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Die Flusspiraten des Mississippi 13

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

13. Die Verfolgung

Die Männer schritten vorsichtig den Bach hinauf, der alte Lively und Cook mit Bohs am westlichen oder linken Ufer von der Quelle aus, und James und Hawes am östlichen, den Bergen am nächsten. Bohs schien übrigens jeden Gedanken an Jagd aufgegeben zu haben. Immer wieder von Neuem angetrieben, Fährten und Spuren zu suchen, wo kein Zeichen irgendeines lebendigen Wesens zu finden war – kleinere Wildfährten ausgenommen, die er aber gründlich verachtete -, und noch dazu in einer Gegend, in der sich größeres Wild nie aufhielt, hatte er jede Lust an der Sache verloren, ließ den Schwanz hängen und schlenderte verdrossen hinterdrein.

»Auf den Hund dürfen wir nicht weiter rechnen«, sagte endlich Hawes zu James, als er mit diesem über Felsblöcke hinweggeklettert war und nun von einer etwas vorragenden Bergspitze zu den beiden anderen Männern und Bohs hinüberblickte. »Er sieht gerade so aus, als ob er eben einschlafen wollte.«

»Lasst uns nur das geringste Verdächtige finden«, erwiderte James, »und er ist wieder Feuer und Flamme. Mit uns Menschen ist es ja auch so. Bei erfolgloser Jagd werden wir müde und matt, haben aber in dem Augenblick jedes Gefühl von Schwäche vergessen, wo wir nur Laub rascheln hören oder gewisse Anzeichen von der Nähe der ersehnten Beute finden. Das ist mir ja schon tausendmal selber begegnet.«

»Ich begreife aber wirklich nicht, wo wir etwas Verdächtiges finden sollen«, brummte Hawes. »Hier könnte eine ganze Armee marschiert sein, in den umhergestreuten Steinen und Felsstücken wäre es nie möglich, eine Spur zu erkennen.«

»Meinen Sie?«, fragte James, und ein Lächeln zuckte um seine Lippen.

»Ja, ja, im Wald sind die Herren aus der Stadt gewöhnlich so unbeholfen, wie …«

»… die Herren aus dem Wald in der Stadt«, ergänzte Hawes spöttisch, mit einem etwas boshaften Seitenblick. James mochte auch fühlen, dass er recht hatte, denn er wurde feuerrot, warf aber die Büchse, über deren Kolben seine linke Hand lag und sie in Gleichgewicht hielt, auf die andere Schulter und zeigte vor sich nieder.

»Für was halten Sie das hier?«

»Das?«, sagte Hawes und beugte sich zu der bezeichnten Stelle aufmerksam nieder. »Das? Ei nun, das ist gar nichts als etwas Laub und sehr viele Steine, mit ein paar spärlichen Grashalmen dazwischen.«

»Und doch ist vor kaum einer Viertelstunde ein Hirsch zwischen eben diese Steine getreten«, erwiderte James.

»Aber woran sehen Sie das? Ich kann auch nicht das Geringste erkennen, das eine solche Vermutung bestätigte.«

»Wirklich nicht?«, fragte der Jäger. »So will ich Ihnen hier den Beweis geben, dass wir eine solche Verfolgung nicht unternommen haben, ohne imstande zu sein, sie durchzuführen. Sehen Sie, wie der eine kleinere Stein hier etwas zur Seite geschoben ist? Zwar nur ein wenig, der schmale Streifen lässt sich aber deutlich auf dem feuchteren Grund erkennen. Dort gerade an dem grauen Moos hat die Schale gescheuert, und hier unten ist auch noch zum Überfluss der Eindruck der Spitze. Aber – was ist das? So wahr ich lebe …«

»Nun?«, fragte Hawes erstaunt, »was sehen Sie denn da Besonderes auf der Steinplatte? Wenn der Bursche keine Meißel unter den Füßen gehabt hat, so kann er doch dort unmöglich eine Spur hinterlassen haben.«

»Habt ihr etwas gefunden, James?«, rief Cook von drüben herüber. »Kommt her und seht selber«, erwiderte dieser, »hier ist etwas, das auf jeden Fall Beachtung verdient.«

Wenig später waren Cook und Lively an seiner Seite und blickten forschend und gespannt umher.

»Wann hat es zum letzten Mal geregnet?«, fragte James.

»Vorgestern Abend«, sagte der Greis.

»Und glaubt Ihr, dass sich seit vorgestern Nacht dieses Wasser hier auf dem Stein gehalten haben könnte?« fuhr James fort und deutete auf die Felsplatte dicht von ihm. »Hätte der Wind dies hier nicht schon lange trocknen müssen?«

»Der Wind kann ja einen großen Teil des Wassers ausgetrocknet haben«, wandte Hawes ein, »und das, was wir hier sehen, sind nur noch die Überreste.«

»Nein, das ist nicht möglich!«, rief der alte Lively, »gerade hier ist dieser Stein etwas abschüssig, und der Regen hätte ablaufen und sich hier unten sammeln müssen, diese Stelle aber ist trocken. Bei Gott, wir sind auf der rechten Spur!«

»Ja, wahrhaftig!«, rief Cook erfreut, »das muss die Stelle sein, wo der Flüchtling den Bach verlassen hat und das von seinen Füßen abträufelnde Wasser noch nicht Zeit hatte zu trocknen.«

»Das war mein erster Gedanke«, bestätigte James, »und nun, Cook, lasst uns sehen, ob Bohs auch nur einen Pflaumenkern wert ist. Wir sind die ganze Nacht umhergerannt, und er muss wissen, dass wir etwas suchen. Bringt ihn also auf die Spur und seht, was er sagt.«

»Bohs«, rief Cook den Hund an, »Bohs – komm her. Alten was hältst du von der Fährte hier? Such, mein Hund, such und nimm dich zusammen, mein Bursche.«

Bohs gehorchte zwar der Aufforderung, schien aber sonst wenig Lust zu haben, sich weiter zu bemühen. Seine Meinung war in dieser Nacht schon zu oft befragt worden, als dass er darin etwas besonderes Ehrenvolles oder Außerordentliches hätte sehen können. Schwerfällig und langsam kletterte er auf die Felsplatte hinauf, ohne sich auch nur die Mühe zu nehmen, die Nase auf den Boden zu halten.

»Nun seht das faule Vieh an!«, rief James unwillig. »Mich wundert es nur, dass der Köter überhaupt noch die Beine hebt. Ich legte mich doch lieber gleich nieder und – ha – jetzt wittert er etwas.«

Bohs war in der Tat plötzlich stehengeblieben, spitzte die Ohren, blickte schnell nach rechts und links. Als er noch einmal den Stein, auf dem er stand, berochen hatte, sträubten sich seine Haare. Er knurrte leise und schaute, mit dem Schwanz wedelnd, zu seinem Herrn auf.

»Das muss ein Wolf gewesen sein«, sagte James unmutig.

»Ein Wolf oder ein Schwarzer!«, rief Cook, »er zeigt beide auf gleiche Art an.«

»Ein Schwarzer? Dann wahrhaftig ist es der vom Fourche la fave entflohene Mulatte, und er soll uns nicht mehr entgehen. Zum Henker mit ihm, es ist Zeit, dass wir ihm das Handwerk legen. Was sagt der Hund?«

Bohs sah mit seinen klugen Augen fragend zu dem Herrn empor, und als dieser ihm schmeichelnd den breiten Nacken streichelte und ihn ermunterte, der Spur zu folgen, wedelte er aus Leibeskräften mit dem Schwanz, um vor allen Dingen seine unbedingte Bereitwilligkeit auszudrücken, dem Befehl Folge zu leisten. Dann aber wies er knurrend die Zähne, ging ein paar Mal mit majestätischen Schritten um den Stein herum und stieg nun, die Nase dicht am Boden, langsam den steilen Bergrücken hinauf.

Cooks Jagdruf brachte den Sohn mit den Pferden zur Stelle und feuerte zugleich Bohs an. Die Männer sprangen in die Sättel, und fort ging es dem Hund nach, der nur anfangs manchmal stehenblieb, um die Jäger auch nachkommen zu lassen. Kaum sah er diese aber beritten, als er mit fröhlichem, halblautem Gebell einige seltsame Luftsprünge ausführte und dann schnell und sicher voranlief.

Die Reiter blieben, da der Wald hier nicht sehr dicht war, dicht hinter ihm, und Bohs, der zuerst in gerader Linie den Berg hinaufklomm, folgte einem Pfad, der sich, von Nordwest nach Südost laufend, aus dem Inneren des Landes kommend, zum Mississippi hinabzog. Hawes wollte nun hiergegen Einwendungen machen und behauptete, der Hund müsse sich irren, der Flüchtling sei gewiss eher waldeinwärts als zu dem ziemlich dicht besiedelten Flussufer geflohen. Cook dagegen meinte lächelnd, er solle seinen Hund nur laufen lassen, der wisse, was er wolle. Das geübte Auge des Waldbewohners hatte indessen selbst schon auf weicheren Stellen des Bodens mehrere Fußstapfen gefunden, die unstreitig von dem Flüchtling hinterlassen waren und ihn ebenfalls nicht mehr über die von ihm genommene Richtung in Zweifel ließen.

Plötzlich verhielt Bohs, suchte rings auf dem Boden umher und schien dann die Männer erwarten zu wollen. Diese, die bis dahin weniger den Hund als den Wald selbst im Auge behalten hatten, um womöglich irgendetwas zu erspähen, langten bald an der Stelle an, wo der Rüde unschlüssig zu werden schien, und fanden hier die deutlichen Spuren eines noch nicht lange verlassenen und nur flüchtig benutzen Lagers. Ein kleines Feuer hatte hier gebrannt, und herumliegende Federn und Knochen bewiesen deutlich genug, dass hier ein Truthahn überrascht, erlegt und auch teilweise gleich verzehrt worden war.

»Beim Himmel, der hat es sich hier ordentlich bequem gemacht!«, meinte Cook lachend. »Dass wir aber den Schuss nicht gehört haben.«

»Wer weiß denn, wie weit der Vorsprung des Burschen ist«, erwiderte James. »Das Braten muss ihn aber jedenfalls aufgehalten haben. Er kann gar nicht glauben, dass es irgendjemandem eingefallen ist, ihm zu folgen. Nur vorwärts jetzt, wir dürfen die Zeit nicht wieder durch Gaffen und Plaudern vergeuden. Bohs wird ebenfalls ungeduldig.«

James hatte recht, Bohs saß neben der Feuerstelle, blickte winselnd zu seinem Herrn auf und scharrte vor Ungeduld bald mit der rechten, bald mit der linken Vorderpfote.

Cook war aber abgestiegen und rief, als er den Boden mehrere Minuten lang aufmerksam betrachtet hatte: »Hier sehe ich Spuren und möchte mein Pferd gegen ein Kaninchen wetten, dass sie von zwei Menschen herrühren. Die eine ist die breite Fährte eines Schuhs, die andere der leichte runde Eindruck eines Mokassins. Der Schuh hinterlässt deutliche Abdrücke. Sind die beiden auf dem Bergrücken geblieben, wo sie allerdings am schnellsten fortkommen könnten, so brauchen wir den Hund gar nicht mehr, dem Schuh folge ich mit bloßen Augen.«

Er hatte auch in der Tat nicht zuviel versprochen. Wieder im Sattel, ritt er, etwas vorgebeugt und den Blick fest auf den Boden geheftet, rasch voran, und da Bohs nun ebenfalls wieder eifriger suchte, so schien ihre Verfolgung Erfolg zu versprechen. Trotz des Aufenthalts mussten die Flüchtlinge aber doch keine weitere Zeit verloren haben, denn eine volle Stunde waren ihnen die Verfolger, und zwar in ziemlich scharfem Trab, auf den Fersen geblieben, ohne dass sie auch nur das Geringste entdeckt hätten, als Bohs plötzlich stehenblieb, die Ohren spitzte, den Schwanz in die Höhe stellte und mit leisem Knurren andeutete, dass er etwas sehr Verdächtiges bemerkt hatte.

Die Reiter hielten ihre Tiere augenblicklich an und spähten umher.

Da presste Cook seinem Pferd wieder die Hacken in die Flanken, stieß den Jagdschrei aus und rief den Gefährten zu: »Dort laufen sie – vorwärts und fangt sie, tot oder lebendig!«

»Hurra!«, jubelte James, »jetzt will ich doch einmal sehen, ob ich mir meine Kugeltasche nicht wiederholen kann, die Pest über die Schurken – hallo, wie sie auskratzen – hupi!«

Im vollen Rennen flogen die Pferde über den rauhen, steinigen Boden dahin, und wenn auch Hawes nicht an solche Hetzen gewöhnt sein mochte, so ließ ihm schon das Tier, das er ritt, gar keine Zeit zu langen Betrachtungen. Im Gegenteil, es versuchte fortwährend, und zwar keineswegs zum Vergnügen seines Reiters, an der Spitze zu liegen. Er merkte jedoch bald, dass es unmöglich war, sein Pferd zu zügeln. Wie die wilde Jagd brausten die Reiter mit klappernden Hufen dahin, und mit jedem Augenblick näherten sie sich mehr und mehr den Flüchtigen.

 

Dort, wo die Verfolger auf die Spuren eines kleinen Feuers gestoßen waren, hatte Cotton, der es nicht für möglich gehalten, dass sie aufgespürt werden könnten, einen wilden Truthahn erlegt und schnell in einzelne Stücke geteilt und gebraten, um wenigstens nicht, durch Hunger entkräftet, an schnellerer Flucht gehindert zu werden. Cotton wäre auch hier gern eine Zeitlang liegengeblieben, da er sich mit der guten, durch die Keckheit des Mulatten gewonnenen Büchse fast sicher fühlte. Davon wollte aber Dan nichts hören, und er drängte so ungestüm in ihn und redete soviel von der Gefahr, der sie hier ausgesetzt seien, dass Cotton endlich auch einzusehen begann, dass sie diesseits des Mississippi nicht lange mehr verweilen durften.

Als sie vom Bach aus den Berg erstiegen hatten, befanden sie sich gerade über Livelys Haus. Einen links abzweigenden Abstieg hatten sie dann, da sie mit dem Wald hier nicht vertraut waren, für den gehalten, der nach Helena hinführte, und waren ihm gefolgt. Dieser Abstieg aber beschrieb einen Halbkreis nach Norden zu und endete im Sumpf. Wären die beiden Männer nicht verfolgt worden, dann hätte ihnen jener Sumpf auch keine großen Schwierigkeiten machen können, denn es gab dort eine Abzweigung, auf der sie in kaum einer Stunde an das Ufer des Mississippi gelangen konnten, der hier einen Bogen in das Land hinein machte. Cotton jedoch glaubte, sie hätten die Richtung nach Helena genommen, schlug also den größten Teil des Truthahns in seine wollene Decke, teilte den anderen mit Dan, um ihn unterwegs zu verzehren, und brach, gefolgt von dem Mulatten, auf. Dieser, weit weniger sorglos als sein weißer Begleiter, spähte ängstlich umher, ob ihnen von irgendeiner Seite Gefahr drohe.

»Wir hätten doch lieber, wie es gleich meine Absicht war, die Pferde mitnehmen sollen«, brach er endlich das Schweigen. »Jetzt wären wir längst am Mississippi.«

»Und hätten Spuren hinterlassen, denen sie bei Nacht und Nebel imstande wären zu folgen«, brummte Cotton. »Nein, so ist es besser; über­dies denke ich, gehen wir über den Fluss hinüber, und dort wird sich schon Gelegenheit finden, ein paar gute Tiere zu erwischen. Nun? Was hast du wieder Gift und Tod, du bist ja heute wie ein altes Weib. Alle Augenblicke bleibst du stehen, horchst und siehst aus wie verdorbenes Bier. Was gibt es denn, in des Teufels Namen!«, rief der Verbrecher, nun selbst unruhig, als er den Ausdruck des Entsetzens auf dem Gesicht seines Gefährten sah.

»Hört Ihr nichts, Massa Cotton?«, fragte Dan flüsternd.

»Was denn? Was soll ich hören? So tu doch das Maul auf! Was soll ich hören?«

»Hufschläge!«

»Hufschläge? Unsinn!«, entgegnete der andere zornig, aber unwillkürlich sah er sich scheu um. »Aus welcher Richtung?«

Der Mulatte legte sich, ohne die Frage zu beantworten, auf die Erde und presste das eine Ohr fest an den steinigen Boden. Im nächsten Augenblick sprang er hoch und rief: »Fort, fort, bei allem, was lebt, wir werden verfolgt!« Ohne eine Zustimmung seines Gefährten abzuwarten, floh er in langen Sätzen den Abhang hinunter. Cotton, der sich nicht einmal die Zeit nahm, die Richtigkeit dieser Befürchtung selbst zu prüfen, lief, so schnell er konnte, hinterher. Dans Entdeckung sollte aber auch nur zu bald bestätigt werden, denn das Geräusch, welches die durch das Dickicht brechenden Verfolger machten, wurde immer deutlicher, immer lauter, und nun konnte Cotton sogar, als er einen schnellen Blick zurückwarf, die Männer erkennen, wie sie frohlockend heranstürmten und in wenigen Minuten ihre Opfer einholen mussten.

Cotton erkannte die große Gefahr, wusste aber auch im selben Moment, dass die einzige Hoffnung für ihn darin liege, die Aufmerksamkeit der Verfolger zu teilen. Wenig kümmerte es ihn dabei, ob sie den Mulatten erwischten oder nicht, wenn er nur seine eigene Haut in Sicherheit bringen konnte. Als Dan jetzt wenige Schritte vor ihm, am Rand einer schroff abfallenden Terrasse, hinfloh, sprang er diese plötzlich mit kühnem Satz hinunter, drängte sich durch ein dichtes Gewirr von Kastanienbüschen und Hickorys und glaubte so, die Verfolger von seiner Spur abgebracht zu haben. Das wäre ihm vielleicht gelungen, denn kein Pferd hätte ihm folgen können. Cooks scharfe Augen hatten aber schon seine Büchse auf des Flüchtigen Schulter und in diesem den berüchtigten Cotton erkannt. Mit jedem Zollbreit Boden vertraut, setzte er also gleich da, wo er sich befand, den Hügel hinab, um jenem den Weg abzuschneiden, und Hawes, der seinerseits ebenfalls mehr Interesse an dem Weißen als an dem Mulatten nahm, folgte dem kühnen Jäger, so schnell es ging.

Nun war der Weg, den Cotton eingeschlagen hatte, allerdings so wild verwachsen, dass er für ein Pferd fast unzugänglich schien. Cook aber, von Jugend auf an Bärenhetzen gewöhnt, sah in diesem Ritt gar nichts Außerordentliches und folgte dem Flüchtling unter völliger Nichtachtung der Gefahren, die Hawes mehrere Male dazu brachten, sein Pferd scharf einzuzügeln. Das half ihm aber gar nichts. Die beiden Tiere schienen einen Wettlauf machen zu wollen, und alles, was ihm zu tun übrig blieb, war, sich im Sattel zu halten.

Cotton hatte, durch die Unebenheit des Bodens begünstigt, einen kurzen Vorsprung gewonnen. Nun aber, wo ein etwas offeneres Gelände den Pferden Vorteile gewährte, schien sich seine Flucht ihrem Ende zu nähern. Cook, ihm dicht auf den Fersen, rief ihm schon zu, sich gutwillig zu ergeben, oder er würde wie ein Wolf über den Haufen geschossen werden.

Dabei hatte der Jäger die größte Mühe, Bohs zurückzuhalten, der sich immer und immer wieder auf den Flüchtigen werfen und ihn fassen wollte. In dessen Hand blitzte aber der scharfe Stahl, und Cook wusste recht gut, dass sein wackerer Hund verloren gewesen wäre, hätte er sich dem Verzweifelten auf Armeslänge genähert. Aber auch Cotton fürchtete nicht die Büchse des Verfolgers, denn diesem blieb ja keine Zeit zum Halten, viel weniger zum Zielen. Das Pferd kam ihm aber mit jedem Sprung näher, und er sah, dass er in wenigen Sekunden gefangen sein müsse, wenn er nicht, das eigene Leben zu retten, das des Verfolgers nehmen konnte.

Kaum drei Pferdelängen waren die beiden noch voneinander entfernt, da wandte sich der Flüchtige plötzlich um. Die Büchse fuhr mit Blitzesschnelle hoch, und Cooks Leben schien verfallen, denn Cotton war ein ausgezeichneter Schütze. Die rasche Flucht aber hatte sein Blut in Aufregung gebracht, große Schweißtropfen perlten ihm Stirn und Wangen hinunter und trübten seinen Blick. Wohl richtete sich das tödliche Rohr auf den Herbeisprengenden, aber die zitternde Hand vermochte es nicht mehr fest und sicher zu halten, es schwankte hin und her, und als der Finger den Hahn berührte, zischte die Kugel harmlos an der linken Schläfe des Jägers vorüber und durchbohrte noch den Hut des ihm dicht folgenden Hawes.

Ein wildes, herausforderndes Triumphgeschrei von Cooks Lippen verriet, wie erfolglos der Schuss gewesen war, und noch einmal wandte sich der Verfolgte zur Flucht. Der Augenblick aber war gekommen, wo sich sein Schicksal entscheiden musste. Cook versuchte zwar zu schießen, sah aber ein, wie zweifelhaft im Augenblick ein Schuss sein musste. Er ergriff also die Büchse am Lauf, hob sie hoch und holte schon zum gewaltigen und für den Flüchtigen dann auf jeden Fall verderblichen Schlag aus. Da blieb sein Pferd mit den Vorderbeinen an einer Weinrebe hängen, tat noch, um sich loszureißen, einen Sprung nach vorn, stürzte aber nieder und schleuderte Cook, der in diesem Moment gar nicht auf sein Tier geachtet, sondern nur den Feind im Auge behalten hatte, mit der schon geschwungenen Waffe neben den rasch zur Seite springenden Verbrecher nieder.

Das Blatt hatte sich für den Jäger traurig gewandt, denn er war in der Hand eines verzweifelten Feindes. Als sich Cotton aber rasch gegen Cook wandte und den ihn grimmig angreifenden Hund abwehren wollte, kam, allerdings keineswegs in einer Absicht, die Cotton fürchten musste, Hawes herangesprengt. In diesem musste der Verbrecher aber einen neuen Verfolger sehen; seine Kräfte waren jedoch erschöpft. Kaum vermochten ihn die Füße noch zu tragen, und nur der Trieb der Selbsterhaltung hielt ihn aufrecht. Er schleuderte seine leergeschossene Büchse mit verzweifelter Kraft gegen den heulend zurückfahrenden Hund, ergriff die, welche dem gestürzten Reiter entfallen war, sprang einen ziemlich steilen, von rollenden Steinmassen übersäten Abhang hinab, sah unten, dass ihm der zweite Reiter nicht folgte, und floh nun noch einmal, jetzt aber mit besserer Aussicht auf Rettung, das letzte Stück des Berges hinunter in das sumpfige Talland hinein.

Durch Cottons Flucht waren zwar auch zwei Verfolger von Dans Fersen genommen, er aber zögerte nichtsdestoweniger unschlüssig, ob er versuchen sollte, allein weiterzufliehen oder dem weißen Gefährten zu folgen, mit dem er ja noch keinen Platz verabredet hatte, an dem sie sich, falls sie getrennt würden, wiedertreffen wollten. James ließ ihm aber nicht lange Zeit zum Besinnen. Die Hufe eines wackeren Pferdes rasselten über die scharfen Steine heran, und mit einem »Hurra, du Schuft, jetzt bist du mein!« flog er heran.

Instinktmäßig wandte sich der Mulatte wieder zur Flucht, mehrere quer über den Weg gestürzte Fichten hemmten aber gleich darauf seinen Lauf, und wenn er sie auch in wilder Hast übersprang, so boten sie doch dem nachstürmenden Pferd fast kein Hindernis. Im kecken Satz flog dieses darüber hin, und als der Unglückliche den Blick wandte, sah er seinen Verfolger kaum zwanzig Schritt hinter sich.

Da fiel, weiter unten am Abhang des Hügels, ein Schuss, dort entschied sich vielleicht für seinen Gefährten der Sieg. Das blieb auch seine letzte Hoffnung. Nur zwei der Feinde waren hinter ihm, noch hatte er Möglichkeit, diese durch entschlossene Gegenwehr zurückzuhalten. Rasch sprang er also ein paar Schritte zur Seite, auf eine hochwüchsige Fichte zu, und hier, seine Pistole im Anschlag, blieb er stehen und rief mit vor Anstrengung und innerer Erregung fast erstickter Stimme:

»Zurück! Wer noch einen Schritt näher kommt, ist ein Kind des Todes!« Vater wie Sohn hatten lange genug in den Wäldern gelebt, um nicht an der Wahrheit dieser Drohung zu zweifeln. Beide wussten aber auch jetzt, dass ihr Opfer gestellt war und nicht weiterkonnte. Sich aber ganz sinnlos als Ziel preiszugeben, fiel keinem von ihnen ein. Noch aus den indianischen Kriegen her hatten sie sich auch deren Taktik angeeignet, und so wendeten sie schnell ihre Pferde, sprangen aus den Sätteln, und jeder glitt ebenso rasch hinter den ihm nächsten Stamm, um sowohl gegen die feindliche Kugel gedeckt zu sein, als auch jede Bewegung des Mulatten überwachen zu können.

Dan nun, der vielleicht glaubte, diesen Augenblick nutzen zu können, um wieder einen kurzen Vorsprung zu gewinnen, wollte, als er kaum die Männer absitzen sah, rasch hinein ins Dickicht fliehen. Es war aber gut, dass er noch einmal einen Blick zurückwarf, denn schon war des alten Lively Büchse auf ihn gerichtet, und fast unwillkürlich warf sich der Mulatte schnell auf den Boden nieder, um der tödlichen Kugel zu entgehen.

»James!«, rief der Alte hinter seinem Baum hervor, »der Schuft hält sich gut versteckt. Ich kann nur die Mündung seiner Pistole sehen. Wenn du imstande bist, ihn irgendwo an den Beinen zu erwischen, dann tu es, aber – hab acht auf dich.«

»Nur keine Angst, Vater«, erwiderte der Sohn, »er kann nicht auf mich anlegen, denn ich habe ihn schon vor der Büchse, und wenn er sich nur einen Zollbreit hervorwagt, bekommt er eine Kugel.«

Kurze Zeit verharrten die drei Männer in ihrer Stellung, denn auch die beiden Livelys hatten den Schuss am Berghang gehört und wollten nun, ohne das eigene Leben irgendeiner nutzlosen Gefahr auszusetzen, erst einmal abwarten, welches Resultat Cooks Verfolgung gehabt hatte, ehe sie selbst etwas Entscheidendes unternähmen. Dass ihnen der Mulatte nicht mehr entgehen konnte, wussten sie recht gut, und James stieß jetzt seinen lauten Jagdschrei aus, der auch nicht lange ohne Erfolg blieb. Die Büsche knackten in jener Richtung, nach welcher Cotton geflohen war, und Hawes sprengte auf seinem schäumenden Pferd durch das Dickicht.

Dan hörte ebenfalls das Geräusch und beugte sich etwas vor. Da berührte des alten Lively Finger den Abzug, und der Schuss dröhnte durch den Wald. Nun hatte Lively aber keineswegs auf den Mulatten selbst gezielt, sondern nur ein am Stamm locker hängendes Stück Rinde aufs Korn genommen, um den Flüchtling zu erschrecken und zur Aufgabe zu zwingen. Dieser aber, der wahrscheinlich glaubte, dass er sich durch seine Bewegung irgendeine Blöße gegeben hätte, oder auch vielleicht von der abspringenden Rinde berührt wurde, sprang unwillkürlich rasch nach vorn und vergaß dabei ganz, dass ihm von James Unheil drohen könnte. Blitzschnell richtete dieser auch die Büchse auf Dan und schoss. Der Mulatte stürzte, durch den Schenkel getroffen, schreiend zu Boden.

Diese Wunde war jedoch keineswegs gefährlich, sie hatte nur den Zweck, den Mulatten an einer weiteren Flucht zu hindern. Jetzt aber sprengte mit wildem Schreien, die blonden Haare wild um die Schläfe flatternd, den feinen Tuchrock durch Dornen und Sträucher zerrissen, die Flinte hoch erhoben, Hawes auf den Schauplatz, warf sich neben den verwundeten Mann vom Pferd und schlug ihm auch schon im nächsten Moment den schweren Kolben auf den Kopf. Damit keineswegs zufrieden, holte er aufs Neue aus, schon aber hatte auch James den Platz erreicht und warf sich ihm entgegen.

»Halt, Sir, halt, sage ich! Ist das bei Euch Sitte, einen Menschen zu misshandeln, wenn er verwundet am Boden liegt?«

»Die Pest über den Schuft!«, schrie mit heiserer Stimme Hawes und versuchte sich von dem jungen Mann loszumachen. »Lasst mich dem Buben den Schädel einschlagen, Mann, oder wollt Ihr einen von der Bande entkommen lassen, während Euer Freund unten in der Schlucht erschossen liegt?«

»Was? – Cook?«, rief James entsetzt und ließ den Arm des Bösewichts frei, der rasch wieder die schwere Waffe hob, um den Schwerverletzten zu töten. Indessen war aber auch der alte Lively, der nicht so flink mehr auf den Füßen war wie sein Sohn, herangekommen, riss ohne Weiteres dem Wütenden die Flinte aus der Hand, warf sie weit von sich, trat dann vor den bewusstlosen Mulatten und rief ärgerlich: »Zum Teufel, Sir! Wenn Ihr mit Gentlemen auf die Jagd reitet, so betragt Euch wie ein Gentleman. Der Gefangene hier ist unser, und wir wollen ihn schon deshalb lebendig behalten, um über manches, was hier in der Gegend gestohlen wurde, Aufschluss zu erhalten.«

»Sein Komplize hat aber den Mann Eurer Tochter ermordet«, rief Hawes dagegen.

»Der kommt da eben über den Hügel heran«, erwiderte der Alte ruhig. Und in der Tat kam auch Cook, der den Schuss gehört hatte, zu Fuß und mit blutender Stirn, seine Büchse in der Hand, über den niedrigen Hügelkamm, der sich hier wellenförmig nach Nordwesten hinaufzog. Cook wollte jetzt aber vor allen Dingen wissen, weshalb Hawes ihm nicht besser beigestanden und Cotton mit seiner Schrotflinte wenigstens in die Beine geschossen habe. Hawes behauptete dagegen, viel zu weit entfernt gewesen zu sein, und sagte, er hätte Cook schon tödlich verwundet geglaubt.

»Dann war es allerdings recht freundlich, mich so allein liegenzulassen«, brummte Cook. »Doch wahrhaftig, dort liegt der Mulatte! Ist er tot?«

Mit wenigen Worten erzählte er dann den Hergang seiner Verfolgung und wie unglücklicherweise im entscheidenden Moment sein Pferd gestürzt sei. Weiter nachzusetzen blieb nutzlos, da Bohs wohl der Spur eines Mulatten, keineswegs aber der eines Weißen gefolgt wäre, wenn er noch überhaupt hätte laufen können. Der Schlag nämlich, den der Flüchtling gegen ihn geführt, als er ihn anspringen wollte, hatte Schulter und Rückgrat getroffen, sodass er, wenn ihm auch vielleicht kein Knochen beschädigt war, doch kaum mehr von der Stelle konnte und mit offensichtlicher Anstrengung hinter seinem Herrn herhinkte.

Die Männer beschlossen, den Mulatten mit nach Hause zu nehmen, da die Farm auf jeden Fall näher als Helena lag, und dort das Weitere zu bereden.

James’ Kugel war Dan durch den rechten Oberschenkel gegangen, und er blutete stark. Der Kolbenschlag schien aber viel gefährlicher für ihn geworden zu sein, denn sein rechter Arm, den er der niederschmetternden Waffe entgegengehalten hatte, war dicht über dem Handgelenk gebrochen, und aus dem schwarzen Wollhaar an der rechten Seite seines Kopfes quoll auch Blut hervor. Der alte Lively verband ihn nun zwar, so gut es gehen wollte, der Mulatte gab aber kein Lebenszeichen von sich. Nur das schwache Schlagen seines Herzens verriet noch, dass er lebte. Sie konnten ihn nicht anders transportieren als nur auf zwei Satteldecken, die sie zwischen die Pferde Cooks und des alten Lively ausspannten und so eineArt Trage bildeten, mit der sie, freilich nur sehr langsam, über den rauhen Boden vorwärtskamen.

James jedoch erklärte, den entflohenen Weißen dieses Mal nicht so leichten Kaufs davonzulassen, sondern auf seiner Fährte bleiben zu wollen, solange ihm das irgend möglich sei. Er bat also seinen Vater, ihn bei den Damen zu entschuldigen, da eine Sache von Wichtigkeit ihn abhalte, die nicht aufgeschoben werden könne, schulterte dann seine Büchse, warf sich auf sein Pferd und folgte, so rasch es ging, den Spuren Cottons. Dieser musste übrigens verwundet sein, da James an mehreren Orten Blutflecke fand. An einem Stein aber, wo er sich, wahrscheinlich keine Verfolger mehr fürchtend, verbunden hatte, hörten diese auf, und dem jungen Mann blieb es nun überlassen, da eine Spur zu erkennen, das Auge des Laien nur noch eine Wildnis gesehen haben würde, die nie ein menschlicher Fuß berührt zu haben schien.