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Der Welt-Detektiv Band 6

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Atlantis Teil 3

Im Arbeitskabinett des Kaisers saßen der amerikanische Botschafter Mr. Bowden und Guy Rouse am Teetisch. Augustus Salvator stand am Schreibtisch, über eine Karte gebeugt, einen kleinen Zirkel in der Hand.

»Der Plan Ihrer Admiralität wäre nicht übel, wenn nicht …«

Bei diesen Worten richtete er sich auf und ging auf die beiden Amerikaner zu.

»… wenn nicht ein Faktor außer Acht gelassen wäre, den ich allein und der Chef meines Stabes kennen … immerhin ist der Plan der Beachtung wert. Auch liegt mir an dem guten Willen, den Ihre Regierung meinen Absichten entgegenbringt. Der Krieg mit Südafrika ist unvermeidlich, wird unvermeidlich, meine Herren, wenn – beachten Sie, ich sage wenn, denn – ich werde ihn zu vermeiden suchen. Wenn die Südafrikanische Union mir in der Eingeborenenfrage jedoch nicht nachgibt, ich will sagen, nicht entgegenkommt … Die Unterstützung Ihrerseits durch Kaper-U-Boote ist zweifellos nicht bedeutungslos. Die wenigen und leider noch wenig bewehrten Seehäfen meines Landes werden durch euro … feindliche …«

Mit leichtem Hüsteln unterbrach er die Rede »… Blockade lahmgelegt.«

Sein Blick flog über den Botschafter hinweg und blieb auf Guy Rouse ruhen.

Der Amerikaner lag halb zurückgelehnt im Sessel. Jetzt richtete er sich aus seiner nachlässigen Stellung empor.

»Europäische Blockade, Sire? Sollte Europa sich offen an die Seite Südafrikas stellen?«

Der Kaiser nickte mit einer energischen Kopfbewegung.

»Der Friede von Bern war kein Friede. Er beendete nur die offenen Feindseligkeiten. Durch den engen Anschluss Südafrikas an Europa ist der Kriegszustand nur latent geworden. Die Unterstützung seitens Amerikas allein durch Kaper-U-Boote genügt mir nicht. Die von mir bei amerikanischen Werften bestellten U-Kreuzer kommen viel zu langsam zur Ablieferung. Auch die Personalfrage ist nicht einfach. Ich habe in meinem Land nicht genügend technisch ausgebildete Leute. Von meiner Admiralität laufen fortwährend Beschwerden ein, dass unter den angeworbenen Amerikanern viel schlechtes Material ist. Besonders heikel ist die Kommandantenfrage. Bei dem Überfluss, den Sie drüben an solchen Männern haben, müsste eine energische Einwirkung Ihrerseits besseren Erfolg zeitigen.«

Mr. Rouse zog es vor, nicht zu sagen, was er dachte.

Der Kaiser fuhr fort: »… Können Sie mir da nicht zweckmäßige Vorschläge machen?«

Sein Blick ruhte auf Mr. Bowden. Der richtete sich mit verlegenem Räuspern auf.

»Hm! … Bei der allgemeinen Volksstimmung, Majestät …«

»Volksstimmung! … Was heißt Volksstimmung? Ist Ihre Regierung abhängig von der Volksstimmung?«

Der Botschafter wiegte verlegen den Kopf.

»Was sagen Sie, Mr. Rouse?«

»Sire! Die Regierung trifft ihre Maßnahmen völlig unabhängig von der Volksstimmung. Aber wir haben keinen Einfluss auf die Gesinnung unseres Seeoffizierskorps.«

»Gestatten, Euer Majestät, dass ich mich ganz offen ausspreche. Das Offizierkorps im Ganzen steht einer Unterstützung des schwarzen Afrika gegen das weiße Europa nicht sympathisch gegenüber …«

Augustus Salvator zog die Brauen zusammen.

»Hm! So, so! Was ist da zu tun?«

Guy Rouse lächelte. »Nur ein Mittel gibt es! Das Allheilmittel Geld! Sire, verdoppeln … verdreifachen Sie die Gage, und Sie werden haben, was Sie brauchen.«

»Glauben Sie?« Der Kaiser schaute den Amerikaner prüfend an.

Guy Rouse machte eine wegwerfende Handbewegung.

»Irgendwer prägte mal im Altertum den Satz, dass ein goldbeladener Esel über die höchsten Mauern kommt. Ich persönlich habe bis jetzt jedes Vorurteil, auch das der Ehrlichkeit, die doch schließlich auch nur ein Vorurteil ist, durch Gold überwunden.«

Der Kaiser lachte.

»Gut, Mr. Rouse! Die nötigen Offiziere und Mannschaften hätte ich demnach. Fehlen jetzt nur noch die Boote! Hilft uns Ihr Mittel auch da?«

»Auch da, Majestät!«, erwiderte Guy Rouse mit kalter Miene. »Es bedarf nur der gehörigen Dosis.«

»Daran soll es nicht fehlen! Wem ist das Mittel beizubringen? Welche Wirkung wird es haben?«

Mr. Rouse überlegte mehrere Sekunden. Dann sprach er langsam, sorgfältig jedes Wort abwägend: »Bei den täglichen großen Fortschritten im U-Boot-Bau dürfte ein großer Teil unserer Staatsflotte veraltet sein. Es liegt im Interesse der Nation« – hier warf er einen kurzen Blick zu dem Botschafter hin –, »das veraltete Material durch neues zu ersetzen. Im Interesse der Staatsfinanzen liegt es, das auszurangierende Material nicht einfach abzuwracken, sondern vorteilhaft zu verwerten. Interessenten, die diese Boote für Handelszwecke umbauen, werden sich wohl finden, aber nicht viel bieten. Euer Majestät würden als Interessent voraussichtlich das Höchstgebot abgeben.«

»Wahrscheinlich!« Der Kaiser nickte. »Was sagen Sie zu dem Vorschlag, Herr Botschafter?«

Mr. Bowden wand sich hin und her.

»Ich kann es nicht unterlassen, Euer Majestät nochmals auf die allgemeine Volksstimmung bei uns aufmerksam zu machen, auch auf die voraussichtlich unvermeidbaren außenpolitischen Schwierigkeiten …«

Guy Rouse und Augustus Salvator wechselten einen Blick.

Der Amerikaner drehte spielerisch einen kleinen goldenen Schreibstift in den Fingern.

»Die Bedenken Mr. Bowdens sind leicht zu zerstreuen. Die New Canal Cy. wird zweifellos in Zukunft auch das Reedereigeschäft betreiben und würde versuchsweise große U-Kreuzer kaufen … Sollte sich das Geschäft nicht als nutzbringend erweisen, würde die Company die Hände wieder herausziehen.«

Die Blicke des Kaisers hafteten an der lächelnden Miene des Amerikaners.

»Sie würden die Boote dann vielleicht sogar mit Aufschlag verkaufen?«

»Majestät! Ich habe die Interessen meiner Gesellschaft zu wahren. Ich bin sicher, dass sich sehr kapitalkräftige Interessenten finden werden, die einen Aufschlag von hundert Prozent nicht scheuen würden!«

»Gut, Mr. Rouse! Sie sind ein kluger Geschäftsmann. Die Stellung als Finanzminister bei mir bleibt Ihnen jederzeit vorbehalten.«

»Ich danke Euer Majestät für diese Anerkennung. Ließen mich meine Interessen in den Staaten frei, würde es mir eine Ehre sein … Als vorsichtiger Geschäftsmann möchte ich nicht unterlassen, auf den anderen Weg hinzuweisen, auf dem unsere gegenseitigen Handelsbeziehungen sich zeitweise abspielen. Ich meine die Eisenbahnlinien durch die arabischen Nordstaaten.«

»Vorläufig, Mr. Rouse, geht das. Im Kriegsfall würde das Loch bei Gibraltar sehr eng werden. Die Verbindungen über den Atlas sind zu spärlich. Die Verhandlung mit Südafrika über die vollständige Gleichberechtigung der schwarzen und weißen Rasse schleppen sich ungebührlich lange hin. Sie würden schneller gehen und zu einem guten Abschluss kommen, wenn Ihre Vorschläge, Mr. Rouse, realisiert sein werden. Könnte die Angelegenheit nicht noch beschleunigt werden?«

Mr. Rouse schien zu überlegen, an den Fingern zu rechnen, zu überschlagen.

»Ich denke, Majestät, in vier Monaten bei hundert Prozent, in drei Monaten bei zweihundert Prozent.«

»Sagen wir lieber in zwei Monaten bei zweihundert Prozent!«

Mr. Rouse schien in Gedanken eine neue Berechnung aufzustellen.

»Well! Das Geschäft ist gemacht …«

»Well!«, echote der Kaiser. »Sie sind ein guter, ein außerordentlich guter Geschäftsmann. Die Zeche wird für meine Gegner immer höher.«

Mr. Rouse zuckte die Achseln.

»Business is business, Majestät!«

Augustus Salvator erhob sich, ein Zeichen, dass die Unterredung beendet sei. Er ging auf den Botschafter zu und drückte ihm die Hand. Während dieser der Tür zuschritt, verabschiedete sich der Kaiser von Guy Rouse und fügte mit erhobener Stimme hinzu: »Ich will hoffen, Mr. Rouse, dass Sie mit der Sprengung am Kanal guten Erfolg haben werden …«

Der Amerikaner beugte sich tief über die gebotene Hand.

»Mr. Bowden ist das Klima hier wohl nicht sehr zuträglich«, flüsterte der Kaiser.

»Den Eindruck gewann ich schon zu Beginn der Audienz, Majestät! Ein Wechsel des Klimas würde ihm unbedingt zuträglich sein …«

 

***

 

Der Kaiser war allein. Langsam ließ er sich an seinem Schreibtisch nieder. Seine Lippen bewegten sich wie im Selbstgespräch. »Ein Schuft! Schuft Erster Klasse … aber nein … Schuft! Das Wort in der gewöhnlichen Bedeutung passt nicht auf ihn … Er ist der Vertreter des Kapitalismus in Reinkultur, des Kapitalismus, den die Welt zu überwinden begonnen hat. Sein Streben ist darauf gerichtet, die Nation und ihre Seele zu beherrschen, Volk und Regierung zu seinen Werkzeugen zu machen. Unsichtbar für die Massen, unbeeinflusst durch höhere sittliche Gesichtspunkte, versucht er die Geschicke des eigenen Staates, ja anderer Völker rücksichtslos, mitleidslos nur im eigenen egoistischen Interesse zu lenken.

Seine Kontore sind Generalstabszimmer geworden. Seine Wirtschaftsschlachten sind opferreicher als die blutigsten Kämpfe vergangener Zeiten, wenn auch keine amtliche Verlustliste die Zahl der Opfer meldet.

Aber er ist blind! Er sieht nicht die Grenzen, die jeder Macht gezogen sind. Der Rückschlag muss kommen … der Zeitpunkt ist nicht fern.

Neues Geld durch Macht! Größere Macht durch Geld! Das ist seine Devise. Ebenso falsch und schädlich wie jene andere: Krieg durch Macht! Neue Macht durch Krieg …

Meine Feinde nennen mich den Schwarzen Napoleon, den gefürchteten und gehassten. Wie wenige sind es, die mir gerecht werden!

Was war sein Ziel? Was ist meins?

In unersättlicher Machtgier verschlang Napoleon ein Land nach dem anderen, bis er an Russland erstickte. Was tat ich? Ich kämpfte den Kampf meines Volkes gegen die weißen Beherrscher. Den Kampf um die Freiheit nach jahrhundertelanger Bedrückung. Das war die erste Tat!

Die befreiten Länder habe ich zu einem Reich zusammengerafft, denn nur ein geeintes Volk kann sich behaupten. Das war die zweite Tat!

Die Dritte … Gleichberechtigt in der ganzen Welt sollen die Schwarzen mit den Weißen sein! Das, das allein veranlasst den Konflikt mit Südafrika. Die Weißen aus Südafrika vertreiben? Es meinem Reich angliedern? Ich denke nicht daran. Aber die Gleichberechtigung will ich … gutwillig … oder mit Gewalt.

Das ist mein letztes Ziel. Mit ihm stehe oder falle ich. Meine Feinde mögen mich verleumden, wenn nur die Geschichte mir eines Tages gerecht wird.«

Er drückte auf einen Knopf. Der Adjutant erschien.

»Den Kriegsminister!«

Am Morgen des folgenden Tages saß Uhlenkort in seinem Hotelzimmer beim Lunch und überflog die ersten Ausgaben der Lokalblätter. Den größten Teil der Spalten beanspruchten die Nachrichten über die bevorstehende Feier am Tschadsee. Jetzt blieb sein Auge auf einer kurzen, gesperrt gedruckten Notiz am Schluss des Blattes hängen:

Spitzbergen, den 18. März. Amtlich wird bekanntgegeben: Die Insel Black Island, auf 77 Grad 14 Minuten nördlicher Breite, 12 Grad 23 Minuten östlicher Länge, ist am 17. März, morgens gegen 5 Uhr, in aufsteigende Bewegung geraten. In der folgenden Stunde hat sich das Eiland um das Zehnfache vergrößert. Ein in geringer Entfernung vorüberfahrendes Schiff hat den Vorgang zum größten Teil beobachten können. Vulkanausbrüche und Seebeben wurden nicht bemerkt. Die Regierung beabsichtigt, eine Gelehrtenkommission zur Ergründung der rätselhaften Vorgänge dorthin zu entsenden.

Uhlenkort ließ die Zeitung sinken. Seine Gedanken wanderten. Er wusste wohl, dass Black Island nur fünfzig Kilometer westlich von Spitzbergen lag. Er sah das kleine, unbedeutende Eiland. Er sah ein neues, viel größeres aus den Eingeweiden der Erde nach oben getrieben werden …

Seine Gedanken liefen weiter. Er sah Spitzbergen. Er sah die großen Kohlengruben. Er sah die Schächte wie Nadelstiche, wie Kapillarröhren in den Leib der Erde eindringen, sah sie zerdrückt zusammenbrechen. Alles verschüttend, was Menschenhand in zwei Jahrzehnten dort geschaffen hatte.

Er sprang auf und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer.

Seine Gedanken hetzten sich. Bald glaubte er sich durch die Worte ohne vulkanische Ausbrüche und Seebeben über die Sorgen hinwegtäuschen zu können. Bald wieder sah er im Geist die schlimmsten Dinge. Konnte sich nicht, was bei Black Island geschehen war, in jeder Stunde mit Spitzbergen wiederholen? Katastrophen von kaum auszudenkender, unbeschreiblicher Größe malten sich vor seinen Augen. Das Gefühl, den kommenden Dingen ohnmächtig gegenüberstehen zu müssen, drückte ihn zu Boden.

Wie hatte die Nachricht in Spitzbergen gewirkt? Wie sah es dort aus? War der Minenbetrieb eingestellt?

Er nahm die Zeitung wieder auf und las noch einmal die Zeitangabe dieser Nachricht. Also vor sechsunddreißig Stunden war das. Noch keine direkte persönliche Nachricht von der Grubenleitung.

Keine Nachricht von ihm? Ich verstehe nicht. Bleibt nur die Erklärung, dass es gutsteht.

Er trat zum Tisch und ergriff das Telefon.

»Keine Post für mich?«

»Soeben, Herr Uhlenkort, zwei Telegramme.«

Noch bevor er den Hörer ablegte, warf das pneumatische Rohr zwei Telegramme auf den Schreibtisch.

Er riss das Erste auf, warf es zur Seite.

»Nichts!«

Er öffnete das Zweite:

Spitzbergen, den 18. 3. Uhlenkort, Timbuktu. Keine Gefahr. 89.

Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ er sich in den Schreibtischsessel fallen.

Von ihm selbst. Von J. H.! Gott sei Dank!

Er ließ das Telegramm fallen und griff nach dem anderen:

New York, den 17. 3., Zentralbüro Pinkerton. Erste Auskunft überholt. Angefragte nicht Timbuktu, sondern Kapstadt, Zirkus Briggs.

Er faltete das Telegramm zusammen und zog seine Brieftasche. Dabei fiel sein Auge auf zwei Schriftstücke, die ebenfalls den Kopf Pinkerton trugen.

Ein Telegramm: Angefragte mit Zirkus Webster, Timbuktu.

Er ließ es fallen. Das zweite Schreiben in engster Typenschrift:

Angefragt Miss Christie Harlessen kam von Colon am Kanal mittellos nach Milwaukee. Verwandte mütterlicherseits, die sie dort aufsuchen wollte, waren gestorben. Traf dort einen Reiter des Zirkus Webster, der früher auf der Hazienda ihres Vaters am Kanal Cowboy war. Rat- und mittellos nahm sie dessen Vorschlag an und trat in das Ensemble von Zirkus Webster ein. Ihre außerordentliche Reitkunst, auf der Hazienda des Vaters von Jugend auf erworben, bot die geeignete Grundlage für ihren neuen Beruf. Ihre großartigen Leistungen machten sie in kurzer Zeit zu einer ersten Attraktion des Zirkus. Zirkus Webster ging von Milwaukee nach Philadelphia. Weiter nach Boston. Hat die Absicht, nach Afrika überzusetzen.

Walter Uhlenkort öffnete ein anderes Fach seiner Brieftasche und entnahm ihm eine kleine Fotografie. Mit einer Miene des Bedauerns und der Teilnahme betrachtete er das Bild.

Ein junges und doch ausdrucksvolles Gesicht.

Echter Harlessen-Typ. Dem Bild der Urahne Harlessen, der schönen Christiane, wie aus dem Gesicht geschnitten.

Armes Mädel! Schlimmes Schicksal für eine Harlessen … Zirkusreiterin! Eine Tochter des Hauses Harlessen, dessen Chef zurzeit europäischer Staatspräsident ist.

Wie konnte das geschehen? Alte Erinnerungen, alte Familiengeschichten gingen Walter Uhlenkort durch den Kopf.

Mit einer Handbewegung verjagte er die Gedanken.

Wir werden sehen. Sie ist in Kapstadt. Dort werde ich sie sehen und sprechen, in Kapstadt … aber erst – er warf einen Blick auf die Wanduhr –, erst die Feier in Mineapolis. Es ist Zeit, zu unserem Gesandten zu gehen.