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Die Geschichte vom Werwolf Teil 8

Die-Geschichte-vom-WerwolfDie Geschichte vom Werwolf
Eine Volkssage, erzählt von Alexandre Dumas
Nach dem französischen Manuskript von Dr. G. F. W. Rödiger

Kapitel 8
Der Müllerbursche

Als Thibaut sah, dass es ihm unmöglich war, das verwünschte Haar abzuschneiden oder auszureißen, nahm er sich vor, es so gut wie möglich unter den übrigen Haaren zu verstecken. Es war doch möglich, dass andere Leute nicht so scharfe Augen hatten wie Agnelette.

Thibaut hatte übrigens sehr starkes lockiges Haar, welches er wohl so kämmen konnte, dass das Teufelshaar unbemerkt blieb. Wie beneidete er die jungen Kavaliere am Hof der Madame de Maintenon wegen des Puders, unter welchem die Farbe gar nicht zu unterscheiden war. Leider erlaubten ihm die Luxusgesetze nicht, Haarpuder zu tragen.

Nachdem Thibaut sein feuerrotes Haar unter seinen üppigen Locken geschickt versteckt hatte, ging er wieder fort, um der schönen Müllerin einen Besuch zu machen. Aber dieses Mal nahm er den nächsten Weg, um nicht wieder mit Agnelette zusammenzutreffen.

Kaum war er fünf Minuten im Wald fortgegangen, so bemerkte er vor sich einen jungen Bauer, der zwei mit Kornsäcken beladene Esel trieb. Er erkannte seinen Vetter Landry, der erster Knecht bei der schönen Müllerin war.

Da Thibaut die Witwe Polet nicht näher kannte, so hatte er auf Landry gezählt, um sich von ihm einführen zu lassen. Er freute sich daher, ihn schon unterwegs anzutreffen.

Thibaut ging rasch weiter und holte seinen Vetter bald ein.

Landry, durch die Schritte aufmerksam gemacht, sah sich um und erkannte Thibaut. Dieser wunderte sich sehr, den sonst so lustigen, lebensfrohen Burschen traurig und niedergeschlagen zu finden.

Landry hielt an und erwartete Thibaut.

»Nun, Vetter Landry«, fragte Thibaut, »was bedeutet denn das? Ich lasse die Arbeit ruhen, um meinen lieben Vetter, den ich seit mehr als sechs Wochen nicht gesehen habe, zu besuchen – und jetzt machst du mir ein so trübseliges Gesicht!«

»Ich mache dir ein Gesicht, wie ich es eben habe«, antwortete Landry. »Aber du kannst es mir glauben, dass ich mich im Grunde recht freue, dich zu sehen.«

»Im Grunde vielleicht, aber man sieht nichts von deiner Freude. Vormals, lieber Landry, warst du lustig und beweglich, wie das Geklapper deiner Mühle, das du immer mit deinem Gesang begleitet hast. Heute hingegen bist du traurig wie die Kreuze auf den Gräbern. Wie kommt das?

Hast du etwa kein Wasser auf deiner Mühle?«

»O ja wohl! An Wasser fehlt es nicht. Im Gegenteil, die Mühle steht keinen Augenblick still. Aber du musst wissen, dass mein Herz statt des Weizens unter dem Mühlstein ist … Ach! es wäre besser gewesen, ich wäre den ersten Tag, wo ich die Mühle betrat, unter das Rad gekommen.«

»Das ist ja schrecklich, Landry! Erzähle mir doch, woher deine Leiden kommen.«

Landry seufzte tief, ohne zu antworten.

»Wir sind Geschwisterkinder«, fuhr Thibaut fort, »wenn ich auch zu arm bin, um dir einige Taler zu leihen, wenn du in Geldverlegenheit bist. Aber ich kann dir wenigstens einen guten Rat geben, wenn du einen Kummer hast.«

»Schönen Dank, Thibaut, aber mir ist weder durch Geld noch guten Rat zu helfen.«

»Teile mir wenigstens dein Herzeleid mit. Man fühlt sich leichter, wenn man sich ausspricht.«

»Nein, ich sage es nicht.«

Thibaut lachte.

»Du lachst?«, sagte Landry erstaunt und unwillig. »Du findest meinen Kummer lächerlich?«

»Ich lache nicht über deinen Kummer, Landry. Ich lache, weil du mir die Ursache zu verbergen glaubst, da ich sie doch leicht erraten kann.«

»Nun, so rate.«

»Du bist verliebt, das sieht man auf den ersten Blick.«

»Ich! verliebt!«, erwiderte Landry, »wer hat dir denn diese Fabel erzählt?«

»Es ist keine Fabel, sondern die Wahrheit.«

Landry seufzte noch tiefer als vorhin. »Nun ja«, sagte er, »es ist wahr, ich bin verliebt.«

»Endlich ist es heraus, das große Geständnis«, sagte

Thibaut mit einigem Herzklopfen, denn er ahnte einen Nebenbuhler in seinem Vetter. »In wen denn?«

»Das sage ich dir nicht, Vetter Thibaut, ich würde mir lieber das Herz ausreißen lassen.«

»Du hast mir es ja gesagt.«

»Wie! Ich habe dir es gesagt?«, erwiderte Landry und machte große Augen.

»Allerdings. Hast du nicht gesagt, es wäre besser gewesen, wenn du an dem Tag, wo Du bei der Polet in Dienst tratest, unter das Mühlrad gefallen wärst? Dein Herzeleid hat mit dem Eintritt in die Mühle begonnen, also liebst du die Müllerin und diese Liebe ist die Ursache deines Kummers.«

»O schweig, Thibaut … wenn sie uns hörte!«

»Wie könnte sie uns hören? Sie müsste sich unsichtbar machen oder in eine Blume oder einen Schmetterling verwandeln können.«

»Das weiß ich nicht, Thibaut, aber ich bitte dich, schweig.«

»Ist sie denn grausam, die Müllerin? Hat sie gar kein Mitleid mit deinem Liebesgram? Armer Junge!«

Diese anscheinend teilnehmenden Worte hatten einen Anflug von Spott und Schadenfreude.

»Ach ja, sie ist sehr grausam«, erwiderte Landry. »Anfangs bildete ich mir ein, sie verschmähe meine Liebe nicht, den ganzen Tag betrachtete ich sie, und zuweilen sah sie auch mich an und lächelte. Ach! Diese Blicke, dieses Lächeln machten mich so glücklich! Warum begnügte ich mich auch nicht damit!«

»Ja, die Menschen sind unersättlich«, sagte Thibaut moralisierend. »Du Gourmand begnügtest dich also nicht mit ihren lächelnden Blicken?«

»Ach, nein! Ich vergaß, dass Madame Polet reicher und vornehmer ist als ich. Sie wurde sehr zornig, als ich ein Geständnis wagte. Sie antwortete, ich sei ein unverschämter Mensch, die künftige Woche werde sie mir die Tür weisen.«

»Nicht möglich!«, sagte Thibaut, »wie lange ist es her?«

»Etwa drei Wochen.«

»Und die nächste Woche ist noch nicht gekommen?«, fragte Thibaut, der die Frauen besser kannte als sein Vetter Landry, und die Sache daher bedenklicher fand, wie sie ihm anfangs erschienen war. »Beruhige dich, Vetter«, setzte er nach einer Pause hinzu. »Du bist nicht so unglücklich, wie du glaubtest. «

»Ach! Wenn du wüsstest, wie ich gequält werde!«, entgegnete Landry, »ich bekomme keinen Blick, kein Lächeln mehr von ihr. Wenn sie mir begegnet, wendet sie sich ab, und wenn ich ihr Rechenschaft von der getanen Arbeit gebe, so hört sie mich mit höhnischer Miene an, dass ich Weizen und Roggen, Gerste und Hafer vergesse und kein Wort herausbringen kann. Dann sagt sie so drohend: ›Nimm dich in acht!‹, sodass ich geschwind fortlaufe und mich hinter dem Beutelkasten verstecke.«

»Aber warum hast du es denn auf die Witwe abgesehen? Es gibt ja Mädchen genug, die dich gern zum Liebhaber nehmen würden. Nimm dir eine Geliebte und denke nicht mehr an die Müllerin.«

»Das kann ich nicht übers Herz bringen.«

»Versuch es nur, Landry. Die Müllerin wird vielleicht eifersüchtig, wenn sie sieht, dass du dein Herz einer anderen schenkst. Dann wird sie dir vielleicht nachlaufen, wie du ihr jetzt nachläufst. Die Frauen haben gar sonderbare Launen.«

»O, wenn ich das wüsste, würde ich auf der Stelle einen Versuch machen. Obwohl jetzt …« Landry schüttelte den Kopf.

»Nun, was denn jetzt?«

»Obwohl jetzt, nach dem, was vorgefallen ist, alles nichts nützen kann.«

»Was ist denn vorgefallen?«, fragte Thibaut, der alles wissen wollte.

»Ich mag gar nichts davon sagen.«

»Warum nicht?«

»Weil man das Unglück, wie man sagt, nicht wecken soll, wenn es schläft.«

Thibaut hätte gern gewusst, was Landry meinte. Aber die beiden Vettern waren inzwischen der Mühle so nahe gekommen, dass die Zeit zu einer Erklärung zu kurz war.

Thibaut glaube übrigens schon genug zu wissen. Landry fand keine Gegenliebe bei der schönen Müllerin. Ein solcher Nebenbuhler schien ihm in der Tat wenig gefährlich. Er verglich mit einer gewissen inneren Befriedigung das naive, fast kindische Benehmen des achtzehnjährigen Müllerburschen mit seinen fünf Fuß sechs Zoll, mit seinem schlanken, kräftigen Wuchs und seiner ungezwungenen, unternehmenden Haltung. Dieser Vergleich führte ihn natürlich zu dem Schluss, dass Madame Pilot ihn nicht verschmähen werde, wie sie den blöden, linkischen Landry verschmäht hatte.

Die Mühle zu Cayolles hat eine reizende Lage in einem üppig grünen Tal. Das Wasser, das sie treibt und einen kleinen Teich bildet, ist von Erlen, Pappeln und Nussbäumen beschattet. Unterhalb der Mühle fließt das schäumende Wasser in Form eines rauschenden Baches ab. Die Mühle ist von einem so dichten Gebüsch von Platanen und Trauerweiden umgeben, dass man auf hundert Schritte nur einen rauchenden Schornstein sieht.

Thibaut hatte die Mühle noch nie so schön gefunden wie jetzt, weil er sie noch nie in dieser Stimmung betrachtet hatte. Er hatte schon etwas von der Selbstgenügsamkeit des Grundbesitzers, der sein durch einen Bevollmächtigten angekauftes Gut besichtigt.

Seine Freude wurde noch größer, als er den Hof betrat und das lebensvolle Bild, welches sich vor seinen Blicken ausbreitete, betrachtete. Die Tauben gurrten auf den Dächern, die Enten schnatterten und plätscherten im Bach, die Hühner gackerten auf dem Mist, die Truthähne brüsteten sich an der Seite ihrer Hennen. Schöne braune und weiße Kühe kamen mit strotzendem Enter von der Weide. Hier wurde ein Wagen abgeladen, dort wurden die wiehernden Pferde ihres Geschirres entledigt und in den Stall geführt. Ein Knecht trug Säcke in die Mühle und eine Magd brachte den Schweinen ihr Futter. Man glaubte alle Tiere aus der Arche, vom schreienden Esel bis zum krähenden Hahn, auf dem Hof versammelt zu sehen, und noch andere, die nicht sichtbar waren, vermehrten das ohrenzerreißende Geschrei, zu welchem die klappernde Mühle den Takt zu schlagen schien.

Thibaut ward schier geblendet. Er sah sich im Geist schon als Besitzer aller dieser Herrlichkeiten und rieb sich in der Freude seines Herzens die Hände. Landry würde diese durch nichts motivierte Heiterkeit gewiss bemerkt haben, wenn er nicht ausschließlich mit seinen trüben Gedanken beschäftigt gewesen wäre.

Die Witwe, die am Fenster der Stube stand, sah sie kommen. Sie schien neugierig zu wissen, wer der mit ihrem ersten Burschen erscheinende Fremde sei.

Thibaut ging über den Hof, näherte sich mit freiem Anstand dem Wohnhaus, nannte seinen Namen und erklärte der Müllerin, wie der Wunsch, seinen Vetter Landry zu besuchen, ihn bewogen habe, sich ihr vorzustellen.

Die Müllerin empfing ihn sehr artig und lud ihn mit freundlichem Lächeln ein, den Tag in der Mühle zu bleiben.

Thibaut kam nicht mit leeren Händen. Er brachte einige Krammetsvögel, die er unterwegs im Wald aus den Schlingen genommen hatte, mit.

Die Müllerin gab die Vögel zum Rupfen und bat den neuen Gast zu Tisch.

Thibaut machte indes die Bemerkung, dass die Müllerin ihm etwas zerstreut zuhörte und ihr Augenmerk auf einen anderen Gegenstand zu richten schien.

Er sah sich um und überzeugte sich, dass der Gegenstand, der die schöne Müllerin beschäftigte, kein anderer war als Landry, der mit dem Abladen seiner beiden Esel beschäftigt war.

Madame Polet errötete bis über die Ohren, aber sie fasste sich schnell wieder und sagte: »Ihr scheint sehr stark. Es wäre schön von Euch, Eurem Vetter zu helfen. Ihr seht wohl, dass die Arbeit für ihn allein zu schwer ist.«

Dann ging sie wieder ins Haus.

Diable!, dachte Thibaut, indem er der Müllerin nachschaute und dann seinen Vetter ansah. Sollte der Bursche glücklicher sein, als er selbst ahnt? Um ihn aus dem Weg zu räumen, muss ich am Ende den schwarzen Wolf zu Hilfe rufen.

Er leistete übrigens der Aufforderung der Müllerin sogleich Folge. Da er wohl vermutete, dass ihn die schöne Witwe hinter einem Vorhang belausche, tat er die Arbeit mit allem Aufwand von Kraft und Behändigkeit.

Als die Arbeit getan war, versammelte man sich in der Wohnstube, wo der Tisch gedeckt wurde. Die Witwe setzte sich auf den Ehrenplatz und wies Thibaut einen Stuhl an ihrer Seite an. Sie war sehr artig und zuvorkommend gegen ihn, und Thibaut, der eine Weile gezweifelt hatte, bekam wieder Frohsinn und Hoffnung.

Die Müllerin hatte die Krammetsvögel eigenhändig mit Wachholderbeeren zubereitet, sodass sie in der Tat ein Leckerbissen waren. Aber während sie über Thibauts Späße lachte, warf sie Landry von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick zu. Sie bemerkte, dass der arme Bursche die Speisen, die sie ihm auf den Teller gelegt, noch gar nicht berührt hatte. Sie bemerkte auch, dass ihm dicke Tränen über die Wangen rannen und in die Krammetsvögelsauce fielen.

Dieser stumme Schmerz rührte sie. Ihr Blick wurde fast zärtlich, und sie machte eine Kopfbewegung, als ob sie sagen wollte: »Esst doch, Landry, ich bitte Euch.«

Es lag unendlich viel in dieser kleinen Pantomime.

Landry verstand sie. Er gehorchte so willig, dass er den Krammetsvogel auf einen Bissen verschlang.

Thibaut bemerkte alles.

Ei, ei!, dachte er, sollte sie ihm wirklich gut sein? Es wäre ein Beweis von schlechtem Geschmack, und es würde durchaus nicht in meinen Kram passen … Nein, schöne Müllerin, du brauchst einen rührigen, gewandten Mann, der das Hauswesen gut zu leiten versteht. Und dieser Mann bin ich … Ich sehe wohl, setzte er hinzu, als das Augenspiel fortdauerte, dass ich zu wirksamen Mitteln greifen muss. Denn ich darf sie mir nicht entwischen lassen. Sie ist in der ganzen Umgegend die einzige Partie, die sich für mich schickt … Aber was soll aus dem Vetter Landry werden? Er steht mir im Wege, und ich kann ihn doch nicht, wie Marcotte, ohne Weiteres in die andere Welt expedieren … Ich will mir den Kopf nicht zerbrechen, um ein Mittel zu ersinnen. Das geht den schwarzen Wolf an … Freund Wolf«, sagte er leise zu sich, befreie mich von meinem Vetter Landry, aber ohne dass ihm ein Leid geschieht.

Kaum hatte er diese Worte in Gedanken gesprochen, so sah er fünf bis sechs Männer in militärischer Kleidung vom Berg herab und auf die Mühle zukommen.

Landry bemerkte sie auch, denn er schrie laut auf, erhob sich, um zu entfliehen, sank aber erschöpft auf seinen Stuhl zurück.