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Romantruhe-Western Band 12

Pete Hackett
Romantruhe-Western Band 12
… und dann Gnade dir Gott

Western, Paperback, Romantruhe, Kerpen-Türnich, März 2017, 70 Seiten, 4,95 Euro, Titelbild: Firuz Askin
www.romantruhe.de

Kurzinhalt:
Der Krieg war seit über vier Monaten zu Ende. Viele Südstaatensoldaten waren in die Heimat zurückgekehrt. Ein großer Teil aber fand den Weg nach Hause nicht. Als Entwurzelte ließen sie sich treiben. Die einen landeten auf dem schmalen Pfad der Gesetzlosigkeit, andere in der Gosse. Sie zogen als Landstreicher, Satteltramps, Abenteurer und Banditen durchs Land, und am Ende hielt für eine ganze Reihe von ihnen das Schicksal ein Stück heißes Blei oder einen soliden Hanfstrick bereit …

Leseprobe:

1

Der Krieg war seit über vier Monaten zu Ende. Viele Südstaatensoldaten waren in die Heimat zurückgekehrt. Ein großer Teil aber fand den Weg nach Hause nicht. Als Entwurzelte ließen sie sich treiben. Die einen landeten auf dem schmalen Pfad der Gesetzlosigkeit, andere in der Gosse. Sie zogen als Landstreicher, Satteltramps, Abenteurer und Banditen durchs Land, und am Ende hielt für eine ganze Reihe von ihnen das Schicksal ein Stück heißes Blei oder einen soliden Hanfstrick bereit.

Douglas Howard war nicht heimgekehrt. Jeden Morgen, wenn sich die Sonne über die Gebirgszüge im Osten schob, stieg Flint Howard auf den Hügel, an dessen Fuß die Loyal Valley Ranch lag, um angestrengt Ausschau zu halten. Ein Reiter, der sich der Ranch näherte und der sich als sein Sohn entpuppte, kam jedoch nicht.

Ein Stück südlich der Ranch mündete der Threadgill Creek in den Llano River. Das Land, das Flint Howard gehörte, war grün und fruchtbar. Auf den Weiden standen Longhorns über Longhorns. Während des Krieges hatten sie sich vermehrt wie Karnickel.

Flint Howard beschäftigte eine große Cowboymannschaft. Viele von ihnen waren Heimkehrer. Nach der fürchterlichen Schlacht bei Appomattox waren die Truppen der Konföderierten endgültig aufgerieben worden. Zwei der Cowboys hatten zusammen mit Douglas in derselben Kavallerieeinheit gedient. Über seinen Verbleib konnten sie nichts berichten. Sie hatten sich abgesetzt, als General Lee kapitulierte.

Auch an diesem Tag kehrte Flint enttäuscht vom Hügel zurück. Seine Frau hatte das Frühstück auf der Veranda bereitet. Es war noch kühl, aber der Morgendunst war Vorbote der kommenden Hitze. Flint schwieg düster. Sein Schweigen verriet seine Enttäuschung. Heather sagte: »Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben, Flint. Unser Junge lebt. Auf den Listen mit den Gefallenen stand sein Name jedenfalls nicht. In Appomattox war er noch dabei. Das wissen wir von Slim und Lane. Wahrscheinlich befindet er sich in einem Kriegsgefangenenlager der Yankees. Eines Tages kehrt Doug heim. Ich weiß das.«

»Dein Wort in Gottes Gehör, Heather«, murmelte Flint rau mit einem zweifelnden Unterton. Es war deutlich, dass er die Zuversicht seiner Frau nicht teilen konnte. Er vollführte eine ausholende Bewegung mit dem Arm über die Ranch und das Areal rundherum. »Für wen hätten wir das alles geschaffen, wenn Doug nicht mehr heimkäme? Wir beide haben ihm einen soliden Grundstein gelegt mit der Ranch – den Grundstein für ein Rinderreich. – Dieser verdammte, unselige Krieg!«

Er setzte sich nieder. Heather goss ihm Kaffee ein.

Er griff nach dem Toast und biss hinein. Lustlos kaute er. Dazu trank er kleine Schlucke des heißen Kaffees.

Eine Handvoll fix und fertig angekleideter Cowboys verließen den Küchenanbau, in dem sie gefrühstückt hatten. Sie grüßten herüber, stapften zum Corral und fingen sich Pferde, legten ihnen die Sättel auf und zäumten sie. Staub wolkte dicht.

Als sie fortgeritten waren, sagte Flint: »Wenn ich nur wüsste, wo ich mit der Suche ansetzen müsste. Nichts würde mich hier halten, und ich würde nicht ruhen, bis ich Gewissheit über Dougs Schicksal hätte.«

Heather erhob sich, um das Frühstücksgeschirr wegzuräumen. Der Hufschlag des Reiterrudels, das die Ranch verlassen habe, war verklungen. Auch Flint stand auf. Er ging zum Verandageländer, umspannte es mit beiden Händen, sein Blick verlor sich in der Ferne, wo die Konturen der Berge im rauchigen Dunst verschwammen.

Plötzlich war wieder Hufschlag zu vernehmen. Aber diesmal näherte er sich der Ranch. Der Reiter kam von Westen. Er benutzte den ausgefahrenen Weg, der nach Hedwigs Hill führte, und nun trieb er sein Pferd aus dem Einschnitt zwischen zwei Hügeln. Er lenkte es geradewegs auf die Ranch zu. Die Stirn Flint Howards legte sich in Falten. Der Rancher hatte das Funkeln an der linken Brustseite des Reiters wahrgenommen – jenes Funkeln, mit dem sich das Licht der Morgensonne auf dem Sheriffstern brach.

Es war Mathew Brady, der Sheriff von Hedwigs Hill.

Heather trat neben ihren Mann. Sie atmete schneller als normal. Das Herz schlug ihr hinauf bis zum Hals. Wenn der Sheriff zu ihnen kam, dann hatte das nichts Gutes zu bedeuten. Die Erregung strömte wie eine Welle durch ihren Körper.

Der Gesetzeshüter parierte sein Pferd. Er nahm den Hut ab, neigte den Kopf in Richtung der Frau, grüßte und dann saugte sich sein Blick am hageren, kantigen Gesicht Flints fest. Staubheiser, fast kratzend, sagte Mathew Brady: »Schlechte Nachrichten, Flint.« Verunsichert irrte sein Blick ab, huschte über Heathers angespanntes, erwartungsvolles Gesicht hinweg, in seinen Augen war ein unbehagliches Flackern, verlegen knetete er die Zügelleinen in seinen Händen. »Ich will nicht lange drum herum reden. Es geht um deinen Sohn. Ich habe Nachricht über ihn erhalten.«

Die beiden Menschen auf der Veranda waren wie elektrisiert. Herzschlag und Puls rasten bei ihnen plötzlich. Flint schluckte trocken. Er verspürte das schwindelerregende Gefühl, die Kontrolle über sich zu verlieren, aber dann überwand er sich und er fand zu der ihm eigenen Ruhe und Besonnenheit zurück.

»Spuck es schon aus, Mathew. Was immer es auch ist – ob gut oder schlecht – ich will die ungeschminkte Wahrheit erfahren. Also heraus mit der Sprache.«

Der Sheriff schien im Sattel regelrecht zusammenzuschrumpfen. Er zog den Kopf zwischen die Schultern. Plötzlich aber griff er in die Innentasche seiner Lederweste. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, hielt sie ein zusammengefaltetes Blatt Papier fest. »Lies selbst.« Er reichte es Flint.

Der Rancher faltete den Bogen auseinander. Seine blauen Augen hefteten sich auf die Buchstaben. Ein betroffener Ton entführ ihm. Er staute den Atem und las zu Ende. Scharf stieß er die verbrauchte Luft durch die Nase aus.

Es war ein Steckbrief. Gesucht wurde – Douglas Howard. Tot oder lebendig. Die Belohnung, die auf seinen Kopf ausgesetzt worden war, betrug 1000 Dollar. Die Beschreibung stimmte. Sechs Fuß zwei Zoll groß, hager, blond, blauäugig, Mitte zwanzig. Douglas wurde wegen Bankraubs gesucht, ein Mann war bei dem hold up auf die Bank von Wichita Falls getötet worden.

Flint Howard wurde von einem Taumel erfasst. Sekundenlang schienen die Buchstaben vor seinen Augen zu verschwimmen. Er hatte das Gefühl, unter seinen Füßen wankte der Erdboden. Er wollte etwas sagen, aber seine Lippen waren so trocken wie seine Kehle. Sein vom panischen Schrecken erfasster Verstand wirbelte und fabrizierte verworrene Bilder. Er reichte seiner Frau den Steckbrief, und jetzt entrang es sich ihm mühsam und heiser vor Erregung: »Du hast recht, Heather, Douglas lebt. Aber wenn das stimmt, was hier steht, dann wäre es besser, er wäre auf dem Schlachtfeld geblieben.«

Der Sheriff hatte sich den Hut wieder auf den Kopf gestülpt. Betreten gab er zu verstehen: »Ein ganzer Stapel Steckbriefe kam heute mit der Postkutsche an. Ich werde sie überall im Distrikt aushängen müssen. Es ist eine ganze Bande, Flint. Ich wollte, es …«

Er brach ab, denn Heather entrang sich ein Ton, der sich anhörte wie das Japsen eines Erstickenden. Tränen perlten über die Wangen der Frau. Der Steckbrief segelte auf die Veranda, die Frau schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte auf. Sie wankte und drohte zu stürzen. Der Schock, den die Hiobsbotschaft in ihr auslöste, drohte ihr den Verstand zu rauben.

Schnell sprang Flint hinzu, um sie zu stützen. Da aber warf sich Heather herum und lief ins Haus. Es mutete an wie eine Flucht.

»Sie wird es wohl nicht verkraften«, murmelte der Sheriff. »Es tut mir leid, Flint. Vielleicht hätte ich es schonender …«

Die Rechte des Ranchers wischte durch die Luft. »Mach dir keine Gedanken, Mathew«, schnappte er. Die Bestürzung wich dem Zorn – Zorn auf seinen Sohn, der ihm, seinem Vater, vor allem aber Heather, seiner Mutter, eine derart grenzenlose Enttäuschung bereitete. Es gab keinen Zweifel. Auf dem Steckbrief stand der Name, und bei dem Mann, der auf dem Steckbrief beschrieben wurde, handelte es sich um keinen anderen als Douglas. Eine Verwechslung war kaum möglich. »Heather ist eine starke Frau. Sie wird den Schock verwinden. Mag die Wahrheit noch so schrecklich und niederschmetternd sein.«

»Was wirst du tun, Flint?«

Der Rancher zuckte mit den Achseln. »Keine Ahnung. Ich weiß es nicht.« Es klang irgendwie resignierend und hoffnungslos. Eine Welt begann für Flint Howard zusammenzubrechen. Seine Gefühle schwankten. Nach dem Zorn kam die Bitterkeit.

Sie überschwemmte ihn wie eine heftige Flut. Sein erschütterter Blick voll Qual verlor sich wieder in der Ferne. »Weißt du etwas über den Mann, der durch die Schuld meines Sohnes ums Leben kam, Mathew?«, fragte er nach kurzer Zeit der Versunkenheit.

»Er war Clerk in der Bank von Wichita Falls, und er hinterlässt eine Frau und zwei Kinder.«

»O mein Gott.« Das Kinn Flints sank auf die Brust. Er schien plötzlich um Jahre gealtert. Sein Gesicht war Spiegelbild seiner Empfindungen. »Es ist schlimm«, murmelte er, und seine Stimme klang brüchig. »Ich werde …« Er brach ab. Sein Kopf ruckte hoch. Eiserne Entschlossenheit zeigte sich plötzlich in seiner Miene. Und als er sprach, fielen seine Worte mit der Härte und Entschiedenheit eines Mannes, der es gewohnt ist, seinem Willen Geltung zu verschaffen. Er sagte:

»Ich reite nach Wichita Falls, Mathew. Ich kann der Frau zwar nicht den Mann und den Kindern nicht den Vater zurückgeben, aber ich kann versuchen, den Schaden durch finanzielle Zuwendungen zu begrenzen. Und dann suche ich meinen Sohn. Ich will ihn zwingen, mir in die Augen zu sehen, wenn ich ihn nach seinen Beweggründen frage.«

»Du zweifelst überhaupt nicht an seiner Schuld, wie?«, fragte der Sheriff. Seine Stirn lag in Falten.

»Du etwa, nach allem, was auf dem Steckbrief steht?«, kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.

Der Sheriff wiegte den Kopf. »ich kenne Doug, seit er lebt. Ich sah ihn heranwachsen. Sicher, er war immer ein wilder Bursche, aber in ihm steckte nichts von einem skrupellosen Banditen. Vielleicht … Ach was, ich weiß selbst nicht, was ich denken soll. Du weißt jetzt jedenfalls Bescheid, Flint. Ich reite zurück in die Stadt.«

Mathew Brady tippte mit dem Zeigefinger seiner Linken an den Hutrand, zog das Pferd herum und trieb es mit einem Schenkeldruck an. Die Hufe des Tieres rissen kleine Staubfontänen in die sich schnell erwärmende Luft. Gedankenverloren blickte Flint Howard hinter ihm her.

Sein Entschluss stand fest.

Keine Macht der Welt sollte ihn davon abbringen können. Noch mehr, nachdem die letzten Worte des Sheriffs wieder Zweifel in ihm geweckt hatten. Er war entschlossen, die Wahrheit zu ergründen. Alles andere war plötzlich unwichtig – war zweitrangig geworden, versank in der Bedeutungslosigkeit. Er bückte sich, hob den Steckbrief auf, legte ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn ein. Dann wandte er sich um. Mit hängendem Kopf ging er ins Haus.

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages