Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Macht der Drei – Teil 47

Die-Macht-der-Drei

Am siebenten Tag nach der Katastrophe wagten es die Eingeschlossenen. Sie ließen die Druckluft aus dem Eisberg langsam ins Freie entweichen. Erik Truwor stand am Ventil, den Blick auf dem Druckzeiger. Im untersten Gang beobachtete Silvester den Wasserspiegel. Das Mikrofon am Mund, bereit, Alarm zu geben, wenn das Frischeis nicht hielt, der Berg sich senkte, das Wasser stieg.

Mit leisem Pfeifen entwich die Luft. Langsam fiel der Zeiger des Manometers. Nur noch wenige Linien stand er über dem Nullpunkt. Erik Truwor lehnte sich gegen die Eiswand, drückte das Ohr gegen die Fläche, um jedes Knistern, jedes kommende Brechen des Eises so früh wie möglich zu spüren.

Es blieb ruhig. Nur das schwächer und schwächer werdende Pfeifen der entweichenden Luft. Jetzt nur noch ein leichtes Rauschen. Der Zeiger stand auf dem Nullpunkt. Der Druck war ausgeglichen. Der Berg hielt sich ohne Unterstützung der Pressluft.

Schnell fraß der kleine Strahler einen neuen Ausgang durch die Schale des Berges. Die Antenne in Ordnung bringen, den Verkehr mit der Welt wieder herstellen, das war jetzt das Wichtigste. Die Antenne auf dem Abhang des Berges war unversehrt geblieben. Nur die Verbindungen zu den Apparaten hin waren bei der Katastrophe zerrissen. Zehn Minuten genügten, um eine Notleitung zu legen. Kaum war die letzte Verbindung gemacht, die letzte Schraube angezogen, als auch schon wieder Leben in die Apparate kam, die alle diese Tage hindurch still und tot dagelegen hatten. Die Farbschreiber klapperten, die Laufwerke rollten, und die Streifen, dicht mit Morsezeichen bedeckt, quollen unter den Farbrädern hervor. Nachrichten aus Amerika und Europa, aus Indien und Australien.

Das Schicksal ging seinen Weg. Der Krieg war ausgebrochen. Englische und amerikanische Luftstreitkräfte waren an den verschiedensten Punkten der Welt zusammengeraten. Die große englische Schlachtflotte hatte ihren Hafen verlassen, um die amerikanische Ostküste anzugreifen. Die amerikanische Flotte war ihr entgegengefahren. Nur noch vierundzwanzig Stunden, und es kam zu einer gewaltigen Schlacht mitten im Atlantik.

Die Frage, die sich Erik Truwor in diesen Tagen unfreiwilliger Ruhe so oft vorgelegt hatte, war entschieden. So entschieden, wie er es in unruhigen Nächten gefürchtet hatte. Die Menschheit hörte nicht auf seine Worte. Sie war nicht fähig, sich selbst zu regieren. Sie brauchte den Herrn, der sie zwang.

Er fühlte, wie seine Ideale zusammenbrachen. Sie taten da draußen nichts aus freien Stücken und irgendeinem Ideal zuliebe. Wer die Macht hatte oder zu haben glaubte, benutzte sie rücksichtslos. Seine Warnungen waren unbefolgt verhallt. Sie würden ihm nur gehorchen, wenn er Brand und Mord hinter jeden seiner Befehle setzte.

Die Stunde der Entscheidung war gekommen. Wenn er durchsetzen wollte, was er sich vorgenommen hatte, was er als seine Mission ansah, dann musste er als Herr auftreten. Klar hatte er die Notwendigkeit in den Tagen der Gefangenschaft durchdacht und schrak zurück, da nun die entscheidende Stunde gekommen war.

Würde man seine Absichten nicht verkennen? Würde die Welt ihm nicht andere Beweggründe unterschieben? Würde sie nicht einer maßlosen Ehrfurcht zuschreiben, was nur bittere Notwendigkeit war?

Es duldete ihn nicht länger in der Enge der Berghöhlen. Er stürmte hinaus in das Freie. Er sprang über Schollen und Schneewehen, die in den Strahlen der tief stehenden Sonne rot glühten. Er lief und fühlte, dass alle die alten Ideen und Ideale von Pankong Tzo vernichtet waren.

Atemlos hielt er im Lauf inne. Ihm graute vor der Entscheidung, vor der Verantwortung, vor dem Entschluss.

Hinter einer Eisklippe hatte der Wind den frischen Schnee zusammengewirbelt. Hier ließ er sich niedersinken, fühlte, dass die weißen Flocken sich wie ein Daunenkissen um seine Glieder schmiegten. Eine tiefe Mutlosigkeit, eine Erschlaffung überkam ihn. Er wurde ganz ruhig.

Wie wäre es, wenn er hier liegen bliebe, wenn er jetzt einschliefe? Die Verantwortung, dem verhassten Entschluss durch freiwilligen Tod aus dem Weg gehen? Wie lange würde es dauern, bis der arktische Frost den kurzen Schlummer in einen ewigen Schlaf verwandelte. Wie schön müsste es sein, hier einzuschlummern, hinüberzugehen in das große Meer der ewigen Ruhe und des Vergessens, in dem alle dunklen Wellen des Lebens verrieseln.

War es der Frost, der schon zu wirken begann, den Körper leicht, die Gedanken träumerisch und sprunghaft machte?

Eine dunkle, fromme Erinnerung überkam ihn. Die Hände falten! Er streifte die schweren Pelzhandschuhe ab und schlug die Finger ineinander. Da … seine Rechte zuckte zurück.

Was war das Kalte, das er berührt hatte? Kalt und brennend zugleich. Er hob die Hand zum Gesicht. Vom Mittelfinger der Linken strahlte ihm der Alexandrit entgegen, jetzt auch im Tageslicht hellrot glühend, wie er ihn noch nie gesehen hatte.

Mit einem Sprung stand er auf den Füßen.

Sich von dem eigenen Schicksal wegstehlen? Dem Leben feige den Rücken kehren? Nein, niemals, und wenn der Weg nach Golgatha führen sollte.

Die Menschheit da draußen wollte Kampf und Mord. Sie sollte im Überfluss davon haben. Wie eine neue Gottesgeißel wollte er sie züchtigen, bis sie ihm bedingungslos gehorchte.

Ein harter, eiserner Wille prägte sich auf sein Gesicht.

Ruhigen und festen Schrittes ging er zum Berg. Er trat hinein und schritt durch die Gänge dem Raume zu, in dem die großen Strahler standen. Der rote Sonnenschein drang durch die grünlichen Eiswände und erfüllte die Hallen und Gänge mit einem magischen Doppellicht. Die vollkommene Stille, die hier in den Regionen des ewigen Eises herrschte, wurde nur durch das leise Ticken der Funkenschreiber unterbrochen. In schwirrendem Spiel klappten die feinen Schreibhebel der Apparate auf und nieder und notierten in Punkten und Strichen die Botschaften, die von allen Teilen der Welt her durch den Äther kamen und sich in den Maschen der Antenne fingen.

Silvester saß vor einem der Schreibapparate in einem leichten Sessel. Er hielt den Papierstreifen unbeweglich in den Händen, als ob er sich von einer einzelnen Nachricht nicht losreißen könne. Das in rötlich grünen Tönen durch den Raum schimmernde Licht umspielte seine Gestalt. Es ließ sein Antlitz fahl wie das eines Toten erscheinen.

Erik Truwor warf einen Blick auf die Stelle des Streifens, den Silvester so beharrlich in den Händen hielt. Der Apparat hatte inzwischen unermüdlich weitergearbeitet. Viele Meter des Streifens waren ihm entquollen und lagen in Windungen und Schleifen auf den Knien Silvesters.

Erik Truwor las die Stelle in den Händen Silvesters: »Jane an Silvester. Ich bin geborgen. In England in Maitland Castle bei guten Freunden.«

Der Streifen zeigte die kurze Depesche dreimal hintereinander.

Erik Truwor beugte sich zu dem Sitzenden hinab und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Freue dich, Silvester! Deine Sorgen sind vorüber. Jetzt weißt du, dass Jane in Sicherheit ist.«

Unter dem Druck von Erik Truwors Hand sank die Gestalt Silvesters noch mehr in sich zusammen. Sie fiel nach vorn und wäre ganz zu Boden gesunken, wenn Erik Truwor nicht mit kräftigen Armen zugegriffen hätte. Da fühlte er, dass das Leben aus dem Körper des Freundes gewichen war, dass die Blässe des Antlitzes nicht allein durch die fahlen Reflexe der Eiswände verursacht wurde.

Dem wechselreichen Auf und Ab von Freuden und Leiden, seelischen Erschütterungen und schwerster Forschungsarbeit war der Organismus Silvester Bursfelds nicht gewachsen. Ein Herzschlag hatte sein junges Leben in dem Augenblick beendet, in dem er die Depesche von Jane empfing.

Erik Truwor hielt die schon erkalteten Finger des Freundes in seinen Händen. Atma trat in den Raum. Er schritt auf Silvester zu und schloss ihm mit sanftem Druck die Augen.

»Er hat gegeben, was das Schicksal von ihm verlangte, das Wissen.«

Erik Truwor nickte und ließ feine Blicke auf den blassen Zügen ruhen.

»Das Wissen, das mir die Macht schafft.«

Er wandte sich von dem Toten weg zu dem großen Strahler. Nur die Farbschreiber tickten leise und warfen immer neue Nachrichten von den Kriegsschauplätzen auf das Papier. Mit schweren Schritten ging Erik Truwor auf den mächtigen Strahler los. Nur ein einziges Wort kam von seinen Lippen: »Auf!«

Wie ein Kampfruf klang es! Ein Kampfruf war es!