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Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 52

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Die grüne Jungfer

Die alte Großmutter hatte die Geschichte erzählt und was die erzählte, das war wahr, sie fing an und sagte: »Na, nun hört mir mal zu. Mir fällt eben die Geschichte von der grünen Jungfer ein, die habt ihr noch nicht gehört. Ja, ja, früher ist manches passiert, das alles vergessen wird, wenn unsereins es nicht behielt und neu auftischte. Da unten in Windhausen unter der Laubhütte hinunter hat vor vielen Jahren einmal ein armer Besenbinder gewohnt und viele recht hübsche Kinder gehabt. Man hat das wohl, dass arme Leute hübsche Kinder haben. Dieser Besenbinder nimmt seine älteste Tochter, es ist ein Mädchen so von dreizehn, vierzehn Jahren gewesen, das rote Backen und recht kluge Augen hat und dabei kann es sprechen, wie ein Buch. Das nimmt also sein Vater mit in den Wald und holt Besenreiser zu Besen. Versteht ihr? Da vorn bei Windhausen standen damals auch schon viele Birken, und ihr wisst, von den feinen Ruten werden Besen gemacht. Es ist schrecklich kalt gewesen, wenn auch die Sonne über Berg und Tal schien. An den Zweigen hat das Eis gesessen und ausgesehen, als hingen lauter Silberstangen daran herunter. Sie gehen weiter in den Wald. Vorn herum haben erst Tannen gestanden, und dann ist das Laubholz gekommen. Auf einmal bleibt der Vater stutzig stehen und spricht, indem er nach einer großen Tanne zeigt. ›Sieh doch, Anna, was ist denn das?‹

Das Mädchen sieht auch da eine Jungfrau stehen, die ein grünes Kleid, grüne Hände, grünes Gesicht und auch gar grüne Haare hat. Die beiden wundern sich noch darüber, da kommt die grüne Dame auf sie zu und spricht zu dem Vater: ›Deine Tochter da, die muss ich haben.‹

Kaum hat sie das gesagt, so ist sie mit dem Mädchen verschwunden. Vor Schreck kann erst der Mann keinen Schritt von der Stelle tun, nachher kommt er wieder zu sich und hört dann weit von sich rufen: ›August, August, August!‹ Ein paar Schritte von ihm steht ein goldener Hirsch. Weil er meint, seine Tochter wäre darin verwandelt, so geht er darauf zu. Als er aber den Hirsch ans Geweih fassen und festhalten will, da ist er verschwunden. So geht es dreimal, aber immer auf einer anderen Stelle. Bei der Gelegenheit ist der Besenbinder vor ein kleines Hüttchen gekommen. Er geht hinein, um ein wenig von der Anstrengung und wegen des Kummers über feine Tochter zu ruhen, die er so schändlich verloren hat. Sieh da, da sitzt die grüne Jungfer und ist halb Fisch und halb Mensch und darum her sitzen lauter kleine Männlein mit steinernen Beinen auf kleinen Treppen, und das geraubte Mädchen, die Besenbindertochter, nicht weit von der Tür auf goldenem Thron.

Voll Freude nimmt der glückliche Vater sein Kind auf den Arm und macht, dass er zum Haus hinaus kommt. Keiner verfolgt ihn, er läuft, als ob ihm der Kopf brennt, dass er erst den Wald hinter sich hat, und kommt glücklich zu den Seinen. Ist aber das Mädchen vorher schon schön gewesen, nachdem ist sie ein wahrer Engel von Schönheit.

Die Geschichte wird ruchbar und bei der Gelegenheit erfährt man auch, dass der Besenbinder eine so hübsche Tochter hat, selbst der junge König erfährt es. Da der sich nun vorgenommen hat, nur das hübscheste und beste Mädchen zu heiraten, so lernt der sie auch kennen und nimmt sie zur Frau, wenn es auch nur eine Besenbindertochter gewesen ist. Tut nichts, er hat sie lieb, und sie hat ihn erst recht lieb. Das ist eine Herrlichkeit gewesen, einer hat ohne den anderen nicht leben können und wo sie sich getroffen haben, da hat es erst Umarmungen und Küsse gegeben, ach so herzlich, so innig, so zärtlich, so lieb, dass man am Ende gesagt hat: ›Keines ist so glücklich wie unser Königspaar.‹

So geht ein Jahr in Freude und Lust hin, dann bekommt die junge Königin einen Prinzen, der bringt drei goldene Locken mit. Dadurch gibt es neuen Jubel, große Freude, innigere Liebe. Es ist aber nichts vollkommen.

In der ersten Nacht danach kommt die grüne Jungfrau und spricht zur Wöchnerin: ›Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?‹

Da antwortet die Königin: ›Herzliebste Mutter, ich habe dich nicht gesehen.‹

Da nimmt die Grüne den niedlichen Prinzen, herzt und küsst ihn und verschwindet damit.

Darüber trauert das ganze Land, der Vater und die Mutter. Na, die wird fast wahnsinnig vor Herzeleid. Nach einem Jahr bekommt sie aber wieder einen allerliebsten Prinzen, der hat einen goldenen Stern auf der Brust. Nun ist alles wieder froh und vergnügt. Es dauert aber nicht lang.

Wieder in der ersten Nacht kommt die grüne Jungfer und spricht: ›Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?‹

Die Königin antwortet: ›Herzliebste Mutter, ich habe dich nicht gesehen.‹

Darauf ist die Grüne wieder mit dem Kind verschwunden. Das gibt neues Herzeleid, und die Königin will sich fast von Sinnen tun. Danach vergeht abermals ein Jahr, und sie bekommt einen dritten Sohn, der hat einen goldenen Hirsch auf der Brust.

Mehrere Tage vorher sind schon Wachen aufgestellt, das ganze Schloss ist umzingelt von Soldaten, und vor der Stubentür haben vornehme Herren wachen müssen, weiß nicht, ob es Kammerherren gewesen sind. Kurz und gut, es ist dafür gesorgt, dass das Kind nicht wieder gestohlen werden kann. Trotzdem aber, um elf Uhr in der ersten Nacht, da liegen alle Wachen und schlafen wie die Ratten.

Da kommt die grüne Jungfer abermals zur Königin hinein und spricht: ›Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?‹

Und die Wöchnerin antwortet: ›Herzliebste Mutter, ich habe dich nicht gesehen.‹

Darauf verschwindet die Grüne mit dem Kind.

Da nun alles nicht geholfen hat, so dringt das ganze Volk darauf, die Königin soll verbrannt werden, weil sie ihre Kinder aufgefressen hätte. Denn gestohlen könnten sie nicht sein, und dann hätte sie ja auch jedes Mal am folgenden Morgen, wenn der Prinz gestohlen wäre, Blut auf dem Bett und an Händen und am Mund gehabt.

Der König will das durchaus nicht zugeben, denn er hat sie zu lieb. Er muss es aber am Ende zugeben, was er nicht ändern kann. Das Volk hätte ihn sonst auch umgebracht.

Nun wird ein großer Scheiterhaufen aufgerichtet, die unglückliche Mutter hinaufgeführt und an einen Pfahl gebunden. Der Geistliche betet noch für ihre arme Seele, und bittet den lieben Gott, sie auf- und anzunehmen. Dann segnet er sie ein und steigt herunter. Um den Holzstoß steht das Volk gedrängt und will die Hexe verbrennen sehen. Die Musikanten spielen schaurige Stücke, und alles lauert, dass das Holz angesteckt wird, und dann die Qual der Königin angeht.

In dem Augenblick steht nochmals die grüne Jungfer vor ihr auf dem Scheiterhaufen und spricht: ›Kind, wie hast du mich in meinem Drangsal gesehen?‹

Die Königin spricht: ›Herzliebste Mutter, ich habe dich nicht gesehen.‹

Während der Zeit haben sich die Henker gequält, den Scheiterhaufen anzustecken, er hat aber nicht anbrennen wollen.

Da spricht die grüne Jungfer: ›Weil du nun so verschwiegen gewesen bist und dich selbst durch den schrecklichen Tod auf dem Scheiterhaufen nicht zum Ausplaudern hast bringen lassen, so bist du, bin ich und dein Mann, der goldene Hirsch dadurch gerettet. Hier hast du deine Kinder wieder.‹

Da stehen in dem Augenblick drei wunderliebliche Knaben bei der angebundenen Königin, die umfassen ihre Knie und rufen: ›Mutter! Liebste Mutter, wo ist unser guter Vater?‹

Da umschlingt sie ihre Kinder, das Volk ist erst stumm und starr vor Verwunderung, reißt dann alle herunter vom Scheiterhaufen und führt sie in Jubel dem staunenden

Vater zu, und die Musikanten spielen lustige Stücke auf. Nun ist es aus.«