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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Skalpjäger – Am Rio del Norte hinauf

Thomas Mayne Reid
Die Skalpjäger

Zweiter Teil
Erstes Kapitel
Am Rio del Norte hinauf

Ich will euch nicht mit der Erzählung der Trennungsszene quälen. Wir waren im Sattel, ehe die Sterne verblichen, und eilten auf dem sandigen Weg dahin.

In geringer Entfernung von dem Haus bog der Pfad in einen dichten, dunklen Wald ein. Hier ließ ich mein Pferd halten und meine Begleiter weiterziehen, während ich mich in meinem Steigbügel erhob und zurückschaute. Mein Blick schweifte über die alten grauen Mauern und suchte die Azotea. Am äußeren Rand der Brustwehr zeichnete sich der Gegenstand, nach welchem ich schaute, gegen das bleiche Licht des Morgens ab. Ich konnte die Züge nicht unterscheiden, aber ich erkannte leicht die ovalen Kurven der Gestalt, welche sich wie ein dunkles Medaillon gegen den Himmel abhob.

Sie stand bei einer von den Yucapalmen, welche auf der Azotea wuchsen. Ihre Hand ruhte auf ihrem Stamm, sie beugte sich vorwärts und blickte scharf in die Dunkelheit unter ihr hinaus. Vielleicht sah sie das Schwenken eines Taschentuchs, vielleicht hörte sie ihren Namen und wiederholte das Scheidegebet, welches ihr auf dem stillen Hauch des Morgens gesendet wurde. Wenn dem so war, so wurde ihre Stimme von dem Hufschlag meines feurigen Rosses unterbrochen, welches sich plötzlich schwenkte und mich in die düsteren Schatten des Waldes trug.

Ich ritt vorwärts, indem ich mich von Zeit zu Zeit umwendete, um noch einen Blick auf jene schönen Umrisse zu werfen. Aber von keinem anderen Punkt war das Gebäude sichtbar, es lag in dem dunklen majestätischen Wald begraben. Ich konnte nur die langen Bajonette der malerischen Palmillas sehen, und da unser Pfad jetzt zwischen den Hügeln hinabstieg, waren auch diese bald meinen Augen entschwunden.

Ich ließ den Zügel sinken und mein Pferd nach Belieben gehen, gab mich einer zugleich angenehmen und schmerzlichen Gedankenreihe hin.

Ich wusste, dass ich die Liebe meines Lebens eingesogen hatte, dass fortan alle meine Hoffnungen sich auf sie konzentrieren und aus ihr meine hohen Motive entspringen würden. Ich war vor Kurzem erst in das Mannesalter eingetreten und mit der Wahrheit nicht unbekannt, dass eine reine Liebe wie diese, der beste Führer für unsere nur zu leicht irrenden Naturen der beste Zügel zur Bändigung ihrer wilden Fantasien ist. Ich verdankte diese Kenntnis demjenigen, welcher mir meine frühesten Lehren gegeben, und da seine Erfahrung mir schon mehr als einmal gute Dienste geleistet hatte, glaubte ich ihm auch hierin: Seine Lehre hat sich seitdem an mir als wahr bewiesen.

Ich wusste, dass ich diesem jungen Geschöpf eine Leidenschaft eingeflößt hatte, die eben so tief und glühend, wie meine – vielleicht noch stärker mit ihrem Leben verwachsen war, denn mein Herz hatte andere Neigungen durchlebt, während das ihre nie von einer anderen als denen einer anmutigen Kindheit bewegt worden war. Sie hatte nie heftige Gefühle gekannt, die Liebe war ihre erste starke Empfindung – ihre erste Leidenschaft. Musste sie nicht unter diesen Umständen über alle anderen Gedanken im Reich ihres Herzens herrschen? Und dazu noch bei ihr, die so zur Liebe geschaffen, der romantischen Gottheit derselben so ähnlich war!

Diese Gedanken waren erfreulich. Aber das Bild verdüsterte sich, als ich mich zum letzten Mal nach ihr umgeblickt hatte, und ein gewisses Etwas, ein Dämon, flüsterte mir zu: »Du wirst sie vielleicht nie wiedersehen.«

Der Gedanke war selbst in dieser ungewissen Form hinreichend, um meinen Geist mit ungewissen Ahnungen zu erfüllen, und ich begann, meine Ideen auf die Zukunft zu richten. Ich ging zu keinem Vergnügungsausflug, von dem ich zu einer bestimmten Stunde wiederkehren konnte. Vor mir lagen Gefahren, die Gefahren der Wüste, und ich wusste, dass sie nicht von gewöhnlichem Charakter waren. Am vergangenen Abend hatte Seguin bei der Darlegung seiner Pläne die Gefährlichkeit unseres Zuges nicht verhehlt. Er hatte mich auf alles aufmerksam gemacht, ehe er mein festes Versprechen, ihn zu begleiten, forderte. Vor einigen Wochen würde ich sie nicht geachtet haben, sie hätten mich nur gelockt, ihnen entgegenzutreten. Jetzt aber waren meine Gefühle differenzierter Art, denn ich glaubte, dass in meinem Leben das einer anderen lag. Wie, wenn der Dämon die Wahrheit geflüstert hätte? Ich werde sie vielleicht nie wiedersehen! Es war ein peinlicher Gedanke. Ich ritt unter dem Einfluss seiner Bitterkeit im Sattel gebückt vorwärts.

Aber ich war wieder auf dem Rücken meines Lieblings Moro, der seinen Reiter zu kennen schien. Als sein elastischer Körper sich unter mir bewegte, antwortete mein Geist dem seinen und begann seine gewohnte Elastizität wieder anzunehmen.

Nach einiger Zeit nahm ich die Zügel, fasste sie kurz und sprengte meinen Gefährten nach.

Unser Weg führte flussaufwärts, ging in Zwischenräumen von Zeit zu Zeit durch seichte Furten und wand sich durch stark bewaldete Niederungen. Der Pfad war, wegen des dichten Gebüsches, ein mühsamer. Obwohl die Bäume dereinst, um einen Weg zu machen, umgehauen worden waren, erblickte man doch auf demselben, mit Ausnahme einer einzelnen Pferdespur, kein Zeichen, dass er in der letzten Zeit bereist worden wäre. Das Land schien wild und unbewohnt zu sein. Dies ergab sich aus der Häufigkeit, womit Hirsche und Antilopen über unseren Weg eilten oder dicht bei unseren Gefährten aus dem Gebüsch sprangen.

Hier und da entfernte sich unser Weg von dem Fluss, indem er seine zahlreichen Schlingen kreuzte. Mehrere Male kamen wir an Stellen vorüber, wo das starke Holz gefällt worden war und Lichtungen existiert hatten. Dies musste aber vor langer Zeit geschehen sein, denn das vom Pflug durchfurchte Land war jetzt mit verwachsenem und fast undurchdringlichem Dickicht bedeckt. Einige vermodernde Baumstämme oder zerbröckelnde Adobewände waren alles, was noch bezeugte, wo der Rancho eines Ansiedlers gestanden hatte.

Wir kamen an einer in Ruinen liegenden Kirche, deren alter Turm stückweise herabgefallen war, vorüber. Rund umher lagen Adobehaufen, welche auf Acker in der Runde den Boden bedeckten. Hier hatte ein blühendes Dorf gestanden. Wo waren die geschäftigen Bewohner? Eine wilde Katze sprang über die von Dornen umringten Mauern und entfloh in den Wald.

Eine Eule flog träge von der Kuppel auf und schwebte über unsere Köpfe, indem sie ihr klägliches Uhu ausstieß, welches die Verödung der Szene noch eindringlicher erscheinen ließ.

Als wir durch die Ruinen ritten, umgab uns eine Totenstille, die nur von dem Geschrei der Nachtvögel und dem Knarren der Pferdehufe auf den Backsteintrümmern, womit die verödete Straße bedeckt war, unterbrochen wurde.

Aber wo waren diejenigen, welche einst diese Wände von ihren Stimmen hatten widerhallen lassen? Wo diejenigen, welche in dem geweihten Schatten jenes einst geheiligten Gebäudes gekniet hatten?

Sie waren verschwunden. Aber wohin? Und wann? Und warum?

Ich stellte diese Frage an Seguin und erhielt darauf die kalte Antwort:

»Die Indianer!«

Es war der Wilde mit seinem roten Speer und Skalpiermesser, seinem Bogen und seiner Streitaxt, seinem Brand und seinen vergifteten Pfeilen gewesen!

»Die Navajo?«, fragte ich.

»Navajo und Apachen.«

»Aber kommen sie nicht mehr hierher?«

Mein Geist hatte sich plötzlich mit Besorgnis erfüllt. Ich dachte an die Nähe der Wohnung. Die wir nie verlassen hatten. Ich dachte an ihre unbewachten Mauern. Ich wartete mit einiger Ungeduld auf Antwort.

»Nicht mehr«, lautete die kurze Antwort.

»Und warum?«, fragte ich.

»Dies ist unser Gebiet«, antwortete er bedeutsam. »Sie befinden sich jetzt in einer Gegend, wo sonderbare Burschen leben, wie Sie sehen werden. Wehe dem Apachen oder Navajo, der sich in diese Wälder verläuft.«

Je weiter wir ritten, desto offener wurde das Land, und wir erblickten auf kurze Zeit hohe Klippen, die sich nördlich und südlich von beiden Seiten des Flusses entfernten. Stromaufwärts näherten sich diese Höhen einander, bis das Flussbett vollständig von einem Berg zugedämmt zu sein schien. Dies war aber nur Schein. Als wir weiter ritten, gelangten wir in eine von den furchtbaren Schluchten – Canyons, wie man sie nennt, – die man so oft an den Tafelländern des tropischen Amerika findet.

Durch diese schäumte der Fluss zwischen zwei mächtige, tausend Fuß hohe Klippen, deren Profile einem im Näherkommen wie zornige Riesen vorkamen, die von einer allmächtigen Hand getrennt und so einander gegenüber versteinert worden wären. Man blickte mit Ehrfurcht und Grausen auf diese ungeheuren Klippen und wurde von einem Schauder erfüllt, als ich mich dem Flusstor zwischen ihnen näherte.

»Sehen Sie jenen Punkt?«, fragte Seguin, indem er auf einen Felsen deutete, der über den höchsten Teil des Schlundes ragte. Ich antwortete bejahend, denn die Frage war an mich gerichtet.

»Das ist der Sprung, den Sie so gern getan hätten. Wir fanden Sie an jenem Felsen hängend.«

»Guter Gott!«, rief ich, als mein Blick auf der schwindelnden Klippe ruhte. Vor mir drehte sich alles im Kreis und ich musste weiter.

»Wenn Ihr herrliches Pferd nicht gewesen wäre«, fuhr mein Begleiter fort, »so würde der Doktor vielleicht jetzt hier anhalten, um über Ihre Gebeine Vermutungen anzustellen. Ho, Moro! Schöner Moro!«

»Ja, ja«, bestätigte der Botaniker, indem er mit einem Gefühl von Grausen, wie ich es selbst empfand, die Klippe hinaufschaute.

Seguin war neben mich geritten und klopfte meinem Pferde mit ausdrückender Bewunderung den Hals.

»Aber warum«, fragte ich, als die Erinnerung an unser erstes Gespräch sich mir aufdrängte. »Warum waren Sie so sehr begierig, davon Besitz zu erhalten?«

»Eine Caprice.«

»Kann ich Sie nicht verstehen? Ich glaube, Sie sagten damals, dass ich es nicht könne.«

»Jawohl, sehr leicht. Ich beabsichtigte, meine eigene Tochter zu stehlen und wollte zu diesem Zweck die Unterstützung Ihres Pferdes haben.«

»Aber wie?«

»Es war, ehe ich die Nachricht von dem beabsichtigten Zug unseres Feindes gehört hatte. Da ich nicht hoffen konnte, sie auf andere Weise zu erhalten, so war es mein Plan, allein oder mit einem erprobten Kameraden in ihr Land zu dringen und sie durch List zu entführen. Die Pferde der Indianer sind schnell, aber doch weit weniger flüchtig als die Araber, wie Sie vielleicht zu sehen Gelegenheit erhalten werden. Mit einem solchen Tier wie dieses würde ich wenigstens mäßig sicher gewesen sein. Ich beabsichtigte, mich zu entkleiden, und als einer ihrer eigenen Krieger in ihre Stadt zu dringen. Ich spreche schon seit langer Zeit ihre Sprache.«

»Es würde ein gefährliches Unternehmen gewesen sein.«

»Allerdings, es war eine letzte Zuflucht, und ich griff nur danach, weil alle andere Versuche jahrelang misslungen waren. Ich würde vielleicht dabei umgekommen sein. Es war ein tollkühner Gedanke, aber ich hatte mich zu jener Zeit vollkommen damit angefreundet.«

»Ich hoffe, dass es uns jetzt gelingen wird.«

»Ich habe die besten Hoffnungen. Es scheint, als ob die Vorsehung jetzt zu meinen Gunsten wirkt. Diese Abwesenheit derjenigen, welche sie gefangen halten – und überdies ist meine Schar jetzt gerade durch die Ankunft einer Anzahl von Trappern aus den östlichen Gegenden verstärkt worden. Die Biberhäute sind, wie sie es ausdrücken, auf ›ein Prümchen die Haut‹ gesunken, und sie finden, dass die Rothaut besser lohnt. Ich hoffe, dass dies bald vorüber sein wird.« Er seufzte bei den letzten Worten tief auf.

Wir befanden uns jetzt beim Eingang der Schlucht. Eine schattige Gruppe von Cottonholzbäumen lud uns zum Ausruhen ein.

»Hier wollen wir Mittag machen«, sagte Seguin.

Wir stiegen ab und befestigten unsere Tiere an ihre in den Boden angepflockten Lassos, setzten uns aufs weiche Gras und zogen unsere Speisen heraus, welche wir für unsere Reise erhalten hatten.