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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 3

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Drittes Kapitel

Das Abenteuer schließt sehr zu Ehren unseres Helden. Ein neuer Charakter tritt auf und bringt eine gänzliche Umwandlung in dem unseres Henry hervor.

Außer Sir George und seinen Begleitern hatten sich noch viele andere an dem Gestade versammelt, und bereits warfen die schonungslosen Wellen die Leichen vieler Matrosen ans Land. Sie waren so zerquetscht, und der Wirbel am Riff hatte sie so lange unter Wasser gehalten, dass sich an keinem derselben auch nur die geringste Spur von Leben blicken ließ. Die Welshmen begannen daher nach dem Brauch der Zeit die Toten zu plündern, ohne auf die Vorstellungen  des Sir George und der Besseren unter ihnen zu achten.

Dieser Entweihung der Leichen wurde bald durch eine Abteilung von Cromwells Dragonern Einhalt geboten. Trotz ihres Fanatismus besaßen sie doch zu viel Mannszucht, um ein so empörendes Benehmen vor ihren Augen zu dulden. Ein Teil derselben stieg ab und pflanzte sich am Gestade auf. Die anderen aber patrouillierten nach rechts und links, um den Strandräubern ihr Handwerk zu legen.

Inzwischen hatte sich das Ufer an der Stelle, welche gerade dem Schiff gegenüberlag, mit Menschen angefüllt, die sich einmütig dahin aussprachen, dass keine Seele davonkommen könne, und sie von dem unermesslichen Eigentum, das an die Küste geworfen werden musste, jeden möglichen Vorteil zu ziehen gedachten. Aus dem Bau und der Equipierung hatte man bereits ersehen, dass das Schiff eine spanische Galeone war, welche sich vor den englischen Kreuzern nordwärts geflüchtet hatte und so in der Bucht gestrandet war. Der Anzug der Matrosen, welche an Land geworfen wurden, bekräftigte diese Ansicht.

Nach einer kurzen Viertelstunde ließ der Kampf der Elemente nach. Die Wolken zerteilten sich und die untergehende Sonne glühte in der vollen Majestät ihres blendenden Glanzes im Westen, einen großartigen Hintergrund für das zerreißende Wrack bildend, über welches in längeren Zwischenräumen noch immer die Wellen hereinbrachen. Die hohe Hütte stand noch über dem Wasser. Der Rumpf war jedoch mitten entzweigegangen und zwischen dem vorderen und hinteren Teil des Schiffes flutete ununterbrochen die See.

Keine Spur von Leben zeigte sich auf dem Vorderkastell, und auf dem höchsten Teil des Sterns sah man nur eine einzige Person stehen. Die Entfernung vom Ufer war zu groß, um ihre Züge unterscheiden zu können. Da aber nichts zwischen ihr und dem Horizont lag, so konnte man ihre Gestalt und jede ihrer Bewegungen deutlich erkennen. Sie nahm sich aus wie ein einziger Schauspieler auf der Bühne – eine Hemisphäre zum Proszenium, den Horizont als Hintergrund und das Häuflein am Strand die Zuschauer. Vom Ufer aus gesehen schienen der Mann und die Sonne allein in der Schöpfung zu sein. Ersterer stand in der besten Kraft seines Lebens, war schön gebaut und zeigte in seinem Körper gigantische Proportionen.

Die Teilnahme für den armen Unglücklichen steigerte sich zur bittersten Angst, denn obwohl es fast windstill geworden war, tobte doch die See noch immer und die kochende Brandung am Riff war so furchtbar als je zuvor. Die am Ufer Befindlichen hatten in ihrer Aufregung fast alle Zurückhaltung und Abgemessenheit verloren, die gewöhnlich zwischen den verschiedenen Ständen bestehen und zu der Zeit, von welcher wir sprechen, weit strenger beobachtet wurden, als gegenwärtig. Es darf uns daher nicht überraschen, wenn sich Miss Glenllyn zwar nicht zärtlich, aber doch mit dem Vertrauen eines Wesens, die sich in sicherem Schutz weiß, an Henry Morgans Arm lehnte, obwohl die Dame drei Jahre mehr zählte als der Sohn des Yeoman. So war doch Letzterer größer, als die Tochter des Ritters und dem Anschein nach ebenso alt – ein Gedeihen, das seinen Grund ebenso gut in der gesunden Heimatluft als in der Lebensweise hatte, die er führte.

Da sie nicht länger imstande war, die Qual ihrer Angst zu ertragen, so wandte sie das tränenbefeuchtete Antlitz gegen den jungen Morgan und sagte zu ihm: »Kann niemand dieses herrliche Wesen retten?«

»Herrliches Wesen, Miss Glenllyn? Der papistische, bilderanbetende Spanier?«

»Henry, schäme dich! Was bin denn ich? Das ist sehr unedel.«

Dann machte sie sich sanft, aber mit Kälte aus seinem Arm los und fuhr fort, nach rechts und links mit stolzer Verachtung auf die Menge niederzusehen.

»Und wer sind diese hier? Ist denn nicht ein einziger Mann darunter?«, sagte sie.

Dies war ein strenger, aber unverdienter Vorwurf. Es fehlte nicht an wackeren Männern, aber die furchtbare Gefahr musste jeden, der nicht ganz wahnsinnig war, von einem Rettungsversuch zurückschrecken. Die paar Fischerboote am Gestade waren zu schwer und zu gebrechlich, um über die Brandung wegsetzen zu können, und ehe die See sich hinreichend gelegt hatte, um befahrbar zu werden, musste aller Wahrscheinlichkeit nach das Schiff in Stücke zerschellt sein und der Überlebende das Schicksal seiner Kameraden geteilt haben.

Der Hohn und das Benehmen Lynias übte eine ergreifendere Wirkung auf den starren ehrgeizigen Geist Henrys, als es den angelegentlichsten Bitten oder dem bezauberndsten Lächeln möglich gewesen wäre. Allerdings kümmerte er sich nur wenig darum, wenn der Spanier umkam, denn er teilte mit der versammelten Menge die Ansicht, wenn von dem Schiff Mann und Maus zugrunde gehen, so sei alles, was sich von den Trümmern erhaschen ließe, eine rechtmäßige Prise des glücklichen Stranders. Aber bereits hatte seine kühne Seele ihre angeborene Überlegenheit gefühlt. Er stahl sich schweigend von der Masse weg, und weniger als fünf Minuten nach dem Vorwurf der Dame sah man ihn seinen eigenen Kahn, mit welchem er bei schönem Wetter die in der Nähe des Ufers eingesenkten Fischreusen zu untersuchen pflegte, ins Wasser lassen. Das Fahrzeug war so klein, dass es nicht weiter als zwei ausgewachsene Personen zu führen vermochte, denn durch drei wäre es in Gefahr gekommen.

Diese Handlung Henrys wurde nicht bemerkt, bis er schon unter den Wogen schwamm, die in langen, hohen Streckungen auf den Sand hereinrollten. Sein Vater geriet darüber ganz außer sich, lief zum Ufer hinunter, bis er dem jungen Abenteurer gegenüberstand, und sprang sogar bis an den Hals in die See, um ihn wieder zurückzuholen.

Wir haben uns bereits genötigt gesehen, unsere Besorgnis auszudrücken, dass Henrys Ansichten von kindlicher Pflicht nicht sehr ausgebildet waren, denn als von dem väterlichen Leib nichts mehr als der Kopf sichtbar war, erscholl ein sehr unehrerbietiges Gelächter aus dem kleinen Boot, begleitet von dem hurtigen Spinnen eines der Ruder, das dann mit einem sehr höhnenden Plätschern auf das Wasser niederfiel. Es blieb daher dem alten Morgan nichts übrig, als wieder ans Ufer zurückzuwaten und seinem Zorn durch einige sehr heterodoxe und echt pelagianische Flüche Luft zu machen, bis das edle Früchtlein außer Hörweite war. Dann schloss er sich wieder den übrigen Zuschauern an, welche sich hauptsächlich dem Wrack gegenüber aufgestellt hatten.

Mittlerweite hatte sich der Haufen sehr vergrößert und ein starken Reitertrupp am Strand Pikete aufgestellt, um die Aneignung von Strandgütern zu verhindern, auf welche es die meisten recht andächtig abgesehen hatten.

Inzwischen fuhr Henry in seinem kleinen Kahn triumphierend über die hohe, ununterbrochene Schwelle – jetzt nur noch ein Fleck, einem Wasservogel gleich, der auf dem Wogenkamm schwamm, jetzt wieder gänzlich in einem tiefen Wassertal den Blicken der Zuschauer am Ufer entzogen. Aber in der landeinwärts gehenden Schwelle lag nicht die Gefahr. Noch immer war das brausende, zürnende Riff vorhanden, welches vor der äußeren See eine undurchdringliche Schranke zu bilden schien. Viele glaubten, der junge Abenteurer werde es sich nie einfallen lassen, darüber wegzusetzen und wolle die Zuschauer nur mit einer kleinen, knabenhaften Prahlerei unterhalten, indem er auf den ungeheuren Wogen auf und ab tanze. Aber Henry hatte etwas Edleres im Sinn, und seine Klugheit und Ruhe ließen seinen Mut noch lobenswürdiger erscheinen.

Obwohl vom Ufer aus der Halbkreis des Riffs unterbrochen zu sein schien, war dies doch nicht wirklich der Fall. Die beiden Untiefen, welche die Brandung bildeten, standen so gegeneinander, dass das nördliche Ende der einen in der Mitte viele Ellen über den südlichen Anfang der anderen hinaus und gegen das Ufer hin lief. Aber der Zwischenraum zwischen den beiden Riffen war an der Stelle, wo sie sich doppelten, ungemein schmal, sodass kaum ein Boot von mittlerem Umfang durchkommen konnte. Dieser Pass war Henry wohl bekannt, obwohl ihn die zwei oder drei trägen, achtlosen Fischer, welche zur geeigneten Jahreszeit die Bucht besuchten, nie entdeckt hatten.

Endlich näherte sich Henry der Öffnung zwischen den Riffen. Alles blickte in erstauntem Schweigen nach ihm hin. Der Vater vermochte vor Entsetzen keinen Laut hervorzubringen und die Augen schienen ihm aus den Höhlen zu springen, als er so mit gefalteten Händen dastand. Er liebte den kühnen Knaben – liebte ihn am meisten, wenn er ihn züchtigte. Die Reiter reckten auf ihren Pferden die Hälse – die Frommen beteten. Alle wünschten ihn wieder zurück. Endlich ließ sich ein Schrei halb des Entsetzens, halb des Beifalls vernehmen. Henry schien sich in die Brandung gestürzt zu haben und war nirgends mehr zu sehen.

Es traten einige Minuten furchtbarer Spannung ein, während welcher sich Verzweiflung auf dem Gesicht des alten Morgan abmalte. Dann begannen die Leute sich abzuwenden und den Knaben als verloren zu beklagen. Mit einem Mal erblickten sie aber zuerst zu ihrem größten Erstaunen das Boot, wie es auf der anderen Seite des Riffs in vergleichsweise ruhigem Wasser triumphierend auf dem Kamm einer Welle schwamm.

Lauter, langer, jubelnder Beifall dröhnte an der Küste hin, und die Berge im Hintergrund hallten ihn, da und dort gebrochen, majestätisch nach. Die Töne pflanzten sich über dem Wasser fort und erfüllten das Herz des einsamen Wesens auf dem Wrack mit Freude.

Syrinan Morgan vergoss Tränen, die ersten, die seit vielen Jahren seine Wangen befeuchtet hatten, und Miss Glenllyn bekreuzigte sich andächtig, ohne auf den bigotten Haufen zu achten, der sie umgab. Ihr Herz teilte Henrys Triumph, und sie errötete damals nicht ob der edlen Regung.

Aber der auf dem Wrack? Als er das kleine Boot, das ihn von einem langsamen, öffentlichen Tod retten sollte, herankommen sah, fiel er auf seine Knie nieder und erhob seine gefalteten Hände im Gebet.

Mittlerweile begannen die armen Bootsleute, welche sich den Zuschauern angeschlossen hatten, die Stirn zu runzeln, denn sie schämten sich, von einem bloßen Knaben in einem gebrechlichen Nachen so überboten zu werden. Das könne nicht mit rechten Dingen zugehen, sagten sie, denn es sei unmöglich, über oder durch den Kreis der kochenden Brandung auf dem Riff zu kommen. Henry müsse daher unter Beihilfe des Teufels seinen Weg unter demselben durchgefunden haben. »Aber wartet nur den Ausgang ab«, riefen sie. »Wenn er mit dem ketzerischen Spanier zurückkommen will, so wird die Hölle, sobald sie unter die Wirbel des Riffs kommen, beide zumal verschlucken.«

Inzwischen hatte das Boot seine Stellung unmittelbar unter dem hohen und hervorstehenden Stern des Schiffes genommen. Der Fremde ließ einen Koffer von mäßigem Umfang in dasselbe nieder und folgte vermittelst eines Taus nach. Man sah, wie er in den Sternschooten des kleinen Fahrzeuges seinen Dank gegen den jugendlichen Retter ausdrückte, dessen Hände küsste und mit einem Eifer sich gegen ihn verbeugte, welcher in Mitte der heroischen Handlung etwas ungemein Lächerliches hatte. Ein abermaliger Beifallsruf erscholl von dem Gestade.

Henry schien aus Leibeskräften zu rudern und wurde daher bald den Blicken durch die weiße gekrönte Brandung wieder entzogen. Abermals erhoben sich dieselben Bedenken, welche sich fast zum Entsetzen steigerten, weil ein beträchtlich längerer Zeitraum verstrich, ehe er wieder zum Vorschein kam. Die Fischer fingen bereits an, sich mit ihrer Prophezeiung zu brüsten, und der alte Morgan gab sich schon völliger Verzweiflung hin, als mit einem Mal das kleine schwarze Boot aus dem weißen Schaumwirbel herauskam und sich rasch dem Land näherte.

Ein Jubel, noch lauter und herzlicher, als solcher, bewillkommte den jungen Helden und seinen verwirrten Passagier.

Der Vater, der seine Ungeduld nicht länger zügeln konnte, stürzte abermals ins Wasser. Mehrere andere folgten ihm, um das Boot zu fassen und es hoch und trocken auf den Sand zu bringen. Nachdem dies geschehen war, riss der alte Morgan seinen Sohn von seinem Sitz heraus, packte ihn fest auf der terra firma und zerklopfte ihm waidlich beide Ohren. Dann nahm er ihn in seine Arme, drückte ihn an seine Brust und heulte wie ein Kind, indem er dabei ausrief: »Du junger Spitzbube – hast beinahe deinem Vater den Tod gebracht!«

Wir haben wohl nicht nötig, zu berichten, mit welche Lobsprüchen Henry überhäuft wurde. Die Reiteroffiziere und alle Standespersonen der Umgegend umringten jetzt ihn und den geretteten Spanier. Bald wurden aber auch Sir George Glenllyn, seine Tochter und der Priester aufgeboten, da sie allein gut Spanisch verstanden.

Es folgte eine kurze Besprechung, aus welcher sich herausstellte, dass der eben gerettete Mann der einzige Sohn eines von Sir Georges vertrautesten Freunden war. Nach manchen Gegenreden, Erkennungsszenen und Umarmungen wurde der Spanier nebst seinem Koffer von seinen Glaubensgenossen zur Ruine Glenllyn Castle gebracht, der junge Henry Morgan aber wieder in seinen Nachen gesetzt, welchen dann so viele, wie darunter Platz finden konnten, auf die Schultern nahmen, um den Helden des Tages unter dem Jubel des nachziehenden Volkes im Triumph zum Haus seines Vaters zu tragen. Welch ein stolzer Mann war nicht der alte Morgan an jenem Abend!

Nachdem Henry gebührend nach Hause geleitet und mit Ehren wohlbehalten in dem väterlichen Farmhaus Penabock abgesetzt war, begannen die ehrlichen Welshmen auf ihre eigenen Interessen zu denken und sich auf und ab an der Küste zu verbreiten, um von den »unbeachteten Kleinigkeiten«, die etwa das Meer ans Ufer wusch, möglichst viel aufzulesen. Zwar verlas der Reiterobrist die Parlamentsproklamation gegen den Strandraub, aber seine Soldaten zerstreuten sich, um den guten Absichten der Plünderer zuvorzukommen oder, wenn sie dieselben nicht hindern könnten, doch wenigstens mit ihnen zu teilen.

Freilich vereitelten die Elemente das Vornehmen beider Partien, denn gegen Abend sprang eine starke Ostkühlte auf, sodass am anderen Morgen keine Spur mehr von dem Wrack der spanischen Galeone, sondern nur noch eine zürnende See zu erblicken war. Jedes Fragment des Schiffes war in das tiefe Wasser hinausgeführt worden, und auch die ängstlichste Nachforschung hatte ihren Lohn bloß in sich selbst zu suchen, womit die Strander sich wohl zufriedengeben konnten, da ja selbst der größten Tugend selten etwas Besseres blüht. Die Ereignisse des vorigen Tages waren an sich schon bedeutungsvoll genug, da sie den Verlust eines fast unberechenbaren Reichtums und die Zerstörung mehrerer Hundert Menschen in sich fassten, sollten aber in ihren Folgen noch schrecklicher und unheilvoller werden. Jahre später erzeugte das Wrack der Galeone eine schreckliche Verschwendung von Menschenleben. Spanien blutete dafür in seinen reichen, endlosen Kolonien, während die Halbinsel selbst in ohnmächtiger Wut um ihre verhöhnten und geschlagenen Heere tobte; denn ihre Macht fand nichts als Verachtung, ihre Nationalwürde nur Demütigung und Schmach.