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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Skalpjäger – El Sol und La Luna

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Zweiter Teil
Achtes Kapitel

El Sol und La Luna

»Kommen Sie«, sagte Seguin, indem er meinen Arm berührte, »unser Abendessen ist fertig. Ich sehe, dass der Doktor uns winkt.«

Ich entsprach seiner Aufforderung schnell, denn die kalte Abendluft hatte meinen Appetit geschärft.

Wir näherten uns dem Zelt, vor welchem ein Feuer brannte. An diesem legte der Doktor, von Godé und einem Pueblo-Peon unterstützt, soeben die letzte Hand an ein duftendes Abendessen. Ein Teil davon war bereits in das Zelt gebracht worden. Wir folgten ihm und ließen uns auf die Sättel, Decken und Ballen nieder.

»Ei, Doktor«, sagte Seguin, »Sie haben sich diesen Abend als ein wahrer Meister der Küche erwiesen. Dies ist ein Souper für einen Lucullus.«

»Ach, lieber Cap’tain, ich habe gute Gehilfen gehabt. Herr Godé hat mich trefflich unterstützt.«

»Nun, Mr. Haller und ich werden Ihren Gerichten volle Gerechtigkeit widerfahren lassen. Wir wollen sogleich darangehen.«

»Oui, oui, bien, Monsieur le Cap’tain«, sagte Godé, indem er mit einer Menge von Speisen hereineilte.

Der Kanadier war stets in seinem Element, wenn es genug zu kochen und zu essen gab.

Wir waren bald mit frischen Steaks aus wilden Kühen, gerösteten Hirschkoteletts, gedörrter Büffelzunge, Tortillas und Kaffee beschäftigt. Der Kaffee und die Tortillas waren die Früchte der Bemühungen des Peon, der in der Bereitung dieser Dinge Godés Meister war.

Godé hatte allerdings ein ausgewähltes Gericht reserviert, welches er uns triumphierend hereinbrachte.

»Voici, Messieurs«, rief er, indem er es vor uns hinstellte.

»Was ist es, Godé?«

»Un Frikassee, Monsieur.«

»Aus was?«

»Von Fröschen – was die Yankees Hocks-Frösche nennen.«

»Ein Frikassee aus Ochsenfröschen?«

»Oui, oui! Mon maître – voulez-vous en?«

»Nein, ich danke.«

»Ich will Sie um ein wenig davon bitten, Monsieur Godé«, sagte Seguin.

»Ich auch, Herr Godé. Die Frösche sind sehr gut!« Der Doktor hielt ihm seinen Teller hin, um sich vorlegen zu lassen.

Godé war auf seinen Wanderungen am Fluss auf einen Teich mit Riesenfröschen gestoßen, und das Frikassee war das Resultat davon. Ich hatte meiner Nationalabneigung gegen die Opfer des Fluches des St. Patrick damals noch nicht überwunden und weigerte mich, zum Erstaunen des Rumtreibers, die Leckerei zu genießen.

Während unserer Abendunterhaltung erfuhr ich einige Umstände aus der Geschichte des Doktors, die mir den alten Mann, im Verein mit dem, was ich bereits erfahren hatte, zu einem Gegenstand des höchsten Interesses machten. Ich hatte bis jetzt nicht begreifen können, was ein solcher Mann in einer Gesellschaft wie die der Skalpjäger tun könne. Ich hörte jetzt einige Einzelheiten, welche mir alles das erklärten.

Er hieß Richter – Friedrich Richter. Er war ein Straßburger und in der Stadt der Glocken ein ziemlich beliebter Arzt gewesen. Die Liebe zur Wissenschaft – besonders aber zu seinem Lieblingszweig derselben, der Botanik – hatte ihn von seiner rheinischen Heimat hinweggezogen. Er war in die Vereinigten Staaten ausgewandert und von dort in den fernen Westen, um die Flora dieser abgelegenen Region zu klassifizieren. Er hatte mehrere Jahre in dem großen Tal des Mississippi verlebt und war, als er auf eine von den St. Louis-Karawanen stieß, über die Prärie zu der Oase von New Mexiko gekommen. Bei seinen wissenschaftlichen Wanderungen am Rio del Norte hatte er die Skalpjäger getroffen und von der ihm so gebotenen Gelegenheit in bisher von wissenschaftlichen Männern unerforscht gebliebene Gegenden zu dringen, angezogen, sich erboten, die Schar zu begleiten. Dieses Anerbieten wurde mit Freuden angenommen, da er die besten Dienste als Arzt leisten konnte. Nun befand er sich schon seit zwei Jahren bei ihnen und teilte alle ihre Mühseligkeiten und Gefahren.

Wie viele gefahrvolle Szenen hatte er durchlebt, wie viele Entbehrungen hatte er, von der Liebe zu seiner Wissenschaft und vielleicht auch von den Träumen eines Triumphs getrieben, erlitten, indem er hoffte, dereinst seine fremdartige Flora vor den Gelehrten Europas auszubreiten.

Armer Richter! Deine Hoffnung war der Traum eines Traumes! Sie wurde nie zur Wirklichkeit.

Unser Abendessen gelangte endlich zum Schluss und wurde mit einer Flasche Pasowein hinabgespült. Es war eine reichliche Quantität sowohl von diesem Getränk als auch von Taos-Whisky im Lager. Das von außen zu uns dringende laute Gelächter bewies, dass die Jäger dem Letzteren reichlich zusprachen.

Der Doktor zog seine große Meerschaumpfeife heraus, Godé stopfte sich einen roten Tonkopf, während Seguin und ich unsere Maiszigaretten anzündeten.

»Aber, sagen Sie mir, wer der Indianer ist?«, fragte ich Seguin, »derjenige, welcher den merkwürdigen Schuss tat …«

»Ah! El Sol – er ist ein Coco!«

»Ein Coco?«

»Ja, vom Maricopastamm.«

»Aber das macht mich nicht klüger als vorher. So viel wusste ich bereits.«

»Sie wussten es? Wer hat es Ihnen gesagt?«

»Ich habe den alten Rube den Umstand gegen seinen Kameraden Garey erwähnen hören.«

»Ja, richtig; er muss ihn kennen«, sagte Seguin.

Hierauf schwieg er wieder.

»Nun«, fuhr ich, von dem Wunsch, mehr zu erfahren, beseelt fort, »wer sind die Maricopa? Ich habe nie von ihnen gehört.«

»Es ist ein nur wenig bekannter Stamm, eine Nation von eigentümlichen Menschen. Sie sind die Feinde der Apachen und Navajo. Ihr Land liegt am Gila hinab. Sie stammen ursprünglich von den Küsten des Stillen Ozeans – des kalifornischen Meerbusens.«

»Aber dieser Mann ist gut erzogen oder scheint es wenigstens zu sein. Er spricht das Englische und Französische so gut wie Sie und ich. Er scheint Talent, Intelligenz und Höflichkeit zu besitzen – kurz, ein Gentleman zu sein.«

»Er ist alles, was Sie da sagen.«

»Ich kann es nicht begreifen.«

»Ich will es Ihnen erklären, mein Freund. Jener Mann ist auf einer der berühmtesten Universitäten von Europa gebildet worden. Er ist weiter und durch mehr Länder als vielleicht einer von uns gereist.«

»Wie hat er als Indianer aber das ausführen können?«

»Mithilfe desjenigen, was oft sehr kleine Menschen – obgleich Sol kein solcher ist – in den Stand gesetzt hat, sehr große Taten zu verrichten, oder wenigstens in den Ruf zu kommen, es getan zu haben – durch das Gold.«

»Gold! Und woher hat er das Gold erhalten? Man hat mir gesagt, dass nur sehr wenig davon in den Händen der Indianer sei. Die Weißen haben sie all dessen, was sie einst besaßen, beraubt.«

»Das ist im Allgemeinen eine Wahrheit, auch in Bezug auf die Maricopa begründet. Es hat eine Zeit gegeben, wo sie große Quantitäten von Gold und von aus den Tiefen des kalifornischen Meerbusens heraufgeholten Perlen besaßen. Dies ist vorüber. Die Jesuiten könnten sagen, wohin alles gekommen ist.«

»Aber jener El Sol?«

»Er ist ein Häuptling. Er hat nicht all sein Gold verloren. Er besitzt noch genug, um davon Nutzen zu ziehen und es ist nicht zu erwarten, dass die Padres es ihm für Glasperlen oder Zinnober abschmeicheln werden. Nein, er hat die Welt gesehen und den allgemeinen Wert des glänzenden Metalls kennengelernt.«

»Aber seine Schwester – ist sie ebenfalls gebildet?«

»Nein, die arme Luna ist immer noch eine Wilde, aber er unterrichtet sie in vielen Dingen. Er ist mehrere Jahre lang in der Fremde gewesen und erst vor Kurzem zu seinem Stamm zurückgekehrt.«

»Ihre Namen sind seltsam; die Sonne – der Mond …«

»Sie sind ihnen von den Spaniern in Sonora gegeben worden, aber doch nur Übersetzungen von gleichbedeutenden Worten in ihrer indianischen Sprache. Dies ist an der Grenze etwas Gewöhnliches.«

»Warum sind sie hier?«

Ich stellte diese Frage mit Zaudern, da ich wusste, dass eine besondere Geschichte mit der Antwort in Verbindung stehen konnte.

»Zum Teil, wie ich glaube, aus Dankbarkeit mir gegenüber!«, antwortete Seguin. »Ich habe El Sol als Knaben aus den Händen der Navajo befreit. Vielleicht hat es auch noch einen anderen Grund. Aber kommen Sie«, fuhr er, dem Anschein nach in dem Wunsch, das Gespräch auf etwas anderes zu lenken, fort. »Sie sollen unsere indianischen Freunde kennenlernen. Sie werden eine Zeitlang Gefährten sein. Er ist ein gebildeter Mann und wird Ihnen Interesse einflößen. Bewahren Sie Ihr Herz vor der hübschen Luna! Geh, Vicente, begib dich in das Zelt des Häuptlings, bitte ihn, hierher zu kommen und einen Becher Pasowein mit uns zu trinken. Sage ihm, dass er seine Schwester mitbringen möge.«

Der Diener eilte in das Lager hinaus. Während seiner Abwesenheit unterhielten wir uns über den Schuss, welchen der Coco mit seiner Büchse getan hatte.

»Ich habe ihn kein einziges Mal feuern sehen, ohne sein Ziel zu treffen«, sagte Seguin. »Es liegt etwas Rätselhaftes darin. Seine Kugel fehlt nie, und es scheint von seiner Seite eine Folge des bloßen Willens zu sein. Der Geist hat vielleicht eine von der Nervenkraft und der Schärfe des Gesichts unabhängige leitende Fähigkeit. Er und ein anderer sind die einzigen Personen, an denen ich je den Besitz dieser eigentümlichen Fähigkeit bemerkt habe.«

Der letzte Teil dieser Worte klang beinahe wie ein Selbstgespräch, und Seguin blieb, nachdem er sie gesprochen hatte, auf einige Augenblicke stumm und zerstreut.

Ehe das Gespräch wieder in Gang geriet, trat El Sol und seine Schwester in das Zelt. Seguin stellte uns einander vor. In Kurzem waren wir, El Sol, der Doktor, Seguin und ich, in einer lebhaften Unterhaltung begriffen.

Der Gegenstand derselben war weder Pferde, noch Gewehre, noch Skalpe, noch der Krieg, noch Blut, noch irgendetwas mit dem entsetzlichen Handwerk jenes Lagers in Verbindung Stehendes. Wir besprachen einen Gegenstand aus der friedlichen Wissenschaft der Botanik – die Verwandtschaft der verschiedenen Formen der Kaktusfamilie.

Ich hatte diese Wissenschaft studiert und fühlte, dass meine Kenntnis derselben geringer war als die eines jeden von meinen drei Gesellschaftern. Dies fiel mir schon damals auf und wurde mir später noch merkwürdiger, als ich darüber nachdachte, wie ein solches Gespräch, an einem solchen Ort, zu jener Zeit und von Männern, welche darin begriffen waren, geführt werden konnte.

Wir saßen länger als zwei Stunden da, rauchend und über ähnliche Gegenstände sprechend.

Während wir so beschäftigt waren, bemerkte ich auf der Leinwand den Schatten eines Mannes. Ich blickte hinaus, was ich wegen meiner Stellung, ohne aufzusehen, tun konnte, und erkannte in dem aus dem Zelt dringenden Licht ein Jagdhemd mit einem über die Brust hängenden gestickten Pfeifenbeutel.

La Luna saß neben ihrem Bruder und nähte Parflêche-Sohlen auf ein Paar Mokassins. Ich bemerkte, dass ihre Miene zerstreut war und dass sie in kurzen Zwischenräumen aus der Öffnung des Zeltes blickte. Während wir von unserer Diskussion in Anspruch genommen wurden, stand sie schweigend, jedoch mit keinem Anschein von Heimlichkeit, auf und ging hinaus.

Kurze Zeit später kehrte sie zurück. Ich sah das Licht der Liebe in ihren Augen schimmern, als sie in ihrer Beschäftigung fortfuhr.

Sol und seine Schwester verließen uns endlich, und kurz darauf rollten wir, Seguin, der Doktor und ich, uns in unsere Serapen und legten uns zum Schlafen nieder.