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Der Kommandant des Tower 15

Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Siebentes Kapitel

Von der Schmach, welche der Gräfin von Hertford, seitens der Königin Catharine Parr angetan wird, und wie Ugo Harrington abgesandt wird, um die Prinzessin Elisabeth zum Tower zu geleiten

Die Versöhnung der beiden Seymours war augenscheinlich nur so oberflächlicher Art, dass sie niemanden zu täuschen vermochte – selbst nicht ihren königlichen Neffen. Sir Thomas würde den anmaßenden und herrischen Ton, den der Lordprotektor annahm, kaum ertragen haben, wenn er auch selbst weniger stolzen Temperaments gewesen wäre. Wogegen Hertford das hochmütige und herausfordernde Benehmen des jüngeren Seymour im gleichen Maße unerträglich war, denn er schien dieselbe Unterwürfigkeit zu erwarten, wie sie dem Willen eines Herrschers gebührt. Ihre Feindseligkeit war nur maskiert, nicht beigelegt, und drohte bei nächster Gelegenheit nur noch heftiger auszubrechen.

Der junge liebenswürdige Fürst redete sich, obwohl er vollkommen begriff, wie die Dinge standen, demnach ein, dass er imstande sein würde, den Frieden zwischen ihnen zu erhalten. Aber er hatte es mit schwer zu lenkenden Personen zu tun, und er nährte sogar die Zwietracht, ohne es zu wissen. In Folge der Offenheit seiner Natur und einer angeborenen Zärtlichkeit, war er vollkommen unfähig, die Vorliebe zu verbergen, die er für seinen jüngeren Oheim hegte, und anstatt den reizbaren Lordprotektor zu beschäftigen, erbitterte er ihn nur immer mehr gegen denjenigen, den er nun einmal nicht anders als im Licht eines gefährlichen Nebenbuhlers betrachten konnte. Schon sann Hertford darauf, seinen Bruder bei der ersten Gelegenheit zu entfernen, und schon hatte Sir Thomas Seymour beschlossen, koste es, was es wolle, den Lordprotektor zu verdrängen.

Im Verlaufe des Tages, an welchem sich das oben Erzählte ereignet hatte, wurde wieder ein großes Bankett gehalten, welchem der junge König, der Lordprotektor, alle Mitglieder des Conseils und alle Edlen, Ritter und Hofdamen, die sich im Tower befanden, teilnahmen. Es war mit aller Verschwendung und Pracht jenes Zeitalters ausgestattet. Der Kaplan des Towers sprach sowohl vor als auch nach dem Mahl ein langes Dankgebet in lateinischer Sprache, dem Edward mit frommer Aufmerksamkeit zuhörte und bei dessen Schluss er jedes Mal ein lautes »Amen« sprach. Der junge König würde gern des Dienstes der zahlreichen Marschälle und Zeremonienmeister, der behänden Mundschenke und anderer Tafeldiener entbehrt haben, aber er fügte sich freundlich in ihre Anwesenheit. Außerordentlich mäßig in seinen Gewohnheiten trank Edward nur Wasser und ließ den guten Speisen, die der Oberkoch für ihn bereitet hatte, kaum Gerechtigkeit widerfahren.

Beim Beginn des Festes ereignete sich ein Vorfall, der einigermaßen die fernere Harmonie störte und dem Lordprotektor neuen Grund zur Feindseligkeit gegen seinen Bruder gab. Die Gräfin von Hertford, eine überaus schöne und stolze Frau, hatte sich beim Bankett neben der Königinwitwe zurückgesetzt gefühlt. Wegen der Erhebung ihres Gemahls zu fast königlicher Würde glaubte sie, vor der Königin den Vortritt haben zu müssen. Sie bewog deshalb ihren Gemahl, der bedeutend von ihr beherrscht wurde, ihr beim nächsten Bankett einen Platz neben dem König anzuweisen. Der Lordprotektor gab dem Oberzeremonienmeister die erforderliche Anweisung, und die Sache schien in Ordnung zu sein. Aber ehe Lady Hertford den bezeichneten Platz einzunehmen vermochte, erschien die Königinwitwe, und stolz den Platz zurückweisend, den ihr der Zeremonienmeister anwies, nahm sie ihren gewohnten Platz beim König ein. Sir Thomas Seymour war ihr dabei behilflich, indem er seine Schwägerin verhinderte, Platz zu nehmen, und die Königin feierlich zu ihrem Stuhl geleitete. Wenn die der Lady Hertford vonseiten der Königin angetane Schmach am Tag vorher sich absichtslos nennen ließ, so konnte doch Ihrer Majestät Benehmen bei dieser Gelegenheit unmöglich dieselbe Entschädigung finden. Sie war boshaft unhöflich gegen die Gräfin und machte verschiedene schneidende Bemerkungen über den Lordprotektor, die dieser unmöglich ahnen konnte. Die Wirkung dieser Sarkasmen wurde durch Sir Thomas Seymour verstärkt, der eine Zeit lang hinter dem Stuhl der Königin stand, um sich an dem Ärger seiner Schwägerin zu weiden, und der die ganze Macht seines Witzes aufbot, um die Bemerkungen Ihrer Majestät noch zu verschärfen. Lady Hertford fühlte sich fast noch mehr beleidigt als ihr Gemahl, aber ihr Unwille war hauptsächlich gegen die Königin gerichtet, an der sie bei erster Gelegenheit sich zu rächen beschloss. Desgleichen nahm sie sich vor, den Lordprotektor zur Rede zu stellen, weil er seine Würde und die ihre nicht genugsam gewahrt hatte. Was Sir Thomas betrifft, so machte es ihm der Platz, den er einnahm, zur Pflicht, seine Aufmerksamkeit zwischen der Königinwitwe und seinem königlichen Neffen zu teilen, und er entledigte sich der Aufgabe in so gewandter Weise, dass beide entzückt waren.

Die junge Lady Grey saß an der königlichen Tafel neben ihrem Vater, und zwar nicht so fern von Edward, dass er nicht von Zeit zu Zeit hätte ein Wort mit ihr reden können. Jane aß ebenso wenig wie der enthaltsame junge Fürst. Seymour entging diese Übereinstimmung nicht und machte die Königinwitwe darauf aufmerksam. Catherine schien großes Wohlgefallen an dem jungen Mädchen zu finden. Als das Mahl vorüber war, rief sie dieselbe zu sich, lud sie ein, ihr in ihre Privatgemächer zu folgen, und fügte gnädig hinzu, dass sie viel Gutes von ihr gehört habe und sie näher kennenzulernen wünsche. Die Einladung war Jane und dem Marquis von Dorset gleich angenehm, obwohl Letzterer zu wissen glaubte, wer sie veranlasst habe.

Als der König mit dem Lordprotektor den Bankettsaal verließ, sprach er den Wunsch aus, dass seine Schwester Elisabeth zum Tower geholt werden möchte, sowie auch, dass seine beiden Lehrer, Sir John Cheke und Doktor Cox die Prinzessin begleiten sollten. Obwohl dem Oheim das Gesuch nicht zu behagen schien, machte er doch keine Einwendungen, und Sir Thomas Seymour, der augenscheinlich entzückt darüber war, erbot sich, nach Hertford zu gehen, um die Prinzessin abzuholen. Dieser Vorschlag wurde indessen vom Protektor entschieden verworfen, aber er gab wenigstens endlich zu, dass seines Bruders Diener, Ugo Harrington, mit hinreichendem Gefolge zu dem Zweck abgesandt werde.

»Ich will Ugo aufsuchen«, rief Seymour, sobald sein Bruder eingewilligt hatte, »und ihn gleich nach Hertford schicken.«

Ein Blick seines königlichen Neffen dankte ihm für den Eifer.

Aber seine Eile schien die Königinwitwe zu überraschen und ihr zu missfallen, denn sie sagte in etwas scharfem Ton: »Warum so eilig, Sir Thomas? Mich dünkt, ich habe Euch noch nicht entlassen, und ich rechnete noch für einige Zeit auf Eure Gesellschaft.«

»Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau«, antwortete er im Ton tiefer Unterwürfigkeit. »Seine Majestät befiehlt mir, Leute abzusenden, welche die Prinzessin Elisabeth von Hertford hierher geleiten sollen. Ich werde zurückkehren, sobald ich meinen Auftrag ausgerichtet habe.«

»Wird Elisabeth in den Tower kommen?«, fragte Catharine unangenehm berührt.

»Ja, Madame«, antwortete Edward. »Der Lordprotektor war so gütig, meinem Wunsch, die Schwester in meiner Nähe zu haben, zu willfahren.«

»Ich billige zwar nicht ganz Ihrer Hoheit Hierherkunft, allein ich kann Ew. Majestät nicht Nein sagen«, bemerkte Hertford.

Unterdessen empfahl sich Sir Thomas Seymour, machte dem König eine tiefe Reverenz, desgleichen der Königin Catharine und ersah die Gelegenheit, um Letzterer einen Blick tiefster Ergebenheit zuzuwerfen.

So eilig wie möglich machte er sich durch den Haufen von Lakaien, Kammerdienern, Gardisten und anderen, welche die Korridore füllten, und gelangte endlich an die ihm selbst angewiesenen Gemächer im Wardrobe Tower, einem Gebände, das um jene Zeit mit einem Teil des Palastes in Verbindung stand, den man King’s Lodgings nannte. Indem er das runde gemauerte Gemach betrat, das mit Tapeten bekleidet und so reich möbliert war, dass sein ursprüngliches kerkerartiges Aussehen vollständig verändert erschien, fand Seymour den betreffenden Mann vor einem Tisch sitzen, auf welchem sich eine Flasche Wein nebst einem silbernen Becher befand. Er sang gerade eine italienische Canzone, denn er besaß einen trefflichen Tenor, und begleitete sich dazu auf der Zitter. Als er feinen Herrn gewahr wurde, legte er sofort das Instrument beiseite und stand auf.

Ugo Harrington war von schlanker Figur und hätte schön genannt werden können, wenn nicht ein finsterer Zug in seinem Gesicht gewesen wäre. Er war ungefähr dreißig Jahre alt. Seine Gestalt war schlank, aber sehr muskulös, sein Teint olivenfarbig, die Augen dunkel und lebhaft. Die Zähne waren weiß und regelmäßig und bildeten einen scharfen Kontrast zu seinem rabenschwarzen Bart. Er sah mehr aus wie ein Italiener als wie ein Engländer, und wirklich war seine Mutter eine Florentinerin gewesen, während er selbst den größten Teil seiner Jugend in der toskanischen Hauptstadt und in Rom zugebracht hatte. Er war reich gekleidet und trug ein braunrotes Samtkoller und eben solche Beinkleider. Ein Samtmantel, mit Pelz verbrämt, lag neben ihm, um beim Ausgehen zur Hand zu sein. Auf dem Mantel lagen ein langes Rapier und ein Dolch, welche beide zu des eleganten Dieners gewöhnlicher Equipierung gehörten. Indem er Sir Thomas respektvoll grüßte, wartete er schweigend, bis Letzterer ihm in aller Eile mitgeteilt hatte, um was es sich handelte. Er erklärte darauf, dass er sofort bereit sei, die Botschaft auszurichten, und fragte, ob sein Herr noch weitere Befehle habe.

»Du sollst noch ein paar Zeilen von mir an die Prinzessin mitnehmen, Ugo«, erwiderte Sir Thomas. »Während ich dieselben schreibe, kannst du die nötigen Vorkehrungen zur Reise treffen.«

Der Diener zog sich sofort in ein inneres Gemach zurück, und Seymour setzte sich an einen Tisch, auf welchem sich Schreibgerätschaften befanden, und begann seinen Brief. Augenscheinlich gefiel ihm das Geschriebene nicht, denn nachdem er es überlesen hatte, zerriss er es wieder und warf es in ein Holzfeuer, das lustig im Kamin brannte. Er begann von Neuem sein Schreiben, aber das zweite gefiel ihm nicht besser als das erste und wurde ebenfalls den Flammen übergeben. Der dritte Versuch schien besser zu gelingen. »Mich dünkt, so ist’s gut«, murmelte er, indem er das Blatt mit wohlgefälligem Lächeln überflog und es dann in ein Kuvert steckte, worauf Seymour die Depesche mit einem seidenen Faden umwand und mit seinem Ring versiegelte.

Während er noch mit dem Schreiben des Dritten beschäftigt war, trat sein Diener im Reiseanzug wieder herein, blieb jedoch in ehrerbietiger Entfernung stehen und beobachtete seinen Herrn mit einem eigentümlichen Gesichtsausdruck.

»Gib dies der Prinzessin eigenhändig, Ugo, und zwar in einem passenden Moment. Du verstehst? He!«, sagte Seymour, indem er ihm den Brief überreichte.

»Perfettamente, monsignore«, antwortete Harrington. »Aber ich gestehe, ich erwartete nicht, der Überbringer eines biglietto amoroso zu sein, während ich Grund hatte, Ew. Lordschaft nahezu anderweitig engagiert zu glauben.«

»Dein Schluss, dass es ein billet d’amour sei, mit dem ich dich betraue, ist vollkommen irrig, Ugo«, sagte Seymour lächelnd. »Ich habe der Prinzessin nur in kurzen Worten einigen guten Rat gegeben, dessen sie mir benötigt schien, ehe sie in den Tower kommt. Übrigens lass dich durch mein Vertrauen nicht so kühn machen, Freund, und vor allen Dingen suche nie in meine Geheimnisse einzudringen. Begnüge dich zu tun, wie ich dich heiße, ohne nach der Ursache zu fragen. Die Zeit wird kommen, wo du für jeden Dienst, den du mir leistest, bezahlt werden wirst.«

»Bei Sant-Antonio! Ich bin schon belohnt genug«, entgegnete Harrington. »Ihr seid mir ein gar freigebiger Herr gewesen, Monsignore.«

»Nichts gegen das, was ich sein werde, Ugo – aber blinden Gehorsam muss ich verlangen.«

»Ihr habt nur zu befehlen, Monsignore. Aber ich wollte, ich könnte Euch bewegen, dies gefährliche Spiel aufzugeben, welches Ihr, wie ich fürchte, verlieren werdet und wobei Ihr das Sichere auch noch riskiert. Es scheint mir eine vergebliche Jagd – gettarvia la sostenza e prendere l’ombra.«

»Ich bin entschlossen, es zu wagen«, rief Seymour, »komme, was wolle! Die Wahrheit zu sagen, Ugo, ich bin so rasend verliebt in die reizende Prinzessin, dass ich den Gedanken nicht ertragen kann, mich in ein anderes Joch zu begeben.«

»Ew. Lordschaft pflegte sonst besonnener zu sein«, bemerkte der Diener, indem er mit den Achseln zuckte. E perché questa subita mutazione? – Una pollastrina non ancora buona per la tavola.«

»Halt dein loses Maul!«, rief Seymour. »Kann sein, dass meine Leidenschaft mit dem Verstand durchgeht. Aber abgesehen von meiner grenzenlosen Liebe zu der Prinzessin, die mich zu den verzweifeltsten Schritten treiben könnte, ist sie ein weit höherer Preis als die andere. Der Besitz ihrer Hand sichert mir den ersten Platz neben dem Thron.«

»Ihr seid unwiderstehlich, Monsignore, – ich weiß das wohl – und die Prinzessin sowohl wie jede andere Dame wird Euch ohne Zweifel erhören. Aber das kann Euch wenig helfen. Das Conseil wird die Verbindung nie gestatten, und nach des verstorbenen Königs Verfügung ist die Einwilligung desselben unerlässlich.«

»Du predigst umsonst, Harrington, ich bin unerschütterlich. Lass mich nur die Prinzessin gewinnen und alles andere wird sich finden. Und, bei meiner Schutzpatronin! Ich werde sie gewinnen.«

»Wer entschlossen ist, zu gewinnen, der gewinnt. Ich bin ganz gehorsam. Nicht nur soll dieser Brief der anbetungswürdigen Prinzess mit den Goldflechten, die Eure Lordschaft gefangen halten, und die, ich gestehe es, entzückend schön sind, mit der alleräußersten Diskretion übergeben werden, sondern ich werde auch die Gelegenheit nicht versäumen, Euer Lob zu siegen.

»Achte auf das kleinste Wort und auf jeden Blick, wenn du von mir sprichst, Ugo, und berichte mir.«

»Jedes Erröten, jedes Niederschlagen der Wimper, jeden halben Seufzer Eurer Gottheit will ich Euch getreulich berichten, Monsignore. Schade, dass ich meine Zitter nicht mitnehmen kann. Ich könnte ihr sonst ein Liebeslied singen, das nicht verfehlen würde, sie zu rühren. Glücklicherweise spricht die bezaubernde Prinzessin geläufig italienisch, und wenn sie mich nur ein wenig encouragiert, so werde ich mit ihr in jener Sprache der Liebe reden, und dann vermag ich mehr zu sagen, als ich in unserer rauen nordischen Sprache wagen dürfte.«

»So geh denn, und das Glück sei mit dir!«, rief Seymour. »Du musst heute Abend noch mit dem Gefolge Hertford erreichen und so früh am anderen Morgen zur Rückkehr aufbrechen, wie die Prinzessin nur mag. Vergiss nicht, die Erzieherin Ihrer Hoheit, Mistress Catharina Ashley, und die Lehrer des Königs sollen auch mitkommen, und sorge dafür, dass dich die beiden alten gelehrten Faulenzer nicht unnützerweise aufhalten.«

»Soll alles geschehen, Monsignore«, erwiderte Harrington, indem er sein Rapier umschnallte und den Dolch in den Gürtel steckte. Indem er seinen Mantel über die Schulter warf, folgte er seinem Herrn aus dem Gemach.

Eine Eskorte von fünfundzwanzig wohlberittenen Arkebusieren wurde von Seymour schnell herbeigeschafft und zugleich der Befehl erteilt, sein Leibross für Harrington zu satteln. Bald war alles in Bereitschaft. Der stattliche Diener ritt an der Spitze des Zuges über die steinerne Brücke aus Bulwark Gate hinaus und auf Hertford zu. Die Entfernung von einundzwanzig englische Meilen legte er in weniger als drei Stunden zurück. Keine langsame Reise für damalige Zeit und noch dazu im Winter.