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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel I, Teil 4

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel I, Teil 4

Schon währten Diskussionen und Reden über anderthalb Stunden lang, und man debattierte um des Kaisers Bart, oder pour des prunes, wie die Franzosen sagen. Keinem der Redner schien es recht Ernst zu sein, und das Ganze drehte sich um die Zustimmung oder um die Nichtzustimmung einiger neuen Geldmittel für Algerien, als Thiers dem Kriegsminister zurief: »Hätte man es verstanden, seine Schuldigkeit zu tun, so hätte man dem Urheber all dieses Übels, dem Abdel-Kader, schon längst den Garaus gemacht, und wenigstens gefangen.« Diese Worte brachten ein großes Geschrei, zum Teil Lachen hervor, worauf die Debatten wieder ebenso lahm wurden, wie sie es vorher gewesen waren.

»Höre«, flüsterte jetzt Michel gähnend seinem Gefährten zu, »die Herren langweilen mich gewaltig. Sie kommen mir vor wie ein Haufen Schlafmützen, wenigstens ist ihr Gerede ganz zum Einschlafen gemacht.«

»Du hast recht, ich will Ihnen einmal die derbe, aber reine Wahrheit sagen.«

»Nach Belieben, schaden kann es nichts.«

Der Teufel ließ einen gellenden Pfiff hören. Alle Minister, Deputierten und Zuhörer sahen sich zu dem Ort um, wo der Pfiff hergekommen war.

»Mais c’est une infamie«, riefen mehrere Deputierte.

Und ein zweiter noch stärkerer Pfiff ertönte.

»Hinaus mit dem Unverschämten«, riefen jetzt viele Stimmen.

»Tut eure Schuldigkeit, Huissiers, und werft den pfeifenden Bengel zur Tür hinaus«, rief der Präsident und ließ seine Klingel ertönen, um den überhandnehmenden Tumult zu stillen.

»Man gebe sich keine unnötige Mühe«, ließ sich jetzt eine sehr vernehmbar kreischende Stimme hören, die von eben der Stelle herkam, wo man gepfiffen hatte. »Ich werde schon von selbst gehen, wenn es mir beliebt. Vorher aber seid ihr Herren so gut und hört einmal meine unmaßgebliche Meinung an. Ich weiß zwar, dass dies gegen Eure Gesetze ist. Ihr lasst Euch aber so viel Ungesetzliches zuschulden kommen, dass Ihr mir dies nicht übel nehmen könnt. Doch zuvor erlaubt mir, Euch samt und sonders in die gehörige Positur zu bringen, meine Rede recht klar und deutlich vernehmen zu können.«

Hier machte der Hinkende eine kleine Bewegung mit der rechten Hand, und sämtliche Herren Deputierten standen und saßen mit aufgesperrten Mäulern, gewaltig gespitzten Ohren und aufgerissenen Augen unbeweglich da, Arme und Hände meistens in die Luft streckend. Sie schienen und waren in der Tat alle wie versteinert und hatten die Sinne, die des Gehörs und Gesichts ausgenommen, verloren.

»Hört mich wohl an, Ihr Herren, ich könnte wie Cromwell zu vielen von Euch sprechen. Pfui über Euch, weichet von hinnen, Ihr seid nicht länger würdig, in dieser Kammer zu sitzen. Der Herr mag Euch nicht mehr, Ihr seid Räuber, gewissenlose Diebe, Gauner, ehrlose Betrüger, Dummköpfe, Ehebrecher, Hurer, unwissende Träumer, Trunkenbolde. Dabei warf der Teufel so manchen hämischen Seitenblick auf den einen und den anderen. Ich könnte Euch ohne Weiteres zur Tür hinaus jagen und den Saal verschließen, aber ich will dieses Mal noch Gnade vor Recht ergehen lassen und Ihr sollt mit einer derben Strafpredigt davonkommen.

Ich frage Euch, was habt Ihr aus dem konstitutionellen System gemacht? Was aus dem konstitutionellen Frankreich? Ihr, die Ihr die Piloten, wenigstens die Matrosen des Staatsschiffes sein solltet. Ihr seid dessen falsche, unsinnige Steuermänner, die es solange von Klippe zu Klippe führen, bis es endlich scheitern und zerschellen muss. Die auf der Rechten verkaufen ihre Stimmen für Vicinalwege, ein Denkmal, ein halbes Hundert Eisenbahnaktien, für Sinekuren für ihre Kinder und Schützlinge, und Gott weiß für was alles. Und die auf der Linken sind noch zehnmal ärger. Durch tolles Widerstreben, auch gegen alles, was dem Land gut und heilsam ist, wollen sie die Herrschaft und Oberhand erlangen. Und das Zentrum, das der Kern sein sollte, ist durch und durch faul. Aus Frankreich macht Ihr ein Zuchthaus, und wenn es so fortgeht, nur ein einziges Spital des Elends und der Armut, in dem sich nur die wenigen Spitalmeister wohl befinden. Das Volk schreit um Brot, Ihr, in der Bibel wohl bewandert, gebt ihm Steine und Eisen. Dies das so gerühmte, gefeierte konstitutionelle System, das mit Strömen von Blut erkauft wurde! Alle Abgaben verdoppelt, verdreifacht und bald verzehnfacht! Ohne Eure abscheuliche Majorität kann die Regierung nicht regieren, auch keinen Schritt in der besten Absicht tun. Um diese Majorität zu haben, muss sie auf jede Art bestechen, und um bestechen zu können, muss sie durch eben diese Majorität die Mittel erlangen. Dies ist das ganze, sich ewig im Kreis drehende Manöver Eures konstitutionellen Räderwerks. Dessen Resultat ist Verderbtheit und Entsittlichung, gleich Pestilenz unter allen Klassen, unter allen Gliedern der Gesellschaft zu verbreiten und sie zu vergiften. Ich frage Euch, in welchem Land der Welt werden tag täglich so viele scheußliche Verbrechen aller Art als in Eurem hoch gerühmten Frankreich begangen? In welchem Land finden so häufige, sich fast täglich erneuernde Hinrichtungen statt? Wo ist die Zuchtlosigkeit und Immoralität größer, wo sind die Weiber schamloser und die Männer ehrenloser? Seht, mit welchem furchtbaren Auswurf der Menschheit Eure Hochschulen der Verbrechen, Eure Galeeren, dank Euren so unsinnigen, das Verbrechen befördernden Gesetzen, bevölkert sind. Nein, Dank Euch, Ihr Schlafmützen, die Ihr über ein elendes Wort in einer Adresse Wochen, ja Monate debattiert und so die kostbarste Zeit unverantwortlich vergeudet. Eure heillose, barbarische Justiz, die nur Erbitterung erzeugend, Rache atmet, aber niemals zur Besserung führt, ihren längst veralteten Schlendrian gehen lässt. Nichts kann Euch die verblendeten Augen öffnen, nichts das verstockte Gewissen rühren, wenn gleich Jahr aus Jahr ein Heer von viertausend Banditen, den Galeeren entlaufen oder ihre Hochstudien daselbst beendet haben, in Paris unter Euren Augen täglich mordet, raubt und Gräuel aller Art verübt. Eure Zivilgesetze sind ebenso schlecht und erbärmlich wie Eure peinlichen, und sie sind es, die meistens den Verbrecher zuerst kreieren und den Menschen oft mit Gewalt zum Bösewicht machen. Für den Armen ist gar keine Justiz, denn ohne Gold ist in Frankreich, wie leider in noch vielen Ländern, gar nicht daran zu denken, die heilige Justiz auch für die gerechteste Sache in Bewegung zu setzen. Eure hoch gerühmte persönliche Freiheit ist jedem Wucherer preisgegeben, der Lust hat, einen armen, von ihm geprellten Teufel, der ihm wenige Franken schuldet, einsperren zu lassen. Ist wohl ein Funken von gesunder Vernunft in Gesetzen, die da den Menschen sein höchstes Gut, seine persönliche Freiheit raubt, weil er nicht imstande ist, eine in der Not kontrahierte Schuld augenblicklich abzuzahlen? Denn das werdet Ihr mir doch zugeben, dass unter hundert Schuldnern kaum ein böswilliger, wenn auch mancher leichtsinnige ist, und alle gerne bezahlten, wenn sie könnten. Aber Eure scheußlichen Gesetze treiben den Unsinn so weit, zu gestatten, dass ein armer Familienvater, der Ernährer seiner Kinder und Familie, um eine kleine Schuld, die freilich eben diese verruchten Gesetze schon oft auf das Zehnfache ihres ursprünglichen Nennwertes brachte, den seinen entrissen werde, die dann im Elend und Hunger verschmachten und umkommen, oder stehlen und rauben müssen, wenn sie Ersteres nicht wollen. Und ihr wundert Euch noch ob der vielen Verbrecher und Verbrechen?

Ihr habt die Geheimnisse von Paris und Jerome Patürot gelesen, es sind Romane, einfältige Romane, wenn ihr wollt, aber Romane, die so furchtbare als auch bedauernswürdige Wahrheiten enthalten. Studiert sie und werdet endlich klüger. An Euch ist es, alles andere beiseitesetzend, sich vor allem mit der höchst notwendigen Reform der Gesetze und der eben so nötigen Verbesserung des Schul- und Erziehungswesens augenblicklich zu befassen.

Solange Ihr aber die Verbrecher auf die Galeeren schmieden lasst, und den, der oft nur in der Übereilung oder in der Heftigkeit der Leidenschaft gehandelt und zum ersten Mal gesündigt hat, mit dem durch und durch verdorbenen und unverbesserlichen Schurken erster Klasse in eine Gesellschaft bringt und gar zusammenschmiedet, solange könnt Ihr versichert sein, dass Ihr nur Banditenheere bildet und rekrutiert.

Ihr habt das Pönitenziarsystem votiert, gut, es ist das Einzige, das mit Einsicht und Vernunft angewandt, auch den verstocktesten Sünder noch zur Reue, Buße und Besserung führen kann, was auch sogenannte Philanthropen deshalb von Wahnsinn, Selbstmord usw. faseln und träumen mögen, als ob auf Euren Galeeren, in Euren Zuchthäusern, wie sie jetzt sind, Wahnsinn und Selbstmord Seltenheit wären!

Ihr habt das Pönitenziarsystem schon seit zwei Jahren genehmigt, und noch haben Eure wo möglich noch schläfrigeren Kameraden in der Pairskammer keine Zeit gefunden, das Gesetz über dasselbe zu prüfen und gut zu heißen. Auch ihnen werde ich nächstens die alten Perückenköpfe zurechtsetzen.

Und das Institut Eurer hoch gerühmten Jury, so wie es jetzt zusammengesetzt, ist das bedauernswürdigste, jämmerlichste Machwerk, was Menschen je erfunden haben. Es hat schon mehr Ungerechtigkeiten auf seinem Gewissen, wenn es eines haben könnte, als es Mitglieder seit fünfzehn Jahren zählt. Seht doch einmal Eure Gerichtszeitungen durch. Ihr lest sie alle Tage. Sind da auch nur in einem ganzen Jahrgang zwei sich ganz gleiche Verbrechen zu finden, die gleich bestraft worden wären? Für dasselbe Vergehen, für das der eine Jahre lang in Gefängnissen schmachten muss, ja auf Lebenszeit auf die Galeeren geschmiedet, und zur Schande der Menschheit und zur Belustigung des Pöbels, aber wahrlich nicht zur Warnung und Besserung, immer noch öffentlich an den Pranger gestellt wird, kommt der andere mit einer leichten geringfügigen Strafe oder gar Lossprechung davon. In der Regel sind es die schlechtesten Subjekte, die sich der größten Milde zu erfreuen haben. Da kommt alles auf gewisse Umstände, hauptsächlich auf den Leithammel der Jury an, der die anderen nach seiner Pfeife stimmt und die beste Lunge zum Überreden hat.

Wie viele Justizmorde und Versehen hat sich diese Jury nicht schon zuschulden kommen lassen?

Denkt nur an den unglücklichen Lescüre, und wie viel Lescüre sind nicht schon unschuldig hingerichtet worden? Kaum ist es ein Jahr, dass die Jury in Belgien drei arme Teufel, als des Raubmordes schuldig, dem Tod überliefert hätte, wenn nicht die einsichtsvolle Gnade des Königs den scheußlichen Justizmord verhindert und die Strafe umgewandelt hätte. Wenige Monate darauf fing man die wirklichen Täter ein, die ihr Verbrechen eingestanden und so die Unschuld der Verurteilten klar an den Tag brachten. Eure Jury ist eben so schlecht zusammengesetzt wie Eure Kammer. Die leicht zu überredende Unwissenheit und Einfalt gibt hier wie dort meistens den Ausschlag, und Menschen ohne alle Kenntnisse, Einsicht und Erziehung, die man im gewöhnlichen Leben nicht bei den allereinfachsten Dingen um Rat fragen würde, thronen in beiden und entscheiden über die wichtigsten Angelegenheiten des Staats und der Menschheit! … Wahrlich, ich sage Euch, Eure Konstitution, wie Eure Gesetzgebung bedürfen der Reform, und zwar der nicht mehr aufzuschiebenden, wenn nicht Euer schönes Frankreich über kurz oder lang abermals in bodenlose Abgründe und grenzenlose Gräuel versenken soll. Das Schlimmste bei der Sache ist, dass Ihr noch anderen Völkern mit einem bösen Beispiel vorangeht, die so einfältig sind, nach einer solchen jetzt beliebten Modeverfassung und Justiz Verlangen zu tragen. Wahrlich, man sollte sie hierher führen und mit der Nase auf dieses infame Treiben jeder Art stoßen und sie es aus der Nähe sehen lassen. Gewiss, sie würden von ihrer Konstitutionswut bald geheilt sein.

Doch davon ein andermal, sowie von den Mitteln, hier abzuhelfen.

Aber jetzt noch ein paar Worte zu Euch, ihr sauberen Herren.« Hier wandte er sich an die in ihrer Loge sitzenden Journalisten. »Ihr seid auch so ein verruchtes, heilloses, feiles Gelichter, dessen Sündenregister noch mehr Folianten füllen würde, als die Riesenanzeigen aller Scharlatane von ganz Paris an allen Häusern und Mauern …

Ihr, mit wenig ehrenvollen Ausnahmen, ehrloses Gesindel, macht Euch gegenseitig herunter wie die Gassenbuben, dass an keinem ein gutes Haar mehr bleibt, und füllt Eure Spalten mit Lügen oder mit teuer bezahlten Lobhudeleien. Es ist nichts so dumm, so albern und so absurd ersonnen, das Ihr nicht dem leichtgläubigen Publikum auftischtet, wenn es nur in Euren Kram passt. Schrieb man Euch, der Kaiser von Russland verzehrte alle Morgen drei frikassierte Polen zum Frühstück und der König von Preußen ließ Elefanten in Champagner kochen, Ihr ließt es drucken und glaubtet es am Ende selbst. Fürs Geld macht Ihr aus jedem erbärmlichen Federfuchser einen Racine, Schiller oder Shakespeare, oder wie man sich von Euch taufen lassen will. Fürs Geld wird jeder Stümper auf dem Klavier zu einem Liszt und Thalberg. Fürs Geld jede krähende Gans eine Catalani, jeder lahme Tanzmeister ein Bestris, jeder Pinsel ein Raphael. Wahrhaftig, der Mann hatten recht, der da sagte: ›Ich lese schon lange keine Zeitung mehr. Sie enthalten ja doch nichts als Dummheiten, Abgeschmacktheiten, Lügen und Abscheulichkeiten.‹ Ihr seid mir ein sauberes Pack, aber Geduld, die Höllenstrafen, die Euch erwarten, sind Eurem Treiben angemessen und werden Euch, wenn auch zu spät, zur Erkenntnis bringen. Besonders aber ihr Herren, die ihr in Euren feilen Zeitungen eine systematische Opposition, nicht aus Überzeugung, sondern um Euch oder Eure im Hintergrund lauernden Hampelmänner und watschelnden Gliedermänner ans Ruder zu bringen, und deshalb jede, auch die beste und wohlmeinendste Maßregel der Regierung zu verunglimpfen und in Euren Kot herabzuziehen sucht, die Ihr für einen jeden vom Dach herabfallenden Ziegel Minister und Polizei verantwortlich machen wollt, dass sie dessen Fallen nicht im Voraus gesehen und verhindert haben, obgleich es allgemein anerkannt ist, dass Letztere, die Polizei, solange Paris steht, noch nicht mit so viel Umsicht, Rechtlichkeit, Humanität und vom besten Erfolg gekrönten Maßregeln gehandhabt wurde, wie unter der jetzigen Verwaltung. Nur Übeltäter, Schurken und Ruhestörer kennen das Dasein der Polizei zu Paris!

Und somit habe ich Euch allen für heute meine Meinung ohne Schminke gesagt. Ihr könnt Euch für die Zukunft danach richten, wehe Euch, komme ich zum zweiten Mal wieder.«

Der Teufel gab durch ein abermaliges Zeichen der ganzen Deputiertenkammer und allen Anwesenden ihre Bewegungskraft wieder, die Herren gafften sich gegenseitig einander an, ohne ein Wort hervorbringen zu können, denn noch immer stand ihnen der ohnehin nicht sehr rührige Verstand still.

Endlich brachte der Präsident stotternd die Worte heraus: »Die Sitzung ist für heute geschlossen!«

Und alle schlichen davon wie die Katze vom Taubenschlag.

Michel und der Teufel aber begaben sich lachend in die Straße Chaillot No. 53, um Rosa-Maria und ihre Eltern aufzusuchen.