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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 55

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Der Gottlose und der Fromme

Zwei Handwerksburschen reisten miteinander und nährten sich vom Fechten. Einer war ein listiger und gottloser Mensch, so, was man einen Pfiffikus nennt. Der andere recht einfältig, dabei gutwillig und fromm, oder ein gutmütiger Einfaltspinsel, daher musste er immer das Bad austragen und bekam dazu die schlechtesten Bissen. Trotzdem war er aber doch immer zufrieden. Einst kamen sie in ein Wirtshaus. Dach und Fach mussten sie haben, denn es war barbarisch kalt, und Essen und Trinken hatten sie auch nötig, wollten sie nicht höllisch zur Ruhe aufs Stroh gehen. Wo aber Geld hernehmen, keiner hatte einen Pfennig in der Tasche.

Der Gottlose wusste Rat und sagte: »Will der Wirt die Zeche bezahlt haben, so muss einer von uns seinen Rock lassen.«

»Wer soll denn aber seinen Rock ausziehen?«, fragte der Fromme.

»Wer anders als du«, sagte der Gottlose.

Als sie am anderen Morgen nach ihrer Zeche fragten, sagte der Wirt, sie sollten gar nichts bezahlen. Gott habe ihm vor Jahren von einer Krankheit geholfen, dafür habe er gelobt, jeden Gast, der an dem Tag, so wie gestern, bei ihm einkehrte, freie Zeche und Nachtquartier zu geben, und das habe er immer so gehalten. Die Handwerksburschen dankten und gingen ab.

Unterwegs sagte der Gottlose: »Hör, Kamerad, das Fechten geht schlecht, wir haben ja oft nicht den Bissen Brot, den wir gebrauchen. Besser würde es damit gehen, wenn einer von uns blind wäre, und würde von dem anderen geführt, das Erbarmen und die Almosen wären dann größer.«

»Ja«, sagte der Einfaltspinsel, »wer von uns soll sich dann blind machen lassen?«

»Natürlich du«, sagte der Gottlose, »du kannst dich doch nicht so finden wie ich.«

Der Einfältige war’s zufrieden, gab sein Augenlicht preis und ließ sich die Augen ausstechen. Anfangs hatte er nichts Arges daraus, weil ihn sein Kamerad immer führte und sie immer tüchtig was zu leben und auch Geld hatten. Als er aber keinen Tag wieder sah und immer schlechter von seinem Kameraden behandelt wurde, am Ende auch nicht einmal satt zu essen bekam, da fing er an zu murren und war nicht mehr mit seinem Schicksal und Kameraden zufrieden.

Wenn er denn einmal so herausfuhr voller Gift und Galle, so antwortete der Gottlose: »Einfaltspinsel, halt’s Maul, oder ich lasse dich sitzen und sollt’s unterm Galgen sein.«

Der Blinde aber meinte, es wäre nur eine Antwort auf seine Worte und hörte nicht auf zu brummen.

Sie waren auf der Reise und hatten schon einen langen Weg gemacht, da fragte der Blinde: »Kommen wir noch nicht bald ins Quartier?«

»Doch«, sagte der Gottlose, »wir sind schon vor der Tür. Komm, setz dich hier auf den Stein, ich will den Wirt rufen, ob wir hier bleiben können.«

Der Blinde setzte sich nieder auf den Stein und wartete und wartete. Wer aber nicht wieder kam, das war der Gottlose. Endlich fing der Blinde au zu rufen, es hörte aber niemand. So blieb er sitzen. Es war alles totenstill um ihn. Am Ende hörte er ein Gefliege und Geflatter in der Luft und dann drei Rabenstimmen. Die Tiere setzten sich über ihn hin.

Da fing der eine Rabe zum anderen an: »Weißt du nichts Neues?«

»O, doch, diese Nacht fällt ein Tau, mit dem kann sich jeder Blinde sehend machen, wenn er sich davon etwas in die blinden Augen wischt.«

»Das ist gut«, sagte der andere, »wenn es nur alle Blinden wüssten.«

Da antwortete der Erste wieder: »Der Blinde hier unter dem Galgen, der hört es, kann es benutzen.«

Drauf sagte der zweite Rabe: »Ich weiß auch, woran es liegt, dass jetzt die Stadt kein Wasser hat und deshalb so grässliche Not darin ist. Es sitzt nämlich ein dicker Lork (Kröte) vor der Quelle, dort oben am Berge, woraus die Stadt bisher ihr Wasser bekam. Wer den Lork mit einer glühenden Zange davor wegreißt und tötet, der versorgt dadurch die Stadt mit Wasser.«

Der dritte Rabe aber sprach: »Ihr wisst, dass der König krank ist, und kein Arzt kann ihm noch helfen. Wer aber drei Bissen von dem Brot, das vor ihm gelegen hat, nimmt, das zu Pulver brennt und ihm auf dreimal eingibt, der rettet dem König das Leben.«

Darauf flogen die drei Raben weg. Der Blinde hatte aber alles gehört und sich gut gemerkt. Das Nächste war, als er fühlte, dass der Tau fiel, sich gleich etwas davon auf seine Augen zu wischen. Es geschah ein Wunder, er bekam sein Augenlicht wieder. Nun sammelte er aber auch noch von dem Tau ein Medizinglas halb voll, damit hatte er später noch viele andere wieder sehend gemacht.

Hierauf ging er zur Stadt aufs Rathaus und sprach, er wolle die Stadt wieder mit Wasser versorgen, was sie ihm geben wollten? Da versprachen sie ihm, er solle haben, was er fordere, wenn sie nur Wasser bekämen. Er ließ sich nun eine Zange machen und ging zu der versiegten Quelle. Richtig, es saß ein großer Lork davor. Der Handwerksbursche riss ihn davor weg und gleich sprudelte das Wasser wieder aus der Erde. Dem Tier gab er aber den Genickfang, dass melden und sagen, ein Doktor wäre da, der den König gesund machen wolle. Der König wollte erst nicht daran und sagte, ihm könne doch niemand weiter helfen, als der Sensenmann (Tod). Doch unser Doktor ließ sagen, er möchte es doch nur noch einmal versuchen, er solle sehen, er würde wieder gesund. Da musste er denn hinaufkommen, er fragte hin und her, nach diesem und jenem (das hatte aber nur so etwas sein sollen), dann ließ er sich von dem Brot, das vor dem König gestanden hatte, ein Stückchen geben, fuhr nach Hause, brannte es zu Pulver, kam dann wieder und gab dem König davon ein. Kaum hatte er es genommen, da wurde es schon etwas besser mit ihm. Bald nachher musste er nochmals etwas davon nehmen. Danach konnte der König schon aufstehen und nach dem dritten Mal Einnehmen war er ganz korrekt.

Nun wollte er den Doktor königlich belohnen. Doch dieser sagte, er möchte ihm nur ein gutes Wirtshaus schenken, in dem er sein Brot hätte. Dazu sagte der König gern ja. Nachher, als der Doktor schon lange Zeit Wirt gewesen war und Frau und Kinder hatte, dabei auch reich war, kam eines Abends ein recht zerlumpter Mensch in die Gaststube und bat um Gotteswillen um ein Nachtquartier. Das wurde ihm auch gegeben, und an demselben Abend, da stellte es sich heraus, dass der Bettler der Gottlose gewesen war, der erst mit dem Wirt das alles aufgestellt und ihn so betrogen hatte. Der Wirt ließ es ihm aber nicht entgelten, sondern behielt ihn. Am anderen Morgen kamen aber die Haltefeste und nahmen unseren Gottlosen und brachten ihn in Gewahrsam. Zuletzt war er noch am Galgen zur Ruhe gekommen, denn er hatte einen anderen Handwerksburschen totgeschlagen und ihm sein bisschen Armut abgenommen und dabei war ihm der Arm der Gerechtigkeit zu nahe gekommen. Da hat er auch sein Recht bekommen.