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Der wilde Raubgraf Bruno von Rabenhorst Kapitel 6

Raubgraf-Bruno-von-RabenhorstDer wilde Raubgraf Bruno von Rabenhorst und sein schreckliches Ende in der Teufelsmühle
Oder: Das furchtbare Femgericht um Mitternacht
Eine Geschichte aus den rohen Zeiten des Faustrechts
Um 1860 niedergeschrieben

Kapitel 6

Da wo der Bösewicht am sichersten sich wähnt,
erfasst die Rache ihn mit scharfen Krallen,
Und wo der schwarze Höllenschlund ihm schrecklich gähnt,
lässt sie verheißungsvoll hinein ihn fallen!

Mit Tagesanbruch gelangten Bruno und seine Spießgesellen auf Rabenhorst an und versuchten den Tag, nachdem sie ihre schändliche Rache so fürchterlich ausgeübt hatten, so fröhlich wie möglich zu verleben, um die sich in ihnen regenden Gewissensbisse betäuben. Es wurde daher die Zechhalle zu einem Bankett festlich geschmückt, und Bruno ließ alle seine Knappen und die übrigen ihm befreundeten Wegelagerer dazu einladen. Den ganzen Tag schwelgte nun Bruno und stieß Lästerungen aus, dass selbst die rohesten seiner Trossbuben bedenkliche Blicke miteinander wechselten.

Gegen Mitternacht hatten sich die Köpfe der Zechenden beim Weinhumpen dermaßen erhitzt, dass man glauben konnte, es wirtschafteten jetzt schon die abscheulichsten Höllengeister in Rabenhorst. Trunkenen Mutes erhob sich nun Bruno von seinem Sitz und stieß mit dem ihm gegenüber sitzenden Burgvogt mit folgenden Worten seinen Humpen an: »Aufs Wohl des verbrannten Ritters Kurt von Dillenburg und allen denen, die ich gen Himmel geholfen habe, sei dieser volle Humpen geweiht.« Er stieß so gewaltig mit dem Burgvogt an, dass beide Humpen zersprangen und klirrend zu Boden fielen. Im selben Augenblick rauschte es wie ein Sturmwind der Halle entlang, und alle Schilder und Schwerter, die als Trophäen darin aufgehängt waren, fielen rasselnd auf die Steinplatten herunter.

»Hört das Mahnen der Rachegeister der Ermordeten«, rief eine dumpfe Stimme, die alle Zecher erbeben machte. »Ihr, Ritter Bruno von Rabenhorst, seid hiermit vor das Gericht der heiligen Feme geladen und werdet in der zwölften Mitternacht von heute an gerichtet werden. Amen.«

Alle vorhin noch so fröhliche und frechen Gesichter wurden daraufhin ernst und totenblass, und selbst Bruno konnte sich dem allgemeinen Entsetzen nicht erwehren und suchte bebend seinen Platz wieder auf. Die geladenen Gäste entfernten sich fast augenblicklich, sodass bald nur die Bewohner von Rabenhorst allein in der Halle übrig blieben und sich kaum getrauten, die schauerliche Stille, die so plötzlich eingetreten war, mit ihrer Stimme zu unterbrechen.

Da stand der Burgvogt auf, und mit dem Fuß auf die Erde stampfend sagte er: »O, ihr verfluchten Memmen, lasst ihr euch durch einen solchen Spaß erschrecken?« Indem er zu lachen versuchte, nahm er das erste beste Trinkgeschirr von der Tafel und stürzte es mit einem Zug hinunter. »So, das vertreibt die Furcht, wer nämlich eine zu vertreiben hat. Auf, gestrenger Herr, folgt meinem Beispiel und ertränkt im edlen Rebensaft Eure Grillen!«

»Haltet das Maul, ihr verfluchter Bösewicht! Ich wollte, ich hätte Eurem schändlichen Rat nicht gefolgt.«

»So, ist das mein Dank für die Euch treu geleisteten Dienste? Ihr habt mich schlecht genug dafür gezahlt, sodass ich es nicht nötig habe, mich noch mit Schimpfreben traktieren zu lassen!«, entgegnete mit wuterstickter Stimme der Burgvogt.

»Verlasst augenblicklich mein Schloss«, rief Bruno mit donnernder Stimme. »Hier habt Ihr noch einen Beutel voll Gold, mit welchem ich Eure erbärmlichen Dienste nur zu reichlich belohne!«

»Noch einen muss ich haben!«, rief der Vogt, »sonst werde ich Euch und Eure Taten dem Femgericht verraten.«

»Gut, ich werde Euren Golddurst mehr als Euch lieb sein wird zu stillen wissen«, sagte Bruno. »Kommt, folgt mir!«

Dieser hatte jedoch einigen seiner Trossbuben einen geheimen Wink gegeben, dass sie ihm hinter dem Vogt her folgen sollten.

Bruno führte nun seinen goldgierigen Vogt, der ganz dienstbereitwillig mit einem Armleuchter folgte, zu seiner Schatzkammer und übergab demselben den Schlüssel mit dem Bemerken, dass er sich aus derselben soviel, wie er nur wolle, aussuchen dürfe.

Vor Freude zitternd ergriff der Vogt den Schlüssel, sperrte auf und stürzte mit einem furchtbaren Schrei in eine vor ihm sich auftuende Öffnung, die durch eine künstliche Maschinerie nur dem Uneingeweihten gefährlich wurde.

»So lohnt Bruno von Rabenhorst seine Diener, die Verräter an ihm werden wollen«, sagte derselbe mit finsterem Gesicht und gab den beiden Trossbuben Befehl, dass sie ins untere Gewölbe gehen und den Burgvogt, der jedenfalls durch den unvorhergesehenen Fall stark betäubt oder wohl gar verletzt am Boden liegen würde, daselbst samt seinem Gold, das er bei sich trüge, einmauern sollten, und zwar so, dass er stets das Gold vor Augen habe, am Tag vom Sonnenlicht beleuchtet, und in der Nacht vom matten Lampenschimmer.

Nur zu pünktlich gehorchten dieselben dem Befehl Brunos, denn der Burgvogt hatte sich durch sein wildes Benehmen bei allen seinen Untergebenen gar sehr verhasst gemacht, und es war den beiden eine recht gewünschte Freude, sich an diesem Tyrannen rächen zu können.

Sie ergötzten sich sogar an seinen Qualen und versuchten sie auf jede Art und Weise noch zu vermehren, sodass derselbe unter den fürchterlichsten Schmerzen, die der Hungertod, vereinigt mit der Höllenpein eines bösen Gewissens, verursachte, seine schwarze Seele nach wenigen Tagen aushauchte.

Bruno lebte dagegen herrlich und vergnügt, denn als er am anderen Morgen seinen Rausch ausgeschlafen hatte, dachte er nicht mehr an die erschreckende Vorladung vor das Femgericht, und nur noch vorübergehend an seinen eingemauerten Burgvogt. Wie er meinte, erfreue sich jetzt dieser bis an sein seliges Ende eines ungestörten Besitzes seiner Goldstücke.

Ein mit solchen Schandtaten belastetes Gewissen findet jedoch selten Ruhe, und so ging es nun auch Bruno. Was ihm einigen Minuten noch ergötzlich schien, das ekelte ihn nach wenigen Sekunden wieder an, sodass er von einem Gegenstand zu dem anderen getrieben wurde und zuletzt doch nicht wusste, was er eigentlich tun wollte.

Dies machten sich nun seine Knappen zunutze, die von der scharfen Aufsicht ihres Burgvogts befreit waren, sich alle Nachlässigkeiten in der Bewachung der Burg zuschulden kommen ließen. So geschah es denn, dass gerade am zwölften Tag nach der Vorladung Brunos sich einige vermummte Gestalten einschlichen, welche sich bis zur Nacht verborgen hielten. Dann öffneten sie leise das Haupttor, und nachdem sie sachte die Zugbrücke heruntergelassen hatten, ließen sie einen großen Zug schwarz geharnischter Ritter herein, die geräuschlos alle Aus- und Eingänge besetzten.

Auf ein verabredetes Zeichen wurde Lärm gemacht, und nun kamen erst von allen Seiten Brunos Knappen herbei, wurden aber sogleich von den gepanzerten Rittern niedergehauen, sodass kein Einziger entkam.

Ganz entsetzt stürzte nun auch Bruno herbei, und als er die schwarzen Ritter gewahrte, zog er wütend sein Schwert, um wenigstens sein Leben, das der Feme bereits verfallen war, so teuer wie möglich zu verkaufen. Doch kaum hatte er dasselbe entblößt, als er sogleich von einem der Geharnischten entwaffnet und von einigen Umstehenden gefesselt und geknebelt wurde. Dann band man ihn auf ein Maultier, und in starker Begleitung wurde er nun von seiner Burg, die er nie mehr betreten sollte, abgeführt.

Als Bruno sah, dass alle seine Anstrengungen, sich freizumachen, vergeblich waren, knirschte er mit den Zähnen und stieß grässliche Flüche gegen seine Begleiter aus, die sich jedoch wenig an sein ohnmächtiges Rasen kehrten und ruhig ihres Weges dahinzogen.

Der nächtliche Ritt dauerte mehrere Stunden. Als der Zug in der Mitte eines dichten Waldes angekommen war, wurde plötzlich haltgemacht, dem Bruno die Augen verbunden, vom Maultier losgemacht und noch einige Hundert Schritte auf einem felsigen Weg weiter geführt, bis man eine mächtige Felswand umgangen hatte. Hier vernahm man das Getöse und Rauschen eines Mühlrades, das unterhalb der Füße der nächtlichen Wanderer die Werke einer Sägemühle trieb, neben welcher ein uralter Turm, aus der grauen Vorzeit stammend, sich erhob, und worin früher ein heimliches Gericht sich befand, woher der Name Teufelsmühle kam.

Ohne dass Bruno es wusste, wo er war, wurde er in diesen Turm geschleppt und durch eine Falltür, durch welche man zu den untersten Gemächern gelangte, von seinem Begleitern in eine mit vielen Ampeln beleuchtete Halle geführt.

Alljährlich hielten hier die Ritter, welche zur heimlichen Feme gehörten, ihre Zusammenkünfte und saßen daselbst zu Gericht selbst über die vornehmsten Ritter, welche sich irgendein Verbrechen zuschulden kommen ließen, das der Ritterehre zuwider war, und die man wegen ihrer hohen Geburt nicht vor des Kaisers Gericht bringen konnte. Das Wegelagern, Rauben und Ausplündern der reisenden Kaufleute wurde nicht zu den Verbrechen gerechnet, sondern man betrachtete dieses in damaliger roher Zeit als ein freies Gewerbe, das seinen Mann redlich ernähre.

Nur Mord ohne Zweikampf, sei er aus Neid oder Rache begangen, wurde auf eine fürchterliche Weise von dem geheimen Bund der Feme gerächt und gerichtet, sodass jeder erbebte, wenn auch nur das Wort Feme ausgesprochen wurde.

In der Vorhalle angekommen, musste sich Bruno auf einen Schemel niederlassen, bis man seiner begehren würde. Nach Verlauf einer halben Stunde erschien ein schwarz Vermummter und führte Bruno, der noch immer die Augen verbunden hatte, durch einen langen finsteren Schneckengang. Auf die Frage Brunos, wo er sei und was man mit ihm vorhabe, erhielt er keine Antwort. Als man noch einige Schritte abwärts getan hatte, erreichte man eine kleine eiserne Tür, welche der Vermummte öffnete und Bruno vor sich hineinschob. Jetzt wurde ihm die Binde von den Augen genommen, und er sah sich zu seinem größten Entsetzen vor den Richtern der geheimen Feme gestellt.

An einer halbrunden länglichen Tafel saßen in feierlicher Stille zwölf Ritter in schwarzen Rüstungen mit geschlossenen Visieren. Auf der mit schwarzem Tuch bedeckten Tafel brannten zwölf große Wachslichter, in deren Mitte ein silbernes Kruzifix stand, vor welchem ein Totenschädel lag, der aus seinen dunkeln Augenhöhlen Bruno finster und vernichtend anzublicken und mit seinen gebleichten Zähnen anzugrinsen schien, als wollte er ihm dadurch zu verstehen geben, dass nun bald auch sein Schädel so aussehen würde.

Hinter den zwölf Rittern saß auf einem erhabenen Sitz das Oderhaupt der heiligen Feme, ebenfalls im schwarzen Ornat mit dem blanken Schwert in der Hand. Nachdem er Bruno mit seinen blitzenden Augen eine Zeit lang angesehen hatte, befahl er, die Ankläger Brunos hereinzurufen.

Sogleich führte ein vermummter Henrico und den alten Treumann herein, welche beide ihre Anklage wegen Ermordung Elwiras dem Oberrichter ausführlich erzählten.

Nachdem dieselben ihre Mitteilung vollendet hatten, sprach der Oberrichter Bruno mit folgenden Worten an: »Bruno von Rabenhorst, Ihr seid wegen eines schändlichen und feigen Meuchelmords angeklagt, den Ihr an der Tochter des biederen Treumanns begangen habt, und unter anderen vielen Schandtaten, die ihr begangen habt, ist auch der Überfall des Schlosses Dillenburg und dessen Abbrennen durch Eure frevelhafte Hand und die fürchterliche Rache, die ihr an dem edlen Kurt und seinen Knappen genommen, und wodurch Ihr Euch zu einem elenden Mordbrenner gestempelt habt, zur Kenntnis der nie ruhenden Feme gekommen. Sie hat deshalb beschlossen, Euch nach ihren Gesetzen dieser Freveltaten wegen zu richten und Euch nach Fug und Recht zu bestrafen!«

Nach dieser Anrede ermannte sich Bruno und erwiderte mit frecher Rede: »Ich bin weder Euch noch sonst jemanden für meine Taten verantwortlich, denn ich bin ein frei geborener Ritter. Wer mir die Ermordung der Dirne dieses alten Spießbürgers zur Last legt, ist ein unverschämter Lügner und mag in einem Zweikampf mit mir gegen mich auftreten!«

»Schweig, elender Bösewicht!«, rief der Oberrichter, »wie könnt Ihr es noch wagen, Euch verteidigen zu wollen und die Taten zu leugnen, von denen jedermann mit Abscheu spricht! Und wie könnt Ihr noch von einem ritterlichen Zweikampf sprechen, da Ihr die Ritterehre mit Füßen getreten habt und zu einem elenden Raubmörder heruntergesunken seih! Antwortet auf meine Frage, ihr Schöffen! Ist Bruno von Rabenhorst noch eines ritterlichen Zweikampfes würdig?«

»Nein!«, antworteten mit dumpfer Stimme die zwölf Ritter. »Er ist der Ritterehre durch seine Schandtaten längst verlustig!«

»So zerbreche man seinen Schild und schlage die Sporen von seinen Füßen!«

Auf ein gegebenes Zeichen rauschte ein Vorhang in die Höhe. Ein scharlachroter Mann trat heraus, nahm Brunos Schild, zerschlug denselben mit einer eisernen Keule und warf die Stücke mit verächtlicher Miene zu Brunos Füßen, von denen ein anderer mit einem Schwertgriff die Sporen herunterschlug.

Als Bruno seine ritterlichen Ehren am Boden zertrümmert liegen sah, erfasste ihn plötzlich eine unnennbare Wut, sodass seine Rippen bebten. Mit einem Ruck zerriss er seine Handfesseln und schleuderte mit solcher Kraft den ihm zunächst stehenden Ritter zu Boden, dass ihm das Blut aus Mund und Nase drang.

Schnell sprangen aber einige Vermummte auf ihn zu, rissen ihn zu Boden und knebelten ihn aufs Fürchterlichste.

»Führt ihn in die Folterkammer, damit er sein Urteil ruhig anhören möge und einen Vorgeschmack von dem bekomme, was ihm noch bevorsteht«, sagte der Oberrichter.

Bruno wurde nun dem Ersten Foltermeister übergeben, der ihn durch seine Knechte auf die Folterbank binden ließ, die durch künstliche Schrauben den ganzen Körper gleichmäßig mit furchtbarer Kraft ausdehnten, dass alle Knochen sich in den Gelenken dehnten und ein entsetzlicher Schmerz in den Gliedmaßen des Unglücklichen entstand. Als die ersten Schrauben angezogen wurden, stöhnte Bruno vor Schmerz laut auf, und als erst die Maschine seinen ganzen Körper ausdehnte, brüllte er so fürchterlich, dass es schaurig durch das Gewölbe hallte und Henrico bat, man möge damit aufhören.

Der Oberrichter gab den Befehl, Bruno wieder vorzuführen, damit er sein Urteil vernehme.

Mit schlotternden Knien und blassen Gesicht wurde Bruno hineingeführt.

Der Oberrichter stand auf und fragte die Schöffen mit ernster Stimme: »Was hat der verdient, der sich solche Gräueltaten zuschulden kommen ließ?«

»Den siebenfachen Tod!«, antworteten einstimmig die Schöffen.

»Nun, so führe man ihn in die Eisenkammer des Todes, in welcher er nur sieben Mal das Tageslicht bei siebenfacher Todesqual erblicken wird, bis sich sein Kerker in seinen Sarg verwandelt hat!«, sagte der Oberrichter und gab Befehl, dass man sogleich dem Richterspruch nachkommen sollte.

Bruno, der sich wieder einigermaßen erholt hatte, schöpfte wieder Hoffnung, als er sah, dass man ihn mit dem Henkerbeile verschonte, und ließ sich geduldig abführen. Als derselbe abgetreten war, hob der Oberrichter die Versammlung auf, und alle entfernten sich auf einem geheimnisvollen Weg, der nur den Mitgliedern des Femebundes bekannt war.

Bruno lag unterdessen in seinem neuen Kerker auf einem ganz schmalen Lager und dachte, man würde ihn schon nach einiger Zeit wieder in Freiheit lassen.

Von dem eben Erlebten zu sehr angegriffen, hatte er das Behältnis, in welchem er eingesperrt war, noch nicht untersucht und fiel gar bald in einen fieberhaften Schlummer, aus welchem er oft durch schreckliche Traumbilder gestört wurde. Bald glaubte er die sterbende Elwira vor sich zu sehen, welche den bluttriefenden Pfeil aus ihrem Busen zog und denselben gen Himmel haltend ihn mit sterbendem Blick anstarrte, dass er erschreckt von seinem Lager aufsprang. Bald sah er die gemordeten Knappen von Dillenburg mit dem Ritter Kurt an der Spitze mit glühenden Pfählen auf sich zukommen, um ihm dieselben ins Herz zu stoßen. Dann sah er seinen Burgvogt in Gestalt eines schwarzen Ebers auf ihn zukommen, der ihm mit seinen gewaltigen Hauern den Leib aufreißen wollte. So gingen an seinem Geist die schrecklichsten Szenen und Gestalten vorüber, die sein schuldbeladenes Gewissen hervorrief. Ganz erschöpft, im Angstschweiß gebadet, erwachte er am anderen Morgen. Als er sich ein wenig erholt hatte, wagte er es, sich von seinem Lager zu erheben, um seinen Kerker etwas näher zu untersuchen.

Zu seinem größten Erstaunen sah er, dass derselbe ganz von Eisen und an ein Entkommen hier gar nicht zu denken war. Er betrachtete nun die Fensteröffnungen, ob er durch diese nicht entkommen könnte. Hierfür war jedoch gesorgt. Noch größer war aber sein Entsetzen, als er nur sechs solcher Fensteröffnungen zählte, während er doch gestern ganz bestimmt deren sieben gezählt hatte. Auch kam ihm das Gefängnis etwas kürzer vor. Mit großer Unruhe und innerlicher Angst, die sich fortwährend steigerte, ging er in seinem Kerker auf und ab, und wartete sehnsüchtig nach der Stunde, in welcher wohl ein Kerkermeister kommen und ihm einige Nahrung und einen Wasserkrug, welches er beides gestern vorgefunden hatte, bringen würde. Er wartete von Stunde zu Stunde, jedoch vergeblich, es erschien kein solcher. Diese Einsamkeit wurde ihm so schrecklich, dass er glaubte, vergehen zu müssen, wenn nicht bald eine Änderung in seiner verzweiflungsvollen Lage einträte. Allein sie blieb dieselbe, mochte er auch toben, wie er wollte, es blieb alles ruhig, und er glaubte, schon jetzt lebendig begraben zu sein.

Nachdem er sich einige Zeit ganz erschöpft auf sein Lager hin und her geworfen hatte, vernahm er ein leises Geräusch, als bewege sich etwas in seinem Kerker. Er fühlte deutlich einen kühleren Luftzug an seinem Gesicht vorbeistreifen. Sogleich sprang er auf den Ort zu, woher er das Geräusch vernommen hatte, allein er konnte nichts entdecken, was ihm Beruhigung verschaffen konnte. Nur bemerkte er zu seinem größten Erstaunen, dass ein frischer Wasserkrug an der Stelle des vorigen stand, und dass er mit neuer Nahrung versehen worden sei. Diese rätselhafte Erscheinung beunruhigte ihn noch mehr, doch glaubte er am anderen Tag Aufschluss zu erhalten. Die zweite Nacht, die er in seinem geheimnisvollen Kerker zubrachte, war noch fürchterlicher als die erste. Wilde Traumgestalten mit glühenden Augen rüttelten an seinem Lager, blanke Schwertspitzen drohten ihn zu durchbohren, rötliche Flammenschlünde schienen ihn zu verschlingen, wenn er von einem schauderhaften Gegenstand erschreckt zurückbebte. Der andere Morgen kam, brachte aber für den gequälten Bruno keinen Trost. Zu seinem größten Entsehen zählte er nur fünf Fensteröffnungen, es war über Nacht wieder eins verschwunden. So wie der erste und zweite Tag verschwanden auch unter denselben quälenden Erscheinungen der dritte, vierte und fünfte Tag, und jeder Tag verkleinerte Brunos Gefängnis, und mit jedem kommenden Morgen war eine der verhängnisvollen Fensteröffnungen verschwunden.

Als am sechsten Tage nur eines derselben noch übrig war, und Brunos Gefängnis sich so verkleinert hatte, dass er sich kaum darin bewegen konnte, da gedachte er der Worte, die der Oberrichter der Feme zu ihm gesagt hatte, dass nämlich am siebenten Tag sein Gefängnis sein Sarg werden solle. Da ergriff ihn vollends die Verzweiflung, er raufte sich die Haare aus und versuchte, sich seinen Schädel an den eisernen Wänden zu zerschmettern. Da ihm dieses jedoch nicht gelingen wollte, weil der Raum zu beengt war, so verursachte er sich durch dieses entsetzliche Rasen nur noch größere Pein, welche endlich so groß wurde, dass er wie ein wildes Tier laut aufbrüllte, bis er in völligem Wahnsinn auf sein Lager zurückfiel und daselbst von den sich immer enger zusammenziehenden Eisenwänden zerquetscht wurde.

Auf solche fürchterliche Weise beendete Bruno sein ruchloses Leben in der Teufelsmühle.