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Der Marone – Ein Auftrag für die Menschenjäger

der-marone-drittes-buchThomas Mayne Reid
Der Marone – Drittes Buch
Kapitel 7

Ein Auftrag für die Menschenjäger

Cubina bewahrte einige Zeit seine beschränkte Stellung, denn er wagte es nicht, sich nur im Geringsten zu rühren, da Jessuron sich stets auf dem schattigen Gang der Veranda aufhielt. Zumeist stand er oben auf der hölzernen Treppe und spähte über den Hofplatz zum Tor hin, durch das er zuvor selbst getreten war. Er schien zu erwarten, dass jemand hier hereinkommen solle.

Diese Vermutung Cubinas war auch ganz richtig, denn bald drehte sich das große Tor abermals in seinen Angeln. Nach einigen draußen von dem schwarzen Pförtner gesprochenen Worten, die von einer anderen Stimme beantwortet wurden, traten zwei Männer in den inneren Hof.

Als sie in den Mondschein kamen, erkannte Cubina sie sofort. Ihre biegsame, geschmeidige Gestalt und ihre dunkelbraunen, eckigen Gesichtszüge ließen ihn sogleich die spanischen Negerjäger erkennen.

Sie schritten beide unverweilt gerade auf die Treppe zu, blieben aber unten stehen.

Als Jessuron die beiden Männer durch das Tor kommen sah, trat er in ein auf die Veranda führendes Zimmer, blieb nur einen Augenblick darin und kehrte dann zum oberen Ende der Treppe zurück.

Einer der Spanier stieg hinauf und empfing etwas aus Jessurons Hand. Was dies war, hätte Cubina schwerlich erkennen können, wäre es nicht durch die Rede des Koppelhalters angedeutet worden.

»Da ist die Flasche«, sagte er. »Es ist der beste Branntwein auf ganz Jamaika. Und nun«, fuhr er in einem ernsthaften, ermahnenden Ton fort, »ihr wackeren Burschen, ihr habt keine Minute zu verlieren. Denkt an das viele Geld, das ihr verdienen könnt und lasst den Flüchtling nicht entwischen!«

»Quält Euch darüber nicht, Señor Don Jakob«, erwiderte der, welcher die Flasche erhalten hatte. »Er muss wahrhaftig lange Beine haben, um uns zu entkommen, wenn wir ihm einmal auf der Spur sind.«

Dann stieg der Negerjäger ohne weiteres Reden die Treppe hinab zu seinem Genossen, und beide eilten über den Hof und verschwanden in der Pforte, durch die sie zuvor hereingekommen waren.

»Ein Unternehmen auf irgendeinen armen Sklaven!«, sagte Cubina leise zu sich selbst. »Ich hoffe, die Schurken werden keinen fangen, und ich bedaure den, den sie ergreifen. Bei alledem sind sie gerade keine großen Helden in ihrem Geschäft, trotz ihres Großtuns.«

Mit dieser auf sein eigenes Geschäft Bezug nehmenden Äußerung wandte der Marone sein Auge wieder aufmerksam auf den im Schatten der Veranda Verbliebenen.

»Hoffentlich«, murmelte Cubina, »wird der alte Schuft nun endlich einmal ins Bett kriechen! Oder hat er noch mehr solche Geschäfte? Solange er nicht fort ist, kann ich mich nicht bewegen. Ich darf mich gar nicht rühren, wenn mir mein Leben lieb ist.«

Zu Cubinas großer Freude ging Jessuron in seine Kammer zurück.

»Gut, gut«, rief der Marone in Gedanken aus. »Ich hoffe jetzt wirklich, er wird einmal in seiner Höhle bleiben, da er jetzt darin ist. Ich habe, offen gestanden, gar keine Lust, diese Nacht noch etwas von ihm zu sehen!«

Diese Hoffnung war jedoch von kurzer Dauer, denn Jessuron kehrte alsbald zurück und zwar nicht in seinem kurzen blauen Leibrock, den er gewöhnlich trug, sondern in einem weiten Schlafrock, der bis auf die Füße hinabreichte. Seinen Hut hatte er ebenfalls abgelegt, obwohl die schmutzige weiße Nachtmütze unveränderlich auf seinem Kopf verblieben war, denn diese wurde niemals abgenommen.

Zum größten Schrecken Cubinas brachte er auch einen Stuhl mit. Diesen, einen Lehnstuhl mit hohem Rücken, zog er aus der Kammer bis in die Mitte der Veranda, stellte ihn ordentlich zurecht und setzte sich bequem hinein.

Einen Augenblick danach sah Cubina Funken und hörte ein Geräusch, das vom Zusammenschlagen von Stahl und Stein herrührte. Jessuron schlug Feuer.

Zu welchem Zweck nur?

Diese Frage wurde bald dadurch beantwortet, dass der Geruch brennenden Tabaks die Veranda hinauf drang, sogar bis zum Gipfel der Kokospalme, wo Cubina saß. Auch konnte dieser nun eine glühende Kohle zwischen der Nase und dem Kinn des Koppelhalters wahrnehmen. Er rauchte eine Zigarre.

Cubina sah dies alles mit großem Verdruss. Wie lange konnte das Rauchen dauern? Eine halbe Stunde, eine Stunde vielleicht; ja, möglicherweise gar bis Tagesanbruch, der nun gar nicht mehr weit entfernt sein konnte. Die Lage Cubinas war jedenfalls viel schlimmer und geradezu hoch bedenklich geworden. Nicht die geringste Bewegung konnte er jetzt machen, um Herbert aufzuwecken, seine Stellung im Baum durfte er gar nicht ändern, wenn er sich nicht der Gefahr aussetzen wollte, von Jessuron gesehen zu werden. So musste er sich, er mochte wollen oder nicht, entschließen, so lange in derselben zu bleiben, bis der Koppelhalter seine Zigarre geraucht haben würde, obgleich es auch noch keineswegs gewiss war, dass damit die Sitzung aufgehoben sei.

Trotz seiner inneren Unruhe nahm der Marone alle nur mögliche Geduld zusammen und blieb schweigend und unbeweglich auf seinem Vogelsitz. Wohl eine ganze Stunde war er hier in der verzweifelten Lage, bis seine Glieder zu schmerzen und zu brennen anfingen und seine Geduld und kaltblütige Ruhe aufs Äußerste erschöpft waren. Jessuron blieb inzwischen fest auf seinem Sessel kleben, als wäre er darauf angeleimt, vollkommen schweigend und unbeweglich wie Cubina selbst.

Dieser nahm in seiner gewiss nicht beneidenswerten Stellung gewahr, dass Jessuron mehrere Zigarren statt einer rauchte, obwohl er bei dem dunklen Schatten, in dem dieser saß, nicht bestimmen konnte, wie viele. Zum allergrößten Schrecken aber bemerkte er bereits die ersten Zeichen des anbrechenden Morgens. Bei einer leichten Kopfwendung konnte er schon den goldenen Strahl des ersten Sonnenlichts die Spitze des Jumbéfelsens rosig färben sehen.

»Was ist zu tun?«, war jetzt sein einziger Gedanke. Wenn er hier noch länger blieb, so musste er sicher entdeckt werden, das war ganz gewiss. Die Sklaven mussten nun bald an ihre Arbeit gehen und der Aufseher und seine Gehilfen waren dann auch in Bewegung. Der eine oder der andere musste ihn ohne Zweifel auf dem Baum sehen. Vielleicht konnte er jetzt noch glücklich genug sein, hinweg zu schleichen, wenn er den in der Hängematte Schlafenden gänzlich aufgab.

Während er nun bereits daran dachte, wie er unbemerkt den Baum hinabgleiten könne, sah er noch einmal zum in dem Lehnstuhl Sitzenden hin. Jetzt begünstigte ihn der immer mehr hereinbrechende Tag, der ihn so eben erst erschreckt hatte, denn er befähigte ihn zu der zweifellosen Wahrnehmung, dass der alte Jessuron schlief.

Jessurons Kopf war an das Polsterwerk des Stuhls gelehnt, und so hatte er sich vor der einflussreichen Macht des Schlafes gebeugt. Seine Brille war abgenommen und deshalb konnte Cubina genau sehen, dass die niedergeschlagenen Lider wirklich die dunklen, unheimlichen Augen bedeckten.

Ganz zweifellos schlief er, das bewies seine ganze Haltung. Seine Beine hingen schlaff vom Stuhl herab, seine Arme lagen entspannt und der unzertrennliche Regenschirm war seiner Hand entglitten und lag auf dem Boden zu seinen Füßen. Dieser klare Beweis des Schlafzustandes wurde auch nicht dadurch entkräftet, dass sich noch ein kurzer Zigarrenstummel in seinem Mund befand und noch ein wenig brannte.