken richtete er sich auf. Dieser Schatten befand sich ja auf der Steuerbordseite, und sein Boot, das mit dem Bug stromauf gehalten wurde, müsste doch das Land auf backbord …

»Träume ich denn?«, flüsterte er vor sich hin, »bei Gott – die Schild­kröte treibt!«

Rasch ergriff er die Büchse, sprang hoch und sah, wie die beiden ihm jetzt schon mehr als verdächtigen Männer eifrig bemüht waren, die eine der Kisten dem Rand des Bootes zuzuwälzen.

»Hallo da!«, rief er unwillkürlich aus, und sein Fuß stampfte auf das Deck – sein Zeichen für Bob-Roy, rasch heraufzukommen. »Beim ewi­gen Gott, wir sind los …«

»Da hast du’s«, brummte Bill, »nun geht der Tanz los – jetzt mach schnell und fertige ihn ab.«

»Nun, werdet Ihr Rede stehen? Was soll das? Mein Boot schwimmt, und was soll’s mit der Kiste dort?«

»Werd’ es dir gleich auseinandersetzen«, knurrte Blackfoot vor sich hin und sprang zu seiner Büchse, die er neben sich hingelegt hatte, um be­quemer mit der Kiste hantieren zu können. Edgeworth stand halb verdeckt von einem großen Koffer, der Pirat aber nahm die Büchse in Anschlag und tat rasch noch ein paar Schritte nach vorn, um die Brust seines Fein­des vor den Lauf zu bekommen und ein sicheres Ziel zu haben.

»Hölle und Teufel!«, schrie in diesem Augenblick Bob-Roy von unten, »wer hat den Eingang hier versperrt? Bahn frei, ihr Schufte, oder euch soll der …« Seine Worte wurde von gewaltsamen, wenn auch noch erfolglosen Versuchen erstickt, die mächtige Last zu lüften, denn die eine Leitersprosse, auf der er stand, konnte das so übermäßig vermehrte Gewicht nicht tra­gen und brach unter ihm.

Der augenblickliche Versuch war aber dennoch hinreichend gewesen, Bill davon zu überzeugen, dass die Last einem erneuten und von mehre­ren ausgeführten Angriff vielleicht doch nicht widerstehen konnte. Einen flüchtigen Blick zu dem alten Edgeworth hinüberwerfend, rief er dem Ge­fährten also schnell zu: »Schieß in drei Teufels Namen und gib damit das Signal. Wir können Hilfe gebrauchen!« Er hatte die letzten Worte auch noch nicht ausgespro­chen, als schon ein Büchsenschuss durch die stille Nacht dröhnte.

Rasch wandte er den Kopf, den Erfolg zu beobachten, fuhr aber mit wil­dem Fluch hoch, als er sah, wie sein Kamerad, die Büchse hoch in der Hand, taumelte, ein paar Schritte nach vorn tat und dann schwerfällig an Deck niederstürzte. Der alte Jäger, mit der eigenen Waffe schussfertig, hatte kaum gesehen, wie sein Feind die Büchse zum tödlichen Angriff hob, als er auch rasch sein Gewehr in die Höhe riss und mit unfehlbarer Sicher­heit den Verräter traf.

Hiermit aber nicht zufrieden, denn er musste jetzt natürlich in seinem Steuermann einen ebenso gefährlichen Gegner vermuten, sprang er rasch vor, um sich der noch geladenen Waffe zu bemächtigen, Bill jedoch wusste seinerseits ebenso gut wie er, dass er, wenn jener seine Absicht wirklich ausführte, ganz in dessen Hände gegeben sein würde.

Schnell lief er also dem Kampfplatz zu, erfasste zugleich mit dem alten Mann das Rohr und schrie dabei mit vor Wut erstickter Stimme: »Warte, Kanaille – warte – habe deinem Sohn in die Ewigkeit geholfen, will ihm jetzt den Alten nachschicken – wehr dich, Alter!«

Und mit riesi­ger Kraft, der die altersschwachen Arme des Greises nicht widerstehen konnten, entriss er diesem die Waffe. Glücklicherweise entlud sie sich in demselben Augenblick, und die Kugel flog harmlos in die Luft. Wer weiß aber, wie der Kampf für den alten Mann geendet haben würde, denn die beschriebenen Vorgänge folgten schnell aufeinander, und der schwere Kolben einer amerikanischen Büchse blieb ein fast noch tödlicheres Werk­zeug in der Hand eines solchen Mannes als das Kugelrohr. Die Worte aber, die dieser sprach, wirkten anfeuernd auf die schon erlahmende Kraft des Alten.

»Ha – Mörder – Mörder!«, schrie er und fuhr in wildem, sein eigenes Leben missachtenden Sprung nach der Kehle des Piraten, dass dieser dem raschen und schon nicht mehr vermuteten Angriff kaum begegnen konnte. Er fasste nur gerade noch die Hand des Farmers, hob gleichzeitig mit dem rechten Arm die Büchse und wollte sie eben auf den Kopf des Greises niederschmettern, als ein anderer Gegner auf dem Kampfplatz erschien.

Wolf, der bis dahin den Lärm nur insoweit beachtet hatte, dass er nach dem ersten Schuss aufgefahren und rasch von einer Seite des Boots zur anderen gelaufen war, das erlegte Wild zu erspähen – denn sein Herr hatte schon früher manchmal Wildenten und andere Wasservögel von Bord aus geschossen -‚ sah jetzt kaum den Kampf und hörte die in Wut fast erstickte Stimme seines Herrn, als er wild nach dem Nacken des ihm ohnedies verhassten Steuermanns fuhr und diesen dadurch zwang, die Büchse fallen zu lassen. Edgeworth hatte den Verbrecher indessen um den Leib gefasst, und alle drei stürzten auf das Deck.

Die durch die schwere Kiste in den Raum eingeschlossenen Leute waren aber indessen auch nicht müßig gewesen, drückten, durch rasch hingerollte Fässer erhöht, die eigenen Rücken unter die Last und schoben diese mit gemeinsamer Kraft doch wenigstens so weit von ihrer Stelle, dass ein ein­zelner Mann sich hindurchzwängen konnte. Dies hatte Bill schon vorher berechnet, und sein Plan war demnach ganz richtig gewesen. Konnte er nämlich an seinem Posten bleiben, so verteidigte er diesen Engpass, ohne die geringste Gefahr für sich selbst, so hinreichend, dass jeder rettungslos verloren sein musste, der den Schädel in den Bereich seiner Arme brachte. Aber durch das Scheitern des Planes, den Alten schnell unschädlich zu machen, war er gezwungen gewesen, diesen Platz zu verlassen.

Bob-Roy presste sich zuerst aus dem engen Raum heraus und flog seinem Kapitän, wie der Alte gewöhnlich genannt wurde, zu Hilfe. Der Kampf war auch bald entschieden. Obwohl er aber dem übermannten Verräter das eben gezogene Bowiemesser entrissen und ihn, der in wilder Verzweiflung gegen die Übermacht ankämpfte, unschädlich gemacht hatte, konnte er den Greis nicht bewegen, den Verbrecher loszulassen. In blin­der Wut hatte der alte Mann die eine Hand fest in die Kleider des Mör­ders seines Sohnes gekrallt, während die andere zitternd nach seinem ihm im Kampf entfallenen Messer suchte.

Wolf, der seinen Herrn noch immer kämpfen sah, dachte ebenso wenig daran, loszulassen und hielt Halstuch und Rockkragen des Verbrechers so fest, als ob er ihn nicht wieder freigeben wollte.

Die übrigen Ruderleute kletterten jetzt ebenfalls nach, banden mit eini­gen an Deck liegenden Seilen den sich verzweifelt wehrenden Steuermann und suchten nun den alten Mann zu bewegen, ihn ihrer Wachsamkeit zu übergeben.

Da richtete sich Bob-Roy plötzlich auf und rief, während er auf den Fluss hinüberhorchte: »Still – ich höre ein Ruderboot – dort drüben ist es.«

»Boot ahoi!«, schrie da plötzlich der gefesselte Steuermann und ver­suchte mit letzter Anstrengung eine kleine, an einer Schnur ihm locker um den Hals hängende Pfeife zu erfassen.

»Ahoi – ih!« Der letzte Ruf drang gellend über die stille Wasserfläche.

Bob-Roys Hand lag aber in der nächsten Sekunde fest auf seinem Mund, während er flüsterte: »Halt, um Gottes willen, mir fängt die Sache an klar zu werden. Einen Knebel her – rasch, und ihr hier, Leute, bei eurem Leben, keinen Laut mehr!«

Ein scharfer Schrei, wie ihn der Nachtfalke manchmal ausstößt, wenn er in stürmischer Nacht nach Beute sucht, antwortete und schien des Bootsmanns Verdacht bestätigen zu wollen.

Dieser wiederholte aber leise: »Ruhig – rühre sich keiner von euch, dieser Bube gehört mit zu jenem Boot. Sind wir aber still, so können wir ihnen vielleicht in dem Nebel und in so finsterer Nacht entgehen. Haltet ihm die Füße fest. Der Bestie liegt jetzt nur daran, einen Laut von sich zu geben. Mr. Edgeworth, nehmen Sie den Hund zu sich, ein einziges Bellen von ihm könnte unser aller Tod sein – pst …«

»Ahoi – ih!«, rief in diesem Augenblick die Stimme aus dem Boot her­über. »Bill – ahoi ih!, hol dich der Böse! So antworte doch!«

Edgeworth lauschte, seinen Gefangenen jetzt zum ersten Mal loslassend, aufmerksam nach jener Richtung hin, während die Männer den fast rasen­den Steuermann nur mit größter Anstrengung niederhalten konnten.

Da knarrte ihr Steuerruder ein wenig, und Bob-Roy lief rasch dorthin und wollte es, um auch den geringsten Laut zu vermeiden, aus dem Was­ser heben. Aber es war ungewöhnlich schwer – irgendein Gewicht musste daran hängen, und der Bootsmann versuchte mit vorgebeugtem Körper die Ursache zu erspähen. Die Nacht war jedoch so dunkel, und das lange Steuerruder reichte so weit vom Boot, dass es ihm unmöglich war. Er er­kannte wohl auf dem etwas heller schimmernden Brett einen dunklen Gegenstand, konnte aber nicht feststellen, was das war. Er drückte also das Steuer, soweit es die Last erlaubte, an Deck nieder und verhinderte dadurch das ihnen sonst gefährlich werdende Knarren.

»A – hoi – ih!«, riefen die Männer in dem Ruderboot wieder, das jetzt anscheinend etwas weiter entfernt war als vorher. »A – hoi – ih! – Bill – wo, zum Teufel, steckst du?«

Bill machte einen neuen verzweifelten Versuch, ein Zeichen zu geben. Vier kräftige Männer lagen aber über ihm und acht Arme hielten ihn fest. Nicht einmal den Kopf konnte er auf die Bretter niederschlagen, obwohl er dazu den Versuch machte.

Das Boot kam jetzt – an den Ruderschlägen konnten sie es deutlich hören – wieder zurück, und es war fast, als ob es hinter ihnen herfahre. Eine Pause fürchterlicher Spannung machte fast den Atem der Männer stocken – mit jedem Augenblick erwarteten sie den Ruf, dass sie entdeckt wären. Da hörten für kurze Zeit die Ruderschläge auf. Jene hielten wahrscheinlich eine kurze Beratung, wohin sie ihren Kurs richten sollten. So nahe lagen sie bei dem Flatboot, mit dem sie jetzt stromab trieben, dass Edgeworth und seine Männer die Stimmen von dort hören und sogar einige Worte und Flüche verstehen konnten. Endlich griffen die fremden Bootsleute wieder zu den Riemen – sie fürchteten sicherlich, zu weit ab­getrieben zu werden und dann im Nebel den Rückweg zu verfehlen. Dicht hinter dem Indianaboot strichen sie vorbei, und zwar dorthin, wo Edge­worth Land vermutete. Gleich darauf scholl noch einmal der Ruf über den Strom. Er wurde nicht beantwortet, und lautlos glitt die Schildkröte mit der Flut fort, während die Ruderschläge nach und nach in immer wei­terer Ferne langsam verhallten.