Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Macht der Drei – Teil 42

Die-Macht-der-Drei

Durch die Straßen Londons schwirrten dunkle Gerüchte. Schlechte Nachrichten. In Afrika sollten die neuen englischen Industriestädte in der Gegend des Kilimandscharo von einem übermächtigen amerikanischen Geschwader vernichtet worden sein. Ein Vorstoß auf die Straße von Bab el Manbeb sollte den englischen U-Panzern schwere Verluste durch Lufttorpedos gebracht haben. Andere Gerüchte erzählten von englischen Niederlagen in der Australischen See und auf der Reede von Kapstadt.

Im Gebäude des Kriegsministeriums hatten sich die Mitglieder der englischen Regierung zu einer Besprechung der Lage versammelt. Dort lagen die authentischen Depeschen von den verschiedenen Kriegsschauplätzen vor und waren geeignet, dem Kabinett sorgenvolle Stunden zu bereiten.

Es hatte wirklich ein schwerer Angriff amerikanischer Luftstreitkräfte auf die junge angloafrikanische Kriegsindustrie stattgefunden. Flugschiffe in enormer Zahl waren plötzlich von der Ostküste her vorgestoßen, hatten die verhältnismäßig schwachen englischen Abwehrlinien durchbrochen und ihre Lufttorpedos auf die Industriewerke gesetzt. Derartige Angriffe waren schließlich möglich. Aber unerklärlich blieb es, wo die enormen Munitionsmengen herkamen. Dem Kabinett lagen die Depeschen verschiedener englischer Flugschiffführer vor. Depeschen , die diese, pflichtgetreu bis zum Tod, zum Teil noch abgesandt hatten, während ihre Schiffe bereits brennend in die Tiefe stürzten.

Sir Vincent Rushbrook hielt die letzten Depeschen von A.V.317 in der Hand und las: »43 Grad östlicher Länge, 2 Grad südlicher Breite. Amerikanische Schiffe steuern nach Torpedoabwurf zur See. Verschwinden plötzlich im Wasser. Verdacht auf unterseeischen Stützpunkt. A.V.317.«

Eine zweite Depesche war von demselben Flugschiff zehn Minuten später gegeben worden: »Unterwasserstation entdeckt Grad 16 Min. östlicher Länge …«

Hier brach die Depesche ab. Aus den Meldungen anderer Schiffe wusste man, dass A.V.317 um diese Zeit brennend abgestürzt war.

Der Premier Lord Gashford versuchte es, die Fragen und Gedanken zu formulieren, die jedes Mitglied des Kabinetts beschäftigten.

»Warum greift Cyrus Stonard uns nicht in England an? Wir hielten Afrika für den sichersten Teil des Reiches. Unsere Agenten hatten uns einen amerikanischen Angriffsplan besorgt, der einen direkten Angriff auf die Inseln von Westen her vorsah. Der Meridian von Island bildete danach ungefähr die Frontlinie der amerikanischen Kräfte. Was konnte den Diktator veranlassen, diesen so lange vorbereiteten Plan aufzugeben, die britischen Inseln unbehelligt zu lassen, uns in Afrika anzufallen?«

Sir Vincent Rushbrook war, immer noch die beiden Depeschen von A.V.317 in der Hand, an den Globus getreten.

»Es sieht so aus, als ob die Amerikaner einen Flottenstützpunkt etwa auf dem Äquator an der afrikanischen Ostküste angelegt haben. Ist es der Fall, dann, meine Herren, hat sich Cyrus Stonard im Brennpunkt unserer Macht festgesetzt. Von dieser Stelle aus …« Der Admiral ergriff einen kleinen Zirkel und demonstrierte damit auf dem Globus. »… bedroht er in gleicher Weise unsere afrikanischen Besitzungen, den See- und Luftweg nach Indien und Indien selbst. Die letzte Depesche von A.V.317 ist leider verstümmelt. Aber wir kennen den Längengrad. Sehr weit vom Äquator kann die Station nicht sein. Ihre Zerstörung halte ich für das Allernotwendigste. Sie muss allen anderen Kriegshandlungen vorausgehen. Unsere Luftstreitkräfte auf dem Meridian von Island sind dort durch den geänderten amerikanischen Plan größtenteils entbehrlich. Ich möchte ihnen den Befehl geben, den Meridian 42 Grad 16 Min. abzusuchen. Ein Unterwasserstützpunkt ist immer zu finden. Haben sie ihn gefunden, dann ist er auch vernichtet.«

Der Admiral schwieg. Er erwartete die Zustimmung des Kabinetts zu der unter Umständen so folgenschweren Maßnahme, die Verteidigungslinie über den Meridian von Island zu schwächen.

Lord Horace Maitland sprach: »Sie fragen, warum Cyrus Stonard seinen Angriffsplan geändert hat, warum er unsere Inseln meidet und auf der südlichen Halbkugel Krieg führt. Ich will es versuchen, Ihnen den Grund kurz und klar anzugeben. Er tut es, weil das Unternehmen des Obersten Trotter missglückt ist. Weil der Bericht über den Erfolg seiner Expedition unrichtig ist. Weil die Macht, zu deren Vernichtung England und Amerika sich trafen, noch existiert, und weil Cyrus Stonard diese Macht fürchtet.«

Lord Maitland hatte seine Rede leise und tonlos begonnen. Von Satz zu Satz hatte sich seine Stimme gehoben. Jetzt schwieg er.

Die Wirkung seiner Worte auf die Mitglieder des Kabinetts war körperlich greifbar. Sir Vincent Rushbrook ließ den Unterkiefer hängen und starrte den Sprecher mit offenem Mund an. Lord Gashford verlor die überlegene Ruhe und sprang auf. Der Kriegsminister versuchte, den ihm unterstellten Oberst Trotter zu verteidigen. Lord Horace allein behielt seinen Platz und fuhr mit einer ruhigen, überzeugenden und schließlich alle Hörer zwingenden Stimme fort: »Meine Herren, ich habe bereits einmal meiner Meinung über die wenig glückliche Wahl des Obersten Trotter für diese Expedition Ausdruck gegeben. Er ist getäuscht worden, und die Amerikaner haben es wahrscheinlich gewusst. Nach dem, was ich von amerikanischer Seite über die drei in Linnais hörte, halte ich es für ausgeschlossen, dass sie sich von einem alten Troupier wie dem Obersten Trotter einfach in ihrem Haus verbrennen lassen. Sein Bericht klang zwar ganz plausibel. Aber mich hat er nicht überzeugt und die Herren Dr. Glossin und Cyrus Stonard wohl auch nicht.«

Sir Vincent Rushbrook hatte während der Worte von Lord Horace Gelegenheit gefunden, seinen Unterkiefer wieder zuzuklappen. Die Färbung seines Gesichtes war vom Roten ins Blaurote gestiegen. Jetzt brach er los: »Kann ein Mensch mit fünf gesunden Sinnen nur einen Augenblick glauben, dass drei einzelne schwache Menschen einer Weltmacht gefährlich werden können? Cyrus Stonard sollte mir leid tun, wenn er sich von solchen Hirngespinsten plagen ließe.«

Lord Horace hatte den cholerischen Admiral ruhig ausreden lassen. Nun fuhr er selbst unbewegt fort: »Cyrus Stonard ist besser informiert als wir. Durch den Doktor Glossin. Glossin ist der Einzige, der die Erfindung von ihren Anfängen her kennt. Der weiß viel besser als wir, wie weit die drei jetzt mit der Erfindung gekommen sein dürften, wie weit sie damit wirken können und wie weit nicht. Den Beweis dafür gibt mir der veränderte amerikanische Kriegsplan. Die gegen die britischen Inseln gerichteten Streitkräfte sind zurückgezogen. Der Diktator fürchtet, die drei könnten ihm hier in den Arm fallen. Darum verlegt er den Angriff in die südliche Hemisphäre, wo er sich vor der Macht der drei noch sicher fühlt …«

Lord Gashford unterbrach ihn. »Wenn Sie recht hätten, so wäre mir das Vorgehen des Diktators erst recht unerklärlich. Wie kann er sich in einen Krieg mit uns einlassen, wenn er die Macht der drei wirklich fürchtet?«

»Die Erklärung dafür ist in dem Wesen des Diktators zu suchen. Cyrus Stonard ist zweifellos der größte Staatsmann des zwanzigsten Jahrhunderts. Seit George Washington hat er am meisten für die amerikanische Union getan. Hätte er nicht den Ehrgeiz besessen, Diktator zu werden und zu bleiben, hätte er wie Washington gehandelt, er würde in der Geschichte neben und über Washington stehen.

Ehrgeiz und Machthunger haben ihn verblendet. Er hält das amerikanische Volk, das an eine hundertfünfzigjährige Freiheit gewöhnt war, weiter unter einem schrankenlosen Absolutismus. Aber er sitzt auf einem Vulkan. Er braucht ständig neue Erfolge. Bleiben die aus, so ist mit seiner Diktatur vorbei. Die Geschichte lehrt es uns hundertfach. Er spielt va banque und muss va banque spielen. Das amerikanische Freiheitsgefühl hat den Druck nur ertragen, solange die Schmach der japanischen Niederlage in frischer Erinnerung war und solange Cyrus Stonard die Macht und den Reichtum Amerikas ständig gehoben hat. Selbst dann nur widerwillig. Einen Stillstand in seinen äußeren Erfolgen verträgt seine Herrschaft nicht.

Nach seinem Sieg über Japan bleibt England als einziger Rivale übrig. Wer die Persönlichkeit Cyrus Stonards kennt, musste sich klar darüber sein, dass er es versuchen würde, diesen letzten Rivalen niederzuschlagen. Dann war der Gipfel erreicht. Amerika beherrschte die Welt, Cyrus Stonard beherrschte Amerika.

Da stellt sich zwischen uns und ihn die geheimnisvolle Macht. Über deren Ziele möchte ich noch schweigen, weil ich nicht klar sehe. Er bringt es fertig, uns als Werkzeug zur Vernichtung dieser Macht zu benutzen. Der Streich ist misslungen. Zumindest nicht sicher gelungen. Aber Cyrus Stonard kann nicht mehr zurück. Er schlägt los, wo er glaubt, nicht gehindert zu sein. Hätte er jetzt, nach monatelanger Kriegsvorbereitung, Frieden gehalten, wäre es um seine Herrschaft geschehen.

Er ist in den Krieg gegangen wie ein Feldherr, der am Erfolg zweifelt, aber lieber an der Spitze seiner Garden fallen als zurückweichen will. Cyrus Stonard steht auf der Grenze von Genie und Wahnsinn. Er hat die Grenze wohl schon nach der schlimmen Seite hin überschritten.«

Die Worte Lord Maitlands hatten die Mitglieder des Kabinetts in ihren Bann geschlagen. Die Gestalt des Diktators stand in ihrer Größen aber auch mit ihren Schwächen und Leiden vor ihnen. Eine Frage des Kriegsministers führte die Mitglieder wieder in die reale Welt zurück.

»Was sollen wir jetzt tun? Sollen wir uns nicht wehren? Sollen wir uns auf eine geheimnisvolle Macht verlassen, deren Existenz doch zumindest, ich will sagen, persönliche Ansichtssache ist? Es wäre Englands und seiner Geschichte nicht würdig, wenn wir uns in der vagen Hoffnung auf eine übernatürliche Hilfe davon abhalten ließen, alles Notwendige für die Sicherheit des Reiches zu tun.«

Sir Vincent Rushbrook sprach: »Unsere Islandflotte muss sich in geschlossenem Angriff sofort auf New York stürzen. Wir werden die Fünfzehnmillionenstadt in Asche legen. Das wird dem Diktator seine Gelüste auf Afrika und Indien am schnellsten austreiben.«

Lord Horace nahm noch einmal das Wort: »Ich befinde mich hier in einer eigenartigen Lage. Ich habe mich mit diesen Fragen doch vielleicht mehr beschäftigt als ein anderes Mitglied des Kabinetts. Ich sage Ihnen heute … denken Sie an meine Worte, meine Herren … Wir werden das Eingreifen der Macht in kürzester Zeit zu fühlen bekommen. Ich halte es für richtig, dass wir uns nur auf die Verteidigung beschränken.«

Die Worte des Lords Maitland vermochten das Kabinett nicht umzustimmen. Die letzten Depeschen über einen amerikanischen Angriff auf Indien ließen jede abwartende Haltung als schädlich erscheinen. Indien war die empfindlichste Stelle des britischen Weltreiches. Wer Indien anzutasten wagte, musste niedergeschlagen werden.

 

***