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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Kein Blut

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 27

Kein Blut

Die Sonnenscheibe war schon eine ziemliche Zeit in das Karibische Meer versunken, als die Menschenjäger auf dem Berg und bei der Hütte anlangten, wo der Custos Vaughan genötigt gewesen war, haltzumachen und in der er nun als Leiche lag.

»Mira Manuel!«, sagte Andres, als sie die Hütte erblickten und zugleich das an dem Baum angebundene Pferd stehen sahen. »Un cavallo! Gesattelt, gezäumt und mit alforjas!«

»Das Pferd eines Reisenden!«, erwiderte Manuel, »und zwar ganz desselben, dem wir folgen. Ja, es ist das Pferd des großen Alkalden von Willkommenberg! Erinnerst du dich nicht, dass, als wir sie diesen Mittag vor uns sahen, das eine Pferd ein Fuchs und das andere ein Grauschimmel war? Da ist der Grauschimmel und auf dem Tier ritt der Custos.«

»Ganz recht, Compadre, aber wo ist das andere Pferd?«

»Vielleicht hier im Wald oder an der anderen Seite der Hütte angebunden. Die Reiter müssen drin sein.«

»Beide, meinst du, Manuel?«

»Natürlich, beide. Doch wo das Pferd der Schwarzhaut geblieben ist, kann ich nicht sagen. Carambo! Da in der Hütte wohnt ja niemand. Ich weiß das ganz gewiss, denn ich bin diesen Weg erst vor einer Woche gekommen und es war damals niemand drin. Was in aller Welt hat eigentlich den Custos dazu gebracht, hier anzuhalten?«

»Por dios, Compadre!«, sagte der Jüngere der beiden Sklavenjäger, indem er bedeutungsvoll auf die am Sattel befestigten Taschen hinwies. »Da muss etwas Wertvolles in diesen alforjas sein!«

»Caval! Du hast recht, aber jetzt dürfen wir daran noch nicht denken, Freund! Erst wenn das andere geschehen ist, haben wir vielleicht eine Gelegenheit! Ich möchte nur wissen, ob die beiden in der Hütte sind? Sonderbar ist es, dass wir des Schwarzen Pferd nicht sehen.«

»Ha!«, rief Andres aus, dem plötzlich eine eigene Vermutung eingefallen war. »Wie, wenn er zur Pflanzung hinuntergeritten wäre? Gesetzt, dem Pferd des Custos wäre etwas zugestoßen oder, gesetzt, der Custos selbst wäre krank geworden? Erinnerst du dich nicht, der Bursche, den wir getroffen und der uns auch von den Pistolen erzählte, sagte auch, dass einer der Reisenden, der weiße Mann, krank aussähe. Sagte der Bursche nicht auch, dass er ihn habe sich erbrechen sehen?«

»Por dios! Ja, das sagte er. Was du soeben gesagt hast, kann immer richtig sein. Wenn die Schwarzhaut wirklich fort wäre, da wäre jetzt die beste Zeit für uns, denn wenn es zum Kampf kommt, ist uns der starke Diener viel gefährlicher als sein Herr. Sollte der Custos wirklich krank sein, und beinahe hoffe ich, es ist so, dann wird er wohl auch keinen bedeutenden Gebrauch von seinen Waffen zu machen imstande sein. Und Carambo! Wir müssen sie zu fassen versuchen, bevor er noch ahnt, was wir eigentlich vorhaben!«

»Sollte es nicht besser sein, wenn wir zuerst die Umgegend der Hütte auskundschafteten?«, riet der schlauere Andres. »Lass uns zuerst hinter der Hütte nachsehen, ob das andere Pferd nicht vielleicht zu finden ist? Ist es nicht da, dann ist es wohl gewiss, dass der Schwarze in irgendeiner anderen Absicht fort ist. Lass uns hier durch die Büsche zur anderen Seite hinschleichen und dann heimlich die Wand erklettern, um zu sehen, wer sich eigentlich in der Hütte befindet.«

»Ja, so sei es. Lass uns keine Zeit verlieren, denn wenn die Schwarzhaut wirklich fort ist, so blüht unser Glück. Wir finden nie eine solche Gelegenheit wieder, nicht bis ans Ende der Welt. Folge mir, Hombre, und sei leise. Vamos!«

Damit duckte sich der Führer der beiden Sklavenjäger unter die Büsche und schlich, gefolgt von seinem Gefährten, verstohlen in dem Unterholz zu der hinteren Seite der Hütte. Aber kein Pferd war außer dem vorn vor der Hütte angebundenen Grauschimmel zu finden. Der Fuchs war fort und wahrscheinlich auch sein Reiter. Andres wünschte sich Glück, seine Vermutung war richtig gewesen. Sie wurde bestärkt und über allen Zweifel erhoben, als er frische Pferdespuren entdeckte, die den Weg nach Content hinunterführten. Der Diener des Custos war also gewiss fortgeritten und es blieb nun nur noch übrig, sich zu überzeugen, ob der Custos selbst im Inneren der Hütte sei.

Vorsichtig kletterten die Männer die Mauer hinauf und sahen durch die offenen Spalten. Zuerst hinderte sie die innen herrschende Dunkelheit, irgendeinen Gegenstand genau zu unterscheiden. Doch dann, als ihre Augen mehr an dieselbe gewöhnt waren, erkannten sie die Bambusbettstelle im Winkel. Auf ihr lang ausgestreckt liegend die Gestalt eines Mannes, der gänzlich, selbst das Gesicht, von einem großen dunklen Mantel bedeckt war, während die gestiefelten und gespornten Füße unter der Bedeckung hervorsahen und klar bewiesen, dass hier wirklich ein Mann lag, derselbe Mann, der ermordet werden sollte!

Er schien im tiefen Schlaf zu sein, denn es war durchaus keine Bewegung wahrzunehmen und nicht einmal sein Atem war zu hören.

Wenig vom Lager entfernt lag ein Hut auf dem Boden und daneben ein Paar Pistolen in Holstern, als ob der Reisende sie vom Gürtel losgeschnallt und abgelegt hätte, bevor er sich zum Schlafen hingelegt hatte. Auch wenn er aufwachte, vermochte der Schlafende schwerlich die Pistolen zu erfassen, bevor die Angreifenden ihn vollständig gepackt hatten.

Die Meuchelmörder sahen sich einander mit bedeutungsvollen Blicken an. Der Zufall schien sie jetzt entschieden zu begünstigen. Von demselben blutdürstigen Trieb angestachelt, sprangen beide sofort ohne alles Säumen von der Mauer herunter, zogen ihre scharfen Macheten und stürzten durch die Tür in die Hütte.

»Töten wir ihn!«, riefen beide Mörder wie mit einer Stimme, um sich einander zu ermutigen. Mit diesem entsetzlichen Geschrei stießen sie ihre langen Degen wiederholt durch den Mantel in den widerstandslosen Körper des vermeintlich schlafenden Reisenden.

Überzeugt, ihr blutiges Werk jetzt wohl vollbracht zu haben, wollten die Mörder unverzüglich wieder aus der Hütte forteilen, vielleicht um die Satteltaschen zu untersuchen, als es ihnen doch auffiel, dass ihr Opfer so ganz still gewesen sei. In ihrer rasenden Aufregung, während sie die vermeinten Todesstöße versetzten, hatten sie nichts Besonderes an dem zu Ermordenden bemerkt, aber jetzt, nach vollbrachter Tat, da sie etwas ruhiger geworden waren, packte sie plötzlich eine außerordentliche Verwunderung darüber, dass der Ermordete auch nicht die geringste Bewegung versucht, nicht einmal gezuckt oder gar geschrien hatte. War vielleicht schon gleich der erste Stoß durch das Herz gegangen, wie Andres, der ihn tat, es beabsichtigt hatte? Allein selbst solch ein Stoß führt keinen augenblicklichen Tod herbei, wie die beiden Meuchelmörder wohl wussten. Überdies klebte an den Macheten der beiden kein Blut!

Das war ganz besonders merkwürdig und auffallend.

Konnten der Mantel und die Unterkleider es etwa abgewischt haben? Das mochte vielleicht teilweise vorkommen können, aber doch nicht ganz und gar. Ihre Degenklingen waren nass, aber nicht von Blut.

»Das ist doch seltsam, Kamerad!«, rief Manuel aufs Höchste erstaunt aus. »So etwas habe ich noch nie erlebt! Hebe doch den Mantel auf und lass uns ihn besehen.«

Der Andere trat auf diese Aufforderung dicht an das Lager hinan und lüftete den über dem Gesicht des Ermordeten liegenden Kamelottmantel. Hierbei kam seine Hand mit der kalten Haut in Berührung und sein Blick fiel sofort auf die erstarrten Züge einer Leiche, auf gebrochene Augen, deren trüber glanzloser Ausdruck deutlich zeigte, dass sie schon lange vom Licht des Lebens verlassen waren.

Der Mörder vermochte keinen zweiten Blick auf den Entseelten zu werfen. Mit einem Schrei tiefen Entsetzens ließ er den Mantel wieder fallen und stürzte zur Tür, gefolgt von seinem ebenso erschrockenen Gefährten.

Im nächsten Augenblick würden wohl beide hinausgerannt sein und vielleicht sogar ihren Rückweg angetreten haben, ohne weiter an die Satteltaschen zu denken. Allein gerade, als Andres bereits seinen Fuß auf die Türschwelle gesetzt hatte, sah er etwas, das ihn veranlasste, plötzlich zurückzufahren, und zwar so ungestüm, dass sein Kamerad heftig mit ihm zusammenstieß.

Dies waren drei Männer, die sich kaum fünf Schritte von der Tür entfernt nebeneinander aufgestellt hatten.

Jeder von ihnen hielt eine Flinte, deren Lauf gerade in die Hütte hinein auf die beiden Mörder gerichtet war.

Die drei Männer waren, merkwürdig genug, alle von verschiedener Farbe, weiß, gelb und schwarz, und den Sklavenjägern auch hinlänglich bekannt, denn es waren Herbert Vaughan, Cubina, der Maronenhauptmann und Quaco, sein Leutnant.